Zwischen Hilfsbereitschaft und blaugeschlagenen Gesichtern
Ein Hilfskonvoi begab sich vergangenes Wochenende nach Ungarn um den vielen Flüchtlingen vor Ort zu helfen. Derweil erlebte München eine Ausnahmesituation. Ein Bericht über die gewonnen Eindrücke und zwei unterschiedliche Situationen.
Montag Mittag, 7. September, am Münchener Hauptbahnhof. Wieder kommt ein Zug aus Budapest an. Mehrere hundert Refugees werden unter Beifall der umherstehenden Menschen von Polizei und Sicherheitskräften aus dem Zug direkt in das am Bahnhofsvorplatz eingerichtete Notfallcamp des MHW (Medizinisches Katastrophen-Hilfswerk) eskortiert. Immer wieder werden Süßigkeiten und Kuscheltiere über die Absperrgitter an die ankommenden Kinder gereicht. Diese bedanken sich mit einem Lächeln. Es herrscht eine aufgeregte Stimmung. Die ganze Situation wirkt etwas merkwürdig. Auf der einen Seite applaudieren Menschen, wie in einem Theaterstück. Auf der anderen Seite werden Menschen von Polizeikräften in eine Bahnhofshalle gebracht. Noch vor wenigen Stunden wurden diese Menschen von der ungarischen Polizeiteils massiv angegriffen und nun stehen Hundertschaften an Absperrgittern und deuten den Ankommenden den richtigen Weg.
Seit einer Woche erlebt München nun einen „Ausnahmezustand“, wie es fast aus allen Mündern zu hören ist. Vergangenen Dienstag – zu diesem Zeitpunkt waren die Grenzen Ungarns, Österreichs und Deutschlands offiziell noch geschlossen – sammelten sich die ersten Flüchtlinge am Münchener Hauptbahnhof. Schnell wurden Netzwerke und Strukturen aktiviert, eine Küche zur Verpflegung am Bahnhof aufgebaut und Spenden entgegengenommen. Ein paar Tage später zeichnet sich in Ungarn eine humanitäre Katastrophe ab. Nach wie vor befinden sich tausende, vorwiegend aus Syrien und dem Irak Geflüchtete in Budapest am Bahnhof. Ihr Ziel ist Westeuropa. Doch Victor Orban, der ungarische Ministerpräsident lässt den Bahnhof schließen. Die Menschen werden sich selbst überlassen. Die Ungarische Regierung ist schon länger für ihren harten Kurs im Umgang mit Geflüchteten bekannt und der Zustand in Lagern wie bei Debrecen im Osten des Landes und Rösche im Süden werden immer wieder kritisiert.
Diese Menschen müssen unterstützt werden.
Freitag Nachmittag, 4. September, begeben sich dann mehr als 1.000 Flüchtlinge vom Budapester Keleti Bahnhof zu Fuß in Richtung Österreich – 175 Kilometer Autobahn. Diese Menschen müssen unterstützt werden, soviel ist klar .Kurzerhand werden einige Kontakte angerufen und Freitag Abend sitzen vier Menschen aus Regensburg und eine Person aus Augsburg in den Autos Richtung Wien.
Dort gab es bereits Planungen für einen Konvoi mit Hilfsgütern nach Ungarn. Über private Spenden hatten einige Personen aus St. Pölten drei Transporter schnell mit Hilfsgütern vollbekommen. Weitere Sachen, wie Wasser, Lebensmittel, Hygieneartikel, Schlafsäcke, warme Kleidung und Spielsachen bekommen wir am Wiener Westbahnhof über die Caritas. An deren Lager wächst am Samstag Vormittag die Schlange der Menschen mit Spenden immer weiter an.
„Für mich gab es da nicht viel zu überlegen. Als ich den Spendenaufruf las, packte ich sofort zwei Taschen zusammen und kam hierher“, erzählt eine Wienerin. „Ich bin selbst vor einigen Jahren aus Afghanistan geflüchtet, daher ist es nur selbstverständlich eine solche Aktion zu unterstützen“, erfahre ich von einem jungen Mann, der mit seinem Sohn gekommen ist.
Wien ist Treffpunkt für den Konvoi nach Ungarn. Nachdem Bundeskanzlerin Merkel, der österreichische Bundeskanzler Feymann und der ungarische Ministerpräsident Orban von Freitag auf Samstag Nacht das längst Überfällige beschließen, sind die Grenzen endlich offen. Auf unbestimmte Zeit wird die Dublin-Verordnung außer Kraft gesetzt. Die Refugees können nun nach Deutschland weiterreisen. Ungarn stellt dutzende Busse bereit und bringt die Menschen an die österreichische Grenze, aus Budapest werden die Wartenden in Sonderzügen über Wien nach München gefahren.
München bereitet sich indes auf einen Kraftakt vor. Mehrere tausend Menschen werden noch im Laufe des Samstags am Hauptbahnhof ankommen. Am Ende des Wochenendes werden es über 20.000 gewesen sein.
Wir machen uns von Wien auf Richtung Budapest. Zehn Autos, über dreißig Personen – es herrscht eine angenehm aufgeregte Stimmung. Unser eigentliches Ziel, den March of Hope auf dem Weg nach Österreich zu unterstützen ist nach der Öffnung der Grenzen obsolet geworden. Wir entscheiden uns dennoch nach Budapest zu fahren und dort die Organisation Age of Hope mit notwendigen Dingen zu versorgen. Von einem der dortigen Helfer erfahren wir einiges über die Situation in der ungarischen Hauptstadt.
Angst vor sinkender Spendenbereitschaft
„Aktuell läuft es zumindest in Budapest ganz gut. Wir bekommen immer wieder Spenden und viele Leute unterstützen uns.“ Sorgen machen sich die Aktivisten allerdings um die bevorstehende kältere Jahreszeit. „Wir benötigen dringend warme Unterkünfte für die demnächst ankommenden Menschen. Schlafsäcke und warme Kleidung sind ebenfalls wichtig.“ Auch wenn die Spendenbereitschaft aktuell aufgrund der momentanen Situation sehr hoch ist, wird das wohl bald wieder abnehmen, so die Vermutung.
Montag, 7. September, München. An der Donnersbergerbrücke, zwei S-Bahnstationen vom Münchener Hauptbahnhof entfernt, hat die DB ein Notfalllager eingerichtet. Dort werden die Flüchtlinge medizinisch versorgt, bekommen Kleidung, warmes Essen und Getränke. Einige Leute, die seit Jahren das Bildungscamp an der Münchner Universität bekochen haben hier ihre Küche aufgebaut und sind bereits seit Dienstag im Dauereinsatz. Das Wochenende über wurde sogar die Nacht durchgekocht, um die Menschen versorgen zu können. Man sieht allen die Erschöpfung an, doch scheint nach wie vor genügend Kraft da zu sein, um noch ein paar Tage durch zuhalten.
„Es ist einfach auch eine emotional unglaublich tolle Erfahrung, wie hier alle zusammen an einem Strang ziehen“, höre ich eine der Helferinnen. Und in der Tat scheint es hier ein großes Miteinander von Polizei, Notärzten, freiwilligen Helfern und vielen anderen zu geben. Das nehmen auch die Flüchtlinge wahr. „Wir sind wirklich dankbar. All diese Menschen sind sehr freundlich und hilfsbereit,“ drückt ein junger Mann seine Gefühle aus.
„Ich bin vor zwei Monaten aus Eritrea über das Mittelmeer geflüchtet. Meine Freunde haben es nicht geschafft und sind ertrunken“, erzählt mir ein Mann, der vor einigen Tagen in München angekommen ist. Er wurde bereits in das Camp in Moosburg überwiesen. Er möchte in Deutschland so schnell wie möglich die Sprache lernen und einen Job finden. „Sobald es möglich ist, werde ich meine Familie zu mir holen.“
Ungarn: „Es gibt auch viele Menschen mit klar rechten Tendenzen.“
Samstag, 5. September. Von Budapest machen wir uns in Richtung ungarisch-rumänischer Grenze auf. In Debrecen werden wir eine weitere Hilfsorganisation treffen und deren Lager mit den restlichen Spenden füllen. Doch erst gegen elf Uhr Abends kommen wir am Bahnhof in Debrecen an. Vor dem Gebäude sitzen mehrere Dutzend Refugees, überwiegend Männer. Wir versorgen sie schnell mit Wasser und ein paar Decken. Mittlerweile ist es etwas kühl geworden und die Menschen werden noch einige Stunden auf ihren Zug nach Budapest warten müssen. Zwei Freiwillige der dortigen Hilfsorganisation Migration Aid frage ich nach der aktuellen Lage vor Ort – einige Kilometer entfernt befindet sich eines der Flüchtlingslager.
„Die Menschen versuchen es zu vermeiden, in diese Camps gebracht zu werden. Die Situation dort ist sehr schlecht, es fehlt an allem. Oft ist nicht einmal genügend Wasser und Essen vorhanden. Das hat sich herumgesprochen und daher versuchen die Refugees so schnell wie möglich nach Westdeutschland zu kommen.“ Auf die Frage, wie denn die ungarische Bevölkerung zu den Flüchtlingen stehe, bekomme ich eher ausweichende Antworten. Sie seien nicht besonders hilfsbereit, auch wenn es natürlich immer wieder Ausnahmen gebe. Den meisten seien die Menschen in den Lagern und hier am Bahnhof relativ egal. „Es gibt auch viele Menschen mit klar rechten Tendenzen“, erfahre ich dann doch. Zwar käme es eher selten zu wirklichen Übergriffen, „doch in Gesprächen wird das oft deutlich“, so eine der Helferinnen. Dann kommt ein älterer Mann mit einigen Tüten. Er hat in der Nähe einen Imbiss und verteilt täglich an die am Bahnhof festsitzenden Personen Semmeln mit Aufstrich und selbstgemachte kleine Fladenbrote.
München: Helfer oft über 13 Stunden im Einsatz
Mittwoch, 9. September, München. Am Mittag kommt wieder ein Zug mit einigen Dutzend Menschen in München an. Ein Pressesprecher der Polizei geht davon aus, dass das bis Anfang nächster Woche wohl noch so weiter gehen werde. „Es werden wohl täglich noch einige hundert Menschen ankommen. Der Großteil wird jedoch nun an München vorbei weiter Richtung Berlin und NRW geleitet.“ Auch die Polizeikräfte scheinen mittlerweile an ihre Belastungsgrenzen zu kommen. Laut Polizeisprecher sind „viele Kollegen, auch vom MHW und die freiwilligen Helfer oft über die 13 Stunden im Einsatz und auch wenn sich mittlerweile eine gewisse Routine ergeben hat, geht das natürlich an die Substanz.“
Dass trotz des recht gut organisierten Ablaufs in München auch mal etwas schief gehen kann, habe ich am Dienstag Abend im Camp an der Donnersbergerbrücke erlebt. Einige Flüchtlinge sollten für die Nacht bereits vor zwei Stunden von einem Shuttlebus in ein Zwischenlager gebracht werden. Die freiwilligen Helfer bereden sich kurz und nach wenigen Minuten sitzen die Personen in zwei Autos und werden hingefahren. Deutschland kann auch unbürokratisch.
Sonntag, 6. September, Ungarn. Langsam erschöpft von mehreren Stunden Autofahrt und den gewonnenen Eindrücken, treten wir unseren Weg zurück Richtung Wien an. Wir hatten ursprünglich überlegt noch weiter bis an die Grenze zu Rumänien zu fahren und das Camp zu besuchen, allerdings sind viele langsam am Ende ihrer Belastbarkeit angelangt. Zu diesem Zeitpunkt können wir nur schlecht einschätzen wie die aktuelle Situation in Ungarn, aber auch in Österreich und Deutschland ist. Klar ist, dass nach wie vor Menschen die Grenze zu Ungarn überschreiten und sich Richtung Westdeutschland begeben werden. Die Frage ist, wie lange die Bundesregierung ihr Zugeständnis der ungehinderten Einreise gelten lässt.
Es kein Flüchtlingsproblem, es ist lediglich eine Frage der Organisation
Sonntag Abend kommen wir in München an. Am Bahnhof ist der große Ansturm bereits vorbei. Die Strukturen stehen und sind offensichtlich gut eingespielt. München hat gezeigt, wenn der Wille da ist und alle mitanpacken gibt es kein Flüchtlingsproblem – es ist lediglich eine Frage der Organisation. „Es ist bemerkenswert wie hilfsbereit die Menschen hier sind, seit Tagen kommen immer wieder Menschen und spenden Geld oder Gegenstände“, erzählt mir einer der Unterstützer im Camp an der Donnersbergerbrücke. Die Stimmung scheint nach wie vor ungebrochen gut zu sein.
Dienstag Abend erreichen mich dann Neuigkeiten aus der Grenzregion bei Röszke nahe der serbischen Grenze. Dort versuchen immer wieder Menschen aus dem Lager auszubrechen und zu Fuß weiter nach Westen zu kommen. Die Polizei geht dabei massiv mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen Personen vor. Es wird scheinbar kaum ein Unterschied zwischen Mann, Frau oder Kind gemacht. Und während in München mittlerweile zu viele helfende Hände angeboten werden, so dass einige abgewiesen werden müssen, sind die Refugees in Röszke großteils auf sich gestellt. Die wenigen Helfer, die sich unter anderem auch aus Deutschland vor Ort befinden, sind schnell an ihren Grenzen angelangt. Denn aus Serbien und Rumänien kommen weiter Menschen über die Grenze.
Menschen mit blaugeschlagenen Gesichtern
Ein Helfer in München berichtet von einigen Erzählungen der ersten in München angekommenen Refugees. „Was sie erzählten ist einfach unfassbar. Die Brutalität der ungarischen Polizei. Und wenn du dann siehst, wie die Menschen hier ankommen, teilweise mit blaugeschlagenen Gesichtern, dann weißt du, dass in Europa etwas nicht stimmt.“
Mittwoch Nachmittag. Ich sitze in der Münchener Innenstadt. Menschen hetzen durch die Straßen. Die Flüchtlinge sind nun vermutlich wieder etwas aus den meisten Köpfen verschwunden. Bis zum Ende der Woche werden wohl auch die ersten Zelte wieder abgebaut und die Maßnahmen langsam zurückgefahren. Eine der freiwilligen Helferinnen am Bahnhof sagt: „Wir werden solange bleiben, wie uns die Polizei helfen lässt.“Aus Röszke gibt es wieder Berichte von Übergriffen durch die Polizei. In München wird sich derweil erst einmal gegenseitig für das Geleistete gelobt.
erich
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immer wenn mehrere Religionen die eine kritische Masse bilden auf einem Staatsgebiet aufeinander treffen kann es zu Religionskonflikten kommen, siehe Balkan, Nigeria, Sudan, Kaukasus.
Ich vermute das ist die Angst, die die meisten europäischen Lander haben, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, nämlich das es irgendwann in ihren Ländern Religionskonflikte gibt!
stern(Bayern)
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ich bin alleine in den Bergen stolpere unglücklich und breche mit ein Bein. Zufällig kommt nach kurzer Zeit ein Wanderer vorbei. Der Wanderer ist von Beruf Arzt. Gerettet, denn der Arzt muss mir helfen (Genfer Eid).
Was macht ein Arzt der jetzt alleine in den Berger unterwegs ist und an dem Absturzort eines Flugzeuges kommt. Hier gibt es viele Schwerverletzte, schnell wird klar er wird nicht allen helfen können.
Er wird entscheidungen über Leben und Tod treffen müssen, grausam aber es gibt keinen anderen Weg!
Dieser Arzt ist aber kein schlechter Arzt wenn er nicht allen Verletzten helfen kann. Dieses handeln ist rechtens.
Wie sollte man aber einen Arzt nennen der sich ins Fernsehn setzt und behauptet er könne allen helfen (“Wir können es schaffen”) ? Dieser Arzt stimmt sich nicht mit den anderen Ärzten in seiner Ärzteunion ab oder versucht deren Hilfe zu koordinieren? Wie professionell arbeitet dieser Arzt wenn er nach 2 Tagen feststellt : Pflaster sind alle ????
In meinen Augen ist so ein Arzt ein Kurpfuscher und Schalartan.
Nicht jeder Dr. ist ein Arzt ………..