Korruptionsaffäre: Stadt hat „seit Monaten keinerlei Kontakt mehr“ zu Transparency
Unter dem Eindruck der Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts war es eine groß angekündigte Konsequenz der Stadt Regensburg: eine Mitgliedschaft bei der NGO Transparency International. Doch mittlerweile scheint man diese Zusammenarbeit heimlich still und leise beerdigen zu wollen. Unter anderem das ergibt sich aus den Antworten der Organisation auf einen umfangreichen Fragenkatalog unserer Redaktion.
Unser Text ist in mehrere Themenblöcke – Allgemeines zum Thema Korruption, der Situation in Regensburg, dem „Fall“ Joachim Wolbergs und was getan werden kann – gegliedert, die auch unabhängig voneinander gelesen werden können.
A. Allgemein: “Korruption schadet vor Ort”
Transparency Deutschland. e.V. (TI) ist Ableger einer international tätigen Nichtregierungsorganisation. Welche Aufgaben hat sich TI zu Eigen gemacht? Wie finanziert sich ihr Verein?
Transparency Deutschland ist das deutsche Chapter der internationalen Dachorganisation Transparency International, die ebenfalls in Berlin ansässig ist. Zur Stärkung der Korruptionsprävention in Deutschland analysieren wir mögliche Risikofelder und setzen uns für Veränderungen rechtlicher und politischer Rahmenbedingungen ein. Wir entwickeln Instrumente, die Unternehmen und Organisationen bei der Korruptionsprävention helfen.
Transparency International Deutschland e.V. finanziert sich hauptsächlich aus Mitgliedsbeiträgen individueller und korporativer Mitglieder, Förderbeiträgen, Spenden und Bußgeldern. Hierbei werden Mitgliedsbeiträge und Spenden ab einer Höhe von 1.000 Euro jeweils im aktuellen Jahresbericht einzeln aufgelistet.
TI hat sich 2019 in seinem Magazin SCHEINWERFER dem Thema Korruptionsprävention in Kommunen gewidmet. Warum ist die Korruptionsbekämpfung auf kommunaler Ebene von besonderer Bedeutung?
Auf kommunaler Ebene sind die handelnden Entscheidungsträger oft auch im persönlichen Bereich eng miteinander verbunden. Die besondere Nähe kann zur Korruption und Vetternwirtschaft führen. Korruptionsgefährdete Bereiche im kommunalen Umfeld sind vor allem dort anzunehmen, wo auf Aufträge, Fördermittel oder Genehmigungen, Gebote und Verbote Einfluss genommen werden kann. Die Vergabe öffentlicher Aufträge ist mit hohen Korruptionsrisiken verbunden. Korruption führt hier zu überhöhten Preisen oder zu verminderter Qualität der Leistungen und schadet letztendlich den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort.
Besondere Aufmerksamkeit verlangen die kommunalen Unternehmen, da sie sich – oft in privatrechtlicher Form – weitgehend der Steuerung und Kontrolle durch die Mehrheitsgesellschafterin Kommune entziehen. Kommunale Unternehmen sind jedoch Teil der Kommune und müssen daher gleichermaßen die Kriterien der Korruptionsprävention beachten. Transparency Deutschland setzt sich für mehr Transparenz auf der kommunalen Ebene ein und fördert den Aufbau von lokalen Antikorruptionsstrukturen.
Was fordert TI diesbezüglich im Bereich der Kommunen?
Transparency Deutschland fordert unter anderem:
- Einhaltung des Verbots der Annahme von Vorteilen, da viele Amtsträger – gerade in Leitungsfunktionen – gegen diesen Grundsatz verstoßen.
- Umfassende Regelungen und Maßnahmen der Korruptionsprävention. Ein sinnvolles Maßnahmenpaket besteht vor allem aus Sensibilisierung, Mehr-Augen-Prinzip, Rotation und intensiver Kontrolle.
- Ein Hinweisgebersystem und Schutz von Hinweisgebern. Jede Kommune muss sicherstellen, dass Hinweise auf Fehlverhalten auch anonym weitergegeben werden können. Es sind interne oder externe Meldekanäle zu schaffen. Dazu gehören telefonische oder elektronische Verfahren oder die Anzeige bei einem externen Vertrauensanwalt.
- Zugang von Bürgerinnen und Bürgern zu amtlichen Dokumenten und Informationen
- Korruptionsprävention auch bei kommunalen Unternehmen durch einen Corporate Governance Kodex
Bleiben auf kommunaler Ebene Parteispenden nicht auch unter 2.000 Euro (TI fordert ein Absenkung der Veröffentlichungsgrenze von 10.000 auf 2.000 Euro. Anm. d. Red.) problematisch, weil die Politiker vor Ort immer eine Nähe zu den Spendern und diese immer ein handfestes wirtschaftliche Interesse haben?
Transparency Deutschland möchte Parteispenden nicht verbieten, sondern bestmöglich transparent machen. Dazu gehört auch, dass Direktspenden an einzelne Amts- und Mandatsträger von Parteien untersagt werden sollten bzw. sollten diese zumindest unmittelbar an die Parteiorganisation weitergeleitet werden müssen, um den Anschein der persönlichen Zuwendung zu verhindern.
Gäbe es Alternativen zu Parteispenden auf kommunaler Ebene?
Hier wäre Sponsoring zu nennen, dass allerdings nach gleichen Regeln wie Parteispenden transparent gemacht werden müsste.
Der Strafbestand der Vorteilsannahme bei einem Amtsträger ist schon dann erfüllt, wenn das Gericht auch nur „den Anschein der Käuflichkeit“ feststellt. Kann ein Lokalpolitiker vor diesem Hintergrund überhaupt noch Spenden akquirieren, ohne ins Fadenkreuz der Justiz zu geraten?
Ja, dazu haben zahlreiche Kommunen entsprechende Sponsoringregeln, unter anderem mit einer regelmäßigen Berichtspflicht (öffentlich) und festgelegten Rahmenbedingungen. Vielerorts gibt es Regelungen zur Annahme von Geschenken. Auch wenn die Grenze zwischen Freundschaftsdienst und korruptivem Verhalten nicht immer ganz scharf zu ziehen sind, zeigt sich in der Praxis, dass ein Grundverständnis darüber besteht, wo eine freundschaftliche Beziehung dafür eingesetzt werden soll, einen unlauteren Vorteil zu ziehen bzw. zu gewähren.
Ist die höchstrichterlich Rechtsprechung, wonach bei kommunalen Amtsträgern schon der „Anschein der Käuflichkeit“ strafbar ist, nicht gesetzlich missverständlich geregelt?
Es geht darum, dass der Staat schon „den Anschein“ der Bestechlichkeit vermeiden muss. Sonst wird das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat und sein recht- und gesetzmäßiges Handeln beschädigt.
Warum werden Landtagsabgeordnete bezüglich Spenden anders behandelt als kommunale Amtsträger? Sollte der Gesetzgeber hierbei nicht für eine (strenge) Gleichbehandlung sorgen?
Kommunale Wahlbeamte sind Amtsträger und damit – jedenfalls in Bayern – Teil der Exekutive, das heißt Teil der Verwaltung. Für sie gelten daher dieselben Regelungen wie für sonstige Beamte, für sonstige im öffentlichen Dienst Verpflichtete oder auch für Richter. Das Verbot der Vorteilsnahme soll gerade den Anschein der Käuflichkeit im Staatswesen vermeiden. Hier geht es nicht um besonders strenge Rechtsprechung. Das Vertrauen der Allgemeinheit in Amtsträger und in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen ist der Kern des vom Gesetz geschützten Rechtsguts.
Auch die kommunalen Gremien wie Gemeinde-/Stadtrat oder Kreistag sind kommunalrechtlich Teil der Exekutive. Die ehrenamtlichen Gremienmitglieder werden allerdings in § 108e StGB den Mandatsträgern gleichgestellt. Transparency fordert, die Strafbarkeitsschwellen für Mandatsträger auf Bundes-, Landes und damit auch auf kommunaler Ebene zu senken.
B. Zu Regensburg: Doch keine Mitgliedschaft bei TI?
TI und die Stadt Regensburg planten eine Zusammenarbeit. Was ist daraus geworden?
Tatsächlich gab es in den zurückliegenden Monaten keinerlei Kontakt und wir können aktuell nicht einschätzen, ob es noch ein Interesse an einer korporativen Mitgliedschaft der Stadt Regensburg gibt.
TI hat sich schon mehrfach zur sogenannten Korruptionsaffäre in Regensburg geäußert, zuletzt in einem Atemzug mit der Spenden-Praxis der AfD. Sind die Vorfälle von Regensburg aus Ihrer Sicht etwas Außergewöhnliches? Sind Ihnen andere Städte bekannt, wo durch Ermittlungen ähnliche weitreichende Zusammenhänge zwischen Bauindustriellen und Kommunalpolitikern zu Tage kamen? wie hoch würden Sie Korruptionswahrnehmungsindex für Regensburg einschätzen?
Aus den Medien sind uns keine weiteren strafrechtlichen Ermittlungen bekannt. Da wir nicht investigativ tätig sind, können wir nicht ausschließen, dass es in anderen Kommunen zu solchen Verflechtungen kommt. Der Korruptionswahrnehmungsindex listet Länder weltweit nach dem Grad der in Politik und Verwaltung wahrgenommenen Korruption auf und ermöglicht keinen regionalen/kommunalen Vergleich.
Im Urteilsspruch vom Juli 2019 stellte die Regensburger Wirtschaftsstrafkammer im ersten Prozess gegen den suspendierten Oberbürgermeister Joachim Wolbergs (und den Bauunternehmer Volker Tretzel und seinem damaligen Geschäftsführer W.) „nur“ Verstöße gegen das Parteiengesetz (Tretzel), Vorteilsgewährung (Tretzel) und Vorteilsnahme (Wolbergs) fest. Warum sprechen Sie dennoch von Korruption? Wie definiert TI Korruption?
Transparency International geht über die enge rechtliche Definition hinaus und definiert Korruption als den „Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil.“ Korruption findet meist im Verborgenen statt und die strafrechtliche Dimension deckt lediglich einen Bruchteil der Taten ab. Das deutsche Strafrecht kennt keinen Tatbestand der Korruption, es gibt mehrere einschlägige Tatbestände, Vorteilsgewährung bzw. Vorteilsnahme gehören ebenso wie Untreue oder Bestechung/Bestechlichkeit, Wählerbestechung/Abgeordnetenbestechlichkeit zu den Korruptionstatbeständen.
Die Stadt Regensburg will ihre Baugrundstücke zukünftig nicht mehr verkaufen, sondern nur noch in „Erbpacht“ abgeben. Wird dadurch die problematische Nähe von politischen Entscheidungsträgern zu den finanzstarken Bauunternehmern nicht weitgehend eingeschränkt?
Das können wir nicht beurteilen.
C. Zum “Fall” Wolbergs: “Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.”
Im Zuge des derzeit laufenden zweiten Korruptionsprozess gegen den suspendierten OB Joachim Wolbergs wurde bekannt, dass dieser kurz nach seinem Wahl zum OB einen der großen Regensburger Bauunternehmer (Thomas D.), gebeten hat, die Rechnung einer Werbeagentur (etwa 30.000 Euro), die den Wahlkampf für Wolbergs 2014 begleitet hat, zu übernehmen. Der Bauunternehmer sagte zu, und die eigentlich an Wolbergs SPD-Ortsverein ausgestellte Rechnung wurde umadressiert und von Thomas D. beglichen. Jenseits der noch ausstehenden strafrechtlichen Bewertungen des Gerichts: Fallen solche verdeckten Wahlkampfhilfen aus Ihrer Sicht auch unter Korruption?
Der Schlüsselbegriff der Korruptionsbekämpfung ist Transparenz. Transparency Deutschland fordert daher mehr Transparenz bei der Parteienfinanzierung. Wenn bei Wahlkampfhilfen bewusst verschleiert wird, würden wir entsprechend unserer Definition von Korruption sprechen.
Der Bauunternehmer Thomas D. hatte Joachim Wolbergs bereits 2012 versprochen, ihn langfristig finanziell zu unterstützen. Gespendet habe er auch nach dessen Wahl zum Oberbürgermeister 2014, weil er ansonsten befürchtet habe, den Zugang zu Wolbergs zu verlieren: die Möglichkeit eines kurzfristigen Termins, die Möglichkeit, vor einer Entscheidung der Stadt im Immobilienbereich seine Argumente vorzutragen, usw. Die Methode „Scheinrechnungen“ habe er gewählt, damit andere Parteien davon nichts mitbekommen würden. Er habe das Gefühl gehabt, dass jede Partei von der anderen weiß, welchen Spendenbetrag diese bekomme. „Wenn ich der einen was gebe, wären die anderen auch gekommen.“ Thomas D.: „Es war die Hölle für mich, irgendwelche Spenden zu geben.“ Vom CSU-Abgeordneten Rieger habe er sich dabei erpresst gefühlt. Sind die Bauunternehmer nicht die eigentlichen Opfer der kommunalen Parteienfinanzierung?
Diese Argumentation der Bauunternehmer halten wir nicht für überzeugend. Nur ein transparenter Umgang mit Großspenden kann Korruption vorbeugen.
Kann man von einem OB-Kandidaten mit langjährigen Erfahrungen als hauptamtlicher dritter Bürgermeister und Stadtrat erwarten, dass er von der strafrechtlichen Problematik solcher Umadressierungen bzw. Scheinrechnungen weiß? Oder anders gefragt: Jenseits aller strafrechtlichen Bewertungen, wie ist es aus der Sicht der Korruptionsprävention zu bewerten, wenn ein angehender Oberbürgermeister sich an einen finanzstarken Bauunternehmer, mit dem er zukünftig dienstlich zu tun haben wird, wegen der Übernahme von Wahlkampfkosten wendet? Kann man dem juristischen Laien Wolbergs zumuten, zu wissen, dass die Übernahme einer solchen Rechnung im Rechenschaftsbericht erwähnt werden muss?
Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Ein angehender Oberbürgermeister einer Kommune sollte die Regeln der Parteienfinanzierung kennen.
Im ersten Urteilsspruch wurde festgestellt, dass Joachim Wolbergs in Zusammenhang mit erhaltenen Spenden und eventuellen persönlichen Vorteilen per se nicht strafbar gemacht haben kann, da er zu diesem Zeitpunkt lediglich dritter Bürgermeister war, und Vorteile lediglich für das aktuelle Amt, jedoch nicht im Hinblick auf das zukünftige gewährt werden könnten. Lädt so eine Rechtsprechung nicht geradezu zum „Anfüttern“ ein? Wie sieht TI die Problematik des „Anfütterns“?
Dieses Anfüttern ist ein großes Problem. Wir fordern seit Jahren neben einer transparenten Parteienfinanzierung auch mehr Transparenz im Lobbyismus durch ein Lobbyregister und einen legislativen Fußabdruck. Vor diesem Hintergrund gilt es auch zu prüfen, ob der 2014 in Kraft getretene §108e StGB zur Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern zu eng formuliert ist. Unter das Tatbestandsmerkmal „bei Wahrnehmung des Mandats” fallen ausschließlich Handlungen oder Unterlassungen bei parlamentarischen Verhandlungsgegenständen (reiner Lobbyismus zugunsten eines Auftraggebers falle nicht darunter). Auch nachträgliche Zuwendungen durch Dritte für bereits vorgenommene Handlungen werden von §108e StGB nicht erfasst.
Eigenen öffentlichen Angaben zufolge hat Joachim Wolbergs rund 850.000 Euro an Wahlkampfspenden eingesammelt, davon etwa 600.000 Euro von örtlichen Bauunternehmern, die in großem Stile von der Stadt Baugrund erworben oder Baugenehmigungen beantragt (teils auch bekommen) haben. Wolbergs erklärte mehrfach öffentlich: „Mehr habe ich nicht getan.“ Deshalb habe die Staatsanwaltschaft die ganze Stadt zu Unrecht „mit dem Schleier der Korruption überzogen“. Kann Wolbergs, falls er wie beabsichtigt wieder in Amt und Würden kommen würde, im Sinne der 2017 verschärften städtischen Anti-Korruptionsrichtlinie glaubwürdig als „Vorbild“ dienen, wie er sich selber auch darstellt?
Das können wir nicht beurteilen.
Im (noch nicht rechtskräftigen) Urteil des ersten Prozesses stellte die Wirtschaftsstrafkammer fest, dass sich der Bauunternehmer Volker Tretzel für die Parteispenden an Wolbergs Strohmännern bedient hat und diese Parteispenden von „krimineller Energie“ getragen waren. Weiter sieht es die Kammer in ihrem Urteil als erwiesen an, dass Joachim Wolbergs im Zuge Renovierungsarbeiten an seinem Eigentum bzw. seiner Mietwohnung persönliche Vorteile in der Höhe von rund 18.000 Euro gewonnen hat. (In diesem Fall wurden auch Scheinrechnungen erstellt und Handwerkerleistungen zugunsten Wolbergs zum Teil von den Konten des Bauunternehmers Tretzel beglichen.). Wolbergs wurde diesbezüglich nicht schuldig gesprochen, weil er damals „nur“ dritter Bürgermeister, nach Überzeugung des Gerichts von den 18.000 Euro, die der Bauunternehmer in seine Buchhaltung übernommen und beglichen hat, nichts mitbekommen habe und auch kein Vorsatz auszumachen gewesen sei. Welches Mittel sieht TI gegen eine solche Art von „Parteien- und Politikerfinanzierung“?
Anonyme Spenden und Spenden, “bei denen es sich erkennbar um die Weiterleitung einer Spende eines nicht genannten Dritten handelt” (also Strohmänner) sind laut Parteiengesetz verboten. Verboten sind sie laut §25 auch, wenn sie “erkennbar in Erwartung oder als Gegenleistung eines bestimmten wirtschaftlichen oder politischen Vorteils gewährt werden”. Die Kammer hat geurteilt, dass Herr Wolbergs persönliche Vorteile in der Höhe von rund 18.000 Euro gewonnen hat. Weshalb das Gericht ihn nicht schuldig gesprochen hat, können wir nicht beurteilen (siehe dazu die Pressemitteilung von TI).
D. “Politisch kann viel getan werden”
Der ehemalige Richter und SZ-Redakteur Heribert Prantl hat einmal geschrieben, die Regensburger Justiz sei mit der ganze Korruptionsaffäre überfordert, es solle besser vor einem auswärtigen Landgericht verhandelt werden. Regensburg sei zu klein. Vor kurzem hat die Richterin der Wirtschaftsstrafkammer Elke Escher, die in den Regensburger Vorgängen keine Korruptionsaffäre sieht und Wolbergs wegen zwei Vorteilsnahmen schuldig gesprochen, aber straflos gelassen hat, für sich die Besorgnis der Befangenheit für den (möglicherweise) anstehenden Prozess gegen Franz Rieger (CSU) erklärt. Sie sei zu Studentenzeiten auf privaten Festen Riegers gewesen. Wäre es aus Ihrer Sicht besser gewesen, die Korruptionsprozesse außerhalb von Regensburg zu verhandeln, was bisher wegen den örtlichen Zuständigkeiten nicht möglich ist? Sollten man hierfür gesetzliche Möglichkeiten schaffen?
Transparency International setzt sich für eine unabhängige Justiz ein. Ob oder inwieweit Elke Escher befangen war, können wir nicht beurteilen. Dasselbe gilt für den Verlauf der Prozesse, wenn sie außerhalb Regensburg geführt worden wären.
Die sogenannte Regensburger Korruptionsaffäre betrifft nicht nur den ehemaligen SPD-Politiker Wolbergs, der im derzeit laufenden Wahlkampf für den Wahlverein BRÜCKE als OB-Kandidat antritt. Ermittelt wird zudem unter anderem gegen Wolbergs Amtsvorgänger Hans Schaidinger, seinen OB-Konkurrenten von 2014 Christian Schlegl und den Landtagsabgeordneten Franz Rieger (alle CSU) sowie gegen mindestens vier Bauunternehmer. Bei etwa fünf Angestellten aus der Baubranche wurden jeweils Ermittlungsverfahren gegen einen fünfstelligen Betrag eingestellt, gegen einen städtischen Amtsleiter wird wegen Verdacht auf uneidliche Falschaussage ermittelt und die OB-Kandidatin der CSU Astrid Freudenstein spricht von „Neubeginn“ ohne zu sagen, was falsch war und verändert werden sollte. Was muss geschehen, damit in Regensburg neben der juristischen Aufarbeitung ein politisch überzeugender Neubeginn gelingen kann? Welche Akteure sind hierbei gefragt?
Politisch kann auf kommunaler Ebene viel getan werden, indem umfassende Regelungen und Maßnahmen der Korruptionsprävention von politischen Entscheidungsträgern eingeführt, umgesetzt und überprüft werden (vgl. Forderungen von Transparency an Kommunen).
Aktualisierung vom 19. Februar 2020:
Die Pressesprecherin der Stadt Regensburg, Juliane von Roenne-Styra, hat die Redaktion heute gebeten, folgendes Statement zu ergänzen:
„Es trifft zu, dass die Stadt Regensburg „seit Monaten keinerlei Kontakt mehr“ zu TI hat. Jedoch ging die letzte Kontaktaufnahme von der Stadt Regensburg aus. Ende Juli 2019 wurde per E-Mail an TI die Frage gerichtet, ob sich durch das Urteil des Landgerichts Regensburg in der Causa Wolbergs vom 3. Juli 2019 Auswirkungen für das laufende Beitritts- bzw. Aufnahmeverfahren ergeben haben. Diese Anfrage blieb bis dato unbeantwortet.
Grund der Anfrage war, dass der Vorstand von TI im Juni 2018 signalisiert hatte, seine Entscheidung über den Beitrittswunsch der Stadt Regensburg nicht im Lichte des laufenden Prozesses treffen zu wollen.“
Dieter
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Ufff, da sind die Fragen länger als die Antworten.
Eine wirkliche Einschätzung wollte man seitens TI dann wohl doch nicht geben.
Piedro
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@Dieter
“Eine wirkliche Einschätzung …”
Vielleicht lesen Sie noch mal?
“Wir fordern seit Jahren neben einer transparenten Parteienfinanzierung auch mehr Transparenz im Lobbyismus durch ein Lobbyregister und einen legislativen Fußabdruck. Vor diesem Hintergrund gilt es auch zu prüfen, ob der 2014 in Kraft getretene §108e StGB zur Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern zu eng formuliert ist. Unter das Tatbestandsmerkmal „bei Wahrnehmung des Mandats“ fallen ausschließlich Handlungen oder Unterlassungen bei parlamentarischen Verhandlungsgegenständen (reiner Lobbyismus zugunsten eines Auftraggebers falle nicht darunter). Auch nachträgliche Zuwendungen durch Dritte für bereits vorgenommene Handlungen werden von §108e StGB nicht erfasst.”
Damit ist so einiges eingeschätzt, obwohl Einschätzung nicht zum Kerngeschäft von TI gehört.
XYZ
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Zur Neufassung des 108 e StGB lesenswert der wissenschaftliche Dienst des BT vom 17.12.2014, AZ. WD-3000-257/14, S.10. In der Gesetzesbegründung heisst es “Nicht erfasst sind Verhaltensweisen die der Mandatsträger im Rahmen einer Nebentätigkeit vollzieht.” Damit sollte also klargestellt werden dass z.B. eine Tätigkeit als RA aussen vor ist. Aber auch jegliches ausserparlamentarisches Verhalten? Nur ein Sachverständiger Wimmer meint, dass der Mandatsträger nicht bei Wahrnehmung seines Mandats handelt, wenn er seine Autorität lediglich dazu einsetzt Verwaltungsabläufe in seinem Wahlkreis zu beeinflussen.
Etwas merkwürdig. Gibt das der Wortlaut denn her? Wird ein Mandat nicht auch und gerade in der sonstigen Bürgerschaft manifestiert?
Klaus
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Danke für das Interview. Auch finde ich das super das die Fragen ohne Beurteilungsmöglichkeit hier niedergeschrieben wurde. Zum einen um zu sehen wie das Interview lief und zum anderen zu erkennen wo die Grenzen einer echten Beurteilung liegen (und dann nicht wild drauf los gemutmaßt wird).
Wenn Wolbergs, Rieger und Co. abgehandelt sind, dann wird man sich hoffentlich objektiver mit dem Thema beschäftigen können – und lernen.
Korruption ist für mich früher etwas gewesen, das es in Deutschland, Bayern und Regensburg nicht gibt – sowas gibts woanders, aber “net bei uns”. Als junger Mensch ist man vielleicht auch leichter zu blenden bzw. sieht man vor lauter Erfolgen die Hintergründe nicht (oder kann sie auch nicht sehen, wie TI das ja auch beschreibt).
Ich halte Vergabepolitik nach “dem günstigsten Preis” aber auch für nicht nachhaltig. Dem Cousin oder einem Parteispender etwas “zuschieben” kanns natürlich auch nicht sein. Wir brauchen definitiv ein Korrekturen “im System” die nicht nur Nachvollziehbarkeit, sondern auch Verantwortlichkeit mit sich bringen.
Der Stadt wäre es schon zu raten sich mit TI hier stärker auseinanderzusetzen – und nicht nur um irgendein dummes Siegel auf dem Briefpapier zu erhalten.
XYZ
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Muss nochmals zynisch nachfragen: was meint der Gesetzgeber mit ‘Wahrnehmung des Mandats’ ? Wenn wahrgenommen wird dass ein Abgeordneten-Mandat auch so einiges bewirken kann, nicht nur bei ‘Verwaltungsabläufen’ wie sich der Sachverständige vornehm ausdrückte, sondern auch bei konkreten Entscheidungen? Das nehme ich nicht für wahr, der Gestzgeber hat sich mal wieder um eine klare Formulierung herumgedrückt.
XYZ
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Noch zu 108 e StGB: Man hätte ‘Wahrnehmung des Mandats’ auch klarer ausdrücken können: ” Vom Mandat eines Abgeordneten sind nebenberufliche und ehrenamtliche Tätigkeiten ausgenommen. Über Einnahmen ist aber jährlich Rechenschaft zu legen. Unentgeltliche Beratung i.S. einer Hilfestellung für Bürger ist erlaubt, sofern keine Einflussnahme auf Entscheidungen von Entscheidungsträgern wie z.B. Behörden und Firmen genommen wird.” – Wäre halt das Ende des Lobbyismus . . .
Rigobert Rieger
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Hat der Schaidinger auf diesem schönen Foto auch auf seiner weißblauen Krawatte den Schriftzug “Immobilienzentrum” stehen? Ist das vielleicht nur so fein draufgestickt, dass es auf dem Foto nicht zu erkennen ist? Und was steht auf seinen Socken? Die sind leider gar nicht zu sehen! Nicht dass er an dem Tag aus Versehen zwei verschiedene Socken erwischt hat: auf dem einen steht “IZ”, und auf dem andern “BTT”? Als Regensburger OB hat man’s aber auch nicht leicht! Da muss man schon beim Sockenanziehen sakrisch aufpassen!
gus backus
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Die Vorteile, die der (zukünftige, jetzige oder ehemalige) Amts- oder Funktionsträger, der Nehmer, erhält, können z. B. Bargeld, Parteispenden, Übernahme fingierter Rechnungen, Restaurantbesuche, hohe Rabatte beim Immobilien und Autokauf, Sachzuwendungen, Freitickets für Veranstaltungen, Arbeits- und Dienstleistungen, Karriereförderung im Hauptberuf oder Jobs für schwer vermittelbare Söhne und Töchter, Honorare nach Ausscheiden aus dem Amt oder auch Reisen sein. Hierfür vermitteln sie dem Geber beispielsweise Aufträge, unterstützen bei Grundstückskäufen, erteilen Genehmigungen oder geben interne Informationen weiter.
Brandner K
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“…. der Handel ist perfekt. Durch eine großzügige Spende kriegt man am Ende fast jedes Großprojekt. Plötzlich lacht der Herr Minister, denn er kennt dieses Geknister und er hat auf seinen Lippen eine kleine Melodie: Tango Korrupti wenn einer draufkommt und entpuppt di …”
Hoppala
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@Rigobert Rieger: Schaidinger trat 1996 beim Dultanstich in einer von Glöckl geschenkten Lederhose mit einem Werbeträger an den Hosenträgern auf. Das hat damals niemanden gestört.