Vom Regensburger Umgang mit der Judenfeindschaft
Die städtische geförderte Jubiläumsschau zu „800 Jahre Dominikanerorden“ zeichnet sich durch eine geschönten Darstellung des „Judenmissionars“ Petrus Nigri und eine tendenziösen Herangehensweise aus. Eine Expertin kritisiert die einseitig christliche Perspektive.
Im Februar 2019 jährt sich die Vertreibung aller Juden aus Regensburg von 1519 zum 500. Mal. Oberbürgermeister Joachim Wolbergs möchte des „damaligen Pogroms in besonderer Weise gedenken“. „Die intensive Erforschung der jüdischen Geschichte unserer Stadt“ sei ihm ein großes Anliegen, so der OB. Bis Februar 2019 soll auch der von der Stadt geförderte Neubau einer Synagoge fertiggestellt sein. Das Kulturreferat organisiert derweil unter dem Titel „500 Jahre Vertreibung der Juden“ das „Jahresthema 2019“. In der entsprechenden Vorlage heißt es: „2019 wird es moralische Verpflichtung sein, ein dunkles Kapitel Regensburger Geschichte aufzuarbeiten: Die 500. Wiederkehr der Vertreibung der Juden“.
Aufarbeiten – was könnte damit gemeint sein? Die historische „Aufarbeitung“ der Vertreibung von 1519 dauert seit dem 19. Jahrhundert an, fließt aber kaum ins öffentliche Gespräch ein. Indes ist die affirmative Darstellung des historischen Ereignisses immer noch weit verbreitet, beispielsweise in der frisch renovierten Kassianskirche, im sogenannten Vertreibungsfresko.
Hinsichtlich des Jahresthemas 2019 käme es vielmehr darauf an, das historische Ereignis, die Zeitumstände und den bisherigen Umgang aus mehreren Perspektiven zu thematisieren und dadurch die in Regensburg alles überdeckende katholisch-klerikale Darstellung zu hinterfragen.
Ein gewichtiger Prüfstein wird sein, ob neben den Interessen der vertreibenden Kräfte, sprich der Stadt, des Bischofs und der Wittelsbacher-Herzöge, auch die damalige Judenfeindschaft des Klerus und der Bevölkerung angemessen dargestellt wird. Daran mangelt es nämlich dem öffentlichen Diskurs in Regensburg grundlegend, obgleich die Zeit um 1500 regelmäßig thematisiert wird, wie zuletzt in der Dominikaner-Ausstellung „Mehr als Schwarz und Weiß“.
Dazu später mehr, zunächst zum zeitgenössischen Bericht des Benediktinermönchs Christophorus Hoffmann, der die Judenfeindschaft in der Domstadt unverblümt widerspiegelt.
Befreiung von den ungläubigen Juden als Gotteswerk
Christophorus Hoffmann, der von 1490 bis zu seinem Tod 1534 im Kloster St. Emmeram lebte, schrieb im Juni 1519 den ersten Bericht über die Vertreibung. Darin charakterisiert er die Juden als verworfene, wankelmütige „Menschen besonders gottloser Art […], die sich in unseren Zeiten an das Nichtstun, den Liebesgenuss und das Verprassen fremden Geldes verloren haben“, öffentlich Christus lästerten, seine wunderschöne Mutter Maria nicht anerkennen würden und „zu nichts anderem gut sind als dass man sie in den Ofen steckt“.
Für Hoffmann ist die Vertreibung christengottgewollt. Als „die ohne Zweifel vom Eifer des Heiligen Geist angestachelten Räte“ der Stadt am 21. Februar 1519 die Ausschaffung der Juden bekannt gegeben haben, sei „das ganze Volk vor Freude in Tränen“ ausgebrochen und habe „die Güte Jesu Christi unseres Erlösers gepriesen, der beschlossen hatte, die arme Stadt aus dem Schlund der ungläubigen Juden zu befreien“.
Bei der Zerstörung des jüdischen Viertels gingen, so der Benediktinermönch, die Regensburger gemeinsam ans Werk: „Sämtliche Steinmetze und auch alle Maurer und Holzarbeiter erledigten unverzüglich, mit größter Anstrengung was ihnen aufgetragen wurde. Neben dem Bischofsadministrator Johannes von der Pfalz (ein Spross der Wittelsbacher ohne höhere Weihen) habe „eine große Zahl von Bauern, die Domherren, viele andere Geistliche” beim „Niederreißen der verfluchten Synagoge des Teufels“ geholfen. Ebenso seien „alle Orden von Bettelmönchen in der berühmten Stadt Regensburg“, sprich die hiesigen Franziskaner und Dominikaner, am Geschehen beteiligt gewesen.
Nur Hoffmann und seinen Benediktiner-Brüdern blieb die Beteiligung am angeblich gottgefügtem Werk verwehrt: „uns allein, die wir in unseren Zellen eingeschlossen waren, wurde nicht gestattet, ins Freie zu gehen (obwohl wir den besten Willen dazu hatten).“ Sein Abt von St. Emmeram habe dies angeordnet.
1519: „Die Juden waren unser Unglück“
Hoffmann wiederholt in seinem Bericht die damals kursierenden Beschuldigungen der Brunnenvergiftung als historisches Faktum, ebenso die angeblichen Ritualmorde an Regensburger Christenknaben. Letzteres schmückt er mit überschwänglich-grusligen Details aus. Dass die „gottlosen Juden auf schändliche Weise“ behauptet hätten, Maria „habe niemals empfangen und gebären und dabei noch Jungfrau bleiben können“, ist für Hoffmann übelste Gotteslästerei, die ehedem mit der Todesstrafe geahndet werden konnte.
Von einem Marienwunder, das im Zusammenhang mit dem Synagogen-Abbruch bis heute als Grund und Erklärung für die Wallfahrt „zur Schönen Maria“ bemüht wird, hingegen weiß er nichts.
Die Zerstörung des jüdischen Friedhofs, der „verfluchten Begräbnisstätte der unreinen jüdischen Leichen“, begrüßt der Mönch, denn das Areal sei seinem Kloster Sankt Emmeram vor langer Zeit weggenommen worden. Die Schändung der sterblichen Überreste, die „verkommenen Gefäße des Teufels (so nenne ich nämlich ihre hässlichen Leichen)“, erscheint bei Hoffmann als eine Art Exorzismus. Mit einem selbstgefälligen Stadtlob schließt er seinen voll Judenhass geschriebenen Bericht mit einer Täter-Opfer-Verdrehung ab.
„Du weißt nun, geschätzter Leser, von der Macht und Pracht der Stadt Regensburg, […] du weißt im Gegenzug von dem Elend und Unglück der Stadt, und dass Grund und Ursache dieses Elends die verworfenen Juden waren, die es nicht nur auf die Güter und das Geld, sondern auch – und das ist noch schädlicher – auf das Leben der Christen abgesehen haben.“
Christophorus Hoffmann gilt als früher Humanist, als solcher gab er sich den lateinischen Namen „Ostrofrancus“. Nicht nur der Regensburger Chronist Carl Theodor Gemeiner auch ihm nachfolgende beziehen sich grundlegend und unkritisch auf seinen einflussreichen lateinischen Bericht De Ratisbona Metropoli Boioariae et subita ibidem judaeorum procriptione (Die hier benutzte Übersetzung ins Deutsche stammt von Michael Eichhammer und wurde für meinen Aufsatz Die Regensburger Ritualmordbeschuldigungen, erschienen in den Verhandlungen des Historischen Vereins Bd. 150, vorgenommen.). Über Ostrofrancus/ Gemeiner wurden somit die Ritualmordbeschuldigungen tradiert.
Obgleich Hoffmann oftmals mit Eifer und ideologischer Verblendung vorgegangen ist, legt sein Bericht ein aufschlussreiches Zeugnis ab von der grassierenden Judenfeindschaft und ihrer enormen Triebkraft.
Diese oft verschwiegene und religiös motivierte Judenfeindschaft hätte auch in der Ausstellung des diesjährigen städtischen Jahresmottos eine gewichtige Bedeutung einnehmen können. Stattdessen ist sie als „Vorurteil“ verharmlost worden.
Dominikaner als Seelsorger der „perfidos Judaeos“?
Die Hauptveranstaltung des diesjährigen Jahresthemas war die Ausstellung „Mehr als Schwarz und Weiß“ zu „800 Jahre Dominikanerorden“ im Diözesanmuseum. Kulturreferent Unger machte Regensburg zum zentralen Veranstaltungsort des Jubiläums und bezuschusste dies mit 20.000 Euro. Für die Ausstellung, die rund zehntausend Gäste besuchten, machte er persönlich Werbung. Der sich europaweit ausbreitende Predigerorden, der vor allem mit der Inquisition und später mit der sogenannten Hexenverfolgung betraut war, „fasziniert mich so“, bekannte Unger mit funkelnden Augen. Für ihn sind die Dominikaner „das Paradebeispiel von Seelsorger … in der Suche nach Wahrheit“. Er wolle mit diesem Thema „ein Stück Regensburger Kulturgeschichte profilieren“, heißt es im entsprechenden Beschluss.
Der Katalog der Ausstellung, deren Kuratoriumsmitglied Unger war, thematisiert neben der Geschichte des Ordens und einer Vielzahl von Kunst- und Schriftwerken auch die Tätigkeit des in Regensburg 1474/ 78 wirkenden Dominikaners Petrus Nigri. Der wurde als Peter Schwarz in Böhmen geboren, trat 1452 in den Orden ein, wurde 1473 an die Ingolstädter Universität als Doktor der Theologe berufen und kam 1474 nach Regensburg.
Bekehrung aus Überzeugung
In der Ausstellung wird Nigri unter der eigenartigen Kapitelüberschrift „Keine Angst vor dem Fremden“ als „Judenmissionar“, „erster deutscher Hebraist“ und als „Wegbereiter Reuchlings und Luthers“ angesprochen. Nigri habe versucht, hebräische Wörter mit lateinischen Schriftzeichen auszudrücken und eine hebräische Grammatik zu verfassen. Seine Bedeutung liege in „seiner Rückkehr zu den hebräischen Quellen“.
Unter dem Motto „Ambivalentes Verhältnis zu den Juden“ erfährt man, dass Nigri zu Ostern 1474 im Auftrag des Herzogs und im Beisein des Regensburger Bischofs Heinrich IV. Bekehrungspredigten gegen Juden gehalten habe. Laut Ausstellungskatalog habe Nigri mit seinen Predigten die bereits „aufgeheizte Stimmung gegen die jüdische Bevölkerung“ weiter geschürt. Er habe „antijüdische Vorurteile“ verbreitetet, weshalb es Gegenstimmen beim Rat und einem Weihbischof gegeben habe. Nigri, so die ihm gewogene Dominikaner-Ausstellung, habe „die Juden selbst davon überzeugen“ wollen, „dass sie eine falsche Vorstellung vom christlichen Glauben hätten.“ Deshalb habe er nicht wie der Franziskaner-Mönch Capistrano über oder gegen abwesende Juden, sondern vor ihnen gepredigt. Es verwundert allerdings nicht, was der Ausstellungstext fast bedauernd feststellen musste: „Doch seine Bekehrungspredigten blieben ohne Erfolg.“
Was mit „Vorurteil“ gemeint ist, geht aus dem Ausstellungstext nicht hervor. Eine diesbezügliche Anfrage von regensburg-digital beim Kurator der Schau, dem Dominikaner Elias Füllenbach, ergab, dass „Nigri die traditionelle Substitutionstheologie“ vertreten, habe. Dieser zufolge gehören die Juden seit Christi Geburt einem „verworfenen Volk“ an.
Grundlegendes Missverständnis
Maria Diemling, die im englischen Canterbury zu Jewish-Christian relations forscht und lehrt, bedauert gegenüber regensburg-digital die einseitige christliche Perspektive, die die Ausstellung bezüglich Nigri einnimmt.
Die Missionstätigkeit Nigris als „Keine Angst vor dem Fremden“ zu verharmlosen, zeuge von einem grundlegenden Missverständnis, so Diemling. Die Ausstellung verkenne, „wie bedrohlich diese Predigten von populären Wanderpredigern waren, die die christliche Bevölkerung mit ihren Reden gegen Juden aufbrachten und wesentlich zur zunehmend antijüdischen Stimmung beitrugen“. Nigri habe Hebräisch nicht gelernt und benutzt, weil er sich mit jüdischen Gelehrten als ebenbürtige Partner intellektuell hätte austauschen wollen, sondern weil er die für ihn unerlässliche Bekehrung der Juden zum Christentum erreichen wollte.
Nach Diemling sei eine von Nigri zusätzlich gewünschte öffentliche Disputation mit gelehrten Juden nicht zustande gekommen, da „die Gemeinde dankend ablehnte“. Wohl wissend, dass Juden aus so einem „ungleichen Austausch“ immer als Verlierer hervorgehen und existenzielle Gefahren daraus entstehen würden. Dessen ungeachtet erklärte sich Nigri 1475 selbst zum Sieger der nicht stattgefundenen Disputation.
Da der Stadtrat Nigris Zwangspredigten im Grunde befürwortete (und nicht dagegen war, wie die Ausstellung suggeriert), entlohnte er seinen Aufwand mit fünf Schilling und 22 Pfennigen Trinkgeld.
„Diskussion“ und „Vorurteile“?
Eine Bildunterschrift im Ausstellungstext hingegen spricht beschönigend von einer „Diskussion zwischen Juden und einem Dominikaner“. Das Bild selbst stammt aus einem Wiegedruck von 1477, der auch Übersetzungsbeispiele in hebräischer Quadratschrift zeigt. Ein Exemplar des rund 640seitigen Werks von Petrus Nigri ist auch in der Staatlichen Bibliothek Regensburgs erhalten. Es trägt die Bezeichnung „Stella Meschiah“ und stellt die deutsche Übersetzung seiner Regenburger Zwangspredigt dar („Contra perfidos Judaeos de conditionibus veri Messiae“), die Nigri 1475 dem Regensburger Bischof gewidmet hatte. In diesen Predigten hatte Nigri seine Vorgehensweise gegen „die Hartnäckigkeit“ und „die Verstocktheit“ „der verfluchten Juden“ dargelegt und dabei auch „die vernünftigen und seligen Christenmenschen“ vor Augen, die er mit seinem Büchlein gegen die „falschen Juden“ in Stellung bringen will.
Dem in Ingolstadt lehrenden Theologieprofessor ging es indes um mehr als „Vorurteile“. Der Dominikaner Nigri hatte schlicht und einfach die damals gültige judenfeindliche Glaubenslehre vorgetragen, die erst im Zweiten Vaticanum (1965) aufgehoben wurde und mit der Neuformulierung der Karfreitags-Fürbitte („Oremus et pro Iudaeis“) durch Papst Benedikt XVI wieder eine gewisse Aktualität bekam.
Was der Katalogtext der diesjährigen Dominikaner-Ausstellung bezeichnenderweise versäumt darzulegen, sind die damals fast alles beherrschenden Ritualmord- und Hostienfrevelbeschuldigungen und die Rolle von Petrus Nigri um 1480.
Blutbeschuldigungen gegen Juden: Hostienfrevel und Ritualmord
Der Predigermönch Petrus Nigri wollte die Regensburger Juden genau zu dem Zeitpunkt zwangsweise bekehren, als die Ritualmordbeschuldigung 1474 ihre erste volle Wucht entfaltete und die Hinrichtung eines Rabbiners nur durch die Intervention böhmischer Adeliger bzw. des deutsch-römischen Kaisers abgewendet werden konnte. Kurz darauf hielt sich Petrus Nigri in Trient auf, wo unter Fürstbischof Johannes Hinderbach, weiland ein Regensburger Kanoniker, Ritualmordbeschuldigungen zu einem Schauprozess und dieser zur Hinrichtung exponierter Juden und der vollständigen Auslöschung der jüdischen Gemeinde führen sollte. Die wenigen Überlebenden hat man kurz darauf zwangsgetauft. Der hebräischkundige Petrus Nigri war in Trient aktiv am Folterprozess beteiligt, wie der Historiker Wolfgang Treue in seiner Dissertation (Der Trienter Judenprozeß, 1996) festhielt.
In Regensburg strengte der Rat der Stadt 1476 einen Ritualmordprozess gegen siebzehn prominente Juden an, der 1480 auf Anordnung des Kaisers ohne Urteil eingestellt werden musste. Als Nigri 1478 erneut nach Regensburg kam, kämpften die hiesige Judengemeinde und ihre prominenten Vertreter noch um ihr Leben. Um den Druck auf die jüdische Gemeinde zu erhöhen überzog der Regensburger Magistrat die inhaftierten Juden zudem mit einem Hostienfrevel-Prozess und besorgte dafür belastende Foltergeständnisse aus Passau. Dort wurden März 1478 nach dem sogenannten „Passauer Hostienfrevelprozess“ zehn Juden hingerichtet, die für schuldig befunden worden waren, Hostien geschändet zu haben. Gefolterte sagten angeblich aus, dass Teile der Hostie nach Regensburg verkauft worden seien. So kam es in Regensburg zwischen Mai und September 1478 ebenso zu einem Hostienfrevel-Prozess, der ebenfalls nach einer Intervention des Kaisers eingestellt wurde.
Auch Nigri erhob ebendiese lebensbedrohlichen Anschuldigungen, Juden würden Hostien schänden. In seinem Druck „Stella Meschiah“ (1477) heißt es, Juden hätten von „den einfeltigen Frauen das sacarament der gestalt des brots“ gekauft. Nachdem sie es gekocht, gebraten, geröstet oder gebrannt hätten, seien göttliche Wunderzeichen, sprich „wundersam plut“ ausgetreten.
Gotteslästerung – welcher Gott?
Nigri kam auf Hostien und Blut zu sprechen, weil er mit seiner „Mission” Juden ebenso von der seinerzeit innerchristlich umstrittenen Transsubstationslehre „überzeugen“ wollte. Darüber hinaus verkündete er wichtige katholische Glaubensätze, wie die Trinität, die Menschwerdung Christi oder Marias Jungfrauengeburt. Für Juden und Jüdinnen der frühen Neuzeit waren diese Lehren wider die Vernunft und völlig unannehmbarer Götzendienst, eine öffentliche Bestreitung dieser christlichen Glaubenslehren wurde jedoch absolut vermieden, da dies als Gotteslästerung betrachtet und mit der Todesstrafe geahndet werden konnte.
Ähnlich wie der oben genannte Christophorus Hoffmann begreift Nigri die Juden als verworfenes und unveränderlich schlechtes Volk. Das „Jüdisch volk (ist) von grunt auf – von dem pauch oder leyb seiner mutter – ein schalkhaftiges volck gewesen“. Auch zu früheren, besseren Zeiten habe „got der herr sie also genent“.
Von seinem Vorhaben vollends überzeugt, forderte Nigri konsequenterweise auch die Vernichtung des Talmuds. Denn dieser enthalte Ketzereien und schände das Christentum. Nigri ging es also nicht, wie der Ausstellungstext meint, um Disputation oder Diskussion mit Juden sondern um Auslöschung des Judentums.
1933: „Die Juden sind unser Unglück“
Diese frühneuzeitlichen judenfeindlichen Zuschreibungen und Diskurse christlicher Gelehrter haben sich über die Jahrhunderte erhalten. In der Heiligensammlung „Bavaria Sancta“ von 1627, die der Jesuit Matthäus Rader im Auftrag des bayerischen Wittelbacher-Kurfürsten Maximilian I. erstellte, wurden die Regensburger Beschuldigungen erneut erhoben und bildlich dargestellt.
In der Folge wurden sie integraler Bestanteil einer rassistischen Ideologie, deren diverse Strömungen sich bereits im 19. Jahrhundert unter dem Kampfbegriff „Antisemitismus“ sammelten und später in der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik mündeten. Das in Regensburg weit verbreitete Werk des Nazi-Historikers Wilhelm Grau, seit 1936 Leiter der Forschungsabteilung Judenfrage“, beschäftigt sich ausführlich mit der christlich-jüdischen Stadtgeschichte Regensburgs. Grau deutete die Forschungen des jüdischen Historikers Raphael Straus um und suchte für seine Doktorarbeit „Antisemitismus im späten Mittelalter“ (1934) historische Vorläufer des Antisemitismus und meinte sie unter anderem bei Nigri und Ostrofrancus gefunden zu haben.
Die Regensburger Ritualmordbeschuldigungen gingen so in die Nazipropaganda ein und zierten die Titelseite einer STÜRMER-Sondernummer vom Mai 1939.
Diese hier nur skizzierten Zusammenhänge gehören zum historischen Kontext und der Folgegeschichte von „500 Jahre Vertreibung der Juden“.
„Moralische Verpflichtung“ nur alle 500 Jahre?
Die vom Kulturreferat gesponserte Dominikaner-Ausstellung zeichnet aus einer selbstgefälligen Perspektive einen weltoffenen, angeblich überzeugen wollenden „Judenmissionar“ Petrus Nigri. Problematischen Aspekte der christlich-jüdischen Stadtgeschichte, wie die integrale Judenfeindschaft, werden bestenfalls verschleiernd angedeutet, zum Teil geschönt. In dieser Hinsicht blieb die Dominikaner-Jubiläumsschau im Schwarz-Weiß-Bereich verhaftet.
Dennoch resümierte die Leiterin des Diözesanmuseums Dr. Maria Baumann, die dreimonatige Ausstellung habe ihr Ziel erreicht. Man habe versucht „das Urteil über die Dominikaner aufzubrechen“. Das Urteil, „es ginge allein um Inquisition und Hexenverfolgung“. Aufgrund von Rückmeldungen der Ausstellungsbesucher mag dieses Resümee möglich sein. Mit der geschönten Darstellung des „Judenmissionars“ Petrus Nigri und einer tendenziösen Herangehensweise hat man allerdings neue Legenden geschaffen.
Das Kulturreferat hat es erneut versäumt, die christlich-jüdische Stadtgeschichte und die um 1500 grassierende Judenfeindschaft und ihre Tradierung angemessen darzustellen und so einen redlichen Beitrag zum anstehenden Jubiläum „500 Jahre Vertreibung der Juden“ zu leisten.
Robert Werner
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Leider hat sich ein kleiner Fehler eingeschlichen:
Die Ausstellung „Mehr als Schwarz und Weiß“ zu „800 Jahre Dominikanerorden“ war in der Dominikanerkirche St. Blasius und nicht im Diözesanmuseum! Das Diözesanmuseum war neben dem Orden einer der Veranstalter.
Vom Regensburger Umgang mit der Judenfeindschaft – haGalil
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[…] Robert Werner Erschienen in: regensburg-digital.de v. […]
Anna Lang
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Auch wenn die Kritik an Unger berechtigt scheint: tut doch dem armen Reiseverkehrskaufmann nicht alles aufbürden! „Klemens Unger ist verheiratet, katholisch und engagiert…“ – wie er auf der städtische Seite angibt. Ich glaube aber nicht, dass sein Interesse und seine Kenntnis der Stadtgeschichte soweit reichen, dass er über Ostrofrancus und Nigri irgendetwas weiß. Zumal die o.g. Zusammenhänge nicht in Bauers „Kunst-, Kultur- und Alltagsgeschichte“ stehen, aus der Unger all sein Wissen zieht (wie er mal kundtat), hat er davon vermutlich keine Ahnung!
Im Ausstellungskuratorium waren neben Unger auch der ehemalige Diözesanmuseumsleiter Dr. Reidel, der katholische Prof. Bonk, der katholische Kirchengeschichtler Prof. Unterburger und weitere gelehrte Dominikaner-Patres vertreten. Der eine oder andere hätten es schon besser wissen sollen …
menschenskind
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Nicht nur die Regensburger, auch die Passauer bischöfliche Geschichtsschreibung klitterte und klittert ihre Geschichte nach Gutdünken zurecht.
Die Webplattform haGalil berichtete vor wenigen Jahren, es stand damals der Passauer Diözesan-Archivar Dr. Herbert Wurster im Mittelpunkt der Kritik, ein Geschichtsverbieger in Kirchendiensten, der (zu allem Überfluss) auch noch mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet wurde:
http://www.hagalil.com/2011/01/passau/
Man muss demnach ausgesprochen kritisch sein, wenn man sich über bayerische Christentumsgeschichte informieren (lassen) möchte.
Bereits 1927 widmete das angesehene deutschsprachige Jüdische Lexikon den Dominikanern einen eigenen Eintrag, in dem der Orden zwar eher noch mit Sanfthandschuhen angefasst wurde, aber doch klipp und klar die Schuld des Ordens an Judenverfolgungen und -bekehrungen zur Sprache kam („spielte in der Geschichte der Judenverfolgungen eine berüchtigte Rolle“).
http://www.hagalil.com/2012/02/willy-cohn/
Die deutsche Wikipedia von Ende Oktober 2016 kennt in ihrem Dominikaner-Eintrag keine Zusammenhänge zwischen dem Orden und den Juden. Umso mehr ist da hingegen über dessen Ruhm und Wirken die Rede. Nur wer sich auch noch die Diskussionsseite zu diesem Eintrag ansieht (was erfahrungsgemäß nur paar wenige Prozent der Wikinutzer tun), der erhält Einblick in die unpopulären ‚Begleiterscheinungen‘.:
https://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Dominikaner#Wurde_der_Antijudaismus_der_Dominikaner_bisher_absichtlich_unterdr.C3.BCckt.3F
Der Autor des Diskussionsbeitrags bringt es auf den Punkt:
„Wurde der Antijudaismus der Dominikaner bisher absichtlich unterdrückt?“
Und ob er das wurde!
Der Dominikanereintrag von en.wiki wurde ganz offensichtlich ebenfalls von Ordensleuten oder deren Sympathisanten verfasst, kein Wort über Zusammenhänge Blutschuld, Ritualmord, Bekehrung und dergleichen. Nicht viel anders sieht es bei den wiki-Einträgen der Polen, Italiener, Franzosen aus.
Nur gut, dass es auch noch die virtuelle jüdische Bibliothek gibt, die englischsprachige Leser erfreulich offen mit Material versorgt. Aber nur 31 % der Deutschen ‚können‘ Englisch!
https://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/judaica/ejud_0002_0005_0_05318.html
Herbert Turetschek
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“Nur gut, dass es auch noch die virtuelle jüdische Bibliothek gibt”
Die Wahrheit muss ans Licht!
“Aber nur 31 % der Deutschen ‚können‘ Englisch!”
Es gibt doch Google- Übersetzer und Bing-Übersetzer :)
menschenskind
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“Es gibt doch Google- Übersetzer und Bing-Übersetzer”
Die Erfahrung lehrt leider, dass christliche Deutsche extrem bequem sind, und solche Infos (die ihr geheiligtes Weltbild bedrohen könnten) nur in gutem Deutsch und am liebsten von einem, als ‘eigenen’ erkannten, Autor serviert bekommen wollen.
Viele Christen weigern sich darüber hinaus kategorisch Bücher oder Artikel jüdischer Autoren zu lesen.
Leider – muss man sagen, denn nichts ist schlimmer als sich einseitig informieren zu lassen.
Im übrigen trau’ ich mich zu wetten, dass keine Handvoll Reg.dig.-Leser den verlinkten Dominikaner-Artikel der virtuellen jüdischen Bibliothek von Anfang bis Ende gelesen hat und auf sich hat einwirken lassen.
Mehr als d’rauf hinweisen kann ich nicht.