Wenn der Kulturreferent zensiert
Ein Text zur „Judensau“ am Regensburger Dom in einer städtischen Publikation missfiel Kulturreferent Klemens Unger so sehr, dass er ihn ohne Absprache mit der Autorin, eine namhafte Expertin für jüdische Geschichte, massiv veränderte. Die Betroffene protestierte. Jetzt soll das komplett von ihr konzipierte Buch ohne ihre Texte erscheinen. Herr Unger sucht Autoren.
Klemens Unger weilt zwar gerade in Urlaub, aber als wir ihm eine Anfrage zu einem kürzlich erschienenen Artikel in der „Bayerischen Staatszeitung“ (BSZ) zuschicken, nimmt der scheidende Kulturreferent sich doch die Zeit, um mit der städtischen Pressestelle eine Antwort abzustimmen. Es geht um ein heikles Thema: Zensur in einem städtischen Kompaktführer zum Jüdischen Leben in Regensburg.
Ein Mailwechsel, der sowohl der BSZ als auch regensburg-digital zugespielt wurde, scheint zu belegen, dass Unger eine Textpassage zur sogenannten „Judensau“ am Regensburger Dom zu deutlich gewesen ist, er diese kurzerhand streichen und durch eine weitaus harmlosere Formulierung ersetzen ließ – ohne Absprache mit der Autorin, unter deren Namen der Text erscheinen sollte.
Ein Text wird entschärft
Die Betroffene: Eva Haverkamp-Rott. Sie ist Professorin für Mittelalterliche Jüdische Geschichte und Kultur an der LMU München und kuratierte im März zusammen mit Dr. Astrid Riedler-Pohlers die Ausstellung „Regensburg – Mittelalterliche Metropole der Juden“ im Historischen Museum. Flankierend dazu sollte es zwei städtische Publikationen geben – eine Zahl, die später noch wichtig sein wird.
Der Regensburger Dom ist nicht die einzige Kathedrale mit einer „Judensau“. Im Hochmittelalter hatte diese christliche antijudaistische „Kunstform“ Hochkonjunktur. Ein entsprechender Wikipedia-Artikel listet 30 Kirchen in Deutschland auf, an denen sich eine solche Skulptur befindet, darunter auch den hiesigen Dom. Hier machen sich drei Personen, die durch ihre Kopfbedeckung als Juden gekennzeichnet sind, an einer Sau zu schaffen. Bei der Ausstellung gab es denn auch folgenden erläuternden Text von Haverkamp-Rott:
„Die ‘Judensau’-Darstellung an der Südfassade des Domes ‘schaut’ in Richtung Judenviertel. Sie unterstellt Juden, sie würden an einer Sau lecken und an deren Zitzen saugen; das Schwein symbolisiert auch den Teufel. Um die Juden als Juden zu kennzeichnen, tragen sie ‘Judenhüte’. Das Gebot, nach dem Juden kein Schweinefleisch essen, wird hier zur Absurdität verkehrt. Diese Ekel erregende Propaganda degradierte die Juden und war eine Angriff auf die jüdische Religion.“
Und genau dieser Text sollte anschließend auch in einer entsprechenden Begleitpublikation des städtischen Kulturreferats erscheinen, für die Haverkamp-Rott und Astrid Riedler-Pohlers als Autorinnen verantwortlich zeichnen. Doch ausweislich des uns vorliegenden Mailwechsels griff Unger ohne Absprache in den Text ein. Demnach strich er kurzerhand den letzten Satz. Stattdessen stand da nun:
„Diese Skulptur als steinernes Zeugnis einer vergangenen Epoche muss im Zusammenhang mit ihrer Zeit gesehen werden. Sie ist in ihrem antijüdischen Aussagegehalt für den heutigen Betrachter befremdlich. Das Verhältnis von Christentum und Judentum in unseren Tagen zeichnet sich durch Toleranz und gegenseitige Achtung aus.“
Dieser doch sehr weichgespülte Text stammt nicht von Unger persönlich, sondern von einer Tafel am Regensburger Dom. Und den wollte sich Haverkamp-Rott auf keinen Fall zu eigen machen.
Der Kulturreferent geht auf Tauchstation
Die Professorin intervenierte mehrfach, um gegen die nicht abgesprochenen Änderungen zu protestieren: mündlich, schriftlich, bei Mitarbeitern des Kulturreferats und bei Unger persönlich. Doch der Kulturreferent ging auf Tauchstation, antwortete nicht. Stattdessen wurden Haverkamp-Rott kommentarlos die Druckfahnen mit Ungers Änderungen zugesandt, die sie absegnen sollte.
Nun schreibt sie im Mai besagte E-Mail an Unger: „Sie haben diesen Text ohne meine Einwilligung gelöscht.“ Ungers Streichung und Einfügung verändere „den Sinngehalt des gesamten von mir verfassten Kapitels (…) und verharmlost die Interpretation der Darstellung der ‘Judensau’“. Sie werde ihre Einwilligung zum Druck erst geben, wenn Unger seine Änderungen zurücknehme. Dieser könne seinen Text in sein Vorwort aufnehmen. „Damit wird kenntlich, dass dies Ihr Kommentar ist, der von Ihnen verantwortet wird.“
Im Juli erscheint dann schließlich ein Buch, eigentlich als Begleitband zur Ausstellung vom März geplant. Es ist Band 15 der städtischen Reihe „Kulturführer Regensburg“, trägt den Titel „Regensburg – Mittelalterliche Metropole der Juden“ und enthält zur „Judensau“ – nichts. Eva Haverkamp-Rott wollte sich weder gegenüber der BSZ noch regensburg-digital äußern. Anders Klemens Unger.
Ein entscheidendes Detail wird verschwiegen
Gegenüber der Bayerischen Staatszeitung bestritt er zunächst, dass es überhaupt Streit gegeben habe. Erst als ihn der Redakteur mit der besagten Mail konfrontiert, räumt Unger ein, dass es Auseinandersetzungen gab. Aber verändert, zensiert gar habe er in diesem Begleitband zur Ausstellung nichts. „Da mischen wir uns nicht ein“, so Unger zur BSZ.
Auch auf unsere Anfrage lässt Unger über die städtische Pressestelle sehr rasch ausrichten, dass der oben erwähnte Kompaktführer von ihm „zu keinem Zeitpunkt textlich verändert“ worden sei. „Es wurden auch vor Drucklegung keine Textpassagen herausgenommen.“
Das stimmt zwar zunächst einmal, allerdings verschweigt Unger ein nicht unwesentliches Detail: In Verbindung mit der Ausstellung war nicht nur ein Buch geplant, sondern zwei. Das (und noch etwas mehr) erfuhr regensburg-digital aus dem Umfeld des Kulturreferats. Neben dem bereits erwähnten Kulturführer 15 sollte es einen weiteren Band, die Nummer 14 geben. Und während die 15 bereits erschienen ist, harrt die Nummer 14 noch einer Veröffentlichung.
Dieses ebenfalls von Eva Haverkamp-Rott konzipierte Buch mit dem Titel „Jüdisches Leben im Mittelalterlichen Regensburg“ ist seit Monaten Gegenstand genau jener Auseinandersetzungen zwischen der Historikerin und dem Kulturreferenten. Genau hier wollte Unger die erwähnten Änderungen in dem von Haverkamp-Rott verantwortetem Text vornehmen. Eine Einigung scheint nicht in Sicht.
Jetzt sollen alle Texte verschwinden
Nun greift Unger offenbar zu recht ungewöhnlichen Methoden, um sich die Peinlichkeit des Nichterscheinens zu ersparen. Offenbar sollen nun alle Texte von Haverkamp-Rott aus dem Buch verschwinden und durch andere ersetzt werden. Es geht um knapp 100 Seiten. Da es diese Texte aber bislang noch nicht gibt, sucht Herr Unger derzeit Autoren.
Wir haben bezüglich dieses zweiten Buches selbstverständlich noch einmal etwas genauer nachgefragt. Dieses Mal gab es allerdings bislang keine Antwort – Herr Unger ist schließlich im Urlaub.
Mr. T.
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Es ist ja recht ruhig geworden um den Lunger, aber so ganz ohne peinliche Geschichtsklittierung kann er wohl auch nicht sein Amt ausklingen lassen. Schade …
Piedro
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Abgesehen von der Lügerei und der unfassbaren Frechheit, der Autorin eigene Worte unterschieben zu wollen: was soll das? Was bezweckt dieser Mensch damit? Was stört ihn an der Formulierung? Vielleicht mag er das nach seinem Urlaub erklären? Immerhin hat er doch ein städtisches Amt und, so sollte man annehmen dürfen, agiert im Interesse der Bürger, wenn schon nicht im Interesse der von ihm beauftragten Autorin.
R.G.
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Religionsgeschichte ist keine kleine Religions- oder Ethikstunde, und auch keine Traumfeen – Schlafgeschichte.
Reale Vergangenheit vermittelt sich hier, wenn man die erhalten gebliebenen Symbole, Bilder und Texte in ihrem damaligen gesellschaftlichen Kontext erfasst.
Da dann mitten in eine Erklärung, wie etwas ehemals gehandhabt und gewertet wurde, reinzukrähen, aber heute sind wir gaaanz lieb, das zeugt für mich im besten Fall von einem Aufmerksamkeitsdefizit, wenn nicht von einem schlechten Scherz.
Dennoch ist hier das letztrangige Problem an der Sache.
Ein Konflikt mit einer ankannten Fachfrau und Autorin über die geschichtliche Bedeutung eines Symbols darf ja sein, wissenschaftlicher Diskurs ist durchaus erwünscht, und es ist nicht mal verboten, sich wichtigtuerisch zu blamieren.
Nicht tolerierbar dagegen ist manipulatives Vorgehen vor Drucklegung.
Geschieht dies als Herauswerfen eines Autors aus einem weit fortgeschrittenen Buchprojekt, nur weil man die Wahrheit eines Details aus der Geschichte nicht veröffentlicht sehen will, bekommt der Ruf des Verlages mit einen starken Kratzer, sollte er dennoch weiter am Projekt festhalten.
Das ist immer noch ein kleineres Problem im Vergleich zu dem, was hier weiter droht.
Wenn in den Fachbereichen, denen die Zensurierte, schließlich geschasste Autorin,
der Zensor,
und die Verlagswelt angehören,
eine einzige bewusste Manipulation zum Ziel gewollter Ergebnisse publik wird, erscheinen nachträglich die Arbeiten vieler Autoren, damit dieWerke aller vorher erschienen Bände, nicht mehr gesichert unter wissenschaftlichen Bedingungen verfasst. Es fällt alles, viellecht ins Bodenlose.
Und was müsste man über die Autoren denken, die sich schließlich als Ersatz bereitfänden?
Der Verlag schließlich sinkt letztlich auch noch im Ansehen auf das Niveau einer Lohndruckerei herab, sollte er Manipulation gutheißen.
Man muss sich gut überlegen, was man im Zustand der vermeintlichen Überlegenheit tut.
Jonas Wihr
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Unger schon wieder im Urlaub? Erst zu seinem 65. Geburtstag dieses Frühjahr war er in Ferien (man munkelt, Jordanien, Petra), jetzt schon wieder… Vielleicht feiert er Überstunden ab, die sich durch das anstrengende Zensurieren ergeben haben. Wir werden es nie erfahren.
XYZ
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Die Judensau im Regensburger Dom gleich neben dem rechten Portal ist ein treffliches Symbol: Andersdenkende sind zu verfolgen!
dünnster Künstler
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..und das kommt dabei raus, wenn der Kulturreferent Unger Kunst macht: http://europabrunnendeckel.de/?p=7673
hans dampf
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Mei da Clemenssss. Etz wirds aber Zeit. Bald hat ers doch gschafft. Ich wünsche einen schönen Ruhestand. Aufbruch zu was Neuem!
Meier mit "ei"
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Wenn der Unger in Rente geht, dann wird er wohl die Geschichte der Domspatzen neu in Schrift bringen! Gesponsert von unserem all so geliebten Gerhard Ludwig in Rom! Da muss der Bene nicht mal Korrekturlesen.
Beobachterin
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Warum wundert mich diese Geschichte nicht? Der Kulturreferent ist nach seinem Vorgänger mit viel Vorschusslorbeer gestartet und schnell entzaubert worden. Mit viel Kapitaleinsatz Feste feiern ohne Evaluation, das konnte er. Die Politik ließ ihn warum auch immer gewähren. Schon bald nach seinem Antritt wünschten sich die Kulturschaffenden seinen Vorgänger zurück. Die Reihe seiner Fehlleistungen ist lang, länger als seine positiven Beiträge. Nach der in den Sand gesetzten Kulturhauptstadtbewerbung waren seine Unterstützer in der CSU-Fraktion geschmolzen wie der Schnee in der Frühlingssonne. Allein ein Artikel in der MZ über seine Leistungen und Führungseigenschaften verbunden mit dem Ausruf, Regensburg habe Besseres verdient, rettete ihm den Job. Schließlich wollten sich CSU und OB nicht vorwerfen lassen, 5 Jahre vorher eine Fehlentscheidung getroffen zu haben. 5 Jahre später kam ihm zu passe, dass der OB in spe, dem er in der “Affäre” Alte Mälzerei geholfen hatte, sich für ihn einsetzte, obwohl die SPD mit ihm von Anfang an unzufrieden war. Wieder 5 Jahre später wurde er mit der Begründung, man dürfe ihn nicht in die “Arbeitslosigkeit” schicken wiedergewählt. Dass dieses Argument falsch war, zeigt die Diskussion um das Ruhegehalt des suspendierten OB.
Es muss als schlichtes politisches Versagen gewertet werden, dass eine dillettierende Persönlichkeit, die kein Fettnäpfchen auslässt, solange die Kulturpolitik unser Stadt beeinflussen konnte.
Hutzelwutzel
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Hat Herr Unger nicht eine Dienstherrin/ einen Dienstherrn? Wo ist die/ der?
Vielleicht braucht es nach dem Abtreten von U. einen Untersuchungsausschuss U., denn mit einer solchen Einstellung dürfte der während seiner ganzen Dienstzeit ähnliche Dinge “verbockt” haben. Mann sollte er klären.
Im Gedenken
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Haidplatz 8
Im Gebäude des Kulturreferats war in den Jahren
von 1899 bis 2019 Kulturreferent Klemens Unger
untergebracht. Oberbürgermeister kamen
und gingen wieder unfreiwillig, Unger blieb. In dem
Haus mussten die “bambule.babys”, durch
Demütigungen geschwächt, zum Appell antreten.
https://www.regensburg-digital.de/experten-ueben-deutliche-kritik-an-museum-stadtarchiv-und-staedtischer-erinnerungskultur/13072018/
Text über Regensburger “Judensau”: Wenn der Kulturreferent zensiert | Archivalia
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[…] https://www.regensburg-digital.de/wenn-der-kulturreferent-zensiert/02082019/ […]
Mathilde Vietze
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Jetzt würden sich so manche wieder den vormaligen Kulturdezernenten Dr. Bernd Meyer
zurückwünschen. Der war zwar mitunter unbequem, hat aber in Sachen Kulturpolitik
etwas geleistet. Herr Unger war eine absolute Fehlbesetzung, ebenso wie Dr. Greipl.
Narrenfreiheit, (hoffentlich) ein letztes Mal » Regensburg Digital
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[…] Wenn der Kulturreferent zensiert, 2. August 2019 […]
Normalbürgerin
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Kommentar gelöscht. Bleiben Sie bitte beim Thema.
Alfred Meier
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Die “Judensau” am Regensburger Dom zeigt, mit welchem Hass und welcher Infamie sich die Religionen über Jahrtausende bekämpften. Wäre es nicht angebracht, dieses unappetittliche Relikt vergangener Zeiten in einem Depot verschwinden zu lassen?