Walter Boll statt Hildebrand Gurlitt
Als sich der Regensburger Stadtrat auf der Suche nach einem Konservator für die städtischen Sammlungen 1928 für Walter Boll entschied, beeinflusste das auch das Leben des bekannten Kunsthistorikers und Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt.
Nach Jahren des Zauderns und Verschiebens handelte der Stadtrat endlich. Ende 1927 beschloss er, einen „hauptamtlichen Konservator für die Betreuung der hiesigen Kunst- und Altertumsschätze“ anzustellen. Gesucht wird ein promovierter Kunsthistoriker mit „Organisationstalent, Verständnis für die heimatgeschichtlichen Aufgaben einer mittleren Stadt, ihre Denkmalpflege und ihre moderne Kunstbetätigung“. Bayerische Staatsbürger werden bevorzugt, heißt es in der Stellenanzeige von 1928.
Die Völkisch-Konservativen wollen Boll
Solche Stellen waren seinerzeit selten und sehr begehrt. Es bewerben sich 27 Männer, aber keine Frau. Nur zehn Bewerber haben die bayerische Staatsangehörigkeit, fast alle sind promoviert. Da sich der Personalausschuss der Stadt nicht in der Lage sieht, unter den Bewerbungen eine geeignete Person auszuwählen, wird eine dreiköpfige Sachverständigenkommission berufen, deren Mitglieder alle in Bayern tätig sind (was der kommunistische Stadtrat Konrad Fuß monierte). Die Kommission besteht aus einem christlich-konservativen Konservator und zwei deutschnational-völkischen Heimatschützern, deren völkische Ideologie 1933 nahtlos im Nationalsozialismus aufgeht.
Der Stadtrat entscheidet sich bei zwei Gegenstimmen für den 28-jährigen Walter Boll, obwohl der kein Bayerischer, sondern Württemberger Staatsbürger ist.
Gurlitt: in Regensburg nicht genommen, in Zwickau geschasst
Unter den 27 Bewerbern waren auch erfahrene Museumsleiter. So hatte sich beispielsweise der damalige Direktor des König-Albert-Museums Zwickau, der 1895 geborene Dr. Hildebrand Gurlitt, auf die Regensburger Stelle beworben. Die Stellenausschreibung schien genau zu ihm zu passen. In Zwickau, damals etwa so groß wie Regensburg, war er seit 1925 als Förderer und Aussteller von zeitgenössischer und moderner Kunst angeeckt. Konservative, Völkische und Nazis agierten gegen ihn, die knappen städtischen Finanzen deuteten schon Anfang 1928 darauf hin, dass das Museum geschlossen bzw. sein Vertrag nicht verlängert werden würde. Deshalb die Bewerbung auf die Stelle Regensburg, die für ihn sehr attraktiv gewesen sein dürfte.
In Regensburg nicht genommen, in Zwickau geschasst, muss Gurlitt sich 1930 nach der einer anderen Stelle umsehen. Ab 1931 ist er Leiter des renommierten Hamburger Kunstvereins, bis er 1933 vom dortigen Nazibürgermeister erneut entlassen wird. In der Folge passt sich Gurlitt an, ab 1937 verkauft er im Auftrag des NS-Regimes als Kunsthändler aus deutschen Museen geraubte sogenannte „Entartete Kunst“. Hauptsächlich ins Ausland. Teilweise erwirbt er damals auch Kunstgegenstände für sich selber, oder er verscherbelt und tauscht sie innerhalb des Deutschen Reichs, was eigentlich verboten ist.
Die Affäre Gurlitt 2012
In den 1940ern wird Gurlitt sogar einer von vier Einkäufern von Kunstwerken für das sogenannte Führermuseum in Linz. Provenienz: zumeist Raubkunst. Dass Gurlitt mit seiner Großmutter jüdischer Herkunft (1824 geboren, noch als Kind christlich getauft) nach NS-Gesetzen als „Vierteljude“ gilt, das nehmen die entscheidenden NS-Funktionäre widerwillig hin. Sie brauchen ihn als höchst qualifizierten und bestens vernetzten Fachmann, um an die gewünschten Kunstgegenstände zu kommen.
Nach Zerschlagung des NS-Regime agiert Gurlitt weiter erfolgreich als Kunsthändler. Nach seinem Unfalltod von 1956 fällt die riesige Sammlung, darunter von den Nazis verfemte Kunst, letztlich an den Sohn Cornelius. Dieser lebt davon und behütet sie in seiner Schwabinger Wohnung, bis die zuständige Zollfahndung 2012 die Wohnungstür aufbricht und alles beschlagnahmen lässt. Einen Teil davon vermacht der 2014 verstorbene Cornelius Gurlitt dem Museum der Stadt Bern. Die Affäre Gurlitt hat als „Schwabinger Kunstfund“ die Kunstszene monatelang in Atem gehalten und das unerledigte Thema NS-Raubkunst wieder nach oben gespült.
Doch auch der Privatmann Walter Boll hat übrigens verfemte Kunst gesammelt. Im Jahre 2011, also kurz bevor der Schwabinger Kunstfund auf allen Kanälen zu hören und sehen war, wurde seine Sammlung großenteils versteigert. Laut Stefan Reichmann sammelte Boll unter anderem Werke von Pechstein, Corinth und Nolde.
Gurlitt: Zu modern und jüdisch für Regensburg
Die im Stadtarchiv erhalten gebliebenen Akten geben nicht preis, warum die dreiköpfige Sachverständigenkommission Walter Boll und keinen der anscheinend gleich qualifizierten Bayern auswählte. Vermutlich trauten sie ihm sowohl die „heimatgeschichtlichen Aufgaben einer mittleren Stadt“ und den von ihnen angestrebten völkischen Heimatschutz als auch die damit verbundene „schöpferische Denkmalpflege“ am ehesten zu. Sicherlich hat Boll bei seiner Bewerbung für Regensburg keine Avantgarde, keine Moderne Kunst propagiert. Eher schon wollte er Alte Meister modern präsentieren, diese vielleicht mittels „moderner Kunstbetätigung“ zeigen, so wie es die Stellenausschreibung wünschte.
Einen Hildebrand Gurlitt, Sachse und „Vierteljude“, wollte die Kommission bzw. der Stadtrat in Regensburg sicher nicht walten und gestalten lassen. Dieser hatte sehr genaue Vorstellungen davon, warum und wie die Avantgarde auch in der Provinz gezeigt werden soll, wie moderne Kunst zusammen mit alten Meistern ausgestellt werden kann. Gurlitts Vorstellungen, die er in Zwickau durchaus erfolgreich und auch mit guter Resonanz umgesetzt hatte, dürften die drei bayerischen Sachverständigen abgeschreckt haben. Die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann hat Gurlitts außergewöhnliche Biografie tiefgehend recherchiert (Regensburg kommt darin aber nicht vor) und spannend niedergeschrieben, (Hitlers Kunsthändler, 2016).
Antisemitismus grassierte in Regensburg
Zwei weitere Mitbewerber Bolls – beide etwa gleich alt, ähnlich ausgebildet, freilich auch promoviert und mit ebensolcher Berufserfahrung – waren zwar begünstigte bayerische Staatsangehörige, aber Juden: der aus Nürnberg stammende Justus Bier und der Würzburger Hermann Gundersheimer. Aufgrund der bald geltenden antisemitischen Nazi-Gesetze mussten die zwei Kunsthistoriker 1933 bzw. 1936 ihre Anstellungen verlassen und konnten als Verfolgte später emigrieren. Beide machten sich an amerikanischen Universitäten als international geschätzte Kunstprofessoren einen Namen.
Dass Juden, die in der antisemitischen Ideologie als „heimatlos“ gelten, nicht mit den „heimatgeschichtlichen Aufgaben“ Regensburgs betraut wurden, überrascht nicht. Zumal der Antisemitismus auch im katholischen Regensburg grassierte und sich beispielsweise in einer Reihe von Schändungen des jüdischen Friedhofs in der Schillerstraße manifestierte. Etwa als 1924 Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmiert oder 1927 umgeworfen wurden.
Der damalige Regensburger Bischof Michael Buchberger, ein offener Gegner der Weimarer Demokratie, rechtfertigte und propagierte um 1930 einen „christlichen Antisemitismus“ ausdrücklich. Denn laut Buchberger beherrsche und schädige „ein übermächtiges jüdisches Kapital“ das Gemeinwohl und richte den kleinen deutschen Geschäftsmann und Handwerker zugrunde. Juden sind für Buchberger „Volksschädlinge“. Die Presse sei “zum guten Teil in ihren Händen” , sie unterwühle „ununterbrochen das religiöse und sittliche Leben des Volkes“, lebe „zum Teil förmlich vom Kampf gegen christlichen Glauben und christliche Sitte“.
In seinem höchst politisch gehaltenen und in Buchform veröffentlichten Manifest, „Gibt es noch eine Rettung“ (1931), bezieht Buchberger zwar Stellung gegen die aufkommenden Nationalsozialisten, hetzt aber seinerseits mit einer bei katholischen Bischöfen weit verbreiteten antisemitisch-völkischen Ideologie:
„Viele jüdische Federn versündigten und versündigen sich bis heute durch eine massenhaft unter das Volk geworfene laxe und seichte, antireligiöse und antichristliche Literatur, die an dem sittlichen Mark unseres Volkes, besonders auch unserer Jugend nagt.“
Walter Boll macht unter den Nazis Karriere
Christliche Kunst und Kultur, das ganze Abendland sieht Buchberger von daher in höchster Gefahr. Vor diesem Hintergrund war es für den konservativ-christlich dominierten Regensburger Stadtrat unter der Führung von Bürgermeister Hans Herrmann und Oberbürgermeister Otto Hipp (beide BVP) im Jahre 1928 wahrlich keine Option, einem Juden die heimatgeschichtlichen Aufgaben, die Denkmalpflege und die Kunstbetätigung zu übertragen. No way.
Der ausgewählte Walter Boll hat die BVP-Bürgermeister jedenfalls nicht enttäuscht. Nach seinem Ruf nach Regensburg wurde Boll Mitglied der Bayerischen Volkspartei (BVP), die in der Stadt damals das Sagen hatte. Nach der Machtübernahme der Nazis trat Boll am 1. Oktober 1933 in die SA ein, die paramilitärische „Sturmabteilung“ der NSDAP. Eben in jene Nazi-Organisation, die auch in Regensburg politische Gegner und Juden terrorisierte und damals die ersten nationalsozialistischen Konzentrationslager betrieb.
Unter dem Nazibürgermeister Otto Schottenheim stieg Boll 1934 zum Direktor des neu gegründeten Ostmarkmuseums auf, war an „Arisierungen“ als Gutachter beteiligt, kaufte abgepresste Kunstwerke, „Judengut“ und „Judensilber“ günstig ein und übernahm einige Ämter und Funktionen für die Nazipartei. Als langjähriges Vorstandsmitglied des hiesigen Kunst- und Gewerbevereins betrieb er zusammen mit dem seit vielen Jahren offen antisemitisch hetzenden Verleger Gustav Bosse (der als Stadtrat der Deutschnational-völkischen Fraktion 1928 auch für Boll stimmte) nationalsozialistische Kunstpolitik.
Kunstverein unter dem Schutz der NSDAP
Als der Kunst- und Gewerbeverein 1933 wie andere auch aufgelöst werden sollte, setzten sich der Kreisleiter der NSDAP Wolfgang Weigert und Bürgermeister Schottenheim persönlich für seine Existenz ein. So versicherte Weigert 1934 gegenüber der Reichsleitung des Kampfbundes für Deutsche Kultur, dass der Kunst- und Gewerbeverein „schon seit Jahren von einer nationalen Vorstandschaft geleitet“ werde, die gesamte Mitgliedschaft „nicht erst heute, sondern bereits seit längerer Zeit rein arisch zusammengesetzt“ sei und der Vorstand längst dem „Kampfbund“ angehöre.
Die Avantgarde und Moderne Kunst bekamen die Regensburger und Regensburgerinnen unter Boll freilich nicht präsentiert. Nur in ihrer Negation und Verachtung, als Femeschau. Eine solche wurde unter Boll als Obmann der NS-Kulturgemeinde (die Folgeorganisation des Kampfbunds für deutsche Kultur) im Januar 1936 in der Ludwigstraße gezeigt.
Bürgermeister Herrmann begrüßt „Ausmerzung aller artfremden Elemente“ in der Kunst
Der seit 1925 amtierende rechtskundige Bürgermeister Hans Herrmann, SS-Fördermitglied und NSDAP-Mitglied seit 1935, dankte Boll in einer Rede für seine Verdienste für die „Wiederaufrichtung einer reinen und echten“ deutschen Volkskultur. Herrmann lobte Boll für sein herausragendes Engagement als Obmann der Nazi-Kulturgemeinde. Anlässlich der Femeschau „Entartete Kunst“ sprach Herrmann von „undeutschem Kunstschaffen“, von „jüdisch-bolschewistischer Kulturverhöhnung“. Konsequent antisemitisch forderte bzw. begrüßte Hans Herrmann die „Ausmerzung und Überwindung aller artfremden Elemente und undeutschen Erscheinungen in Wissenschaft und Kunst, in Funk und Film“. (Bayerische Ostwacht 17. April 1936)
Nach seiner Entnazifizierung wurde Boll 1948 wieder als Museumsleiter beschäftigt, wie 1928 war Hans Herrmann an dieser Entscheidung beteiligt. Unter Bolls Ägide wurde ein Jahr später das heutige Historische Museum eröffnet, bis 1968 wirkte er zudem als Kulturdezernent der Stadt, nebenbei organisierte er die Gründung der Ostdeutschen Kunstgalerie in Regensburg.
Bolls braune Altlasten in den hiesigen Museen
Der entnazifizierte Hans Herrmann – ursprünglich Zögling eines katholischen Internats und protegiert von Bischof Buchberger – ließ sich 1952 für die CSU zum Oberbürgermeister wählen und 1955 berief er den altgedienten Walter Boll zum Heimatpfleger der Stadt. Dieses Amt legte Boll nie mehr ab, erst zu seinem Tode von 1985 wurde es vakant. Das von Boll ergaunerte „Judengut“ und „Judensilber“ und die von ihm erworbene Raubkunst liegen noch heute fast vollständig in den Depots des Historischen Museums. Braune Altlasten aus dem Werk des Ehrenbürgers Boll.
R.G.
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Der ambivalente Umgang mit den Kunsthändlern Gurlitt in der Nazizeit und danach lag wohl zum Teil an der Herkunft der von ihnen erheirateten Frauen.
Hildebrands Oma, die jüdische Elisabeth Lewald, war die Schwester Fanny Lewalds, einer eigentlich sehr guten Pianistin mit dem Beruf Schriftstellerin. Unter dem Einfluss der freigeistigen Gesundheitsaposteln entwickelte sie einen Schlafstil, bei dem sie 23 Stunden produktiv sein wollte.
Weiters hatte sich in der Klasse des als Reformpädagogen bekannten Onkel Hildebrands, Ludwig Gurlitts, die später in der NS Zeit verbotene Wandervogelbewegung gegründet, aber seine Gattin schon vorher im großelterlichen Hause von den westeuropäischen Offiziers-Verwandten eine Art strenger Gesundheitsorganisation kennengelernt. Durch sie war man mit den Förderern Franz Schuberts, der Familie Spaun, verschwägert und deren Freunden nahe geworden.
Der Komponist stand bei den Nazis hoch im Kurs. Nachkommen aus dem weit verzweigten Stammbaum erwarben über die Pflege seiner Musik persönliche Freundschaft mit den Ludendorffs, andere waren den Ideen des III Reichs sehr zugetane adelige Offiziere.
Paul Spaun schloss sich dem Maler Karl Wilhelm Diefenbach an, dessen Tochter Stella heiratete ihn, nachdem sie ihm, seit sie zwöf war, zugehört haben soll. Sein oder seines Bruders Nachkomme Fridolin von Spaun.
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Wilhelm_Diefenbach
Diefenbach galt als Begründer der freireligiösen Nacktenkolonie am Himmelhof in Wien und auf Capri und als Inspiration der Nudisten der Wiener Lobau; die Wandervogelbewegung war ohnehin luftig gekleidetem Wandern und nacktem Schwimmen gegenüber offen gewesen.
Für die lieben Katholiken war die ganze Nacktheit und weibliche Selbstbestimmung im Umgang mit ihrem Körper eine ebenso schreckliche Vorstellung wie die, dass ein Gurlitt mit jüdischen Wurzeln einer Stadt den künstlerischen Stempel aufdrücken könne.
KunstundGewerbe
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Die o.g. Erklärung des Nazi-Kreisleiters Weigert von 1934 zur “Rettung” des Kunst- und Gewerbevereins („nicht erst heute, sondern bereits seit längerer Zeit rein arisch zusammengesetzt“ … längst im „Kampfbund“ deutsche Kultur) passt ja gar nicht zur Eigendarstellung des Vereins aus der Ludwigstraße.
Auf Homepage des Vereins heißt es, dieser sei “unter der NS-Diktatur… im Zuge der erzwungenen Gleichschaltung der Reichskulturkammer unterstellt und in die „NS-Kulturgemeinde“ eingegliedert, worden, 1935 aber hätte man dank des Einsatzes von Gustav Bosse „die Selbständigkeit des Vereins“ behauptet können.
https://www.kunst-und-gewerbeverein.de/fileadmin/user_upload/ueber-uns/kugv-geschichte.pdf
Kann es sein, dass sich der Kunst- und Gewerbeverein Regensburg wie so viele andere auch als Opfer des NS-Regimes darstellt, dieses tatsächlich aber eher getragen und unterstützt hat?
Das wäre doch ein spannendes Thema für rd aber auch für den Verein.
Robert Werner
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Kurzer Nachtrag zum Kunst- und Gewerbeverein Regensburg in der Nazizeit.
Im Stadtarchiv liegen rund 12 prall gefüllte Schachteln mit unverzeichneten und unbearbeitet Archivalien. Die Geschichte des Vereins unter den Vorständen Gustav Bosse und Walter Boll wurde bislang nicht aufgearbeitet, sondern wie so vieles in Regensburg eher umgedeutet.
Wie im Text erwähnt meldete zur Unterstützung des Vereins der SS-Offizier und OB Otto Schottenheim im Dezember 1933 an die Reichsleitung des Kampfbundes für Deutsche Kultur ähnlich dem Text Bosses folgendes:
„Der Kunst- und Gewerbeverein Regensburg ist als Gruppe des Kampfbundes für deutsche Kultur der wichtigste Träger unserer heimischen Kunst nicht nur für Regensburg sondern für die ganze Bayerische Ostmark. Eine irgendwie geartete Beeinträchtigung des Kunst- und Gewerbevereins Regensburg würde die mühsame Aufbauarbeit vieler Jahrzehnte und damit die bedeutsamen künstlerischen und kulturellen Aufgaben unseres neuen Deutschland aufs allerschwerste gefährden.“
Jakob Friedl
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“[…] Doch auch der Privatmann Walter Boll hat übrigens verfemte Kunst gesammelt. Im Jahre 2011, also kurz bevor der Schwabinger Kunstfund auf allen Kanälen zu hören und sehen war, wurde seine Sammlung großenteils versteigert. Laut Stefan Reichmann sammelte Boll unter anderem Werke von Pechstein, Corinth und Nolde.[…]”
War da Raubkunst mit dabei?
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Ein aktuelles Projekt des Fvfu-uüiUF.e.V. Kunstvereins: Walter Boll Büste Scannen / Arbeiten am Geniekult https://ribisl.org/walter-boll-bueste-scannen/
Eine Neukonzeption des Museums ist ohne eine Dekonstruktion der Boll-Erzählung nicht vorstellbar.
Im Foyer des städtischen Museums ist seit Februar 1970 eine vom Nürnberger Akademie-Professor Hans Wimmer angefertigte Bronze-Portrait-Büste des ehemaligen Kreiskulturwarts und Kulturdezernenten, Museumsdirektors, Stadtdirektors a.D., damals bereits Träger der goldenen Bürgermedaille der Stadt Regensburg, und späteren Stadtheimatpflegers Dr. Walter Boll ausgestellt, mit der dieser anlässlich seines 70. Geburtstags noch zu Lebzeiten durch die Stadt Regensburg geehrt wurde – 1980 kam noch die Ehrenbürgerwürde hinzu. Die Idee im städtischen Museum – also „in seinem Hauptbollwerk“ – das Portrait seines Gründers aufzustellen, kam von seinem Nachfolger, dem Museumsdirektor Wolfgang Pfeiffer. Der Ankauf durch die Stadt in Höhe von wohl 15 000 DM wurde mit Spenden der „Freunde des Museums“ und des Kunst- und Gewerbevereins ermöglicht.
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wirken von Walter Boll steht trotz Stadtratsbeschluss von 2008 noch aus. (vgl. https://www.regensburg-digital.de/?s=boll)
Insbesondere fehlt im historischen Museum eine Aufarbeitung dessen Gründung und der Rolle des Gründers Boll selbst.
Die Situation der (noch) freigestellten Gedenkbüste im Foyer des Museums bietet sich an um mit künstlerischen Mitteln eine Auseinandersetzung anschaulich mit anzustoßen, aufzuspannen und zu begleiten. Hier bietet sich die Chance über einen langen Zeitraum hinweg den Zeitgeist der jeweiligen Stadtpolitik, den Zustand der damaligen Gesellschaft und Machtstrukturen, sowie damit verbundene Karrierechancen anschaulich zu machen. Bei der Aufarbeitung und Veranschaulichung der jüngeren Stadtgeschichte kommt man nicht daran vorbei herrschendes Unrecht zu benennen, hochkulturell verbrämte Ideologien zu kontextualisieren, Geschichtserzählungen einzuordnen und auch Legendenbildungen zu entlarven.
Blinde Flecken können so beleuchtet werden und Wissenswertes über die jüngere Geschichte und das sich wandelnde Selbstverständnis der Stadt erzählen, z.B. vom Nazitum bis hin zur autogerechten Stadt.
Der Fvfu-uüiUF.e.V. Kunstverein bittet die Stadt Regensburg, die Eigentümerin des Artefakts ist, um Erlaubnis mittels digitaler Technik kontaktlos ein 3D-Modell der Bronze-Büste auch in ihrem räumlichen Kontext anzufertigen, das als Grundlage für weitere inhaltliche Auseinandersetzungen, bildhauerische Untersuchung und künstlerische Bearbeitung dienen kann.
Wir freuen uns darauf am beginnenden Diskurs mitzuwirken und bemühen uns derzeit für unsere künstlerischen Vorhaben um eine urheberrechtliche Genehmigung seitens der Nachfahren des Bildhauers Hans Wimmer.
Sylke Merbold
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Um eine vorbildhafte Idee zur Aufbereitung der Geschichte des Nationalsozialismus in Regensburg zu finden, muss man nicht weit schweifen. In Ingolstadt teilen sich zwei Historiker eine Stelle im Stadtarchiv, die sich ausschließlich der Aufbereitung dieser Zeit widmen. Dort wie hier gibt es viel Material zu sichten, die Überlegungen in Sicherheit verwandeln können, wenn es darum geht, die wahre Rolle mancher “Ehrenbürger” zu dokumentieren. Das wird im dortigen Stadtrat sicher noch einige Steine ins Rollen bringen und würde auch Regensburg gut zu Gesicht stehen. Keine Einzelperson, sondern ein Team, das unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten an der Quelle Fakten recherchiert und einordnet. Dabei die Opfer würdigt, aber auch klar die Täter herausarbeitet und Netzwerke der Nachkriegszeit wenigstens jetzt ihrer Tarnwirkung beraubt. Solche glaubwürdigen Projekte haben schon oft bewiesen: in Privathaushalten warten noch viele Belege, die ganz neue Perspektiven eröffnen können. Oder Gewißheit bringen.
https://zentrumstadtgeschichte.ingolstadt.de/Stadtarchiv/Forschung-und-Projekte/Opfer-des-Nationalsozialismus-in-Ingolstadt/
Das Ingolstädter Stadtmuseum hat im Übrigen bis März dieses Jahres die Ausstellung „KZ überlebt. Porträts von Stefan Hanke“ gezeigt. Der Kunst-und Gewerbeverein Regensburg hat eine Auswahl aus den 121 Porträts bereits 2017 gezeigt – als eine Station bei der Erstpräsentation der Ausstellung. Das ist auch seine Aufgabe: Künstlern hier und jetzt eine Plattform zu bieten. Und ja, auch das Selbstbild zu hinterfragen und es in der Öffentlichkeit korrekt darzustellen. Die im Verein ehrenamtlich tätigen Künstler können und sollten etwaiges Material aus dem Vereinsarchiv zur Verfügung stellen, die Forschung aber Fachleuten überlassen. Die Grundlage für die Aufbereitung dieser Zeit muss der Stadtrat legen – indem er klar und deutlich den Auftrag erteilt, diese Zeit wissenschaftlich aufzubereiten mit der Vorab-Garantie, dass die Forschungsergebnisse dann auch unzensiert präsentiert werden – da hat Regensburg ja auch schon unrühmliche Schlagzeilen gemacht.
Hthik
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Ein weiterer perfekter Artikel.