09 Jun2008
Zur EM: Fahnenappell!
Wer sie noch von dem deutschen Sommermärchen 2006 im Keller hatte, holte sie wieder raus. Die scharz-rot-goldenen Fahnen flattern wieder an allen Autofenstern. Wer seine von der Weltmeisterschaft nicht recyceln konnte, kaufte sich eben eine neue Fahne. Egal ob Baumarkt oder Ein-Euro-Laden: Überall werden diese Fähnchen angeboten. Von etlichen Regensburger Balkonen hängt die Bundesflagge herunter und in etlichen Gärten wurde ebenfalls gehisst. Fast könnte man meinen, Deutschland ist der Ausrichter der EM 2008 und nicht die Nachbarn Österreich und Schweiz.
Der Auftrag: Finde exotische Fahnen!
Meinem Chefredakteur fiel das Fahnenmeer auf den Straßen auch auf. Sein Auftrag an mich klang eigentlich simpel: Ich sollte möglichst exotische Autofahnen von Nationen, die an der Fußball-Europameisterschaft teilnehmen finden. „Einen Vormittag und ich habe sie alle“, versicherte ich großspurig meinen Chef. Ich und mein großes Maul. Also rauf aufs Rad und dorthin wo es zu großen Ansammlungen von Autos kommt. Mein erstes Ziel: Der Donaumarkt. Schon von weitem sehe ich etliche Fahnen an den Auto im Wind flattern. Das ärgerlich dabei: Alle Fahnen sind schwarz-rot-gold. „Kein Problem“, sage ich zu mir selbst „dann muss ich halt suchen!“ Ich streife durch den wenig pittoresken Donaumarkt. Und schaue den Autos aufs Dach. Überall hat es nur unsere Fahne. Vom Deck eines Donaukreuzfahrtschiffes beobachtet mich ein älteres Ehepaar. Die halten mich wohl für pervers oder zumindest für einen potenziellen Autoknacker. Ich grinse verlegen und suche konzentriert weiter. Da! Von der Ablage eines Audis mit Neumarkter Kennzeichen springt es mich sofort an: Der rot-weiß karierte kroatische Fan-Schal. Ich hole die Kamera raus. Moment mal, mein Chef wollte Fahnen sehen. Also gut. Auf dem Donaumarkt wird es wohl heute nichts. Auf geht’s zur Parkgarage unter dem Bismarckplatz. Touristen, so meine Theorie, bevorzugen sichere Parkgelegenheiten. Ab in die Unterwelt von Regensburg. Ich laufe alle Parkdecks ab. Überall das gleiche Bild, wenn Autos beflaggt sind, dann mit der in diesem Fall falschen Fahne. Im Gehen begriffen entdecke ich ihn: Einen tiefer gelegten VW Golf. Richtig fies getunt das Auto. Doch was hängt da am Seitenfenster? Kemal Atatürk sei dank! Raus mit der Fotokamera und Foto. Wenn ich jetzt die türkische Elf und das DFB Team abziehe bleiben noch 14 Mannschaften über. Noch drei Stunden bis Mittag und dann sollte ich die Fotos abliefern.
Merke: Spanier ist nicht gleich Spanier!
Meinen Plan mit den Parkplätzen gebe ich auf. Eine neue Idee ist mir eingefallen. Mein Lieblingsspanier, bei dem ich schon Unmengen Paella verspeist habe, kann mir sicher aus der Patsche helfen. Am Arnulfsplatz wartet ein Fiat Kleinbus brav vor dem Zebrastreifen. Am Fenster eine rote Fahne mit dünnem weißen Kreuz. Der Danebrog. Schnell die Kamera raus gezogen. Bei dem Manöver auf dem Fahrrad wäre ich beinahe gestürzt. Ich stehe seitlich zum Fahrer des dänischen Autos. Ich deute ihm an, dass er bitte kurz warten soll, weil ich ihn fotografieren will. Der Däne schaut mit verdutzt an. Dann fällt es mir ein: Sche..e! Die Dänen sind ja gar nicht bei der EM. Ich packe den Fotoapparat wieder ein und mit einer abfälligen Handbewegung radle ich weiter.
Endlich bin ich beim Spanier. Noch in der Gaststube erkläre ich ihm meine Not und frage, ob er mich sein Auto mit der spanischen Fahne fotografieren lassen würde. Er sieht mich an, als ob ich ihm eine Zahnwurzelbehandlung verschreiben würde. Dann klärt er mich auf: „Ich bin kein Spanier. Ich bin Katalane! Wir haben eigene Sprache, eigene Kultur und eigene Fahne. Unsere Nationalmannschaft ist der FC Barcelona!“ Freundlich erklärt er sich bereit, dass ich ihn im Trikot von diesem Fußballclub ablichten darf. Leider muss ich abwinken. Zuvor sauge ich noch eine Nase voll von dem leckeren Duft aus der Küche in mich auf.
Porca miseria!
Weiter geht es zu meiner Stammeisdiele. Der Inhaber ist Italiener. Da bin ich mir sicher. Er kommt auch nicht aus Südtirol oder Sizilien. Irgendwo aus Mittelitalien stammt er ab. So weit kenne ich meinen Haus- und Hofeismacher. Nachdem ich ihm meine Notlage vorgetragen habe, führt er mich mit einem breiten Grinsen im Gesicht zu seinem Auto. Ein Fiat, was sonst. Sehr italienisch am Kohlenmarkt geparkt. Von der Beifahrertüre sehe ich auch das ersehnte Fähnchenstangerl rüberspitzen. Mein Begleiter will ganz stolz die italienische Trikolore für mich ins Bild halten, da sehen wir beide das Unfassbare. „Porca miseria!“ entfährt es meinem Eismacher. Es hängt nur noch das rote Drittel der Fahne traurig an der Befestigungsstange. Aus dem stolzen Südländer wird für wenige Augenblicke ein trauriges Häufchen Elend. Er fängt sich schnell und droht den unbekannten Übeltätern. Ich stimme mit ein in seine Forderungen nach einer Lynchjusitz für Fahnenfrevler der italienischen Fahne.
Das Leben kann so grausam sein.
Hast Du schon, oder suchst Du noch?
Ich sehe mir die Liste der EM-Teilnehmer an. Schweden ist auch dabei. Jetzt werde ich meinen Chefredakteur zeigen, was in mir steckt. Mein Plan ist so einfach wie genial: Der Möbelgigant IKEA verkauft sicher in seiner Regensburger Filiale Autofähnchen mit der schwedischen Fahne. Ich besorg mir so ein Teil, stecke es an ein Auto auf dem IKEA Parkplatz und habe ein tolles Foto. Gibt es etwas exotischeres als die schwedische Fahne? Ich trete in die Pedale. Die Zeit arbeitet gegen mich und von der Innenstadt raus zum IKEA sind es doch einige Kilometer. Aus meinem Dänendesaster am Arnulfsplatz habe ich gelernt. Ab jetzt baumelt meine Kamera eingeschaltet und griffbereit vor der Brust. Das stört zwar beim Radeln, aber mir entgeht keine Fahne am Auto. In der Straubinger Straße fährt ein tschechischer LKW vor mir rechts ran. Der Fahrer frägt mich nach dem Weg zu einer Firma in Neutraubling. Ich versuche ihm mit Händen und Füßen zu erklären was ich will. Dann umschleiche ich seinen Truck. Die Helden der Landstraße haben sicher eine Nationalfahne zur EM an Bord. Der freundliche Tscheche will wissen, nach was ich suche. Ich erkläre es ihm, er nickt, steigt auf seinen Fahrerbock und bietet mir eine Flasche Pilsener Urquell an. Ich bin kurz vorm Heulen. Der nette Mensch versteht mich nicht. Er kann kein Deutsch und ich kein Tschechisch. Also skandiere ich plötzlich: „Thomas Rosicky! Thomas Rosicky!“ Der LKW Fahrer aus Tschechien nimmt einen tiefen Schluck, macht die Türe zu und fährt los. Wie ich später erfahren habe, ist der tschechische Torjäger Thomas Rosicky verletzt und kann nicht an der EM teilnehmen.
Der IKEA Parkplatz war auch ein Nullnummer in Sachen exotischen Nationalfahnen. Wenn es beflaggte Autos gab, dann schwarz-rot-gold. Mittlerweile ist es Nacht geworden. Ich stehe auf der Königswiesener Autobahnbrücke und beobachte die unter mir dahinbrausenden Autos. So bald ich eine Fahne an einem Fahrzeug sehe, drücke ich ab. Ich befürchte, dass kann noch dauern, bis ich einen ersten Erfolg habe. Sollten sie jemanden kennen der eine griechische, österreichische, portugiesische Fahne oder irgend eine andere von einem Team am Auto hat, das an der Fußball EM teilnimmt, rufen Sie ich bitte am Handy an.
Georg Rötzer
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Hinweis:
Auf dem Parkplatz beim NAYIR-Supermarkt in der Von-Donle-Straße sah ich am 2. Juni ein Auto mit 2 aufgesteckten Fahnen: deutsch und türkisch!
Viele Grüße!
Georg Rötzer
Hubert Wagner
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Selten habe ich mich so köstlich über einen Artikel amüsiert. Übrigens: Den Verfasser des Artikels sah ich gestern Morgen bibbernd auf der Autobahnbrücke sitzen. Ich kaufe mir jetzt eine österreichische Fahne und fahre dann bei ihm vorbei;-)
Hubert
Ben
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Vor einer Woche lief ich über einen Uni-Parkplatz und sah an der rechten Seite eines Autos das übliche schwarz-rot-gelbe Fähnchen. Eigentlich kein Hingucker mehr. Das an der anderen Seite schon eher. Da wehten die Farben schwarz-weiß-rot über der Fahrertür. Die Flagge des deutschen Kaiserreichs. 90 Jahre nach Ende des ersten Weltkriegs schmückt da jemand sein Auto mit einem Symbol deutscher Verbrechen an der Menschheit. Viel Spaß auf den Fan-Meilen!
Peter Lang
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Autos mit Fähnchen ins Fenster geklemmt verbrauchen etwa einen halben Liter mehr Sprit auf 100 Kilometer.