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Interview

Worauf es bei der US-Wahl ankommt

In den USA läuft derzeit eine freie und demokratische Wahl. Zwar hat einer der beiden Kandidaten bereits mehrfach angekündigt, ein Ergebnis nur zu akzeptieren, wenn er als Gewinner hervorgehen würden, dennoch vertrauen weite Teile der westlichen Welt auf das Prozedere und die Organisation, beobachtet von tausenden Wahlbeobachtern. Die Systematik der Wahl ist aber Jahrhunderte alt und bietet skrupellosen Politikern viele Ansätze, auch ohne Stimmen zu gewinnen, was eine „christlich-faschistische“ oder „christlich-nationalistische“, konservative, rechte Bewegung mit in Regensburg nicht unbekannten Akteuren auszunutzen sucht, um einen modernen Gottesstaat zu installieren. Dieser Artikel liefert Hintergründe, was davon möglich und wahrscheinlich ist. Außerdem gibt es ein Interview mit Sarah Mulloy von den Regensburger Democrats Abroad.

Am 5. November gilt es: Donald Trump oder Kamala Harris. Fotos: Wikimedia Commons

Von Markus Feilner

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Man muss weit zurückgehen, um zu verstehen was heute in den USA passiert und warum dort knapp die Hälfte der Wähler bereit ist, einen Kandidaten zu wählen, der nicht nur ausfällig, unmoralisch und ein verurteilter Verbrecher ist, sondern der anscheinend auch bereit ist, die amerikanische Demokratie ein für alle mal in die Hände der erzkonservativen, christlich-evangelikalen Rechten zu legen. Das Erstarken der Konservativen Rechten ist ja auch in Deutschland zu beobachten, möglich wurde es durch Ereignisse vor 45 Jahren.

1979 war ein schlimmes Jahr für die Weltgeschichte. Die Sowjetunion marschiert in Afghanistan ein, in Saudi-Arabien verschärft das Königshaus seine Religionspolitik nach der Besetzung der großen Moschee in Mekka, im Nachbarstaat Iran regieren nach einer Revolution jetzt Mullahs, und Jimmy Carters Karriere als US-Präsident (President Of The United States, „POTUS“) geht auch wegen des desaströsen Verlaufs des Geiseldramas von Teheran den Bach hinunter. Schuld am Verfall der Vormachtstellung der USA hatte glasklar der Werteverfall der 70er, predigten die Konservativen, auch hier in Deutschland.

America First unter Ronald Reagan

All das verstärkte Anfang der 80er Jahre den Kalten Krieg wieder, die konservativen Kräfte (nicht nur in den USA) sahen sich im Aufwind, gaben den Hippies und der allzu toleranten Kultur der 70er die Schuld, so dass der Schauspieler und Aushängeschild der US-Konservativen Ronald Reagan 1980 Präsident werden und den Club-Of-Rome-Leser und Erdnussfarmer Carter ablösen konnte.

Als einen der ersten Amtsakte entfernte Reagan die unsinnigen Solarpanele, die Carter aufs Dach des weißen Hauses montieren hatte lassen – ein Sakrileg im Land des Öls, des Gase und der Kohle, man feierte eine Wende, wie auch wenig später in Deutschland. Eine kleine Parallele zu den symbolträchtigen Solarpanels: Im Rahmen der „geistig-moralischen Wende“ hierzulande wurde dann ja auch eine blühende Solarindustrie zerstörte.

Ronal Regean 1981. Foto: Wikimedia Commons

Den Konservativen war klar: Grenzen des Wachstums, Ausstieg aus fossilem Wirtschaften, liberale Gesellschaften, all das waren nur gefährliche Auswüchse. Erzkonservative, religiöse Kräfte wollten sicherstellen, dass so einer nie wieder Präsident werden könne, ein langfristiger Plan musste her.

Reagan und die Anfänge des großen Plans

Reagan wurde für viele Republikaner zur Ikone, dabei war die Partei Abraham Lincolns nicht immer konservativ. Die „Grand Ole Party“ (GOP) ließ sich bis weit in die 60er Jahre hinein kaum von den Demokraten unterscheiden, spielte eine wichtige Rolle bei der Bürgerrechtsbewegung. Präsidenten wie Eisenhower, Nixon oder Ford sind immer noch bekannte Figuren. Diskussionen über mangelnde Breite des politischen Spektrums der USA waren damals an der Tagesordnung – heute undenkbar: Die Spaltung der US-Gesellschaft in zwei unversöhnliche Lager ist erst ein Phänomen der letzten Jahrzehnte, am extremsten wurde sie im 21. Jahrhundert.

Make America Great Again – keine Erfindung von Donald Trump.

Das wiederum haben konservative Think Tanks von langer Hand geplant. Dass der Slogan „Make America Great Again“ zum ersten Mal 1980 auftaucht, auf einem Button der „Reagan’80“-Kampagne und – gemeinsam mit dem unseligen Zitat vom „Kreuzzug“ in einem Satz von Reagans Antrittsrede auf der RNC (Republican National Convention), ist hierzulande nur wenigen bewusst:

„For those without job opportunities, we’ll stimulate new opportunities, particularly in the inner cities where they live. For those who’ve abandoned hope, we’ll restore hope and we’ll welcome them into a great ational crusade to make America great again.“ (Ronald Reagan, Antrittsrede, RNC 1980)

In den USA anerkennen jedoch viele Konservative das Erbe Reagans und feiern ihn als Helden. Die mittlerweile etwas bekanntere „Heritage Foundation“ publizierte 1981 einen Meilenstein an politischen Programm: „The Mandate for Leadership“.

Das Traktat bestimmte die Reagan-Jahre und wurde von ihm schon im ersten Jahr zu zwei Dritteln in Politik umgesetzt. Das Programm ist klar: Seit den achtziger Jahren arbeiteten rechte, christlich-nationale („christlich-faschistische“) Kreise in den USA konsequent daran, das ehemals demokratische System zu untergraben und die Wahlen so „aufzustellen“, dass nur mehr die Konservativen gewinnen können, zum Wohle des Landes, versteht sich.

„Project 2025“: ein christlich-fundamentalistischer Rollback

Das 900 Seiten starke „Project 2025“ gilt als direkter Nachfolger dazu, die Policy Papers verankern einen schlanken und schwachen Staat, Austerity und keine bis minimale Sozialleistungen, Unterdrückung von Frauenrechten und vieles mehr, ganz im Sinne der orthodoxen christlichen Sekten, die auch gelegentlich von adeliger Regensburger Prominenz hofiert werden.

Im Angesicht des Weltuntergangs, der unmittelbar bevorstehe, gelte es sicherzustellen, dass die „linksradikalen Demokraten“ keine Wahl mehr gewinnen können, sie seien schließlich schlecht fürs Land und unser aller Seelenheil. Genau deshalb sind für diese Gruppen auch Themen wie der Klimawandel oder die Rettung des Planeten unerheblich. Zum Einen könne der Mensch das nicht leisten, das sei Entscheidung Gottes, zum anderen habe er auch kein Recht, sich da einzumischen, zum Dritten ist das irrelevant weil der „Judgement Day“ ohnehin bevorsteht.

Aufgeklärte Europäer tun sich in der Regel schwer, sich in diese religiöse Welt hineinzudenken, allzu leicht tun wir die für uns absurd anmutenden Praktiken und Gedanken als Spinnereien ab. Da können Videos wie das von Andra Watkins helfen.

The Handmaid’s Tale vor der Tür

Die Visionen der christlich-faschistischen Nationalisten sind leider Realität für viele US-Amerikaner, keine Spinnerei. Sie reichen bis hin zu Fantasien alter weißer Männer, die Margaret Atwoods mehrfach verfilmte Geschichte der Dienerin (The Handmaid’s Tale) durchaus zu übertreffen vermögen. Der Bogen spannt sich direkt zu generellen Abtreibungsverboten. Vergewaltigung und ungewollte Schwangerschaft sind Strafen Gottes, ebenso der Verlust des eigenen Heims, auf Frauen lastet sowieso eine weibliche Grund-Schuld (wegen Eva, dem Apfel und der Schlange, wir erinnern uns), und überhaupt hat die Frau eine klare Rolle an der Seite Ihres Mannes zu leisten und Kinder zu gebären. Ja, einflussreiche Kreise in den USA, glauben das wirklich, und sie sind gut vernetzt auch in Deutschland, nicht nur in Regensburger Adelskreisen.

Aus europäischer Sicht absurd, doch in Heartland-USA bittere Realität: Viele der religiösen Fanatiker glauben auch daran, dass der Weltuntergang (Armageddon) direkt bevorstehe (die Gründung Israels 1948 war quasi der Startschuss) und dass Gott bereits begonnen habe, die amerikanische Gesellschaft zu bestrafen, gleichzeitig etwa für und mit Homosexualität und anderen Auswüchsen moderner Lebensart.

Auch Menschen mit dunkler Hautfarbe seien ja damit bereits bestraft, aus historischen Gründen. All das ist Realität, keine Ausnahme und eine starke Gruppe bei der Wahl spiegelt das wieder – die Kernwähler Trumps, manche Schätzungen gehen da von bis zu 20 oder 30 Prozent aus, in den Great Plains oft deutlich mehr, im Nordwesten bauen sie bereits an Festungen wie der American Redoubt.

An die Macht!

Donald J. Trump meldet nun: „Wir sind fertig!“ Die Republikaner brauchen die Wahl gar nicht mehr gewinnen. „You don’t need to vote“, man habe so einige „süße kleine Geheimnisse“ im Köcher, erzählt er im Plauderton auf seinen Rallys. Damit sorgt er für Aufmerksamkeit in den gleichen Medien, die schon viel schrieben über die Inhalte des „Project 2025“, wo bis ins kleinste Detail gelistet ist, wie die erzkonservative „Elite“ das Land übernehmen will.

Das Projekt 2025 ist dementsprechend kein Bauplan mehr, man ist bereits viel weiter. Es handelt sich vielmehr um eine konkrete Umsetzungsanweisung, hier finden sich die Details, wie beispielsweise Beamte mit unliebsamen politischen Ansichten ersetzt werden sollen. „Nur für einen Tag“ wolle Trump ein Diktator sein, sagt er, und es ist nicht auszuschließen, dass er das auch genau so meint, den Rest erledigen die Menschen vor Ort, ganz im Sinne ihres Glaubens.

Das Project 2025 – nachzulesen in diesem Buch.

Das das überhaupt möglich ist, dafür gibt es vielerlei Gründe. Zum einen das demokratische Wahlsystem der USA, das im Prinzip seit Beginn der Republik, also über 250 Jahre fast unverändert Bestand hat, es ist Ihnen halt heilig. Im Prinzip haben wir immer noch das gleiche System wie ganz am Anfang, während ihr hier in Europa zahllose Neuanfänge gemacht habt“; erklärt Sarah Mulloy von den Regensburger „Democrats Abroad“ – der Auslandsorganisation der US-Demokraten, die sich um US-Bürger, kümmert, die zeitweise oder wie Mulloy permanent im Ausland leben, „Expats“ (Expatriates) eben, nicht nur aber auch unter den Wählern der Demokratischen Partei.

Veränderung ist möglich

Doch es habe sich auch einiges getan. „So etwas wie in Florida damals, bei Bush vs. Gore, diese endlosen Auszählungen, das könnte heute in der Form nicht mehr passieren, wir haben da viel bessere Technik und es schauen viel mehr Augen genau hin.“

Dennoch zeugt schon der unverrückbare Termin der US-Wahlen (immer der erste Dienstag nach einem Montag im November) von einigem historischen Ballast. Das ist seit 180 Jahren festgelegt, damit alle (damals natürlich nur die Männer) am Sonntag in die Kirche gehen können und danach zum Wahlbüro reiten, das ja auch mal zwei Tage weit weg sein kann. Im November, weil da die Ernte eingebracht ist und es am wenigsten zu tun gibt auf den Feldern.

Die Wahlmänner haben immer noch sechs Wochen Zeit, um nach der Wahl im Bundesland nach Washington D.C. zu kommen – nicht nur die Termine stammen aus einer anderen Zeit, auch die Ansichten der christlich orthodoxen irritieren. Stolz nennen die sich „Christian Taliban“ und sprechen ihren Frauen die grundsätzliche Eignung für so komplizierte Themen wie eine Wahl ab.

Auch ohne Stimmen gewinnen

„Es ist doch total unwichtig, wer wie wählt, viel wichtiger ist doch, wer die Stimmen zählt und wie.“ Dieses Zitat wird gerne Stalin zugeschrieben, doch scheinbar haben sich das auch die US-Republikaner zu eigen gemacht. In dem steinalten System gibt es viele Wege für einen Kandidaten, an die Macht zu gelangen, ohne eine Mehrheit zu haben, fast so, als hätten sich die Gründerväter niemals vorstellen können, dass jemand diese hohe Gut missbrauchen wollen würde.

Zunächst braucht niemand eine Mehrheit unter den Wählern („Popular Vote“), es zählen ja nur die Wahlmännerstimmen, die von jedem Staat nach D.C. entsandt werden. Aber auch deren Anzahl kann wackelig sein, weil Staaten andere Wahlmänner entsenden können als gewählt wurden oder diese schlicht anders abstimmen als sie versprachen (sogenannte „Faithless Electors“).

Oder die Regierung eines Bundesstaates, die überraschend abgewählt wird (wie vielleicht dieses mal in Iowa), hält die Wahlmänner zurück – mit dem Ergebnis einer „Contingency Election“ , wo nur Anwesende nach einem bestimmten Verfahren wählen. Um das zu erreichen, könnten einzelne Staaten, Counties oder Bezirke gezielt Auszählungen durch Klagen verschleppen, Ergebnisse zurückhalten oder mehr, bis das Kontingent eben für den gewünschten Kandidaten ausreicht.

Chaotische Gesetzeslage

Dazu kommt die chaotische Gesetzeslage in den USA. Nicht in allen Bundesstaaten ist die jeweilige Regierung verpflichtet, Wahlmänner gemäß dem Wahlergebnis zu schicken. Ebenso sind die Wahlmänner oft gar nicht verpflichtet, gemäß ihrem Auftrag im „Electoral Commitee“ in Washington abzustimmen, Vertrauenssache unter Ehrenmännern, eben. Beides würde aber ebenfalls zu Anfechtungen und Gerichtsverhandlungen und Verzögerungen und unvollständiger Wahl führen, ebenso wenn ein Staat schlicht niemand schickt.

All das sind denkbare Pfade, vor allem für Swing States, wo Republikaner an der Macht sind, diese aber in dieser Wahl verlieren würden. Viele Beobachter gehen davon aus, dass Donald Trump genau das meint, wenn er von „our little secret“ spricht, das er mit Mike Johnson, dem Sprecher des Repräsentantenhauses teile, auch wenn der Ex-Präsident eher ein „corporate fascist“ ist, Johnson eher christlich-faschistischer Nationalist.

Nicht nur US-Medien gehen von zehntausenden unterschiedlichen Wahlrechtsordnungen aus. „In den 50 Staaten gibt es insgesamt 10.000 verschiedene Wahlrechtsordnungen.“ Auch Mulloy scherzt: „Es gibt da eine Antwort auf alle Fragen zur Wahl, die ist immer richtig: Das hängt von deinem Bundesstaat ab.“ Und es gibt Fristen, hunderte, wie das Beispiel des wichtigsten Swing States Pennsylvania zeigt und Post-Election Guidelines auf Bundesebene.

Aussichstreiche Schlammschlacht vor Gericht

Egal auf welchem der unzähligen möglichen Pfade, viele Republikaner versprechen sich von einer Schlammschlacht vor den Gerichten einen Sieg, weil am Ende stets der Supreme Court of the United States (SCOTUS) darüber entscheiden würde, wer neuer Präsident wird (verkürzt dargestellt).

Über viele Jahre hat man Mitarbeiter in Stellung gebracht, die die Auszählungen beeinflussen sollen, Gesetze zur Einschränkung von Wahlrechten unliebsamer Gruppen erlassen, Bezirke angepasst („Gerrymandering“) und schließlich ja auch erfolgreich das oberste Gericht übernommen. Von den neun Richtern sind drei erzkonservativ, drei gelten als konservativ und drei als neutral-demokratisch. Entscheiden sie beispielsweise, dass eine Wahl nicht erfolgreich war (zum Beispiel weil zu viele Stimmen fehlen), dann geht die Entscheidung über Präsident und Vizepräsident zurück an die beiden Häuser des Parlaments zur Wahl des POTUS 47.

Vor dem 3. Januar ist das das alte Parlament noch mit einer Mehrheit für Trump, danach das neu gewählte. In den USA würde also bei heutigen Mehrheitsverhältnissen so ein „House Vote“ sehr wahrscheinlich Donald Trump zum Präsidenten küren, unabhängig von den Wählerstimmen oder vom Electoral Vote. Wie auch immer, jede Erklärung eines Kandidaten zum Präsidenten wird sehr wahrscheinlich vor dem SCOTUS landen, unabhängig vom Wählerwillen.


Das alles klingt für Europäer oft kompliziert und fremd, und es ist auch für die krisengebeutelten USA Neuland. Um das besser zu verstehen, haben wir mit Sarah Mulloy von den Regensburger Democrats Abroad gesprochen.

Hallo Sarah! Wie fühlt es sich an, als US-Bürger in Deutschland? Die Bayern rühmen sich ja auch einer langen Geschichte eines Ein-Parteien-Systems mit seltsamen, oft irrationalem Führungspersonal und Korruption, gerade hier in Regensburg.

Sarah: Oft fühlt man sich natürlich beunruhigt und es ist schon stressig, die krassen Geschichten zu hören. Aber auch wenn man sich oft hilflos fühlt, ist genau das der Antrieb für viele von uns, nicht aufzugeben, sondern weiter zu kämpfen. Besser ist es ohnehin, erst mal einen Schritt zurück zu machen und den eigenen Medienkonsum zu hinterfragen. Stimmt das was ich lese überhaupt mit dem überein, was die meisten Menschen erleben?

Gerade die oft „wilden“ Geschichten aus den USA muss man mit Vorsicht sehen. Palastintrigen sind zwar spannend, machen Spaß zu lesen, bringen aber am Ende niemandem etwas, außer Eskalation und Agitation. Sich da einzubringen, in Flame Wars zu antworten, kostet nur Energie und bringt schlechte Gefühle. Man muss heutzutage viele Auszeiten nehmen, ich mache auch viele „Media Breaks“.

Welche Rolle spielt der oberste Gerichtshof der USA bei dieser Wahl? Ist das alles also schon gegessen?

Der oberste Gerichtshof ist wichtig, aber man sollte ihn auch nicht überbewerten – und ich bin keine Juristin. Aber da sitzen drei Erzkonservative, teils religiös motivierte Richter, drei Konservative und drei demokratisch oder neutral denkende Richter. Das ist auch für Trump kein Selbstläufer, vor allem die jungen Mitglieder des Gerichts werden sich genau überlegen, wie sie in Zukunft gesehen werden wollen.

Ob schlechtes Gewissen, Narzissmus oder einfach zukünftige Jobaussichten – deren Willen zum Selbsterhalt oder -schutz darf man nicht unterschätzen, auch nicht bei „Justices“ Barrett, Gorsuch oder Kavenaugh. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es in den 60er und 70er Jahren auch der SCOTUS war, der die Bürgerrechtsbewegung erst möglich gemacht hat. Wie im Senat und Repräsentantenhaus sitzen da Menschen mit Gewissen und Hintergedanken. Aber wenn die rechtliche (Schlamm-)Schlacht beginnt, ist auch eine Verfassungskrise möglich. Niemand weiß was passiert, wenn der SCOTUS ein offensichtlich falsches Urteil spricht.

Justice Alito ist auch ein guter politischer Freund und gern gesehener Gast von Gloria von Thurn und Taxis hier in Regensburg. Könnten die Republikaner durch Tricks so einen Zustand herbeiführen?

Sarah: Alito ist einer von denen, die schon lange keinen Pfifferling mehr auf die öffentliche Meinung geben, sich mit denen auseinanderzusetzen, bringt nichts. Ein Szenario wo der SCOTUS über den nächsten Präsidenten entscheidet, ist möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Dafür müssen viele Rädchen ineinandergreifen.

Ich denke aber schon, dass viele Akteure derzeit versuchen, unwahrscheinliche Ereignisse herbeizuführen, um die Debatte zu vergiften, eine Schlammschlacht herbeizuführen und DNC, Demokraten und die Unanfechtbarkeit der Wahl und ihrer Organe zu diskreditieren. Im Englischen gibt es das Bild von der Todesursache „Tausend Mal am Papier geschnitten“ („death by a thousand papercuts“). Hier stünde das für tausende und abertausende Verfahren gegen Institutionen, mit dem erhofften Ergebnis dass diese jede Glaubwürdigkeit verlieren. Aber man muss auch festhalten, dass sowohl die Organe der Wahl wie auch die Institutionen und die Demokraten dieses Mal weitaus besser auf diese Szenarien vorbereitet sind, viel besser als etwa bei Bush vs. Gore oder der letzten Trump-Wahl.

Ich denke, wenn wir den 5. November sauber und ohne Eskalation überstehen, wird es sehr schwer, das, was die Republikaner letztes mal probiert haben, erneut zu veranstalten. Sollte am Ende der SCOTUS entscheiden müssen, dann wird es stark davon abhängen, unter welchen Umständen er angerufen wurde. Auch wenn es in vielen Staaten eng werden könnte, gibt es überall (unterschiedliche) Regeln, wann die Wahl angefochten werden darf. Das wird natürlich einige seltsame Akteure nicht daran hindern, es trotzdem zu versuchen.

Also dürfte eines der Ziele der Radikalen in der Republikanischen Partei sein, jede verlorene Wahl so unglaubwürdig wie möglich darzustellen. Das läuft ja schon, Stimmen werden diskreditiert (Briefwahl), Urnen angezündet, Zweifel und Wut wird gesät, Trump will das Ergebnis nur anerkennen wenn er gewinnt. Wie können die Demokraten dem begegnen und wann werden wir wissen ob das geklappt hat?

Ich denke, ein Ergebnis am Dienstag oder Mittwoch ist sehr unwahrscheinlich. Schon die ganzen Fristen für die Briefwahl („Poststempel 5. November“) machen das eigentlich unmöglich. Nur ein schneller, nachweisbarer Erdrutschsieg für Kamala Harris könnte jedem Zweifel die Basis rauben. Die Klagen werden dennoch kommen, und der „death by papercut“ beinhaltet auch, dass die andere Seite jedes Manöver wiederholt, das erfolgreich ist oder Erfolg verspricht. Das kann man sich so wie ein inkrementelles Baumdiagramm vorstellen – „Wiederhole jeden erfolgreichen Schritt“ („If successful, then repeat.“).

Viele Deutsche befürchten, dass die Republikaner eine bewaffnete Auseinandersetzung herbeiführen wollen, auch weil ihre Wähler tendenziell ja mehr Waffen hätten. Sind Szenen eines zweiten Bürgerkriegs überhaupt vermeidbar – nach dem 6. Januar sind die Ängste groß?

Sarah: Angesichts der Verbreitung von Schusswaffen in den USA muss ich immer wieder innehalten und tief Luft holen, aber ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der US-Amerikaner auch genau weiß, welche Konsequenzen deren Anwendung hätte. Der 6. Januar 2021 war schrecklich und unglaublich, aber es überraschte mich, dass an dem Tag nicht noch mehr Gewalt passiert ist. Trump und seine Vasallen hatten vorher die gewalttätige Rhetorik unfassbar weit getrieben, aber scheinbar gab es nicht viele, die diese entsetzlichen Drohungen umsetzen wollten. Das überrascht, wo die Erzkonservativen doch gezielt die Entfremdung einer desillusionierten weißen, meist männlichen und einsamen Gruppe von ihrem Umfeld vorangetrieben haben. Trotzdem fanden sich unter den Capitol-Stürmern nur sehr wenige, der bereit war, ihr Leben zu riskieren, etwa um für Trump Vice President Pence zu jagen.

Was können wir in Deutschland tun? Wie können wir helfen?

Sarah: Am allerwichtigsten ist es, jeden Bekannten mit US-Pass (auch mit doppelter Staatsbürgerschaft) zum Wählen zu bringen, nicht nur dieses, sondern jedes Mal. Sich zu registrieren ist schwieriger und bürokratischer als es sein sollte, aber man muss halt mit dem Heimatstaat und dem lokalen Election Office Kontakt aufnehmen. Die Leute dort sind hilfreich, freundlich und nett, nur vielleicht gerade ein wenig überarbeitet.

Die Webseite https://votefromabroad.org ist eine gute Anlaufstelle, wo man das „federal absentee voter registration form“ ausfüllen kann und die jeweiligen Vorschriften und Fristen des einzelnen Staates erfährt. Wer Hilfe braucht, dem helfen wir auch gerne, rund um die Uhr über die E-Mail-Adresse voterhelp@democratsabroad.org.

Und was unsere deutschen Freunde angeht: Wir versuchen, die Bedrohung für die amerikanische Demokratie greifbar zu machen. Viele Menschen außerhalb der USA denken immer noch: „Da sind doch nur ein paar Spinner unterwegs.“ Aber die Bewegung der Christlichen Nationalisten ist real, und sie sprechen offen über ihre Absichten.

Vielen Dank, Sarah!


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Kommentare (6)

  • Mr. T.

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    Ein sehr interessanter Artikel mit einigen weniger gelesenen Perspektiven. Ganz toll!

    Wenn es nicht so undemokratisch wäre, sollte man ja sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht auf Personen beschränken, die keinen Aberglauben anhängen. Wohin religiöse Ideologien führen können, hat man schon oft genug gesehen sieht man gerade jeden Tag und wird man noch so lange sehen, bis diese ganzen Hirnschisse endlich weggeputzt sind.

    Ich bin gespannt, ob sich die USA dann in den nächsten Jahren ähnlich entwickeln wie der Iran, wenn das eintritt, was kaum ein normaler Mensch sehen will, aber alles andere als unwahrscheinlich ist. An die Auswirkungen auf den Rest der Welt, ihre Bewohner, ihre Umwelt und ihr Klima mag ich gar nicht denken.

  • joey

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    Ja, Wählen ist immer richtig. Was nun die richtige Wahl ist, werden die US Bürger ganz ohne uns entscheiden.

    In den USA finanzieren die “Geldhaber” die Wahlkämpfer. Da drängen sich zahlreiche Verschwörungstheorien auf. Um mal eine anzustechen: Trump hat angekündigt, die Gazprom Pipeline nicht zuzulassen, Biden hat in Pressekonferenz (Anlaß Scholz Besuch) erklärt: “Im Hinblick auf die Gaspipeline Nord Stream 2 sagte Biden, ein russischer Angriff würde ihr Ende bedeuten. Das verspreche er.” Und wumm, ging die Pipeline hoch und die Täter wurden bis heute nich ermittelt. Cui bono müssen wir nun US Fracking Gas kaufen und das gehört dem… nein, nicht Biden. Der gehört offenbar seiner recht ehrgeizigen Frau.
    hier der link zur ZEIT https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-02/usa-olaf-scholz-joe-biden-pk-ukraine-krise
    Nun sage mir, was der Unterschied zwischen Democrats und Republicans ist. Ach ja, die Democrats waren mal für die brutalrassistische Sklaverei, aber das ist ja schon lange her.

  • Native

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    Geld regiert die Welt, egal wer nächster Präsident(in) Of The United States, „POTUS“ wird. Happyness ist aus! Alle streben nach Happyness und landen dann doch ernüchtert wieder im Job Trott und im Hamsterrad des Lebens.

  • Markus Feilner

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    Vielen Dank!
    Ich habe an der Thematik ehrlich seid über acht Jahren gebastelt, lebe mit einer Amerikanerin zusammen und auch so tief involviert. Vor allem 2014/15 habe ich 25 Staaten der USA bereist, von Texas bis Idaho, Kansas und North Carolina, teils beruflich, teils privat. Ich freue mich sehr, dass Regensburg Digital mir hier die Gelegenheit gab, darüber zu schreiben.
    Gerade in Deutschland sind ja mehrere Memes sehr verbreitet, denen ich Fakten entgegen stellen möchte:
    a) Diese Christo-Faschisten sind Mehrheiten in einigen Staaten , und die sammeln und organisieren sich, e.g. in Idaho. Das sind dort “normale Menschen”.
    b) Vor allem das Video von Watkin bringt es auf den Punkt. Die Bedrohung ist real, es sind keine Außenseiter und die Gewalt- und Unterdrückungs-Ideen sind keine Fantasien von politischen Randfiguren. (“Warum braucht meine Frau freie und geheime Wahl, sie muss mir danach ohnehin Zeugnis davon ablegen”, kommt ja im Video vor). Die nehmen die Bibel wörtlich, aber nur das alte Testament.
    c) Der Coup läuft in Zeitlupe, aber wie geplant seit 1980, seit Reagan, auch das ist keine Verschwörungstheorie
    d) Ich hoffe, die Vernunft ist stark, wenn es um den Waffeneinsatz geht, aber ich bin skeptisch(er) als Sarah. Wir werden sehen, hoffentlich hat sie recht. Seit Jahren habe ich vor einem zweiten Bürgerkrieg unter dem Hashtag #CW2 gewarnt…
    Ich poste hier gleich noch ein paar gute aktuelle Filmtipps zum Thema…

  • Markus Feilner

    |

    Noch ein paar Details zu den Wahlmännern:
    https://en.wikipedia.org/wiki/Faithless_elector
    “As of 2024, 38 states and the District of Columbia have laws that require electors to vote for the candidates for whom they pledged to vote, though in half of these jurisdictions there is no enforcement mechanism. In 14 states, votes contrary to the pledge are voided and the respective electors are replaced, and in two of these states they may also be fined. Three other states impose a penalty on faithless electors but still count their votes as cast.”

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