„Unterhalb jeden Niveaus der Kulturgeschichte“
In der Nacht von Sonntag auf Montag ist der Zug der Erinnerung in Regensburg angekommen. „Hier war im Gegensatz zu manchen anderen Städten keine Überzeugungsarbeit nötig“, so Hans-Rüdiger Minow. Minow ist Vorsitzender des Vereins, der den Zug der Erinnerung 2007 gegen den Widerstand der Deutschen Bahn auf die Gleise setzte. An mittlerweile über 80 Stationen wurde so an das Schicksal von schätzungsweise 1,5 Millionen Kindern und Jugendlichen erinnert, die während der NS-Herrschaft von der Reichsbahn deportiert wurden.
In München, wo der Zug bis Sonntag Station gemacht hat, wurde er auf Gleis 35 verbannt, Ausstellungstafeln wurden beschlagnahmt, die Bahn ließ uniformierte und mit Schlagstöcken bewaffnete Sicherheitskräfte aufmarschieren.
Anders scheint es in Regensburg zu laufen. Minow lobt ausdrücklich die Unterstützung durch das lokale Bahnhofsmanagement. Der Zug steht direkt zugänglich auf Gleis 1. Oberbürgermeister Hans Schaidinger hat die Schirmherrschaft für die Ausstellung übernommen. Er hält ein kurzes Grußwort.
Die Stadt zahlt die Hälfte der Kosten von insgesamt 12.000 Euro. Der Rest muss aus Spenden finanziert werden – im Gegensatz zu Rheinland-Pfalz, Sachsen oder dem Saarland hat der Freistaat Bayern keine Bereitschaft gezeigt, sich an den Kosten zu beteiligen. Es gebe keinen Cent Zuschuss für die Fahrt durch Bayern ließ Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) die Organisatoren in einem Schreiben wissen. Die Deutsche Bahn AG kassiert pro Tag rund 1.000 Euro vom Zug der Erinnerung, plus 3,50 Euro pro gefahrenem Schienenkilometer.
Für den 74jährigen Sinto Hugo Höllenreiner ist das Verhalten der Bahn ein Skandal. Höllenrainer wurde selbst 1943 mit einem Zug der Reichsbahn ins so genannte „Zigeunerlager“ Auschwitz-Birkenau deportiert. Er war damals neun Jahre alt. Während der fünftägigen Zugfahrt – ohne Essen, Wasser und Toilette – starb seine Großmutter. Insgesamt 36 seiner Angehörigen wurden bis zum Ende des Krieges von den Nazis ermordet. Hugo Höllenreiner und sein Bruder wurden vom berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele mit grausamen Experimenten gefoltert.
Es sind tausende solcher Schicksale, die der Zug der Erinnerung bei seiner Fahrt zusammen getragen und dokumentiert hat. „Wer nur einen Teil davon gesehen hat, muss beim nächsten Aufmarsch von Neonazis nicht mehr darüber nachdenken, wie unsinnig die Parolen sind“, so Minow. „Er muss nur an diese Kinder denken und weiß: Wer so etwas macht befindet sich unterhalb jeden Niveaus der Kulturgeschichte.“ Eine Gesamtdarstellung der deportierten und ermordeten Kinder gibt es bis heute nicht. Der Zug der Erinnerung baut insbesondere auf lokale Initiativen, die Deportation und Ermordung von Kindern und Jugendlichen recherchieren und dokumentieren. In Regensburg haben unter anderem die Falken einen eigenen Abschnitt der Ausstellung gestaltet und geben 22 Opfern aus Regensburg Namen und Gesicht.
Die Klasse 8b der Hans-Herrmann-Hauptschule hat sich auf die Spur der drei Cousinen von Hugo Höllenreiner begeben und ihr Schicksal dokumentiert. Rosa, Katharina und Philippine wurden 1943 nach Auschwitz deportiert. Rosa überlebte das KZ, weil sie die SS als Sekretärin brauchte. Katharina und Philippine wurden im März 1944 ermordet. Seit dem vergangenen Jahr erinnern drei Stolpersteine in Reinhausen an die Höllenreiner-Mädchen.
Die Dokumente und Fotos nimmt der Zug der Erinnerung mit zu den nächsten Stationen und schließlich nach Auschwitz, wo sie symbolisch hinterlegt werden. Bis dahin wird die Deutsche Bahn AG noch viele tausend Euro an Gebühren von dem Verein kassieren – bislang sind es rund 150.000 Euro. Ohne Spenden wäre die Fahrt des Zuges nicht zu finanzieren. Der Verein hat dieses Geld nicht. Hans-Rüdiger Minow hegt kaum noch Hoffnung, dass der Rechtsnachfolger der Reichsbahn sich in diesem Punkt bewegen wird. „Die Spitze der Bahn AG fährt einen aggressiven Konfrontationskurs und erschwert die Fahrt dieses Zuges, wo sie nur kann.“ Allerdings habe man dabei nicht auf die enorme Unterstützung aus der Bevölkerung gerechnet, so Minow. „Damit zeigen wir diesen Leuten, dass auch ihr Einfluss Grenzen hat.“
Nur ein Eisenbahner wurden nach dem zweiten Weltkrieg für seine Beteiligung am Massenmord vor Gericht gestellt. Der stellvertretende Reichsbahn-Generaldirektor Albert Ganzenmüller war persönlich mit der Deportation tausender Menschen befasst. Das Verfahren gegen ihn wurde 1977 „wegen Verhandlungsunfähigkeit“ eingestellt. Er starb 1996.
Noch bis vor kurzem verbreitete die Deutsche Bahn AG auf ihrem Internet-Kanal „Bahn TV“ NS-Propagandasequenzen über das deutsche Eisenbahnwesen und beschweigt die Massendeportationen der Deutschen Reichsbahn in die Vernichtungslager. Über die NS-Diktatur und die Zeit nach 1936 heißt es zusammenhanglos, die deutsche Wirtschaft habe einen „nie erwarteten Aufschwung“ erlebt, der Lebensstandard sei gestiegen „und damit auch die Reiselust“. Hier ein Auszug:
deejay12345
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Eines vorneweg: ich habe eine Glatze. Das ganze allerdings vererbt. Ich hab einfach nur noch einen Haarkranz, nachdem das aber für mich scheisse aussieht, hab ich den entfernt. Wollte nur von vorneherein klar stellen das ich der rechten Ecke nicht im geringsten nahestehe.
Als ich vor ca. 9 Jahren in der Stadt unterwegs war, sagte ein kleines Mädchen zu seiner (vermutlich) Mutter: “ist das ein Nazi? Der hat eine Glatze!” (dabei deutete Sie auf mich). Die Mutter hat sich sofort bei mir entschuldigt. Trotzdem lies mich das ganze nicht los. In der Schule, in Geschichte, war ich nie der Aufmerksamste, also begann ich mich für die neuere Geschichte zu interessieren. Was ist ein Nazi? Was haben Nazis getan? Ich habe alles nachgelesen! Von den ersten Anfängen, über die Machtergreifung, die Jahre des Regimes sowie alles über die Judenverfolgung (und wie es dazu kam), Deportierung, Konzentrationslager, den Krieg und auch die Folgen. Bin also (wenn auch nur in der Theorie, weil dabei war ich nicht) bestens gerüstet.
Es gab damals für die Wirtschaft und die Menschen eigentlich nur die Möglichkeit entweder mitzumachen, auszuwandern (solange es noch möglich war) oder aber dagegen zu sein und mit den Konsequenzen zu leben (zumindest kurz). Also passte man sich der Zeit an. Ob man es gut fand oder auch nicht. Man versuchte irgendwie durchzukommen (das nennt man wohl auch Selbsterhaltungstrieb oder in der Wirtschaft schlicht und einfach Geld verdienen und somit Arbeitsplätze sichern). Viele wussten was los war (das habe ich auch in Gesprächen mit älteren Menschen erfahren) aber es war gefährlich sich dagegen aufzulehnen. Viele haben von den Machenschaften auch profitiert. Keine Frage. Dieser Teil der Geschichte ist aber Gottseidank vorbei!
Ich finde es richtig und gut, daß man sich heute an diese Zeit erinnert. Ich finde diesen Zug eine ganz tolle und wichtige Sache. Ich finde es MUSS Bestandteil jedes Bürgers in Deutschland (und dazu zähle ich jeden der hier lebt) sein, zu wissen was damals alles passiert ist. Ich finde, nur so kann verhindert werden, dass sich Geschichte wiederholt oder das einige ewig Gestrige das heute ins Gestern verkehren.
Was ich allerdings nicht gut finde (und das hört man auch aus dem Artikel heraus), dass man Firmen bzw. deren Betreiber heute noch für das Verantwortlich macht, was damals geschehen ist. Wir sind heute eine andere Generation. In den Firmen sitzen nicht mehr die Vorstände von 1945. Viele Firmen bedauern zutiefst was damals von statten ging, teilweise wird sich auch dafür geschämt. Bezahlt dafür haben Sie alle… Die heutigen Vorstände können aber nichts mehr dafür! Es war eine andere, schreckliche Zeit.
Man hat daraus gelernt. Das fehlt mir ein bisschen wenn es darum geht die Geschichte zu betrachten. Wir können heute nichts mehr für die Greueltaten von damals. Die heutige Generation ist anders.
Wenn man aber nach wie vor auf die Leute (oder Firmen) zeigt und sagt “du warst damals mitschuld – jetzt verantworte Dich und zahle noch mal schön für das Ganze” braucht man sich nicht zu wundern wenn man auf Ablehnung stößt. Sowas funktioniert heute nicht mehr. Die heutige Generation ist sich keiner Schuld mehr bewusst (zurecht) hat aber genug Verstand um sich von den Abscheulichkeiten unserer Vorfahren zu distanzieren, wenn man Sie denn lässt. Die heutige Generation ist sogar bis Dato in der Lage, die Demokratie aufrecht zu erhalten. Das ist das Gute an der Geschichte. Man kann daraus lernen. Man sollte aber auch modern denken. In der heutigen Zeit kann man mit etwas Geschick Sponsoren für eine Gute Sache gewinnen (dass die Bahn nach der Aussage “Du bist ja der Nachfolger dieser Sache” nicht als Sponsor auftreten will wundert mich allerdings nicht).
Der offene und distanzierte Dialog hätte mehr gebracht als zu sagen: “Beteilige Dich – auf Deinen Schienen liefen diese Züge damals”. Das ist im Wirtschaftsjargon schon fast Geschäftsschädigend. Die heutigen Betreiber der Bahn bzw. die Vorstände können da wirklich nichts mehr dafür. Warum prangert man Sie an? Wir sind auch Nachkommen unserer Großeltern die in dieser Zeit gelebt und Hitler nicht ermordet haben… Aber können wir da heute was dafür? Was sollen diese Vorwürfe?
Ich verfolge das Thema schon seit geraumer Zeit und finde es Schade, das so eine tolle Aktion teilweise an der Nicht-Dialog-Bereitschaft einiger nicht so zur Geltung kommt wie Sie sollte. Es zeigt sich Sturheit auf beiden Seiten. Und wer ist wieder der Leidtragende? Ich befürchte unsere Jugend! Sie kann sich kein unabhängiges Bild der Situation von damals machen. Ws wird wieder vor Augen geführt, dass es nur Gut und Böse gibt. Gut ist die Aktion – Böse sind die Leute die diese angeblich nicht gutheissen oder nicht fördern. Nach dem “warum” fragt man wieder einmal vergebens.
Ich weiss das jetzt wieder einige schreiben “der Bund, die Politik, soll das bezahlen – Geld für die Banken haben Sie schließlich auch”. Richtig. Aber man kann nicht etwas beginnen und dann später wenn das Geld nicht reicht zum Bund rennen (dafür werden unsere Banker zur Zeit gehasst). Man darf auch, oder gerade weil es um unsere Geschichte geht, modern auftreten. Geschichte, das habe ich gelernt, ist eine tolle Sache. Wenn man diese gut verkauft, steht einem Tür und Tor offen. Man bekommt Gelder und kann diese sinnvoll einsetzen. Wer aber nur mit dem Finger auf Leute zeigt und fordert, braucht sich nicht zu wundern dass auch eine tolle, sinnvolle Aktion wie dieser Zug keine Unterstützung findet.
Ben
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Klar, die Deutsche Bahn kriegt viel ab. Erst seit Kurzem hat sie es geschafft, ständige Proteste über Verspätungen einzudämmen. Fahrgäste beschweren sich über zu hohe Preise, und dann kommt da noch ein Ausstellungszug, der einen an die Geschichte und die Verantwortung als Konzern erinnert.
Klar, das kann man perfekt missverstehen als Angriff auf die eigene Person als Manager wie Mehdorn (der zu Beginn die Blockadehaltung gegen den Zug der Erinnerung überhaupt erst aufgebaut hat) oder als Angriff auf seine politische Position als Bahn-Vorstandsmitglied wie Otto Wiesheu (CSU, der den Zug der Erinnerung in vielen Schreiben rüde abgewiesen hat).
Glasklar, der Verein Zug der Erinnerung will die Bahn nur schlecht dastehen lassen, obwohl keiner ihrer Verantwortlichen noch “Schuld” trägt. Deswegen hat man vom Verein aus auch der Bahn schon Dutzende Gesprächstermine und Kooperationen angeboten, bevor man überhaupt einen Zug plante. Aber die Bahnverantwortlichen haben zum Glück schon ganz am Anfang Lunte gerochen und erkannt, dass das wahrscheinlich nur ein Manöver ist, um sie schlecht dastehen zu lassen.
Auch klar: Nachdem die Bahn das Gedenken nun nicht mehr verhindern kann, muss sie es dem Verein auf zentraler Ebene besonders schwer machen. Schließlich kann man dem milliardenschweren Staatskonzern ja nicht zumuten, auf den ganzen zur Schikanierung des Zuges nötigen Kosten selbst sitzen zu bleiben. Das sollen lieber mal die Besucher mit Spenden bezahlen.
Nicht ganz so klar ist vielen wohl immer noch: Die Bahn ist ein monopolkapitalistischer Konzern, der – wie andere Konzerne in der BRD auch – nicht das geringste Interesse am Geschichtsbewußtsein der Bevölkerung hat.
Und der Zug der Erinnerung zeigt Hunderttausenden: Verbrechen, die dem Profit des Monopolkapitals gedient haben, bedurften der aktiven Mithilfe vieler Tausender Menschen. Ohne diese Mithilfe werden diese Verbrechen unprofitabel. Und kann das nicht eine sehr gefährliche Erkenntnis für Konzerne wie die Bahn sein?
Solche Überlegungen geben der abstrakten Frage nach Schuld oder Unschuld des deutschen Volkes oder der Bahnverantwortlichen ein bisschen Sinn. Sich selbst, die Bahn oder sonstwen mit abstrakten Argumentationen oder Konstruktionen freizusprechen, bringt demgegenüber wenig Ergebnisse für das Handeln in der Gegenwart.
Doch, ein Ergebnis hat es schon: Wenn ich nicht schuld war, bin und sein werde, muss ich mir auch keine Gedanken machen, auf welcher Seite ich stehen würde, sollten ähnliche Entwicklungen wie 1933 sich zeigen.
Roland Hornung
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Es geht hier nicht um ” Schuld “. Nicht um Schuld der DB, nicht um Schuld eines einzelnen, nicht um Schuld aller, nicht um ” Kollektiv-Schuld”.
Es geht vielmehr um VERANTWORTUNG.
Um Verantwortung eines jeden Einzelnen von uns, um Verantwortung aller, nie mehr solche Verbrechen wie im 3.Reich zuzulassen !
” Erinnerung ist unsere Pflicht gegenüber den Opfern “, so hat es immer unser unvergesslicher Otto Schwerdt gesagt.
Euer Roland Hornung
deejay12345
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@Roland Hornung
Ich glaube unsere Generation trägt die Verantwortung, sonst wäre ein solcher Zug gar nicht möglich.
Mich stört nur diese “Fingerzeig”-Mentalität. Ansonsten geben ich Ihnen Recht.
Die Verantwortung und das lernen aus der Vergangenheit zeigt sich in vielen Beispielen unserer Generation. Bei der Integration von Kulturen in unsere Gesellschaft (was ebenfalls nicht einfach ist, aber man Versucht es immer weiter). Beim Dialog mit Kulturen. Mit dem Entgegenkommen gegenüber anderen Nationen. Ich denke gerade Deutschland hat da Weltweit schon einige Beispiele vorzuweisen. Auch bemüht sich Deutschland aktiv um das Nicht-Vergessen.
Ich persönlich finde nur, da ich diese Sache schon länger verfolge, dass man die Gespräche mit der Bahn falsch geführt hat. Es ist von Anfang an nur von der Schuld der Bahn gesprochen worden und davon, dass man da mitziehen soll. Es wurde dem Unternehmen (egal ob staatlich oder nicht) kaum die Möglichkeit gegeben, sich heute anders darzustellen. Und dementsprechend fallen heute auch die Berichte aus. Es gab die Bahn nicht nur zwischen 1933-45 sondern dieses Unternehmen hat ebenfalls Tradition und Geschichte. Da die Bahn auch ein staatliches Unternehmen ist (war) und somit direkt dem Nazi-Regime unterstellt war, sehe ich den Zusammenhang zwischen der heutigen Bahn bzw. deren Vertreter und der damaligen Zeit nicht. Das gehört für mich auch zur Verantwortung: klar zu Differenzieren und nicht mit dem Finger zu zeigen!