Zermürbender Streit mit der AOK: „Die wollen, dass ich aufgebe.“
Seit über zwei Jahren streitet ein chronisch Kranker sich mit der AOK Regensburg. Unter anderem geht es um fehlende Beratung und nicht gezahltes Krankengeld. Der 57jährige spricht davon, dass systematisch versucht wurde, ihn in seinen Rechten als Versicherter zu beschneiden.
Fast vier Monate ist es her, seit Bernhard Steinbeißer einen Termin vor dem Landessozialgericht in München hatte. Am 10. Juni ging es um nicht gezahltes Krankengeld und die Anwaltskosten, die der 57jährige bislang aufgewendet hat, um seine Ansprüche zu erstreiten – insgesamt rund 1.500 Euro. Nicht zum ersten Mal liegt Steinbeißer mit seiner Krankenkasse im Clinch. Die Klage vor dem Landessozialgericht ist nur ein Kapitel von vielen bei der Auseinandersetzung zwischen ihm und der AOK Regensburg. Über zwei Jahre zieht sich all das schon hin. Allein das Thema „Sozialgericht“ füllt bei ihm einen von mehreren Ordnern, in denen er den Schriftverkehr sammelt. Und obwohl er die Klage in München klar gewonnen hat, ist bis heute kein Geld geflossen.
2009 wurde bei Steinbeißer eine Lungenerkrankung diagnostiziert. Er leidet an einer exogen allergischen Alveolistis – einer Entzündung, die mit einer stetigen Verschlechterung der Lungenleistung einhergeht. Unter anderem Gutachten seines Hausarztes und eines Lungenfacharztes belegen eine jahrelange chronische Erkrankung. Seit Januar 2019 ist der Sozialpädagoge, der lange in der Jugendarbeit tätig war, nahezu durchgehend krankgeschrieben. Und ungefähr genau so lange gibt es regelmäßig Probleme mit der AOK.
AOK: Werbeflyer hui, tatsächliche Praxis pfui?
Steinbeißer spricht davon, dass von Anfang an systematisch versucht worden sei, ihm Krankengeld vorzuenthalten und ihn in seinen Rechten als Versicherter zu beschneiden. Vernünftig beraten worden sei er nie. „Weder was meine finanzielle Absicherung noch was meine Möglichkeiten von Reha und dergleichen anbelangt.“
Der Anspruch, den die AOK Regensburg in einem Flyer formuliert, der Steinbeißer ausgehändigt wurde, liest sich gut:
„Ein speziell geschulter Berater begleitet Sie individuell und begleitet Sie während der gesamten Dauer Ihrer Arbeitsunfähigkeit. Ihr persönlicher Berater beantwortet Ihre Fragen zum Versicherungsschutz, zu Ihrer finanziellen Absicherung, unterstützt Sie beim Ausfüllen von Formularen und klärt Sie über Rechte und Pflichten auf. Reha-Maßnahmen, stufenweise Wiedereingliederung in den Beruf oder Umschulung: Ihr Ansprechpartner kümmert sich darum, dass Sie Unterstützung erhalten, um beruflich wieder Fuß zu fassen. Darüber hinaus haben Sie einen Rechtsanspruch (§44, Abs. 4 SGB V) auf unser individuelles Beratungs- und Hilfeangebot zur Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit.“
„Das umreißt ziemlich gut die Aufgaben einer Krankenkasse“, sagt Steinbeißer. „Nur leider ist von alledem nichts passiert. Es gab keine nennenswerte Beratung – auch wenn die AOK das Gegenteil behauptet.“ Erst im Nachhinein sei ihm aufgefallen, dass ein Datenschutzblatt, das er anfänglich unterschreiben sollte, auch die Bestätigung über ein Beratungsgespräch enthält, erzählt Steinbeißer. Als er anschließend Einsicht in Protokolle dieser angeblichen Gespräche und Hilfeangebote haben wollte, sei ihm dies konsequent verweigert worden. „Weil es da nichts Relevantes gab“, ist er überzeugt.
Steinbeißer muss immer wieder mit Klage drohen
Unterlagen, die Steinbeißer unserer Redaktion vorlegt, belegen: Mehrfach wurde die Zahlung von Krankengeld eingestellt oder zumindest verzögert. Mehrfach musste er mit Klagen vor dem Sozialgericht drohen oder einstweiligen Rechtsschutz beantragen, um zumindest kurzzeitig wieder Geld zu erhalten. Nachdem dies mehrfach damit begründet wurde, dass er Krankmeldungen zu spät abgegeben habe oder Unterlagen nicht angekommen seien, gab Steinbeißer die Unterlagen seitdem persönlich ab und ließ sich deren Eingang quittieren. Eine Auflistung belegt: Immer wieder sind die Zahlungen unterbrochen und teils ist bis heute kein Geld geflossen.
Losgegangen sei das Ganze im März 2019, erzählt Steinbeißer. Damals habe „eine übelgelaunte Mitarbeiterin“ der AOK seine Arbeitsunfähigkeit telefonisch für beendet erklärt. „Der Grund war, dass ich eine andere Reha-Klinik wollte, als mir vorgeschlagen wurde – mein gutes Recht.“ Doch die Mitarbeiterin habe dies als Ablehnung der Reha interpretiert und ihn regelrecht abgekanzelt. Was er sich erlaube, die Reha abzusagen, habe es geheißen. „Da müssen wir ja noch länger für Sie zahlen.“ Am Ende sprang die Arbeitsagentur für sechs Wochen ein.
Den Ablehnungsbescheid gibt es erst nach Klage
Nach der Reha bekam Steinbeißer auf eigenen Wunsch eine neue Beraterin. Doch erneut kommt es zu Problemen. Im September 2019 stellt die AOK die Zahlung von Krankengeld für ein Vierteljahr ein – Begründung: Es gebe eine neue Erkrankung. Hintergrund: Steinbeißer war zuvor – neben seiner Lungenerkrankung – wegen Knieproblemen in Behandlung. „Die Beraterin hat mich daraufhin gedrängt, meine Diagnose zur Arbeitsunfähigkeit abändern zu lassen.“ Anschließend erhielt Steinbeißer dann einen kurzen Zweizeiler von ihr: „Sie haben eine neue Erkrankung und bekommen neues Krankengeld.“ Dann sei sie nicht mehr zu erreichen gewesen – und es kam auch kein Krankengeld mehr. Einen Ablehnungsbescheid, Voraussetzung, um überhaupt gegen die ausbleibenden Zahlungen vorgehen zu können, erhält Steinbeißer nicht.
Der 57jährige bleibt hartnäckig. Es kommt zum Gespräch mit einem Vorgesetzten. Dieser habe sich wortreich entschuldigt und versprochen, die Angelegenheit zu überprüfen – doch passiert sei nichts. „Auch das war reine Hinhaltetaktik“, kritisiert er.
Steinbeißer reicht Klage beim Sozialgericht Regensburg ein. Das stellt fest: Die AOK hat keinen rechtsgültigen Bescheid zur Einstellung der Krankengeldzahlungen erlassen. Und nun, drei Monate später, folgt im Dezember 2019 endlich der Ablehnungsbescheid: Es gibt für drei Monate kein Krankengeld. Einen Widerspruch dagegen lehnt die AOK ab. Das Sozialgericht Regensburg hält das für rechtens. Steinbeißers Klage geht ans Landessozialgericht nach München.
Die Kontrollstellen halten sich raus
In der Zwischenzeit erhält Steinbeißer von der AOK mehrere Beitragsrechnungen, deren Höhe er nicht nachvollziehen kann. Er müsse sich jetzt selber versichern, heißt es. Es wird ein Einkommen von rund 5.000 Euro angesetzt – der Höchstsatz. „Auf Fragen und Einwände von mir wurde ein halbes Jahr nicht reagiert. Meine Überprüfungsanträge wurden nicht bearbeitet.“ Steinbeißer, zwischenzeitlich aufgrund seiner Erkrankung und immer wieder stockender Krankengeldzahlungen hochverschuldet, kann die Forderungen – knapp 1.700 Euro für drei Monate – nicht bezahlen. Kurzzeitig verliert er dadurch seine Versicherungsansprüche – mehrere Monate wird nun auch 2020 erneut kein Krankengeld gezahlt. Eine bereits anberaumte MRT-Untersuchung muss Steinbeißer erst einmal absagen. Erst nachdem er einen Rechtsanwalt eingeschaltet hat, habe die AOK reagiert und die Beitragsforderungen auf den Mindestsatz reduziert.
Zwei umfangreiche Dienstaufsichtsbeschwerden Steinbeißers an die Vorstandschaft in München bleiben unbeantwortet. Auf sein Schreiben an die 17 Mitglieder des Verwaltungsrats der AOK Bayern, zu deren Aufgaben es insbesondere gehört, den Vorstand zu überwachen, reagieren drei. Tenor: In das operative Geschäft mische man sich nicht ein. Auch die Aufsichtsbehörde beim Sozialministerium reagiert nicht.
Den Vorwurf der falschen Beratung und Nichtbeantwortung von Anfragen weist die AOK gegenüber unserer Redaktion zurück. Man setze sich für „eine bestmögliche und kundenorientierte Beratung unserer Versicherten ein“. Man habe alle E-Mails von Herrn Steinbeißer – laut AOK-Angaben „mehr als 100“ – beantwortet und „mehrfach versucht, Herrn Steinbeißer die rechtlichen Möglichkeiten in seinem Fall zu erläutern“. Steinbeißer widerspricht: „Tatsache ist, dass die persönliche Beraterin seit nunmehr zwei Jahren keine einzige Email beantwortet hat.“
Gericht gibt Steinbeißer recht, aber…
Die Rechtslage im Fall des nicht gezahlten Krankengeldes zumindest hat am 10. Juni das Landessozialgericht der AOK Regensburg erläutert. Die Krankenkasse wurde zur Zahlung verurteilt – mit Verweis auf ein Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2012. Ebenso muss die AOK gemäß dieser Entscheidung auch Steinbeißers außergerichtliche Kosten tragen. Geld ist bislang nicht geflossen. Die AOK hat Revision gegen die Entscheidung vor dem Bundessozialgericht eingelegt. Zuletzt ließ sich die Krankenkasse die Frist zur Begründung bis Ende Oktober verlängern.
Für Steinbeißer steckt hinter diesem Vorgehen System. Die AOK wolle eben weiter Zeit schinden. „Die machen das aus Prinzip und hoffen, dass ich aufgebe.“ Er hat die Krankenkasse nun erneut vor dem Landessozialgericht verklagt und fordert Einsicht in seine Akten, unbearbeitete Widersprüche und Überprüfungsanträge.
Madame
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Die kleinen leute sind augenscheinlich immer die dummen. Zwei klassen gesellschaft ist da. Trotzdem wünsche ich ihm alles gute.
bertl
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Ist es nicht so, dass Herr Steinbeisser nicht in der AOK bleiben muss, sondern jederzeit unter Einhaltung der Kündigungsregeln in eine andere gesetzliche Krankenkasse wechseln kann. Es gibt Vergleichs- und Bewertungsportale, wo man sich die beste und zu den Bedürfnissen passende Gesetzliche aussuchen kann, wo auch die sehr unterschiedlich hohen Zusatzbeiträge ersichtlich sind. Alleine unter diesem Aspekt dürfte die AOK Regensburg nicht so gut abschneiden. Auf seine Ansprüche, die bis jetzt bei Herrn St. an die AOK aufgelaufen sind, braucht er deshalb meiner Meinung nach nicht verzichten.
FranzD
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Hallo,
gleiches ist mir und einen Kollegen passiert. Diese Vorgehensweise ist Kalkül der AOK. Das “Spiel” wir auf den Rücken des Patienten solange “gespielt” bis dieser entweder aufgibt oder wie in unseren Fall auch nach dem Sieg vor Gericht hingehalten wird und dann erst nach Aussteuerung in eine Erwerbsminderungsrente (nach 2,5Jahren Kampf ohne Krankengeld) ausgegliedert wird und rückwirkend dann die Rentenversicherung die Kosten übernimmt und die AOK dann fein raus ist! Bei mir war es schmerzlich so, bei meinen Kollegen passiert es aktuell so und wenn man öfters nachfrägt bei gleichbetroffenen Personen stellt es sich raus das wir kein Einzelfall sind. Das Krankheitsbild ist der AOK egal, was diese Vorgehensweise an psychischer Belastung bei dem Patienten zusätzlich verursacht interessiert nicht, hier geht es nur um Einsparung von “Kosten”. AOK die Gesundheitskasse, nee nee, AOK die Kasse, die noch mehr krank macht, das passt eher. Diese während des Verfahrens zu wechseln geht nicht, hab ich probiert, also in dem Fall kein Ausweg entweder irgendwie Durchhalten und die letzten Reserven, wenn vorhanden, aufbrauchen oder AUFGEBEN! Ich hab das bis jetzt nur von der AOK gehört, von anderen Kassen nicht….Alles Gute
Giovanni Bavarese
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Es ist keine Verschwörungstheorie dass Versicherungen alles tun um Kosten zu sparen. Am meisten können sie sparen, indem sie alle möglichen Schlupflöcher nutzen, um im Versicherungsfall aus der Sache raus zu kommen. Schade, dass sich selbst allgemeine Pflichtversicherungen so verhalten.
Ich kenne einen Fall, bei dem es gegen die Berufsgenossenschaft und eine Privathaftpflicht ähnlich lief. Die Versicherung berief sich vor Gericht darauf, dass sie ja wegen der anderen Beitragszahler verpflichtet sei, die Beträge niedrig zu zahlen und also zu sparen. Und also alle Mittel, auch alle Rechtswinkel auszunutzen. Sie mache sich angreifbar wenn sie beispielsweise kulant oder nachlässig sei!
Die Versicherer verdrehen hier also ihren Zweck: Sie zahlen NUR dann wenn die Sache eindeutig ist. Und nichtmal dann. Denn eindeutig geklärt ist die Sache ja immer erst wenn sie vor Gericht höchstrichterlich entschieden ist. Ergo: Versicherer dürften im Sinne ihrer Mitglieder erst dann zahlen wenn im Schadensfall durch alle Instanzen geklagt wurde. Vorher gibts Trostpflaster oder nichts. Das kann einige Jahre dauern.
Bei unklarer Rechtslage und unklarer Beweislage (bei medizinischen Themen eigentlich immer) ist das für die Geschädigten dann ein sehr hohes Risiko. Keiner kann sich leisten gegen eine Versicherung bei unklarer Beweislage mehrere Instanzen zu beschreiten. Die Folge: Der Geschädigte gibt auf oder lässt sich auf einen schäbigen Vergleich ein, bei dem er auf seinen Anwaltskosten sitzen bleibt.
Ich denke, viele Juristen kennen dieses Prozedere aus ihrer Berufserfahrung. Große Teile der Juristerei leben davon, Vergleiche bringen Rechtsanwälten höhere Einnahmen als der Prozess selbst.
Marita Bergrath
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Auch ich habe jahrelang mit der Knappschaft im argen gelegen. Und bin als Simulantin abgespempelt worden, von Gutachter der Knappschaft und auch dem Sozialgericht Aachen. Sie waren alle der Meinung,ich könnte ja laufen,und mich selbst versorgen. Es wurde aber nicht berücksichtig,wie ich das bewerkstellig.
Mr. B.
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Nach Werbeangaben bekommen wir demnächst eine Bundesregierung, welche sehr sozial eingestellt ist. Schaun mer mal!!!??.
KW
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@Mr. B.
Wir hatten 16 Jahre am Stück eine Regierung mit stark überrepräsentierter christlicher, sozialer Beteiligung.
Abgesehen davon erschliesst sich mir nicht, was Sie im konkreten Fall von einer Bundesregierung erwarten?
Mr. B.
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Zu KW:
Vielleicht haben Sie es die letzten 16 Jahre mitbekommen, dass hier vieles der “Geld”-Markt selber zum eigenen Vorteil regeln durfte!!!
So wurden z. B. Lebensversicherungen während der Laufzeit, ohne Benachrichtigeng des Versicherungsnehmers, an andere m. E. dubiose Firmen verramscht und der VN konnte sich nach Fälligkeit der Versicherung mit großen Abschlägen begnügen, weil beim Verkauf der Versicherung diese durch den Käufer “neu bewertet” werden durfte!
Nach einem damaligen Pressebericht war es genau die Vorsitzende ihrer oben genannten Partei, welche dies für gut befand und auch nichts dagegen hatte.
Mr. B.
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Nochmals an KW:
Da fällt mir auch noch die übermäßige Rentenbesteuerung ein!
Glauben Sie es mir, diese hat bei der letzten Wahl der von Ihnen o. g. Partei, gerade bei älteren Menschen, viele Stimmen gekostet.
Michaal
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Hört sich typisch nach AOK an.