Zu lang, um zu gut zu sein
Red Apollos zweite LP ist ziemlich lang geraten. Zu lang vielleicht, um noch besser zu sein als sie ohnehin schon ist.
Eigentlich reicht ein Blick auf’s Cover, um zu wissen, dass hier ein wahrer Knochen von einem Album vor einem liegt. Eine feenähnliche Frauenfigur wird in einem Waldstück scheinbar von drei Raben (oder Krähen – soweit ist es mit den ornithologischen Kenntnissen nun auch nicht her) attackiert. Vielleicht aber auch nicht. Das Scheinbare ist es, das in diesem unbestimmten Augenblick von der Fotografie eingefangen wird. Das Licht bricht sich in der staubigen Linse, die gräulich-grüne Farbgebung ist blass und schimmrig. All dies ist rätselhaft, gibt dadurch aber bereits Gewissheit über die Musik.
Noch bevor man überhaupt einen Ton gehört hat, ist man beim Anblick des Artworks umfänglich informiert: Das hier wird wuchtig, dunkel, tiefgründig, unbarmherzig. Metal, Sludge, Drone, Hardcore. Mit ganz viel „Post-Präfixen“, versteht sich. Altruist heißt Red Apollos zweite Langspielplatte, die genau das auch im wörtlichen Sinne ist. Fast eine Stunde schicken sie die vier Dortmunder auf die Reise. Der instrumentale Opener Prurience, zugleich kürzester Song, schleppt sich langsam und träge empor, um sich brachial in Lovegazers zu entladen. Ein gewaltiges Biest, das immer wieder in das raumgreifend-kehlige Shouting und die Blast-Beat-getriebenen, massig verzerrten Riffs auch kleine, zärtliche Akzente, zu setzen weiß. Ein Ride-Becken hier, eine kleine und klare Gitarrenmelodie da.
Genau dies ist auch ingesamt das Rezept Red Apollos: Tonnenschwere, erdrückende Songs wie sie einst etwa ISIS zu schmieden wussten, mit gelegentlichen Pausen, ja geradezu entrückten Passagen, zu kombinieren. Meist wird diese klangliche Ambivalenz innerhalb der Songs durchzelebriert, nur Our Lucid Dreams vertraut gänzlich auf Letzteres. Altruist zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass die Band weiß, was sie tut. Diese banale Einsicht ist allerdings nicht bloß als Lob aufzufassen, denn – und das ist auch wirklich das größte Manko – das Album dadurch zu lang, länger als nötig, geraten ist.
Das routiniert beherrschte Rezept Brachialität mit luftig-sanften Momenten zu mischen, verkocht nach einer Weile und wird, trotz guter Songs, gegen Ende hin immer zäher. Zu abgenutzt und repetitiv wirken die einzelnen Songelemente mit zunehmender Spielzeit des Gesamtwerks. In seinen besten Momenten ist Altruist ein wirklich hervorragendes Album, so z. B. im variantenreichen und stimmungsvollen Titeltrack oder dem nachfolgenden The Slaving Eyes. Mit einer etwas konzentrierteren und reduzierteren Songauswahl wäre es dies gewiss auch insgesamt. Wertung: 7/10 Anspieltipps: Our Lucid Dreams, Altruist, The Slaving Eyes
Red Apollo – Altruist | Alerta Antifascista Records/Moment of Collapse | 27.03.15 | LP/CD/digital