Weil wir es können
Sehr theoretisch und geistig fordernd betrachtete die Philosophin Prof. Dr. Elif Özmen gestern das Asylrecht aus ihrer fachlichen Sicht. Die Vortragsreihe „Menschen wie Menschen behandeln“ an der OTH Regensburg ging damit in die dritte Runde.
Von David Liese
Wenn eine Philosophieprofessorin vor Publikum spricht, bleibt der Vorlesungscharakter nicht so ganz aus. Das bekommen die gut fünfzig Zuhörer am Montagabend in der OTH Regensburg schnell zu spüren. Hier wird geistig gefordert statt eingelullt; ethische Grundfragen werden auf einem Niveau diskutiert, das an manchen Stellen durchaus an eine Einführungsvorlesung im Philosophiestudium erinnert.
Und doch hat es nicht den Anschein, als würde das Publikum „abschalten“, während Elif Özmen spricht. Die Professorin für praktische Philosophie, Werteentwicklung und zivilgesellschaftliches Engagement an der Uni Regensburg macht den Auftakt zur diesjährigen Vortragsreihe „Menschen wie Menschen behandeln“, die bis zum 24. Juni an der OTH Regensburg läuft.
„Migration gehört zur Entwicklung der Menschheitsgeschichte.”
Özmen spricht unter dem Titel „Über das Recht, Rechte zu haben“ aus philosophischer Sicht über das Thema Asyl. Das spiele in der Fachdiskussion kaum eine Rolle, obwohl es so viele moralische Fragen direkt betreffe. Doch schon eine Trennung von Begriffen wie „Migration“, „Flucht“ und „Asyl“, die auch in der politischen Debatte oft vermischt werden, falle schwer.
„Migration ist überhaupt kein neues Phänomen, sondern gehört zur Entwicklungsgeschichte der Menschheit“, so die Professorin. Doch in der Moderne habe sich die Sicht darauf verändert – sobald man ein „Verständnis von Nationalstaaten“ habe, heiße Migration nämlich auch „Grenzen überschreiten“. Moderne Migrationspolitik sehe dann auch von Staat zu Staat ganz unterschiedlich aus – in Neuseeland etwa werde man schon im Flugzeug mit Videos begrüßt, die einen zur Einwanderung einladen. „Das nenn ich mal eine echte Willkommenskultur“, so Özmen am Rande.
Migrationspolitik = Integrationspolitik?
In Deutschland werde Migrationspolitik hingegen stets als Integrationspolitik verstanden. Die Migranten „sind halt da“ – durch „Integration und vielleicht auch Assimilation“ solle aber langfristig das Ziel verfolgt werden, einen „Prozess zu einem Ende“ zu bringen. In diesem Zusammenhang sei auch der Begriff „Integrationsverweigerer“ interessant. „Der hat eine ganz starke normative Kraft“, so Özmen, „weil er uns sagt, wer schuld ist“ – nämlich diejenigen, die sich „nicht integrieren wollen“.
Ähnlich differenziert beleuchtet Özmen auch „Flucht“ und „Asyl“. Sie zitiert Passagen von Hannah Arendt oder die Genfer Flüchtlingskonvention. Dabei arbeitet sie heraus: „So etwas wie ein Asylrecht kennt das internationale Recht nicht.“ Es bezöge sich lediglich auf bestimmte Privilegien, die nur solange gültig seien, wie ein Flüchtling politisch verfolgt werde. Und zwar ausschließlich durch staatliche Akteure. „Wenn aber beispielsweise in einer Zeitung offen zur Verfolgung von Homosexuellen aufgerufen wird, ist das aus meiner Sicht doch eigentlich auch ein Fluchtgrund.“
Recht auf Asyl wurde „ausgehöhlt”
Anders sehe die Situation in Deutschland aus. Özmen zitiert Artikel 16 des Grundgesetzes, der besagt: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Schlicht und eindeutig – zumindest bis 1993. Dann kam der sogenannte Asylkompromiss. Özmen sieht die gemachten Ergänzungen im Verfassungstext kritisch. „Sie werden kein anderes Grundrecht mit so vielen Einschränkungen finden“, sagt sie, spricht von „Aushöhlungen“ des Rechts. Auch viele Verfassungsrechtler seien dieser Meinung.
Vielleicht am nachhaltigsten in Erinnerung bleibt der Teil des Vortrags, in dem Özmen „moralische und politikethische Gründe“ für das Asylrecht skizziert. Grundsätzlich gäbe es drei Positionen, die man einnehmen könne – eine „amoralische“, die jegliche Pflicht gegenüber Flüchtlingen verneint, eine Verpflichtung „ex gratia“, also aus bloßer Wohltätigkeit, sowie eine, die sich aus einem Gerechtigkeitsverständnis speist. „Wir profitieren von autoritären politischen Regimen – unser ,Glück’ hier drinnen hat etwas zu tun mit deren ,Pech’ da draußen.“ Es gebe eben nicht nur eine Verantwortung „für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“
Nicht, weil wir es sollen, sondern weil wir es können
Özmen plädiert für eine europäische Verteilung von Flüchtlingen, die sich an den Bemühungen der einzelnen Staaten um die Menschenrechtssituation orientiert. Auch Deutschland müsse dementsprechend um ein Vielfaches mehr Menschen aufnehmen. „Ich finde, das würde dieser Rede, man müsse die Fluchtursachen vor Ort bekämpfen, endlich mal Inhalt verleihen.“
In der abschließenden Diskussion fügt Özmen noch ein – für eine Moralphilosophin bemerkenswertes – Statement hinzu. Sie richtet sich damit an diejenigen, die eine rein ethische Begründung des Asylrechts nicht überzeugt. Auch unabhängig vom moralischen „Sollen“ habe Deutschland die Ressourcen, die notwendig seien, um es zu „können“. Das gelte insbesondere im Hinblick auf Länder wie den Libanon, der mehr als eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen habe.
Flüchtlingsaktivist spricht am 22. Mai
Am 22. Mai findet der zweite Vortrag von „Menschen wie Menschen behandeln“ statt. Dann spricht ein Referent mit einem ganz anderen Hintergrund: Omid Moradian, Flüchtlingsaktivist und selbst Asylsuchender. Dessen Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, das ihm keine Flüchtlingseigenschaft zuerkennen will, wurde im Januar vom Verwaltungsgericht Regensburg abgewiesen. Der Titel seines Vortrags: „Kein Asyl trotz Verfolgung.“
Organisiert wird die Vortragsreihe vom Arbeitskreis für Ausländische Arbeitnehmer (a.a.a.) in Zusammenarbeit mit der BI Asyl, dem Forum Sozialwissenschaften der Hochschule Regensburg, der ver.di Jugend und der Petra Kelly Stiftung.