Von kreativem Theater, Mittelfingern und dem Fluss Hindukusch
Das Stadttheater startet mit drei Premieren in die neue Musiktheater- und Schauspiel- Spielzeit. Grund genug, mal wieder ein bisschen auszukehren.
Ja, die „Kulturkericht“-Sommerpause war etwas länger. Ja, es ist schon seit einigen Tagen kein Sommer mehr. Aber was hat sich kulturell schon getan in der Domstadt, die man nicht so nennen soll? Viel ist da nicht angefallen. Bis zu dieser Woche, wo das Theater Regensburg mit den drei Premieren „Die lächerliche Finsternis“, „Hans Heiling“ und „Faust“ mächtig kulturellen Staub aufgewirbelt hat. Zeit also, den Besen wieder zu schwingen.
Mitmachoper „kreativ“ – Hans Heiling am Bismarckplatz
Der Startschuss für einen Premierenwochen-Marathon fiel am Samstag vergangener Woche im großen Haus am Bismarckplatz. Dass selbst eine romantische Werkvorlage als modernes (Musik-)Theatererlebnis inszeniert werden kann, zeigt die Regensburger „Hans Heiling“-Inszenierung..
Die Oper, die zu den Hauptwerken des deutschen Komponisten Heinrich Marschners zählt, verfolgt eine klassische Geschichte um Liebe, Tod und Sagenwesen: Neben der Menschenwelt, in der es nur Arbeit um des Überlebens willen gibt, existiert noch eine geheimnisvolle Welt der Erdgeister, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als Reichtümer anzuhäufen. Hans Heiling (Adam Kruzel, Seymur Karimov), Fürst der Erdgeister, verzehrt sich nach der menschlichen Arbeiterin Anna (Michaela Schneider), die er unbedingt heiraten möchte. Dafür ist er sogar bereit, seiner eigenen Welt mitsamt seiner Mutter (Vera Egorova) abzuschwören. Doch als Anna erfährt, dass Hans ein ihr verhasster Erdgeist ist, heiratet sie einen anderen – und Heiling will Rache.
Nicht nur subtil erinnert diese Geschichte – zumindest ihre Grundannahme von schuftenden Menschen und Reichtum scheffelnden Erdgeistern – an Gesellschaftskritik im Stile der Marx’schen Klassendichotomie. Diesen Gedanken hat Regisseur Florian Lutz wohl als Ausgangspunkt für seine Regensburger Inszenierung verwendet: Er teilt das Theater am Bismarckplatz in eine Menschenwelt auf der Bühne und eine Erdgeisterwelt im Zuschauerraum.
Ganz im Stile eines modernen „Mitmachtheaters“ darf sich das Publikum zu Beginn entscheiden, ob es auf der Bühne verweilen und als Angehöriger der Menschenwelt Kartoffeln schälen will – oder sich im Auditorium ganz im Stile der Erdgeister zurücklehnen und den Anblick der auf der Bühne schaffenden Zuschauer genießen.
Was zunächst innovativ und nach einem besonderen Zuschauererlebnis klingt, entpuppt sich zumindest aus der „Erdgeister“-Perspektive im Publikumsraum als merkwürdig unruhige und nicht wirklich organische Spielerei. Ein wenig fühlt sich das Ganze nach Reality-Show an. Das liegt nicht zuletzt am unrühmlichen Zug, den Nicklas aus Marschners Oper zu einer Art Showmaster (Matthias Laferi) umzufunktionieren, der im geschniegelten Anzug und mit modischer Tolle immer wieder die Oper unterbricht, um den Zuschauern auf der Bühne zum Beispiel zu erklären, dass sie jetzt blaue Kittel und Hygienehauben aufsetzen müssen oder das jetzt die Bar aus dem Boden fahre, wo man sich ein Freibier genehmigen dürfe.
Das mag alles besonders „kreativ“ und gerade für Operngänger, die dreistündiges Stillsitzen ohnehin nicht besonders mögen, eine willkommene Abwechslung sein. Marschners Werk und speziell der Leistung von Ensemble und Orchester wird es aber nicht gerecht. So werden die Zuschauer etwa dann zur Wanderung durchs Foyer aufgefordert, wenn die Musiker im Orchestergraben gerade die Erdgeister-Ouvertüre spielen. Dass man dem Publikum ohnehin auch nicht allzu viel „Mitmachen“, sondern eher ein „Dabeisein“ zutraut, zeigt sich darin, dass ein Großteil der vermeintlichen Zuschauer auf der Bühne letztlich doch Statisterie und Opernchor sind.
Sind Sie sicher, dass der Hindukusch kein Fluss ist?
Mit „Die lächerliche Finsternis“ bringt das Team um Regisseur Hannes Weiler einen eigentlich als Hörspiel konzipierten Text von Wolfram Lotz auf die Bühne. Am vergangenen Sonntag feierte das Stück Premiere auf der kleinen Bühne am Haidplatz.
Dessen grundlegende Handlung ist an den berühmten Coppola-Film „Apocalypse Now“ angelehnt: Die beiden Soldaten Oliver Pellner (Gunnar Blume) und Stefan Dorsch (Sebastian M. Winkler) sind im Kriegsgebiet unterwegs, um den durchgedrehten Militär Deutinger (Michael Heuberger) in der Wildnis aufzuspüren. Anders als im Coppola-Klassiker handelt es sich bei Pellner und Dorsch allerdings um Bundeswehrsoldaten, statt im Vietnam ist man in Afghanistan unterwegs, wo man „den Hindukusch hochfährt“.
Aber ist der Hindukusch nicht ein Gebirge? Diese Frage wird auf der Bühne diskutiert. Woher wollen wir das eigentlich wissen? Weil wir es im Fernsehen so hören? Nein, in Lotzs „Lächerlicher Finsternis“ wird aus dem Gebirge ein Fluss im afghanischen Dschungel (?). Salatgurken sind exotische Früchte, Eingeborene werden von stationierten Soldaten angewiesen, ihr Schokoriegelpapier in den Fluss zu werfen und ein Missionar (Frerk Brockmeyer) freut sich selig, wenn die wunderschönen muslimischen Frauen endlich religiös bekehrt werden, damit sie ihre Beine und Hintern zeigen können.
All dieser Irrsinn wird nur durchbrochen durch Szenen einer gestörten Normalität. Plötzlich sitzt da, auf der Bühne, in einer großen Wasserlache, die eben noch der Hindukusch war, die Mutter (Heuberger) mit breitem Reifrock und ihr Sohn, der Autor (Jacob Keller) des Hörspiels, beim Kaffeekränzchen. Dann treten da noch ein wegen Piraterie vors Hamburger Landgericht gestellter Somali namens Ultimo Michael Pussi sowie dessen Freund Tofdau (beide: Ulrike Requadt) auf.
Allem wohnt stets der Anstrich des totalen innerlichen und äußerlichen Chaos‘ inne. Regisseur Weiler ist es gelungen, dem nur unter anderem Namen fortgeführten Kolonialismus unserer alltäglichen Welt mithilfe von Lotzs Text die Maske des Ordentlichen zu entreißen. Dass sein Ensemble dabei hauptsächlich monologisierend und wenig handelnd auftritt, passt zur Idee eines Szenarios, in dem trotz des schieren Wahns der einprasselnden Einrücke immerfort reflektiert werden muss.
Faust oder Stinkefinger?
Den krönenden Abschluss fand die Premierenwoche des Stadttheaters mit der Erstaufführung der neuen Regensburger Inszenierung von Johann Wolfgang von Goethes Klassiker „Faust“. Was die Zuschauer am Freitag im Velodrom erwartete, war ein manchmal anstrengender, aber insgesamt extrem anspruchsvoll umgesetzter Parforceritt durch die zwei Teile der wohl berühmtesten deutschsprachigen Tragödie.
Bernd Liepold-Mosser macht aus dem Faust (gespielt von Gerhard Herman) eine Art zeitgenössischen Workaholic, einen Mann im Anzug jenseits der Vierzig, dem der Weltverdruss aus allen Poren dringt. Erstaunlich unspektakulär ist dagegen sein Mephisto (Patrick O. Beck), der in schlabbriger Adidas-Jogginghose und Kapuzenjacke die teuflischen Strippen zieht. Vielleicht unbeabsichtigt: Beim ersten Auftritt noch mit fettiger Langhaarperücke getarnt, schaut der Regensburger Mephisto fast ein bisschen aus wie Kunst-Soldat und Demokratiefeind Jonathan Meese.
Die Strichfassung des Regensburger „Faust“ schafft es, der altbekannten Geschichte einen angenehmen Drive zu verpassen. Unterstützt durch die energetische Musik von Markus Steinkellner, der auf der Bühne live den Soundtrack zu Teufelspakt, Gretchen-Verführung und all den anderen berühmten Szenen des Dramas liefert, und den Videoinstallationen von Philip Kandler – wie eine Kamera auf synthetischen Drogen – wird die Geschichte des Heinrich Fausts im wahrsten Sinne des Wortes zur rasanten Höllenfahrt. Mit angestaubtem Provinztheater hat das, was sich dort im architektonisch modern reduzierten und doch absolut klassisch anmutenden Bühnenbild von Monika Frenz abspielt, nichts zu tun.
Das scheint einige Zuschauer während der Premiere dann auch so zu stören, dass sie für kurze Momente vergessen, dass der Rest des Publikums dafür bezahlt hat, das Theaterstück zu sehen und nicht ein paar sich betont empört gebende vermeintliche Theaterkenner. Neben den im Velodrom nicht ganz unbekannten, aber zumindest in einem Fall an völlig unangebrachter Stelle fast schon provokativ eingeworfenen „Lauter“-Rufen sowie ständigem Husten und Tuscheln fühlte sich ein einzelner älterer Herr in den vorderen Reihen bemüßigt, Regisseur Liepold-Mosser beim Schlussapplaus lauthals auszubuhen. Ein anderer steht schon während des laufenden Stücks demonstrativ auf und eilt geräuschvoll aus dem Saal. Faust und Mephisto winken ihm von der Bühne aus nach.
Liepold-Mosser quittierte das Ganze am Ende des Abends von der Bühne herab zwar nicht mit einer „Faust“, aber doch zumindest mit einem herzhaften Mittelfinger. Das mag man anmaßend finden – zumindest aber hatten Regisseur und Ensemble in diesem Fall nicht vergessen, wer an diesem Abend eben auf der Bühne stand und dementsprechend mit Fug und Recht „Theater machen“ durfte.
RichardHeigl
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Exzellent. Mir gefällt der Zugriff und die Ausführung richtig gut. Mehr davon und danke David Liese!
Peter Lang
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Der Herr Kritiker schreibt: “Der Startschuss für einen Premierenwochen-Marathon fiel am Samstag vergangener Woche auf der kleinen Bühne am Haidplatz. …”
Falsch! Der Startschuss für einen Premierenwochen-Marathon fiel am Samstag vergangener Woche auf der Bühne des Theaters am Bismarckplatz mit “Hans Heiling”. So geht’s schon mal los!
Zur Fausbesprechung: Es ist das gute Recht des zahlenden Publikums ein Stück, einen Regisseur, eine Inszenierung durch Missfallensbekundungen zu kommentieren. Wenn der Regisseur daraufin den Steinbrück machen muss, dann spricht das nicht für seine Souveränität. Man muss keine Kochlehre absolviert haben, um zu beurteilen ob eine Suppe schmeckt. Selbsterverständlich darf, kann und soll das Theater “mit Fug und Recht” Theater machen. Das Publikum darf aber genauso “mit Fug und recht” kund tun, wie es im gefallen hat – und im Falle dieser Faust-Inszenierung wie es ihm NICHT gefallen hat. Punkt.
David Liese
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Danke für den Hinweis – den Termindreher haben wir berichtigt.