Wegen 33 Euro strittiger Spesen: IKEA Regensburg will engagierten Betriebsrat rauswerfen
IKEA spricht von „Spesenbetrug“ und „Arbeitszeitbetrug“, der Anwalt des Betroffenen von „Kampfbegriffen“ und haltlosen Vorwürfen. Auch bei der zweiten Runde vor Gericht um die Kündigung eines Betriebsrats bei dem Möbelkonzern bleiben die Fronten verhärtet. Im Kollegenkreis spricht man von Schikane und Angstmacherei.
Das Interesse ist groß. Gut zwei Dutzend Zuhörerinnen und Zuhörer haben sich im Sitzungssaal 1 des Arbeitsgerichts Regensburg eingefunden. Viele tragen Buttons und T-Shirts mit der Aufschrift: „Ludwig muss bleiben! So nicht, IKEA!“ Gemeint ist der Betriebsrat Ludwig Doblinger, den die Regensburger Filiale des schwedischen Möbelkonzerns loswerden will.
Im Zentrum des Streits stehen angeblich zu hoch abgerechnete Spesen für Mittagessen während eines Treffens des Gesamtbetriebsrats in Fulda. Der in Rede stehende Schaden: 33 Euro, verteilt über drei Tage. Bereits im letzten November hatten wir über den ersten Prozesstag berichtet, an dem eine gütliche Einigung scheiterte.
Was ist ein Snack?
Nun geht es um Details. Neben IKEA-Anwalt Jan-Hendrik Braun sitzt dieses Mal nicht mehr die Personalchefin, sondern der Leiter der Regensburger IKEA-Filiale. Da der Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung von Ludwig Doblinger verweigerte, will man sich diese Zustimmung nun durch eine Gerichtsentscheidung ersetzen lassen.
Erneut erhebt Rechtsanwalt Braun schwere Vorwürfe gegen Ludwig Doblinger: „Spesenbetrug“ und „Arbeitszeitbetrug“ – und stellt damit eine Straftat in den Raum. Immer wieder betont er, dass es bei dem Betriebsratstreffen „Fleischspieße, Suppe und Salat“ gegeben habe, was ein vollwertiges Mittagessen sei und Doblinger dies hätte angeben müssen. Ein Snack sei laut den IKEA-Richtlinien nur Chips, ähnliches Salzgebäck oder ein Müsliriegel.
Auch sei es unglaubwürdig, wenn Doblinger angebe, dass er auch während der Kaffeepausen (jeweils 15 Minuten) seiner Tätigkeit nachgehe. Der Betriebsrat gebärde sich wie jemand, der über den Dingen stehe und sich nicht an Regeln halten müsse. Darauf müsse der Arbeitgeber reagieren.
„Seit Jahren gängige Praxis – jetzt plötzlich ein Kündigungsgrund.“
Doblingers Rechtsanwalt Rüdiger Helm wehrt sich vehement gegen die Verwendung strafrechtlich relevanter Begriffe. Dies seien „Kampfbegriffe“ des Arbeitgebers. „Ein Dissens über die Spesenabrechnung ist kein Betrug.“
Sein Mandant habe es wie immer gemacht: Im Vorfeld des Betriebsratstreffens habe er sich informiert, ob ein Imbiss oder ein Mittagessen bestellt worden sei – und nach dieser Angabe („Imbiss“) habe er sich auch bei seinen Angaben gerichtet.
Das sei seit Jahren die gängige Praxis gewesen und nie problematisiert worden. „Jetzt ist es plötzlich ein Kündigungsgrund.“ Vernünftig angehört oder befragt worden sei Doblinger zu diesem möglichen Missverständnis nie. Der 47-Jährige selbst sagt vor Gericht: „Es gab keine Gespräche. Es wurde gleich mit dem Hammer draufgeschlagen.“ Bemerkenswert: Folgt man den Ausführungen vor Gericht, dann war Doblinger der einzige Betriebsrat, bei dem diese Angaben so genau überprüft wurden.
Kollegen vermuten Schikane und Angstmacherei
Rechtsanwalt Norman Hagel, der den Regensburger Betriebsrat, der die Zustimmung zur Kündigung verweigert hatte, als Gremium vertritt, sieht das ähnlich. Es habe offenkundig seit vielen Jahren keine eindeutige Unternehmenspraxis gegeben. Doblinger habe es so gemacht wie immer und das auch erklärt. „Wo soll da eine Schädigungsabsicht sein?“
Nicht nur deshalb vermuten mehrere Kolleginnen und Kollegen, die den Verhandlungstag am Donnerstag verfolgen, dass der Möbelkonzern hier einen engagierten Betriebsrat loswerden will. Doblinger sitzt nicht nur im Betriebsrat in Regensburg, sondern auch in mehreren Ausschüssen, dem Gesamtbetriebsrat für Deutschland und Europa. „Er schaut dem Arbeitgeber eben genau auf die Finger und nimmt kein Blatt vor den Mund“, sagt ein Prozessbeobachter. „Das gefällt denen nicht. “
Betriebsratsanwalt: „Da ist einfach ordentlich Druck im Kessel.“
Eine weitere Vermutung: Da im nächsten Jahr Betriebsratswahlen anstehen, versuche das Unternehmen mit solchen Prozessen und im Zweifel strafrechtlich relevanten Vorwürfen, Angst zu schüren. „Dabei ist es jetzt schon nicht besonders einfach, Leute zu finden, die sich im Betriebsrat engagieren wollen.“
Während es sich hierbei lediglich um Vermutungen abseits des Gerichtssaals handelt, wird Rechtsanwalt Hagel auch dort etwas deutlicher. Doblinger sei angesichts seines Engagements und seiner Ämterfülle als Betriebsrat schon länger unter Beobachtung der Filialleitung gestanden. „Da ist einfach ordentlich Druck im Kessel.“
Richterin Sarah-Maria Sterflinger, Vorsitzende der 3. Kammer am Arbeitsgericht Regensburg, muss gelegentlich dazwischen gehen, damit vor allem die Wortwechsel zwischen den Rechtsanwälten Braun und Helm nicht ausufern. Ein neuerlicher Versuch, die beiden Parteien zu einer Einigung zu bewegen, scheitert. Ob nun ordentlich oder außerordentlich: Für IKEA kommt nur eine Kündigung in Frage, die wiederum Doblinger ausschließt.
Wurde die Frist eingehalten?
Und so wird ein neuerlicher Verhandlungstermin festgesetzt – dieses Mal auf Mitte Juni. Eine zentrale Frage, welche die Kammer entscheiden muss, ist, ob die ausgesprochene Kündigung nicht schon allein deshalb hinfällig ist, weil der Arbeitgeber die entsprechende Frist versäumt hat.
Grob gesagt muss eine außerordentliche Kündigung 14 Tage nach dem Bekanntwerden der Gründe bzw. Vorwürfe ausgesprochen werden. Ab dem Zeitpunkt, zu dem die stellvertretende Filialleiterin Doblinger damit konfrontiert und die Sache an die Rechtsabteilung weitergegeben hatte, vergingen allerdings mehrere Wochen, bis die Kündigung ausgesprochen wurde.
IKEA stellt sich auf den Standpunkt, dass der kündigungsberechtigte Filialleiter dies erst später erfahren habe und die Kündigung deshalb fristgerecht erfolgt wäre. Doblingers Rechtsanwalt Rüdiger Helm hingegen bezeichnet die Klage des Arbeitgebers allein schon aufgrund dieser versäumten Frist als „abweisungsreif“.
Daniela
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Ich hoffe, dass die Klage abgewiesen wird, wegen des Fristablauf bei außerordentlicher Kündigung.
Im Umkehrschluß würde es bedeuten, wenn kündigungsberechtigte Unternehmensbeauftragte nicht (z.Bsp. wegen mehrwöchiger Krankheit) in Kenntnis gesetzt werden können, ist die außerordentliche Kündigung frei von Frist. Nach meiner ( laienhaften) Meinung ist es Aufgabe des Unternehmens, die Vertretung eines zur Kündigung Autorisierten, für die Zeit dessen Abwesenheit, im gleichen Umfang zu autorisieren. In digitalen Zeiten muss es zudem möglich sein, Fristen und Kündigungsanliegen binnen weniger Stunden mit der Rechtsabteilung des Unternehmens klären zu können, so dass die Fristen eingehalten werden.
Bepp
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Naja wenn man was finden will findet man auch was…
Und wenn man mehr als eine Packung Salzbrezeln im Flieger bekommt (Fleischspieße, Suppe und Salat sind nun mal eine Mahlzeit, wenn man ein beschissenes trockenes Sandwich bekommt im Flieger mittags ziehen sie Dir 40 % des Verpflegungsaufwands ab) dann ist das halt mindestens fragwürdig.
Ich bin’s
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Der Klassiker…
Man findet immer eine Abweichung in der Spesenabrechnung – wenn man danach sucht.
Wer MA loswerden will, dem gelingt das auch!
Manfred Martin
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Ikea war noch nie als guter Arbeitgeber bekannt.
Wenn eine Firma aber schon eine 33,00€ Spesenabrechnung als Kündigungsgrund einsetzt, frag ich mich, ob wir dort noch einkaufen sollten!
Die Schwarz Gruppe (Lidl – Kaufland) meide ich schon seit Jahren, da diese als schlechter Arbeitgeber schon bekannt ist!
Kohlert
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Als ehemaliger Betriebsrat kann ich hier nur zustimmen, solche Firmen sollte man nicht berücksichtigen. Ganz schlimm ist hier der XXX Lutz, da schaut es mit Betriebsräten ganz schlecht aus.
tom lehner
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Für dieses Land und seine Zukunft wünsche ich mir viele, viele Claus Weselskys . Gewerkschaftler die den Vorständen und Verantwortlichen aufzeigen welche Verantwortung sie haben und das die Menschen die dieses System tragen es verdienen anständig behandelt und bezahlt zu werden. Es liegt aber auch in unserer Verantwortung solidarisch zu sein. Ein “Einkaufsfreier Samstag” wäre ein gesellschaftliches Zeichen für diese Art der Unternehmensführung. Konzerne wie Amazon, Tesla oder auch Ikea darf ruhig klar gemacht werden das es ohne die Menschen schwierig wird Möbel und Krimskrams zu verkaufen.
Gerade unsere Solidarität ist es die Zeichen setzt. Erst die Berichterstattung und die öffentliche Diskussion brachte am Uniklinikum den Durchbruch für eine adäquate Bezahlung der Reinigungskräfte. Das hatte sich die Klinikleitung ganz anders vorgestellt. Selbst ein Polizeieinsatz wurde da seitens der “Großkopferten” in den Raum gestellt.
In der Arte Mediathek ist die Dokumentation “Wie Ikea unseren Planeten plündert” zu sehen. Vielleicht fällt es dann leichter sich solidarisch zu zeigen.
Das Vorgehen der IKEA Verantwortlichen ist doch nur ein mieser, billiger und schändlicher Versuch einer Arbeitnehmervertretung und deren handelnden Personen ins Knie zu schiessen.
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Hallo Herr/Frau Kohlert,
können Sie das bitte erklären, warum es bei XXXLutz (respektive hier als direkter Nachbar zu IKEA Regensburg) mit den Betriebsräten ganz schlecht ausschaut? Wo waren Sie frühers Betriebsrat?
Max D.
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@.
Googeln Sie doch einfach mal XXX Lutz und Betriebsrat. Selbst die Bildzeitung hat über die miesen Machenschaften des Möbelriesen berichtet, wenn es darum geht, einen Betriebsrat zu verhindern. Und das Blatt ist ja nicht gerade als Gewerkschaftszeitung bekannt.
Günther Herzig
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Max D.
2. März 2025 um 17:14 | #
Was ist daran auszusetzen, wenn die Inhaber von Firmen keinen Betriebsrat wollen. Dass ein Betriebsrat eingerichtet werden darf, ist unstreitig. Aber, wenn die Betriebsangehörigen mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden sind, braucht es doch keinen Einfluss von außen!
tom lehner
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@ G. Herzig
Ach Herr Herzig. Ich glaube das viele Unternehmen froh wäre keine Personalvertretung oder Betriebsräte zu haben.
Ich bin ja schon froh das Sie es für “Unstreitig” halten das ein Betriebsrat installiert “Werden darf” und wir alle sind froh das dies gesetzlich hinterlegt und geregelt ist.
Warum das so wichtig ist wissen wir alle. Nicht erst seit den Vorgängen rund um das Reinigungspersonal am Uniklinikum. Amazon, Tesla und viele andere “Arbeitgeber” würden sich ohne Arbeitnehmervertretung bestimmt wohler fühlen. Manch ein Unternehmen versucht es auch mit unlauteren Mitteln, bzw. versucht es mit Diskreditierung der Arbeitnehmervertretung.
Elon Musk schließt sich Ihnen bestimmt gerne an und schickt den “Unzufriedenen und Kranken” ein Team der Personalabteilung zur persönlichen Betreuung und Motivationsarbeit vorbei.
Wie weit es mit der Freiwilligkeit und “Good Will” der Unternehmen in diesem Land bestellt ist wissen wir alle. In vielen Bereichen ist das eine sehr einseitige Angelegenheit.
Das Arbeitnehmervertretungen die Situation in Unternehmen und Betrieben durchaus verbessern ist “Unstreitig” und zudem wissenschaftlich in vielen Studien belegt. Nebenbei steigt so auch die “Zufriedenheit” der Arbeitnehmer*Innen, was der Arbeitsleistung bestimmt nicht abträglich ist.
Wir brauchen tausend Claus Weselskys
Günther Herzig
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@tom lehner
3. März 2025 um 09:53 | #
Das Betriebsverfassungsgesetz ist eine unverzichtbare Errungenschaft. Mein Anliegen war allein darauf hinzuweisen, dass es Arbeitgeber gibt, die so perfekt mit ihren Mitarbeitern umgehen, dass ein Fehlen des Betriebsrats nicht als ein Mangel empfunden wird.
Wolfgang Theine
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Kommentar gelöscht. Ihre Annahmen und Schlussfolgerungen sind in mehreren Punkten falsch.
Max D.
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@Günther Herzig
“Mein Anliegen war allein darauf hinzuweisen, dass es Arbeitgeber gibt, die so perfekt mit ihren Mitarbeitern umgehen, dass ein Fehlen des Betriebsrats nicht als ein Mangel empfunden wird.”
Zu diesen Arbeitgebern gehört XXX Lutz aber ganz offensichtlich nicht. IKEA möglicherweise ebenso wenig.
Verena
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Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken.
Zusammenarbeit mit Betriebsräten: 0
Geld rauswerfen für Rechtsanwälte: 10
Dysfunktionales Unternehmen!
Oder wie soll man es nennen, wenn von 4 Kassen nur 1 funktioniert?
Unternehmensleitung: ungeeignet fürs BetrVG und damit für DE.