Wenn der Krieg um 11 Uhr aus ist, seid ihr um 10 Uhr alle tot!
„Wenn der Krieg um 11 Uhr aus ist, seid ihr um 10 Uhr alle tot!“ So lautet der Untertitel eines P-Seminars für Geschichte am Neutraublinger Gymnasium, dessen Einzelbeiträge nun in kleiner und gefälliger Buchform vorliegen. Zu Recht wurden die Schülerarbeiten zum KZ-Außenlager Obertraubling vielfach mit Lob und Anerkennung bedacht, auch wenn man Schlagzeilen wie „Kriegszeit aufgearbeitet“ und der Rede, das Thema KZ-Außenlager sei vorher tabuisiert worden, nicht folgen mag.
P-Seminar Geschichte
„P“ steht für Projekt. 15 Seminarteilnehmer der 11. Klasse untersuchten die Thematik „Sterben und Überleben im KZ-Außenlager Obertraubling“ und präsentieren jetzt 14 Aufsätze von unterschiedlicher Qualität und Länge. Thematisiert werden unter anderem das „Konzentrationslager Flossenbürg“ als Stammlager, andere „Außenlager in und um Regensburg“, die Vorgeschichte, die Entstehung und Lebensbedingungen im Obertraublinger Lager. Einer kritischen Analyse des Umgangs mit der Vergangenheit widmen sich fünf Aufsätze.
Vorworte von Schuldirektor, Bürgermeister und ein Nachwort von Ulrich Fritz, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte Flossenbürg, runden die Aufsätze ab. Ein Mittelteil mit historischen Bilddokumenten eröffnet mit selten zu sehenden Abbildungen einen augenfälligen Zugang zu den jeweiligen Aspekten und Problemlagen. Die Geschichtslehrerin und Archivpflegerin Heike Wolter leitete ihre Schüler an und steuerte als eigenen Beitrag Recherchen und verdienstvolle Interviews mit vier Überlebenden des KZ-Außenkommandos bei. Hierfür reiste sie bereits im Vorfeld in die USA.
Sterben und Überleben im KZ-Außenlager Obertraubling
Im Februar 1945 schickte man 600 Häftlinge vom Konzentrationslager Flossenbürg in Begleitung von 50 SS-Männern nach Obertraubling. Auf das Gelände der Messerschmitt-Werke, in denen Kampfflugzeuge der Nazi-Luftwaffe gefertigt wurden. Die Aufgabe des Außenkommandos war es, die Schäden aus den Bombardements der alliierten Verbände an den Flugbahnen zu beseitigen. Sechs Wochen später waren bereits ca. 20 Prozent der Häftlinge tot. Ruhr, Fleckfieber und Typhus brachen aus. Sowohl die körperliche Verfassung als auch die Verpflegungslage der Gefangenen waren desaströs.
Untergebracht wurden sie im sogenannten Casinobau, der ursprünglich für deutsche Offiziere gedacht war, aber – ohne Dach und ohne Fenster – Rohbau blieb. Misshandlungen standen auf der Tagesordnung und Morde sind überliefert. Am 16. April wurde das KZ-Außenlager aufgelöst und die marschfähigen Gefangenen auf den Fußweg nach Dachau geschickt. Nur etwa ein Drittel überlebte den Todesmarsch, einige konnten fliehen.
Rüstungsstandort Obertraubling
Die 600 Häftlinge des Außenkommandos, zumeist Juden, waren nicht die einzigen, die in Obertraubling zwecks Zwangsarbeit festgehalten wurden. Der Messerschmitt-Konzern, seinerzeit einer der bedeutendsten Produzenten von Militärflugzeugen in Nazideutschland, übernahm bereits im Jahr 1940 den vier Jahre zuvor gegründeten Fliegerhorst der Luftwaffe, um diesen zu einem riesigen Produktionsstandort auszubauen. In zwei sogenannten Russenlagern, auf und neben dem Werksgelände, wurden ca. 2.750 russische Kriegsgefangene (Stand Dezenber1942), zumeist Offiziere, interniert und für die Produktion der Flugzeuge herangezogen. Nach der Bombardierung des Regensburger Messerschmitt-Werkes im August 1943 wurden große Teile der Jäger-Produktion nach Obertraubling verlegt.
Mit den folgenden systematischen Angriffen der alliierten Luftstreitkräfte auf alle kriegswichtigen Messerschmitt-Werke gewann der Standort Obertraubling nochmals an strategischer Bedeutung, da er infrastrukturell mit den neuen, für die Alliierten verborgenen, Waldwerken bei Hagelstadt („Gauting“) und Mosshof („Staufen“) verbunden wurde. So wurde vom Obertraublinger Werk aus ab Herbst 1944 der Hauptteil der neuen Kampfflugzeuge in Betrieb genommen und ausgeliefert. Deshalb auch die Gründung eines KZ-Außenlagers, um den essentiellen Start- und Landebetrieb trotz Bombardierung aufrecht erhalten zu können. In den Schülerbeiträgen bzw. in der Einleitung Wolters werden derartige Zusammenhänge kaum ausgeführt.
Vernichtung durch Arbeit
In ihrer extra knappen Einführung stellt Wolter die Aufgabe des KZ-Außenlagers und die Bedeutung des Rüstungsstandorts Obertraubling etwas verkürzt dar. Etwa, wenn sie schreibt, das dortige Außenkommando sei zwar für die Ausnutzung von Zwangsarbeit errichtet worden, es habe „sich aber letztlich als Verschiebestation und für zahlreiche Gefangene als Ort des Todes“ dargestellt. Diese Fehlinterpretation zieht sich durch mehrere Schüleraufsätze, zumal die Zwangsarbeit der 2.750 russischen Offiziere für die Rüstungsproduktion nur am Rande erwähnt und nicht als historischer Kontext aufgearbeitet wird.
Ebenso irritiert der fruchtlose Versuch, zwischen Messerschmitt AG (Augsburg) und Messerschmitt GmbH (Regensburg) trennen zu wollen, wo sich doch der ganze Messerschmitt Konzern dem „Endsieg“ verschrieb und von einem gemeinsamen Betriebsführer und Nazi geleitet wurde. Was aus wissenschaftlicher Sicht unverständlich bleibt, ist der Umstand, dass Heike Wolter nicht als Herausgeberin, sondern als Autorin auftritt, wo doch ihre Schüler die lesenswerten Beiträge geliefert haben und nicht allein sie.
Seitenblick nach Regensburg
Im letzten Beitrag (von Sabrina Schön, die hier stellvertretend für alle anderen Schüler genannt sei) wird die Erinnerungskultur von Obertraubling und Neutraubling, in dessen Stadtzentrum das damalige Messerschmitt-Gelände bzw. das KZ-Außenkommando heute liegt, kritisch besprochen. Erst 2005, sechzig Jahre nach Kriegsende, sei in einer Ausstellung das Außenlager breiter thematisiert und ein Jahr später ein Gedenkstein aufgestellt worden. Zuletzt werden von den Autoren u.a. ein aktives Erinnern und ein Gedenken an die Opfer gefordert. Ähnliches wurde schon einmal in einer Schülerarbeit gefordert.
Damals war es die 11. Klasse der Regensburger Berufsfachschule, die 1983 mit ihrer Arbeit zum Außenlager Colosseum den zweiten Preis im Wettbewerb Deutsche Geschichte des Bundespräsidenten gewann. Die Regensburger Schüler forderten seinerzeit eine Gedenktafel am Gebäude des ehemaligen KZ-Außenlagers Colosseum. Nach anfänglichem Zögern sagte die Stadtverwaltung eine solche zu, erfüllte ihr Versprechen aber nicht. Mitte der 1980er Jahre hieß es dann, den Opfern des Colosseums solle in einer „zentralen Gedenkstätte an alle Opfer des Nationalsozialismus“ gedacht werden. Bei dieser Ankündigung blieb es bekanntlich. Bislang gibt es nur eine Bodenplatte, die die historischen Vorgänge verharmlost, vor dem Gebäude und einen Gedenkstein weit ab.
Ein auf dem Regensburger Evangelischen Zentralfriedhof im Jahr 1950 errichtetes Ehrenmal mit Gedenkstein für die KZ-Opfer (u.a. aus dem Colosseum) hat man bereits 1955 ohne viel Aufhebens entfernt. Laut einer Zusammenstellung des hiesigen Kulturreferats gedenkt man dort stattdessen der „Vertriebenen“ mit einem Gedenkkreuz. Heike Wolter und ihren Schülern sind abschließend mehr Erfolg und größere Unterstützung für ihr Vorhaben zu wünschen als dies in Regensburg der Fall war und ist.
Heike Wolter: „Wenn der Krieg um 11 Uhr aus ist, seid ihr um 10 Uhr alle tot!“. Sterben und Überleben im KZ-Außenlager Obertraubling, edtion riedenburg Salzburg, 2011. Preis: 7,90 €
Historie: Leseempfehlung zur Geschichte! | Die Erste Eslarner Zeitung – Aus und über Eslarn, sowie die bayerisch-tschechische Grenzregion!
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[…] Regensburg-Digital.de | Direktlink Gefällt mir:LikeSei der Erste, dem dieser post gefällt. By mwz Veröffentlicht in Aus […]
Stadtamhoferer
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Die Regensburger Schülerarbeit wurde etwas abgewandelt publiziert.
Peter Brendel u.a. (Hg.): Das Lager Colosseum in Regensburg, in: Dieter Galinski (Hg.): Die Kriegsjahre in Deutschland (Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten), 1985.
Wer sich für die unrühmliche Geschichte des KZ-Außenlagers Colosseum und das Abwehrverhalten der Stadt Regensburg um die Gedenkplatte am Gebäude des ehem. Außenkommandos näher interessiert lese:
Hans Simon-Pelanda: Im Herzen der Stadt. Das Außenlager Colosseum in Regensburg, in: Wolfang Benz u.a.: DACHAUER HEFTE 12, 1996.
Bereits in der Mitte der 1980er Jahre befürchtete man in Regensburg als “KZ-Gemeinde stigmatisiert” zu werden.
Unger tickt heute noch so.
Messerschmitt und Regensburg | Regensburg Digital
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[…] unterirdischen Messerschmitt-Fabrik ab November 1944 in Saal an der Donau mit über 700 Häftlingen, ein zweites im Februar 1945 in der Mitte des Obertraublinger Werks zum Ausbau der Rollbahn mit über 600 Häftlingen und im März 1945 mit über 400 Gefangenen das […]