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„Hier habt ihr Geld, macht doch was ihr wollt“, scheint das Credo des Regensburger Stadttheaters zu sein, in den letzten Spielzeitmonaten der Ära Weil. Was dabei herauskommt, ist manchmal Quatsch („Leonce und Lena“), im Fall Evita allerdings vor allem eines: umwerfend (Fotos: Juliane Zitzelsperger).
Es ist begrüßenswert, das offensichtliche Desinteresse Ernö Weils dieser Tage. „Hier habt ihr Geld, macht doch was ihr wollt“, scheint das Credo des Theaters zu sein, in den letzten Spielzeitmonaten der Ära Weil. Die Parole lautet: Nehmt bloß keine Rücksicht mehr auf sensible Abonnenten und die zurückhaltend-konservative Seele des gemeinen Regensburger Theatergängers. Wir rocken jetzt mal das Haus! Was dabei herauskommt, ist manchmal Quatsch („Leonce und Lena“), im Falle Evitas allerdings vor allem eins: umwerfend.
Opernhafte Ästhetik
Regisseur Philipp Kochheim, 2004 Gewinner des Götz-Friedrich-Preises, hat dem gefälligen „Crowdpleaser“ von Andrew Loyd Webber und Tim Rice eine tiefgründige und vor allem höchst opernhafte Ästhetik verpasst. Schon in der ersten Szene werden die vielen Masken Evitas wortwörtlich abgeschält, und ihr Gesicht, menschlich und verletzlich, kommt zum Vorschein.
Monika Staszak gibt die Evita als zunächst raumfüllende, dann im Laufe ihrer Krankheit immer kleiner werdende, doch bis zum Schluss stimmgewaltige starke Frau. Man merkt Staszak an, dass Evita ihre Rolle ist.
Kochheim hinterfragt in seiner Inszenierung auch die ideologisch eingefärbte Erzählung der Geschichte Eva Peróns, die Webber und Rice vor allem durch den Filter der wirtschaftlichen zwischen Großbritanniens und Argentinien sahen. Als Hintergrundmaterial des Musicals gilt bis heute Mary Mains Biographie „Evita – die Frau mit der Peitsche“.
Webber und Rice hatten naturgemäß kein Interesse an einer differenzierten Darstellung der Peróns. Einige der Vorwürfe, die die Figur Che vorbringt (sehr präsent: Randy Diamond), werden mittlerweile im historischen Diskurs kontrovers diskutiert. Und weil Kochheim dem Regensburger Publikum offenbar nicht zutraut, die Komplexität der Geschichtsschreibung auch auf Anhieb zu verstehen, lässt er zu Beginn gleich noch eine Kindergruppe auftreten, die wie im Museum an den verschiedenen derangierten Evita-Figuren vorbeigeführt wird, damit auch der letzte im Publikum versteht, dass wir es hier mit nicht ganz einfachen historischen Zusammenhängen zu tun haben und wir, zumindest in dieser Inszenierung, keine simplen Antworten erwarten dürfen.
Die Einführung von Tänzer_innen (präzise Choreographie: Seân Stephens), die direkt der Figur Eva zugeordnet sind, und die sich durch die innere Zerrissenheit Evitas tanzen, ist eine der vielen wirklich innovativen Entscheidungen dieser Inszenierung. Wenn sie beispielsweise blutrote Bänder aus den Wänden ziehen und sie quer über die Bühne schnappen lassen, wirkt der Raum wie zerschnitten, die Menschen darin hilflos, den Tänzer_innen wie ausgeliefert. Das verschmierte Make-Up der Tänzer_innen und ihre clownesken Kostüme stehen im direkten Kontrast zu Evas perfekter Fassade und nehmen bereits ab der ersten Szene ihren körperlichen und auch ihren geistigen Verfall vorweg.
Verschmiertes Make-Up, clowneske Kostüme
Barbara Bloch, die außer für die Kostüme auch für die strenge und monochromatische Bühne verantwortlich zeichnet, ist mit ihrem Bühnenbild ein Traum aus Samla gelungen (was nicht nur Ikea-Kenner jubeln lässt). Ihre beweglichen Bühnenteile schieben sich auf- und ineinander, werden zum übergroßen Bett, zum Laufsteg, zum Büro im Zentrum von Peróns Macht.
Etwas schade ist Kochheims mangelndes Vertrauen in seine Solist_innen. Oft finden Songs auf der linken oder rechten Vorbühne statt, während auf der Hauptbühne gleichzeitig noch getanzt wird. Das lenkt ab und überfrachtet das Bild, was dem Regisseur aber verziehen sei.
Schuhplatteln mit Hitler
Dafür schenkt er uns Szenen wie den überdrehten Kurzauftritt von je einer Hitler- und einer Mussolini-Parodie, die erst einen rosa Ballon mit Hakenkreuzen auf die Bühne bringen, um sich dann in einem denkbar albernen Schuhplattler in ihren faschistischen Handzeichen zu verheddern, um am Ende des Liedes das zum größten Teil gesetzte und gutbürgerliche Premierenpublikum mit dem Stinkefinger zu beglücken. Die Anspielung auf „Springtime for Hitler“, das fiktive Musical aus „The Producers“, ist kein Zufall und wird johlend von allen im Publikum unter 40 aufgenommen, die an diesem Abend mit Oma und Opa ins Theater durften.
Der Schlussblack – das letzte eindrucksvoll gesetzte visuelle Zeichen (Licht: Wanja Ostrower) – wird leider völlig durch den Bluescreen des Beamers zerstört. Eine so brillante Inszenierung zuzulassen, um dann an der ordentlichen Einweisung des technischen Hilfspersonals zu scheitern: auch das ist das Theater Regensburg dieser Tage.