Vom Paulus zum Saulus
Das Stadttheater präsentiert mit „Saul” ein bemerkenswert angriffslustiges Stück Bühnenkunst.
Wenn man dem Theater Regensburg nach der Premiere vom Samstagabend etwas nicht vorwerfen kann, dann ist es Provinzialität. Genauer gesagt: ein Drang zur Gefälligkeit, der Bühnen in der Provinz gern nachgesagt wird. In zweieinhalb Stunden Spagat zwischen üppig-opulenter Rokoko-Ästhetik und modernem Regietheater hat sich das Haus einer echten Mammutaufgabe gestellt – oder, um beim Thema von „Saul” zu bleiben, einer Goliath-Aufgabe.
Denn Georg Friedrich Händels Oratorium, das in einer Übernahme vom Staatstheater Oldenburg jetzt auch in Regensburg gespielt wird, erzählt die Geschichte von Saul, dem König von Israel. Der feiert die Heimkehr seines Kriegers David, der den übermächtigen Goliath im Kampf besiegt hat, zunächst gemeinsam mit seinen Untertanen, verspricht ihm sogar seine Tochter zur Frau. Schon bald aber ist das Volk von David mehr begeistert als vom König, und der Neid beginnt, Saul zu zerfressen. Nachdem die Mordpläne des Königs scheitern und er im Wahn auch noch seinen eigenen Sohn tötet, begeht Saul in einem Akt der Verzweiflung schließlich Selbstmord.
Der Pomp fällt
Gerade in Sachen Bühnenbild (Katharina Schlipf), Ausstattung und Kostüm (Ursula Kudrna) beweist die Inszenierung von Lydia Steier eine bemerkenswerte Stringenz. Was beginnt wie ein betont überkitschtes Barock-Reenactment – so viel Perücke, Puder und Samt ist da auf der Bühne, dass die in sanftem Aquarell gehaltene Säulenhalle und der buchstäblich auf Wolken gebettete Thron des Saul fast dahinter verschwinden – wird im Laufe der Aufführung zu einem zivilisatorischen Fragmenthaufen vor rostig-verbeultem Schiffscontainer.
Schließlich führt doch David, der mutige und gottesfürchtige Krieger, allen vor, dass Besitz und Stolz nur Ausdruck von Sünde sind. Jonathan, Sauls Sohn, reißt sich am Hofe als erster die alberne Perücke vom Kopf und den Rock vom Leib. Was so beginnt, ist nicht weniger als die Dekonstruktion von Pomp und Puder, von den Kulissen einer Herrschaft, hinter denen sich nichts verbirgt als die kalte Fratze der Missgunst, des Neides und der Geltungssucht. Doch nicht ohne Hintergedanken: Schließlich scheint es der David in diesem „Saul” sichtlich zu genießen, plötzlich ein populärer, asketischer Gegenpol zum König zu werden. Ein Pol, an dem sich Macht ansammelt.
Aus Adel wird Pöbel
Aber wer braucht schon einen Thron, wenn er Hartplastik-Campingstühle haben kann? Wer Wein, wenn es Dosenbier und Popcorn gibt? Die Hochzeitsnacht von David und der ihm versprochenen Königstochter findet auf 13 Quadratmetern in Containerbauweise statt und zur Volksbelustigung gibt es eine Art Public Mobbing samt Prügelattacke. Aus Adel wird Pöbel, aus Königen werden Mörder. Die Leichen werden kurzerhand von Kulissenschiebern entsorgt. Zwischen alldem säuselt sich unschuldig der Countertenor des Davids in Richtung Volksheld.
Ein Enfant Terrible der hiesigen Theaterbühne
Der Regensburger „Saul”, der ursprünglich mal ein Oldenburger war, ist mutig, ohne Frage. Er ist angriffslustig, provokativ, ein bisschen rücksichtslos und kaltschnäuzig. Aus einer braven Verbildlichung von Händels Musik (hervorragend dargeboten unter der Leitung von György Meszaros) wird in Kürze eine Projektionsfläche, wie sie aus dem modernen Regietheater bekannt ist. Dass dieser „Saul” aber als Enfant Terrible der hiesigen Theaterbühne derart begeisternd funktioniert, hat er dann vielleicht doch dem fruchtbaren Mutterboden eines in Teilen bräsigen Provinzpublikums zu verdanken.
In der Pause freut man sich dort nämlich noch darüber, wie schön romantisch und üppig die Inszenierung doch gelungen ist („Das muss ja auch nicht immer alles so modern sein”), oder wie schön anzusehen das Bühnenbild und die Kostüme seien. Der Moment nach der Pause, in dem Lydia Steiers Fassung auf einmal Reißzähne bekommt, schießt auf diesem Boden natürlich doppelt so effektvoll ins Kraut.
Containerpalast und ein exzellenter Chor
Dass viele der sehenswerten Stilbrüche doch recht kalkuliert daherkommen, dass zumindest einige der Solisten irgendwie den Eindruck machen, als täten sie lieber antikes Mobiliar aus schwerem Holz als Gartenstühle aus Hartplastik umwerfen, dass die beiden „Neidfiguren” des Saul selbst doch eher Kitschcharakter haben als über den Kitsch hinauszuhelfen, dass gar der Container als Palastersatz noch eine ganz andere, hier-und-jetzt-politische Projektionsfläche hätte bieten können (man denke nur an die Containerbauten für Flüchtlinge, die gerade in Regensburg errichtet werden); das alles wird zur Nebensache bei diesem so clever aufgezogenen Turnaround des Stücks vom braven, kultivierten, gefassten „Paulus” zum dreckigen, zum pervertierten, zum blassfratzigen Saulus.
Als goliathmässig gut muss die Leistung des Chores gewürdigt werden, der gesanglich der heimliche Star des Abends ist. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass es seine Mitglieder sind, die am Ende des Dreiakters den größten Applaus genießen dürfen.
Von der Opulenz in die mausgraue Technokratie
An diesem Ende ersteht im „Saul” übrigens ein neues Reich aus dem Chaos auf. Die barocken, opulenten Gewänder sind gegen mausgraue Anzüge eingetauscht worden. Das Volk steht stramm. Das Pferd, auf dem zu Beginn des Stückes noch der David triumphierte, ist jetzt kopflos.
Auf seinem Rücken trägt es ein Kind, das in der Inszenierung anders als im Original-Libretto allgegenwärtig ist und als Mahner wie Beobachter in Erscheinung tritt. Das Schlussbild schließt den Kreis so eindrucks-wie verhängnisvoll. Ohne zu viel verraten zu wollen: ein neuer Goliath ist erschaffen. Einer, der nicht so leicht zu köpfen sein wird.
SAUL
Oratorium in drei Akten | HWV 53 von Georg Friedrich Händel (1685–1759) | Libretto von Charles Jennens
– Übernahme vom Staatstheater Oldenburg –
In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Premiere am 25. April 2015 um 19:30 Uhr im Theater am Bismarckplatz
Musikalische Leitung György Mészáros
Inszenierung Lydia Steier
Szenische Einstudierung Sebastian Ukena
Bühne Katharina Schlipf
Kostüme Ursula Kudrna
Choreinstudierung Alistair Lilley
Dramaturgie Kathrin Liebhäuser
Licht Wanja Ostrower
Saul Mario Klein / Jongmin Yoon
Jonathan Yinija Gong
David Yosemeh Adjei
Michal Anna Pisareva
Merab Aurora Perry / Vera Semieniuk
Hexe von Endor / Abner Matthias Ziegler
Samuel Jongmin Yoon / Florian Köfler
Neid-Figuren Lena Bihler, Julia Leidhold
Kind (Darstellerin) Magdalena Hubmann / Sarah Romea Karimov
Kind (Sängerin) Monika Tschuschke
Opernchor des Theaters Regensburg
Philharmonisches Orchester Regensburg
Konzertmeisterin Verena Sommer, Dozentin an der HfKM
Cembalo Prof. Stefan Baier, Rektor der HfKM
Als Praktikanten im Orchester: Studierende der Katholischen Hochschule für Kirchenmusik und Musikpädagogik (HfKM)
Extra-Chor, Statisterie und Mitglieder des Cantemus-Chores