Wagner, leicht verdaulich
Fast drei Stunden peinliches Frühwerk von Richard Wagner? Bringt’s das? Am Samstag feierte Die Feen am Regensburger Stadttheater Premiere. Eine etwas andere Kritik… (Fotos: Theater Regensburg)
Ich wollte diese Rezension eigentlich ganz anders anfangen: Nach einer Woche voller Dates und gutem Leben, so dachte ich am Montag, könnte ich dann Samstag bei der Opernpremiere ein Fazit ziehen, was nun orgiastischer sei: die Musik Wagners oder… nunja. Ein Orgasmus. Mein Orgasmus. Aber manchmal hat das Schicksal irgendwie andere Pläne. Verdammt.
Gesucht: Vergleichspunkt zwischen Wagner und Sex
Am Dienstag wurde ich nämlich erst mal versetzt. Von Christian. Mit einer ultra-mysteriösen Begründung, irgendwelche dunklen Hinweise auf Drama und ohne Erklärung. Classy. Danke Christian, brauchst nicht mehr anrufen. Am Mittwoch bekam ich ein unmoralisches Angebot von Hans, das sich dann schnell als unmoralischer entpuppte, als mir lieb war. Auch eher im Nietenbereich. Donnerstag war ich dann spontan Biertrinken mit einem Kollegen, der – und das ist mir echt noch nie passiert – mich mitten im Satz stehenließ. Alter Schwede. So scheiße bin ich jetzt auch nicht. Denk ich. Hoff ich.
Meine Hoffnung ruhte also auf dem Freitag, großes Date mit Andreas. Endlich mein Vergleichspunkt von Wagner und Sex. Bis auf die Tatsache, dass mir Andreas dann abgesagt hat. Termine, wissenschon. Da hab ich ja schon meine Karmapunkte gezählt muss ich sagen: harte Woche.
So stand ich also am Samstag Abend vor dem Theater und hatte ein Date mit Richard Wagner und seinen Feen, mein erstes Date diese Woche. Ich hatte Rezensionen anderer Inszenierungen seines „peinlichen Frühwerks“ gelesen und war auf das Schlimmste gefasst. Immerhin nur zwei Stunden vierzig statt dreidreiviertel Stunden, dachte ich. Mit dieser Woche im Rücken ging ich mehr wie ein Schaf zur Schlachtbank denn wie ein Premierengast in die Oper. Und was soll ich sagen? Ich hab mich schon lange nicht mehr von einem Kerl so unterhalten gefühlt wie an diesem Abend von Richard und seinen Kumpels Uwe (Inszenierung) und Arne (dankenswerterweise gekürzte Musik).
Dieser Wagner rockt!
Zugegeben, die Sitznachbarn waren etwas steif. Und ob Wagner besser als Sex ist, weiß ich immer noch nicht. Aber wenn ihr die die Aussicht habt auf mittelmäßige Dates, billigen Fusel und halbherzige One Night Stands – echt, spart euch die Kohle fürs Ausgehen und kauft euch lieber ne Opernkarte. Dieser Wagner rockt.
Ich fang mal von vorne an, damit ihr euch ein Bild machen könnt: Anstelle dieses dämlichen Märchens mit Feen und Feenprinzessinnen und imaginären Schlachten und haste nicht gesehen hat Regisseur Uwe Schwarz sich gedacht „Hey – diese Story klingt ein bisschen autobiografisch. Das spinnen wir weiter und holen den Grünen Hügel und wie das mit Wagner so angefangen hat nach Regensburg.“
Der unbesungene Held: Mario Klein
So sehen wir also die Kulisse des Wagner-Festspielhauses auf der Regensburger Bühne: einmal von vorne, die glatte Front, aus der Katharina (Gesche Geier) und Eva Wagner (Vera Egorova) huldvoll den Touristen winken. Und einmal hinten, wo sich die Schlachten, die Emotionen und der bittere (Theater-)Krieg abspielt. Das Feenreich und das Menschenreich, wie passend. Der Menschenprinz (Charles Kim) ist Wagner selbst in jungen Jahren, schändlich abgewiesen mit seinem Frühwerk von seinen Nachkommen. Fee Ada (Michaela Schneider) sieht aus wie Cosima, das muss also die große Liebe sein.
An dieser Stelle muss ich dann gleich auch mal den unbesungenen Helden dieser Inszenierung preisen: Mario Klein. Mario Klein hat gefühlte drei Takte, die er in diesem Stück als Zauberer Groma und als Feenkönig singen darf. Er trägt dem Loser äh… Prinzen am Ende Schwert, Schild und Leier hinterher, damit dieser siegreich ist. Dafür sitzt Herr Klein als Hausmeister-Krause-Lookalike und „Inspizient“ die ganze Zeit (zwei Stunden vierzig, nicht vergessen) auf der Bühne, löst Kreuzworträtsel und kommt nach der Pause mit einer raschelnden McDonald’s-Tüte wieder rein, runzelt die Stirn und macht auch mal ne Lampe an. Mann, hoffentlich bezahlen sie den gut dafür.
Arindal und die Fee
Hier nun die Story, wie von Wagner erzählt: Arindal trifft irgendwie auf eine Fee (wird im Stück kurz erklärt, ist nicht wichtig), verliebt sich, hat zwei Kinder und darf eins nicht machen: seine Fee fragen, wer sie ist. Was macht der Depp nach acht Jahren? Sie fragen, wer sie ist. Männer haben’s also schon verkackt, bevor’s cool war. Na prima denkt sich die Fee, zurück ins Menschenreich mit dir. Aber, denkt sie weiter, ich muss ihn noch mehr prüfen, weil Liebe besiegt alles, blabla. Fee Ada ist zwar unsterblich, aber trotzdem noch naiv. Arindal muss also zurück, ist mega liebeskrank (jetzt fällt’s dir ein, ne?) und wird von seinen Freunden nach Hause gebracht, wo sein Vater grade gestorben ist und seine Schwester versucht, den Laden am Laufen zu halten.
Nun ist grad Krieg und bevor ihr Schnappatmung wegen der plötzlich vermehrt auftretenden Deutschlandfahnen auf der Bühne kriegt, wir sind hier laut Programmheft in 1830, ich schätze aber auch die Märzrevolution 1848/49 passt vom Kontext und der Kostümierung her ganz gut – da kommt die Fahne historisch her. Jedenfalls: Wir sind in Wagners eigener Zeit, kein Nationalstaat, beschissen laufende Revolution, sowas halt.
Ein Mittelfinger in Richtung Politprominenz
Es werden also Deutschlandfahnen geschwenkt. Eine Szene mit politischem Sprengstoff, denkt man doch an die Vereinnahmung Wagners durch die Nazis und den Auflauf des politischen Who-Is-Who der Bundesrepublik bei den Wagner Festspielen jedes Jahr: Wagner passt also irgendwie zu jeder Ideologie. Eieiei. Diese Szene könnte Ärger geben im konservativen Regensburg. Vor allem, weil sich das mit der ideologischen Geschichte der Wagneropern und seiner nahtlosen Politisierung in jeder Staatsform seit seiner Zeit noch mal krasser in der Oben-SS-Uniform-Unten-Lederhosen-Kostümierung des Chores in den Szenen drauf spiegelt. Hust. Die anwesende Politprominenz hat bei dieser Szene nicht gezuckt, der recht deutliche Mittelfinger in ihre Richtung kam dann vielleicht nicht bei allen an. Ist okay, ich hab innerlich gefeiert. Nach außen darf man ja in der Oper nicht.
Arindal kriegt jedenfalls seinen Arsch nicht hoch und sein Königreich ist quasi zerstört, Fahnen hin oder her. Da kommt Ada mit ihren letzten Prüfungen: Sie hat Arindal vorher das Versprechen abgenommen, er darf sie nicht verfluchen, egal wie mies sie ihn behandelt. Das will sie jetzt ausprobieren. Sie wirft also eine Stange Dynamit in den Kinderwagen, jagt den damit in die Luft und dann kommt auch noch ein Freund Arindals und behauptet, die angeforderte Verstärkung wäre von einer Frau hingemeuchelt worden, die Ada ziemlich ähnlich sieht. Ups. Arindal ist – gelinde gesagt – entsetzt.
Leicht verdaulich und doch nachhaltig
Was passiert also? Natürlich. Arindal bleibt seinem Loser-Image treu und tut, was er nicht soll. Er verflucht Ada. Diese fasst sich in einer längeren Arie erstmal ziemlich an den Kopf und klärt ihren Deppen von Ehemann auf, a) dass sie eigentlich unsterblich ist und das für ihn aufgeben wollte, b) dass sowohl die Kinder noch leben als auch dass die Verstärkung in Wirklichkeit Feinde waren und c) dass er jetzt dem Wahnsinn anheim fallen werde und sie die nächsten 100 Jahre versteinert ist. Danke Arindal. Wirklich toll von dir. Super gemacht. Depp.
Dann leidet Arindal noch ein bisschen vor sich hin, Mario Klein tritt an und rettet den Tag, Arindal rettet seine Ada aus der Versteinerung und schreibt nebenbei noch ein paar Partituren und sie werden beide auf dem Grünen Hügel Bayreuths für immer unsterblich. Oder versteinert. So genau weiß das bei den Inszenierungen in Bayreuth ja immer keiner.
Das Ende bildet, neben Kleins McDonald’s-Tüte, auch das umgedrehte Logo der Fast-Food-Kette, das als gelbes „W“ den leicht verdaulichen und eher nicht nachhaltigen, aber doch durchaus sättigenden und als „guilty pleasure“ durchgehenden Charakter dieser Inszenierung und des allgemeinen Wagner-Hypes kommentiert.
Und nächste Woche probier ich das noch mal mit den Dates. Naja. Vielleicht übernächste. Bewerbungen werden gerne an dieser Stelle entgegengenommen.
Richard Wagner. Die Feen. Regie: Uwe Schwarz. Musikalische Leitung: Arne Willimczik. Bühne und Kostüm: Dorit Lievenbrück. Mit: Michaela Schneider, Charles Kim, Viktorija Kaminskaite, Adam Kruzel, Vera Egorova, Gesche Geier, Cameron Becker, Jongmin Yoon, Vera Semieniuk, Seymur Karimov, Mario Klein
Jürgen Huber
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Selten so eine toll süffige und gut bekömmliche Kritik gelesen. Schappoh ;-)
Mr. T
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Richtig, da bekomm sogar ich Lust auf Wagner ;-)
J.B.
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Gut erzählt und kommentiert.
Das Wichtigste fehlt . Wie war die Musik? Ich fand sie Klasse .
Mord auf der Kristallprinzessin | Regensburg Digital
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[…] Angst wieder raus, aber selten mit welcher rein. Das ist bei Tristan und Isolde definitiv anders. Nach dem ersten Anbandeln mit Wagner und seinen Feen, wird’s jetzt also mit Richard und mir was Festes. Aber müssen es denn gleich fünf Stunden […]