31 Mrz2012
Singlehauptstadt Regensburg
Warum Frauen aus- und Männer davonlaufen
Anfang des Jahres hat GfK Geomarketing verkündet, dass Regensburg seinen Titel als Singlehauptstadt verteidigt hat. Sieht so aus, als ob sich besagte Zielgruppe was Neues einfallen lassen müsste für die Liebe. Sind Speed-Dating, Single-Stadtführung und Elite-Partner denn tatsächlich hilfreich, einsame Herzen einander näher zu bringen? Ach was!
Glaubt man der Werbung, sind Frauen ziemlich eklig. Noch in den 60er Jahren wusste frau noch ganz genau, was sie wollte: Der Slogan „Bauknecht weiß, was Weiber wünschen“ (zu finden im historischen Werbefunk-Archiv der Uni-Regensburg), umschrieb recht plakativ das Frauenbild. Das hat sich deutlich gewandelt. Der Anteil an Werbespots für Monats- und Inkontinenz-Artikel steigt stetig. Dauernd sind wir aufgebläht wie ein Heißluftballon und an Verstopfung leiden wir auch noch. Spätestens ab 39 fürchten wir die Vollglatze und über die mit Hyaluron aufzufüllenden Falten schweigt sich die Dame von Welt lieber aus.
Es braucht richtige Männer? Ja, welche denn? Mit dem „letzten Bullen“ feiert der geneigte Schimanski-Liebhaber eine Renaissance. Er raucht überall die Bude voll, klebt seine Socken abends gemütlich an den Garderobenschrank und fühlt sich auch sonst in der Rolle des einsamen Wolfs pudelwohl. Daneben versucht sein Monchichi-Kollege verzweifelt seine weiblichen Seiten heraus zu kehren.
Was medial verschwiegen wird: Männer sollen männlich, aber weich, sinnlich aber reich und intelligent, doch blöd genug sein, um sich nach allen Regeln der Kunst binden zu lassen. Das muss auch so sein, da so mancher Delinquent von der Pubertät nahtlos in die erste Phase der Midlife-Crisis übergeht. Je nach Geldbeutel werden Männer mit der Zeit zum Fall für das Porsche-Zentrum oder für den Orthopäden, weil man für Marathon schlichtweg zu alt ist. Neurotisch stürzen sie sich in jegliche greifbare Verbindung mit Brüsten, mit dem einzigen Ziel, dass es bei der nächsten besser läuft. Das sind einige Ergebnisse von inoffiziellen Studien im Regensburger Nachtleben, mit dem Resultat, dass es einen hohen Anteil bindungsunfähiger Männer gibt. Schuld daran ist die erste Frau in deren Leben, und wie es der Teufel will, war das die Mutter.
Was die Frau unter dem Deckmänteln Harmonie und Familie zusammenhielt hat ein modernes Maß an Individualität hervor gebracht. Unterschiedlicher als heute könnten die jeweiligen Lebensentwürfe nicht sein. In der Hosentasche tragen wir die Check-Liste herum und zählen zu Hause die „Dos“ and „Don’ts“ des vergangenen Beute-Abends. Kein Wunder, dass so mancher frustriert den Deckel seines Laptops aufklappt und sich bei der Internet-Single-Börse seines Vertrauens einloggt. Für das Geschäft mit der Einsamkeit gibt der Deutsche jährlich 188,9 Millionen Euro aus. Daten werden gesammelt, Erwartungen aufeinander up-gedatet, angeblich, damit schmallippige Gutmenschen zwei Herzen auf 2.0 bringen können.
Wenn das so ist, muss es ja doch einen großen „Markt“ geben. Wo liegen die Gründe, neben dem Aussterben der Menschheit, um sich aneinander zu binden. Sich „vertragen“ kommt von „Vertrag“. Muss man den denn neu aushandeln? Vielleicht kann man sich aber auch mit einem Satz aus der Bibel retten, auch wenn das in ausgerechnet diesem Medium eher selten vorkommt: „Du sollst Dir kein Bild von mir machen“. Wenn man also privat ohnehin nichts besseres vor hat, kann man ja mal im Selbstversuch folgendes Experiment wagen.
Erwartungen fallen vom Kopf. Ängsten geht die Luft aus und Luftschlösser werden Auslaufmodelle. Mit etwas Glück wird im Gehirn Platz, den man sinnvoll füllen kann, frei. So verkehrt liegt die Werbung also gar nicht. Man wird im Laufe des Lebens einiges los. Warum nicht das, womit man sich selbst im Wege steht? Vielleicht ist der neue Partner ja gesund und mutig genug, sich als Individuum zu leben. Die einzige Frage ist, was einem dieser Weg bringt. Glück? Na, das wäre doch mal eine Entscheidung. In diesem Sinne: Seid glücklich, und sprecht darüber. Schönes Wochenende!
Wolfram Heinrich
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Der Slogan „Bauknecht weiß, was Weiber wünschen“ (zu finden im historischen Werbefunk-Archiv der Uni-Regensburg), umschrieb recht plakativ das Frauenbild.
Ganz so rüde war man damals auch nicht. Die Rede war von Frauen, nicht von “Weibern”.
Ciao
Wolfram
Anka
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Richtig! Den Slogan gab’s 1956 tatsächlich. Dazu muss man aber sagen, dass das vor der Emazipationsbewegung war, wo ein echtes “Weib” noch positiv besetzt war. Danach erst kam die (unsauber interpretierte) Reduzierung des Wortes auf die Hausfrauenrolle. Zeiten ändern sich und die Werbung kann eine spannende Fundgrube dafür sein.
Wolfram Heinrich
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@Anka
Richtig! Den Slogan gab’s 1956 tatsächlich.
Ich glaubs ja nicht. “Bauknecht weiß, was Frauen wünschen” liefert mir bei Google 130.000 Nennungen, die Variante mit “Weiber” dagegen nur 5 – und die sind allesamt von “Regensburg digital”.
Dazu muss man aber sagen, dass das vor der Emanzipationsbewegung war, wo ein echtes “Weib” noch positiv besetzt war. Danach erst kam die (unsauber interpretierte) Reduzierung des Wortes auf die Hausfrauenrolle.
Im Bairischen ist “Weiber”, “Weibsbild”, “Weibsleute” immer noch gebräuchlich, wenn auch zunehmend mit einem Augenzwinkern verwendet. Ursprünglich war ja “Weib” das ganz neutrale, beschreibende Wort für eine verheiratete weibliche Person, während die “Frau” (“vrouwe, abgeleitet von “vro” = Herr) die Herrin war, also die Frau von Adel und Stand.
Ciao
Wolfram
Wolfram Heinrich
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Was die Frau unter dem Deckmänteln Harmonie und Familie zusammenhielt hat ein modernes Maß an Individualität hervor gebracht. Unterschiedlicher als heute könnten die jeweiligen Lebensentwürfe nicht sein.
Ein kleiner Beitrag meinerseits zur Philosophie der Vermehrung:
“Die Kunst aller Verführerinnen”, so sagte man mir einmal in einer Internet-Diskussion, “liegt darin, den Mann glauben zu machen, er sei einzigartig.”
Sag nicht, das sei Unfug. Das braucht’s vielmehr, das ist der übliche Schmäh, den man in solchen Situationen absondert. Jeder weiß zwar, daß es 1 Schmäh ist, aber wenn man ihn nicht absondert ist es auch nicht recht. Weil?
Weil, wenn es aus ist und er/sie dir zuvor süßen Unfug ins Öhrli geflüstert hat, dann kannst du losschreien und ihr/ihm all die gebrochenen Versprechungen vorwerfen. Das erzeugt dann jenes wunderbar schlechte Gewissen, über das sich der Psychotherapeut so freut, weil es ihm das Ein- und Auskommen sichert.
Wenn er dagegen sagt: “Hömma, Ilse, ich fänd es rasend nett, wenn ich eine Frau hätt. Du wärst nicht die schlechteste, nö. Ich schlag also vor, wir fangen uns was an, schaumermal, obs hält und wenn ja, wie lange…”
Mit so einem Spruch machst du bei Ilse keinen Stich, denn Ilse denkt an die Zukunft. Weil, wenns aus ist, kann sie dir – wie gesagt – nix vorwerfen. So was ist doch nicht seriös, so was.
Anka
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Oh Mann! “Ilse, Ilse, keiner will se!” Vielen Dank lieber Wofram! Das ist doch mal ein Wort! Schön, dass Du auf den Sprachgebrauch des Mittelalters eingehst, wo wîp gern als Kurzform von edelwîp verwendet wurde, durchaus mit vorromantischen Anleihen, in Gedichten an die Angebetete. Der Kommentar lebt ja von absichtlichen Übertreibungen, und wenn er mehr Offenheit provozieren würde, wäre das natürlich das Königsziel. Leider läuft das oft nicht so, und die Leut verstricken sich (freiwillig) in Lippenbekenntnissen. Eine Lösung ist ja auch nicht in Sicht, da es heute auch keine Abhängigkeiten sein können, was den Kitt zwischen den Geschlechtern ausmacht.
Aber glaubst Du, dass “wir” zwingend an nichts als die Zukunft denken? Ich helfe mir mit einem Zitat aus Kungfu Panda: “Gestern ist Geschichte, morgen ein Geheimnis, doch heute ist ein Geschenk”.
Wolfram Heinrich
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@Anka
Oh Mann! “Ilse, Ilse, keiner will se!” Vielen Dank lieber Wofram!
Nein, nein, der Mann in meinem Beispiel, der willse ja, die Ilse. Er will sich nur nicht an sie und sie nicht an sich ketten.
Unendlich viele Probleme in Paarbeziehungen entstehen doch dadurch, daß die Partner einander brauchen oder – schlimmer noch – daß der eine Partner den andern ganz notwendig braucht, der andere ihn aber nicht, oder nicht in diesem Ausmaß. Die Partner bleiben zusammen, weil sie aneinandergekettet sind.
Wenn die beiden Partner einander sagen können “Es ist wunderbar, daß es dich gibt, es ist noch viel wunderbarer, daß es dich hier gibt, aber im Grunde könnte ich auch ohne dich ganz gut leben, ich habe es immerhin schon vor unserer Partnerschaft viele Jahre lang getan”, dann bleiben sie zusammen, weil sie auseinandergehen könnten .
Wenn du etwas liebst, dann laß es frei. Kommt es zurück, dann gehört es dir, kommt es nicht zurück, hat es dir nie gehört. Bindung durch Nicht-Bindung, ich weiß, das ist paradox. Aber richtig, wie mir scheint.
Aber glaubst Du, dass “wir” zwingend an nichts als die Zukunft denken?
Nein, nein, natürlich nicht. Das war nur sarkastisch überzeichnet. Die Verhaltensweisen beim Balzen sind so eingeschliffen, da braucht keiner mehr bewußt an irgend etwas denken. Wenn du als Mann der Ilse süßen Unsinn von ewiger Liebe ins Ohr flüstert, dann kommst du viel eher “zum Schuß” und kannst dich am Morgen danach davonmachen, als wenn du ihr das sagst, was mein Beispielsmann zu ihr sagt. Ilse wird sich für den Öhrliflüsterer entscheiden und verpaßt damit die – wahrscheinlich – sehr viel dauerhaftere Beziehung zum lebensweisen Mann meines Beispiels.
Es gibt Lebensbereiche (der Beruf etwa), in denen zielstrebiges Wollen zum Erfolg führt. Es gibt andere Lebensbereiche, in denen diese Zielstrebigkeit genau zum Gegenteil führt, beim Einschlafen-Wollen etwa oder der dauerhaften Paarbeziehung. Wer seinen Partner durch physische oder psychische Gewalt an sich bindet, der behält ihn vielleicht, hat ihn aber durch diesen Druck längst verloren.
Ciao
Wolfram
Wolfram Heinrich
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Wer seinen Partner durch physische oder psychische Gewalt an sich bindet, der behält ihn vielleicht, hat ihn aber durch diesen Druck längst verloren.
Nachtrag dazu:
Trauring, aber wahr.
Anka
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@Wolfram
“Wer seinen Partner durch physische oder psychische Gewalt an sich bindet, der behält ihn vielleicht, hat ihn aber durch diesen Druck längst verloren.”
Das würde ich als das klassische “Spielchen spielen” verstehen, das im Manipulieren des Partners mündet. Gewalt bleibt ein Nogo, egal in welcher Form! Bleibt anzumerken, dass das Opfer sich auch einst freiwillig in dieses Gefängnis begab (mangelndes Bewusstsein). Die Reise in die eigene Unabhängigkeit zu entdecken ist spannend. Und wenn man auf dem Weg dahin einen besonderen Menschen aufgabelt, ist es eine Bereicherung, ihn zu beachten, keine Belastung. Leider gibt es einfach Menschen, die versuchen den Job des Glück-findens lieber Außenstehenden aufzubürden. So entstehen wohl die Ketten, die mir auch vertraut sind. Doch wie wir sehen, sind das neurotische Symbiosen, die über Jahre hinweg funktionieren können. Muss sich aber auch nicht jeder für entscheiden, das ist dann Geschmacksache. Mein Geschmack ist das auch nicht.
Herzliche Grüße und einen schönen Sonntag Dir (und Ilse?)
Anka
Wolfram Heinrich
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@Anka
Gewalt bleibt ein Nogo, egal in welcher Form!
Wenn man die subtile, psychische Gewalt dazunimmt, dann kommt man auf verdammt viel Gewalt und es bleiben eigentlich nur wenig gewaltfreie Bereiche unseres Lebens.
Bleibt anzumerken, dass das Opfer sich auch einst freiwillig in dieses Gefängnis begab (mangelndes Bewusstsein).
Das ist sicher in den meisten Fällen richtig.
Doch wie wir sehen, sind das neurotische Symbiosen, die über Jahre hinweg funktionieren können. Muss sich aber auch nicht jeder für entscheiden, das ist dann Geschmacksache.
Ach, wenn man sich denn dafür oder dagegen entscheiden könnte. Im Regelfall ist man der Gefangene seiner eigenen Biographie und tappt von einer Gefängniszelle in die nächste. Da sucht der eine ein Lebtag lang nach einer Beziehung und findet keine richtige oder gar keine, während der andere eine Beziehung hat und diesen Umstand verflucht.
Dir auch schönen Sonntag
Wolfram
Pragmatiker
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Worum geht hier denn? Ich kapiere weder den Artikel noch die Diskussion darunter.
Dubh
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Geht mir übrigens auch so.
Man schwadroniert so rum im Artikel wie in der Diskussion.
Laufen jetzt die Männer davon, weil sie dank Werbung wissen, dass Frauen von der Wiege bis zur Bahre Windeln benötigen?
Stimmt, DAS wussten wir allerdings nicht immer, wir dachten früher, die hätten wie die meisten Männer ne Pause dazwischen.
Nach mehrmaligem Lesen bin ich aber immerhin zu dem Schluß gekommen, dass heutzutage offenbar wieder die Geschlechterrollenstereotypen der 1950er Jahre fröhliche Urständ feiern – wenn ich hier von generell bindungsunfähigen, – willigen Männern lese und Frauen, denen man ewige Liebe schwören muss, damit mann zum Schuß kommt…………..
Heiligs Blechle!
Da dachte man doch glatt, wenigstens sowas wäre mit Oswald Kolle, 68 und den anschließenden frei fröhlich vögelnden 70ern für ne Weile vom Tisch – und zack nach gut 30 Jahren ist alles wie nie passiert.