Dauer-Wahlkampf auf Pump
Der frühere SPD-Fraktionschef Norbert Hartl nimmt Joachim Wolbergs bei seiner Zeugenaussage gegen den Vorwurf der Einflussnahme zugunsten von Schmack-Projekten in Schutz. Er habe nur längst von der Koalition gefällte Beschlüsse umgesetzt. Die frühere Leiterin von Wolbergs’ Wahlkampfbüro gibt erneut zu Spenden, Darlehen und Geldflüssen Auskunft.
Ein Telefonat und ein persönliches Gespräch zwischen Joachim Wolbergs und dem Bauträger Thomas Dietlmeier Mitte Oktober 2015, wenig später die E-Mail eines Mitarbeiters von Dietlmeiers „Immobilien Zentrum Regensburg“, zwischen dem 22. und 27. Oktober dann mehrere Überweisungen Dietlmeiers von insgesamt rund 50.000 Euro auf das Konto von Wolbergs’ SPD-Ortsverein und wiederum kurz darauf, am 2. November, ein Treffen des Oberbürgermeisters mit mehreren städtischen Spitzenbeamten, bei dem über eine Lösung für die von Dietlmeier erwünschte Bebauung im geplanten Landschaftsschutzgebiet „Auf der Platte“ zu beraten.
Für die Staatsanwaltschaft ist unter anderem dieser enge zeitliche Zusammenhang zwischen Gespräch, Schriftverkehr, Geldfluss und einer Einflussnahme Wolbergs’ zugunsten von Dietlmeier ein wichtiges Verdachtsmoment bei ihrer Anklage wegen Bestechlichkeit oder zumindest Vorteilsannahme. Doch wusste Wolbergs zum Zeitpunkt des Verwaltungstreffens überhaupt, dass Dietlmeier 50.000 Euro gespendet hatte?
Immer wieder brauchte es neue Spenden
Der suspendierte Oberbürgermeister hatte dies in der Vergangenheit stets verneint. Auch die von ihm unterzeichneten Spendenquittungen datieren erst von einem späteren Zeitpunkt, dem 23. November 2015. Doch wusste Wolbergs schon vorher von dem Geldfluss? Die Aussage der damaligen Leiterin seines Wahlkampfbüros weckt daran Zweifel, auch wenn sie sich nicht mehr konkret erinnern kann.
Eine Unterschrift von Wolbergs vor dem Datum auf der Quittung schließt Ulrike W. jedenfalls aus. Sie habe diese Spendenquittungen normalerweise immer gesammelt und ihrem Chef dann irgendwann zur Unterschrift vorgelegt. Gelegentlich habe sich der Oberbürgermeister, den sie in der Zeit nach dem Wahlkampf meist nur noch sporadisch gesehen habe, auch außer der Reihe über den Kontostand informiert und mal nachgefragt. Ob das aber zu dieser Zeit der Fall gewesen sei, das wisse sie nicht mehr.
Ermittlungen stoppen Geldfluss
Auf jeden Fall habe sie Wolbergs im September 2015 per E-Mail darauf aufmerksam gemacht, „dass wir Spenden brauchen“. Aus der Erfahrung des Vorjahres habe sie ihn dieses Mal früher informiert. 2014 habe sie ihn erst im Oktober darüber informiert, dass es bald knapp werde mit dem Geld für Gehälter der Büromitarbeiterinnen, für Miete, Strom und Heizung. „Das Geld kam dann erst im Januar. Das war viel zu spät.“
Im ersten Prozess hatte Ulrike W. ausgesagt, dass sich die laufenden Kosten für das Büro auf rund 8.000 Euro monatlich beliefen. Der frisch gewählte Oberbürgermeister hatte vor, es auf nach seiner Wahl bestehen zu lassen – für eine Art „Dauer-Wahlkampf“, aber auch um andere Wahlkämpfe der SPD, auf Landes-, Bundes- und Europaebene personell zu unterstützen. Für den heutigen SPD-Chef Juba Akili sei seinerzeit sogar eine Stelle geschaffen worden, um den EU-Abgeordneten Ismail Ertug bei dessen Wiederwahl ins EU-Parlament zu unterstützen.
Doch folgt man W.s Aussagen war die Dauer-Finanzierung dieses Dauer-Wahlkampfs offenbar nur möglich, wenn in regelmäßigen wieder Spenden eingingen. Diese flossen auch bis zu Beginn der Ermittlungen im Juni 2016 – insbesondere über die Bauträger Volker Tretzel und Thomas Dietlmeier. Dann versiegte der Geldfluss und Wolbergs musste nicht nur persönlich eine fünfstellige Spende leisten, um die Beschäftigung der Büromitarbeiter erst zum September auslaufen zu lassen, sondern auch auf die Rückzahlung eines Darlehens über 228.000 Euro verzichten, das er dem SPD-Ortsverein kurz nach der Wahl gegeben hatte, um noch offene Rechnungen zu zahlen.
Keine Fragen zur Scheinrechnung
Zum Nachlesen
Ursprünglich war geplant gewesen, dieses Darlehen bis Ende 2019 so weit als möglich zu tilgen. Danach sollte es in eine Spende umgewandelt werden. Ab Februar 2016 flossen auf Betreiben von Anja Wolbergs zwar erste Rückzahlungen, Auslöser war die kurz zuvor erfolgte Trennung der Eheleute. 5.000 Euro monatlich sollten es sein, die eine weitgehende Tilgung innerhalb des geplanten Zeitraums auch ermöglicht hätten. Doch auch hier kam der Beginn der Ermittlungen dazwischen. Zurück bekam Wolbergs lediglich 25.000 Euro. Der Rest der Summe, für die er selbst einen Kredit aufgenommen hatte, wurde vereinbarungsgemäß am 31. Dezember 2019 zur Spende. Wolbergs tilgte seinen Kredit durch die Auflösung eines Aktienpakets aus seinem Erbe. „All das haben Ermittlungsbehörden verursacht. Die haben Geld verbrannt und müssen sich dafür nicht verantworten“, sagt Wolbergs am Ende von W.s Vernehmung mit bitterer Miene.
Nicht befragt wird Ulrike W. zu den 30.000 Euro Wahlkampfkosten, die Thomas Dietlmeier über eine Scheinrechnung einer von der SPD beauftragten Agentur übernommen hat. Die Frage, warum diese Wahlkampfunterstützung im Rechenschaftsbericht des SPD-Ortsvereins nirgends auftaucht, scheint für alle Verfahrensbeteiligten offenbar geklärt zu sein. Weder Gericht noch Staatsanwaltschaft noch Verteidigung fragen nach.
Trotz Auskunftsverweigerungsrecht: Hartl sagt aus
Am Vormittag hat der frühere SPD-Fraktionschef Norbert Hartl Wolbergs in einigen Punkten dezidiert in Schutz genommen. Der 73jährige saß im ersten Korruptionsprozess noch auf der Anklagebank und wurde freigesprochen. Weil dieses Urteil noch nicht rechtskräftig ist, stünde ihm zwar ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu. Doch Hartl beantwortet, begleitet von seinem Zeugenbeistand, bereitwillig alle Fragen und sorgt gelegentlich für Gelächter im Saal.
Während seiner Zeit als dritter Bürgermeister habe Wolbergs qua Amt keinerlei Einfluss auf Bau- und Vergabeentscheidungen gehabt. Einzig über eine von 50 Stimmen im Stadtrat und eine von zwölf Stimmen bei Abstimmungen in der SPD-Fraktion. Und auch dass Wolbergs gelegentlich Sitzungen des Planungs- oder Bau- und Vergabeausschusses in Vertretung des damaligen Oberbürgermeisters geleitet habe, ändere daran nichts, so Hartl. Die Entscheidungen seien alle vorbesprochen. Der Sitzungsleiter habe dann nur noch die Funktion eines „Moderators“.
Ungewöhnlich detaillierter Aufstellungsbeschluss
Dass der Bauträger Ferdinand Schmack von der Verwaltung in der Ära Schaidinger eher „stiefmütterlich behandelt“ worden sei, bestätigt auch Hartl. Doch dass Wolbergs später als Oberbürgermeister eine „To Do“-Liste der Schmacks erhalten habe und dass man sich mit Schmack-Projekten beschäftigt habe, habe nichts mit Bevorzugung zu tun. Man habe eben die wichtigen Themen Wohnungsbau und Gewerbeflächen auf dem Schirm gehabt.
Speziell bei der Genehmigung der Industriehalle LAGO A3 auf dem Gebiet der Schlämmteiche der früheren Zuckerfabrik – dass Wolbergs die Baugenehmigung für die Halle unterschrieb ist einer der Anklagepunkte – sieht Hartl kein Fehlverhalten des Oberbürgermeisters. Im Stadtrat seien 45 von 50 Mitgliedern für eine Ausnahmegenehmigung dieser Halle ohne Bebauungsplan (§ 35 BauGB) über gewesen.
Auch habe man schon den Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan gefasst und dieser sei in den wichtigsten Punkten ungewöhnlich detailliert gewesen. Die bestehenden politischen Meinungsunterschiede bezüglich von Ausgleichsflächen hätten laut Hartl auch nach dem Bau noch geklärt werden können. „Alle Varianten waren nach wie vor möglich.“ Und ohnehin sei es der Koalition mit der Genehmigung zu langsam gegangen.
Dass sich in der Stadtverwaltung niemand bereit erklärt habe, die Genehmigung am Ende zu zeichnen, führt Hartl auf die damals bereits laufenden Ermittlungen zurück. „da hat sich keiner mehr was getraut.“ Er habe Wolbergs empfohlen, sich vor einer Unterschrift nochmal die Rückendeckung des Stadtrats zu holen. Doch das habe er nicht gemacht.
“So läuft halt Politik.”
Was Hartl von den regelmäßigen Kontakten von Wolbergs mit Investoren halte und dass deren Häufigkeit hier im Verfahren von der Staatsanwaltschaft so „gehighlighted“ werde, will Verteidiger Peter Witting wissen. Das sei nichts Außergewöhnliches, gibt Hartl zurück. „So läuft halt Politik. Das ist das normale Geschäft.“
Mit einem „Pfiad Eich“ verabschiedet sich der heuer aus dem Stadtrat ausscheidende Kommunalpolitiker aus dem Gerichtssaal. Oberstaatsanwalt Jürgen Kastenmeier schüttelt er noch die Hand. „Sagen’s ja ned ‘Auf Wiedersehen’“, scherzt Hartl mit ihm und geht zur Tür.
Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. Am Dienstag und Freitag wird das abgetrennte Verfahren gegen den früheren Geschäftsführer von Sontowski und Partner abgeschlossen.
Anni
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„So läuft halt Politik. Das ist das normale Geschäft.“
Ach so deshalb wissen alle von nix, gar nix mehr.
Rechtmäßiges Handeln
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Es ist schon erstaunlich, welches Rechtsverständnis Stadträte haben, die in diesem Prozess aussagen. Der Stadtrat und seine Mitglieder sind ein Organ der Selbstverwaltung und kein Parlament. der Stadtrat ist wie der Oberbürgermeister und die Angestellten und Beamten bei seinen Entscheidungen an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 GG). Wenn Stadtrat Hartl betont, die Mitglieder der Koalition hätten beim Aufstellungsbeschluss eine Genehmigung für Lago A3 nach § 35 BauGB erwartet, dann widerspricht das dem vorgenannten Grundsatz. Der OB war weder gehalten die Baugenehmigung zu unterzeichnen, sondern hätte im Falle eines einschlägigen Aufstellungsbeschlusses diesen beanstanden und notfalls der Aufsichtsbehörde vorlegen müssen. Ebenso unverständlich ist die Aussage des vormaligen Finanzreferenten Lago A3 zu genehmigen, obwohl es rechtlich unzulässig war. Als Beamter hat er einen Eid auf die Verfassung abgelegt und versichert nach Recht und Gesetz zu handeln. Hätten die Befürworter von Lage A3 rechtmäßig handeln wollen, hätten sie dafür gesorgt, dass der Bebauungsplan rasch zur Planreife gebracht worden wäre. Dass das möglich ist hat die Planungsverwaltung der Stadt Regensburg mehrmals bewiesen. Es setzte aber Führungsstärke voraus, die wohl fehlte. Nicht allein der Vorgang sondern vor allem der Umgang der Politiker damit ist ein Skandal, der das Vertrauen der Menschen in rechtmäßiges Handeln und Entscheidungen ohne Ansehen der Person beeinträchtigt.
Dieter
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Mich würde wirklich mal interessieren, ob das in jeder Stadt wirklich total normal ist oder eben nicht.
Also ob man mal einen OB oder Stadtrat einer vergleichbaren Stadt befragt hat. Daß Wolbergs und Hartl diese Nähe zu Bauträgern für normal halten, ist absolut kein Richtwert.
Die Spendenhöhe ist zumindest ziemlich einmalig gewesen. Ähnlich einmalig wie alle diese selektiven Erinnerungslücken.
Und letztendlich war Hartls angebliches Lebenswerk, der unermüdlicher Einsatz und Kampf für günstigen Wohnraum, ja eine absolute Nullnummer, in kaum einer anderen Stadt sind die Immobilienpreise so drastisch gestiegen wie hier.
Piedro
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“„All das haben Ermittlungsbehörden verursacht. Die haben Geld verbrannt und müssen sich dafür nicht verantworten“, sagt Wolbergs am Ende von W.s Vernehmung mit bitterer Miene.”
Tja, dumm gelaufen. Ermitteln die einfach. Wie schon das erste Urteil zeigte: nicht ganz auf Luft. Weshalb sollte sie Behörde dafür verantworten? Weil die zweifelhafte Spendenpraxis nicht fortgesetzt wurde? Warum eigentlich nicht? Wegen der Stückelungen, weil sich Scheinrechnungen nicht mehr ausgingen? Oder weil der Ansprechpartner Oberbürgermeister nicht mehr nützlich war, und der Ortsverband deshalb uninteressant?
Wie kommt ein OB eigentlich darauf, über seinen Ortsverband ein permanentes Wahlkampfbüro für Europa-, Landtags- und Bundeswahlen einzurichten – und das über “seine” Dauerspender zu finanzieren? Hat ihn die Kommunalpolitik nicht ausgelastet, sah er sich zu mehr als zum Gröbaz berufen?
Es ist kindisch, wenn ein Verurteilter der Staatsanwaltschaft vorwirft, dieses Wahlkampfkalkül gestört zu haben. Zumal es offenbar das eigene Konzept war, nicht das des Ortsvereins, der bestimmt keine Schulden machen würde um sich außerhalb der Kommunalpolitik profilieren zu können. Die Schuld, dass der Ortsverein nicht flüssig genug war, die Erstattungsansprüche und das Dauerwahlkampfkonzept des Herrn W. zu finanzieren, liegt natürlich bei den Ermittlern. So ein Unsinn, sowas von lernresistent, so bar jeglicher Selbstreflexion, Einsicht und Erkenntnisfähigkeit, da kann auch ein deftiges Lehrgeld nicht viel helfen.
R.G.
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@Rechtmäßiges Handeln
Ihre Worte konnte ich gut verstehen, weil mich Entscheidungsprozesse generell interessieren.
Könnten sie bitte für alle Mitleser, die sich mit Fremd-und Spezielwörtern nicht beschäftigen, in einfachen Worten sagen, was die Verwaltung eigentlich tun hätte müssen?
Was bedeutete “nach den üblichen Grundätzen” folgerichtiges Vorgehen?
Dürfte dann plötzlich in einem Gebiet, wo sonst keiner mehr bauen sollte, plötzlich durch eine Gessellschaft Villen doch entstehen?
Haben denn die Reichen so dringenden Wohnbedarf, wären sie sonst obdachlos, sodass man für sie in Regensburg bisher Unmögliches möglich machen musste?
XYZ
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Rechtmässiges Handeln 19.03
Dem kann ich nur zustimmen: das Rechtsverständnis lässt allseits zu wünschen übrig. Das ist ein unseliges Ahnen-Erbe, das sich in Politik und Strafrecht mit unbestimmten Rechtsbegriffen noch immer fortsetzt. Sind beide nicht imstande klare Regelungen zu treffen, die dem Menschenverstand und dem menschlichem Bürgerwillen entsprechen. Dazu braucht es der dritten Generation, die erste bestimmt, die zweite macht nach und erst die dritte dekonstruiert die unbewussten Macht -Konstrukte. Na dann auf zu neuen Wahlen und BGH/St oder sogar BVerfG/EuGH . . .
Spendendenker
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Alles interessant und gute Berichterstattung. Danke.
Habe beim Bundestag nachgesehen und keine Veröffentlichung einer Spende der Familie Wolbergs im Jahr 2019 finden können. Die Umwandlung des Darlehens soll doch Ende 2019 in eine Spende erfolgt sein und müsste dort auftauchen. Falls ich hier einem Denkfehler unterliege, bitte ich um Aufklärung.
Queen of Suburbia
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Kommentar gelöscht. Bitte bleiben Sie sachlich.
Mr. B.
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Zuerst einmal wieder ein großes Dankeschön an R-D für die Berichterstattung.
Wo sonst könnte ein an den Verhandlungstagen nicht teilnehmender Bürger (der zu dieser Zeit Arbeiten muss und nicht von Spenden leben kann) besser und sachlicher informieren, was in dieser Stadt m. E. so unheimlich und nicht nur nebenbei abläuft.
Es ist schon auffallend, dass sich Zeugen an wichtige Aspekte so gar nicht mehr erinnern können. Wo es doch dann eng wird, weiß man sofort, dass es auf alle Fälle vor dem……war. Aber auf gar keinen Fall darf m. E. der Bürger (Wähler), der keinen Vorteil hatte, etwas erfahren.
Ich hoffe, das Gericht kann und wird diese Aussagen richtig einschätzen.
Und der Hohn bei der ganzen Geschichte: Überall in der Republik predigen die Politiker, der Bürger müsse die Demokratie schützen. Gehört die Bekämpfung der Korruption bei den “Oberen”, “Machern” und “Gestaltern”, so wie sie sich gerne sehen, nicht mehr zum Handlungsauftrag in diesem Land? Mia grauts schon lange!!!!!!!!
Die nächste Wahl wird zeigen, was der Bürger will und wie weit er schon “mitgegangen” ist.