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"Ende der Zeitzeugenschaft?"

Vergessen kann lebensgefährlich sein

Was geschieht, wenn die letzten Überlebenden der Shoa verstorben sind? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine Ausstellung an der Universität Regensburg. Beantworten kann sie sie nicht.

Fotos: Julia Dragan UR.

Professor Bernhard Löffler ist überwältigt. Er habe schon so einige Ausstellungen eröffnet, sagt der Direktor des „Zentrums Erinnerungskultur“ an der Universität Regensburg. Aber so viel Zuspruch – das sei neu. „Ende der Zeitzeugenschaft?“ lautet der fragende Titel der Schau, die am Dienstag feierlich in der Universitätsbibliothek eröffnet wurde. Rund 130 Gäste sind gekommen. Das freut Löffler. Man wolle damit nämlich in die Regensburger „Stadtgesellschaft hineinwirken“ und „produktive Prozesse freisetzen“.

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Gerade mit Blick auf den entsetzlichen Terrorangriff der Hamas auf Israel sei die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen „unabdingbar“, betont Universitätspräsident Udo Hebel in seinem Grußwort. Die Zeugnisse „der Überlebenden der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ bleiben Hebels Überzeugung nach „für das gesellschaftliche Gedächtnis essentiell“.

„Ratloses Unbehagen“

Doch wie ist das mit der seit vielen Jahren zu hörenden Klage, dass die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des Holocaust bald verschwunden sein werden? Jörg Skriebeleit, Leiter der Gedenkstätte Flossenbürg, wirft bei der Ausstellungseröffnung am Dienstag die Frage auf, ob es sich hier nicht um eine „Metapher des Übergangs“ handle und dabei „ratloses Unbehagen“ mitschwinge.

Laut Prof. Skriebeleit, der wie Löffler im Direktorium des „Zentrums für Erinnerungskultur“ sitzt, ist die „Anzahl der Zeitzeugenberichte und -archive zur nationalsozialistischen Verfolgung inzwischen fast unüberschaubar“. Die Zeitzeuginnen würden nicht verschwinden, „sondern sie sind präsenter denn je, wenn auch immer öfter ausschließlich medial vermittelt“.

Dem Umschreiben der Geschichte entgegenwirken

Dr. André Schüller-Zwierlein, Direktor der Universitätsbibliothek Regensburg, die in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Erinnerungskultur als Veranstalter der Ausstellung auftritt, beklagt allerdings ein gesellschaftlich vorhandenes Desinteresse an den NS-Verbrechen, ihre Verleugnung und Verdrängung. Angesichts der vielerorts aufkommenden autoritären Kräfte und Regimes sei es wichtig, die in diversen Formaten vorliegenden Zeugnisse der Überlebenden technisch verlässlich zu sichern.

So könne man einem Umschreiben der Geschichte entgegenzuwirken. Denn vergessen könne „lebensgefährlich“ sein, so Schüller-Zwierlein.

Gut besuchte Eröffnungsfeier. Foto: Julia Dragan UR.

Den Eröffnungsvortrag („befragen, bezeugen, zuhören – ohne Happy End“) hielt Dr. Axel Doßmann vom Historischen Institut Universität Jena. Er beleuchtet den Umgang mit dem Vermächtnis von Zeitzeugen kritisch:

„Seit die mediale Figur ‚Zeitzeug*in der nationalsozialistischen Verfolgung‘ nicht allein als historisch und ethisch relevant, sondern auch als politisch und pädagogisch wertvoll gilt, geht ihre Funktion weit darüber hinaus, Gräueltaten zu beschreiben und anzuklagen. Immer öfter haben Überlebende in der Öffentlichkeit die Aufgabe erhalten, als Vorbilder für eine bessere Zukunft zu wirken. Inzwischen erlangen Interviewzeugnisse den Status einer moralischen Instanz, die vor allem die Jugend dauerhaft erreichen soll, damit ‚es‘ sich nicht wiederholt.“

Doßmann plädiert für „mehr Mut in der deutschen Erinnerungskultur“ und dafür, weniger „übergroße Ansprüche an das Vermächtnis der Überlebenden zu stellen“.

Die gesellschaftliche Rolle der Zeitzeugen

Die Ausstellung Ende der Zeitzeugenschaft? konnte bereits im Jahr 2019 zum ersten Mal besucht werden. Sie wurde vom Jüdischen Museums Hohenem unter Projektleiterin Anika Reichwald in Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg erstellt und will vor allem die „Gemachtheit“ der Interviews mit Zeitzeuginnen und ihre gesellschaftliche Rolle seit 1945 hinterfragen.

Die Erinnerung an die Shoah, „wie sie in Interviews und Aufnahmen von öffentlichen Auftritten der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen überliefert ist“, steht dabei im Fokus. Bisher gezeigt wurde sie Ende 2019 bis Mitte 2020 in Hohenem, Anfang 2021 in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und Ende 2021 im NS-Dokumentationszentrum München, danach in Augsburg, in Berlin und Wien.

Die Ko-Kuratoren Johannes Lauer und Julius Scharnetzky mit dem Präsidenten Udo Hebel Foto: Julia Dragan UR.

Besucher, die von der Ausstellung Antworten erwarten auf die Frage, wie es weitergeht mit den Zeugnissen der nur noch wenigen Überlebenden der Shoa nach deren Versterben, werden allerdings enttäuscht sein. Diesen Anspruch habe man auch nicht, sagt Ko-Kurator Julius Scharnetzky von der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Das müsse erst noch gesellschaftlich ausgehandelt werden, ergänzt sein Kollege Johannes Lauer. Hier wolle man lediglich Möglichkeiten aufzeigen.

Seltene Einblicke

Wie für andere Orte wurde die Schau auch für Regensburg leicht verändert. Sie gewährt von daher auch Einblicke in die Videosammlung der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, unter anderem in Interviews, die bislang nicht öffentlich gezeigt wurden. So ist zum Beispiel das bedrückende Video mit Otto Schwerdt zu sehen.

Auf Monitor zu sehen:  Interview mit Otto Schwerdt, Foto: Julia Dragan UR.

Der 2007 verstorbenen ehemaligen Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Regensburgs schildert darin die Erschießung eines Freundes. Schwerdt hat mehrere nationalsozialistische Konzentrationslager überlebt, unter anderem Auschwitz-Birkenau und Leitmeritz, ein Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg.

In der Schau wird auch das Schicksal des Künstlers Richard Grune thematisiert, der im NS-Regime als Homosexueller verfolgt und in Lagern inhaftiert wurde. Nach dem Ende des NS-Regimes wurde Grune aber nicht als Zeitzeuge gehört und geachtet, sondern abermals nach § 175 verfolgt und kriminalisiert.


Ende der Zeitzeugenschaft? ist in der Universitätsbibliothek Regensburg bis zum 31. Juli 2024 ohne Barriere und Eintritt zu sehen: von Montag bis Freitag 8.00 – 19.30 Uhr und samstags von 9.00 – 18.00 Uhr.


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Kommentare (10)

  • Madame

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    Vergessen wird im grunde nichts. Das sieht man an den neuerlichen kämpfen, denn hass ereugt gegen hass. Es ist nur schlimm, dass unschuldige daran glauben müssen.

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  • xy

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    Wurde bei der Veranstaltung näher erläutert oder war es sonst irgendwie selbsterklärend, warum vergessen „lebensgefährlich“ sein soll? War das ernst gemeint, und wenn ja, wie, oder war es nur eine wenig sinnvolle rhetorische Volte für die anwesenden Journalisten, die sonst nicht recht gewußt hätten, was sie zum Thema hätten schreiben sollen?

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  • Jens

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    Der notwendige Prozess der Umbenennung oder historischen Einordnung von ehrenden Schul- und Straßennamen verdient einen weiteren Bericht für den Stadtrat. Darin sollten Zwischenschritte diskutiert werden wie etwa (vorläufige) Listen von Personen, deren NS-Nähe heute als belegt gilt oder deren Wirken herausragend Positives mit gravierend Negativem verbindet, und vielleicht Stichworte mit Fragezeichen. Darin sollten auch beschlussreife Einordnungen stehen und Wege, auf beschlossene Einordnungen wirksam aufmerksam zu machen.

    Wenn Straßennamenspate Ludwig Thoma einst per anonymem Leserbrief aufgerufen hätte zum Mord an Juden, wenn wir dies aber unter dem Teppich ließen wegen seiner Poesie, dann gefährdete das (Hörensagen) unsere Identitäten.

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  • Sybille

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    Moin Moin, Regensburg.
    Die wissenschaftliche Bearbeitung der Entstehung und des möglichen Endes der Zeitzeugenschaft läuft international seit Jahrzehnten!
    In Deutschland befasste sich schon 2006 eine Sektion des Konstanzer Historiker-Tages damit, 2008 widmete sich eine internationale wissenschaftliche Tagung in Potsdam des Themenkomplexes. Die einschlägige Literaturliste ist lang.

    Gut, dass das Thema nun auch in Form einer 4 Jahre alten Ausstellung in Regensburg angekommen ist. An der dortigen Universität haben sich in den letzten zwei, drei Jahrzehnt kaum Wissenschaftler mit den einschlägigen Fragen und dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen befasst.

    So war es denn auch möglich, dass mit Robert Bürger ein ehemaliger Offizier der Wehrmacht sich den Mantel des Zeitzeugen umhängen und als solcher auch noch mit einer pseudowissenschaftlichen Arbeit die Geschichte des Kriegsendes mit Unterstützung von Interessensgeleiteten schreiben konnte; ganz nach seinen Vorstellungen und anhand eines von ihm erfundenen Tagebuchs!

    Dass Mitläufer, Parteinahe, NS-Funktionäre und NS-Täter als ZEITZEUGEN auftraten, das gab es leider nicht nur in Regensburg.

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  • Josef M.

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    Am 16. November 13 Uhr gib es im Saal H24 der UR eine Podiumsdiskussion mit dem Überlebenden Ernst Grube, Skriebeleit u.a, mit dem unglücklich formulierten Thema: ENDE DER ZEITZEUGENSCHAFT – ZUKUNFT DER ERINNERUNG?
    Der arme über 90jährige Grube muss nicht nur Zeuge seiner Erlebnisse sein, sondern auch über die Zukunft der Arbeit der Lehrer und Historiker Auskunft geben.

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  • Tom

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    Wenn der letzte Zeitzeuge verstorben ist bin ich sehr zuversichtlich, dass Spiegel TV oder Ähnliches den Auftrag des immer währenden Erinnern wahrnehmen wird.

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  • Native

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    Man kann es nur immer wiederholen, (weil es stimmt). Sie liefern in Parlamenten immer wieder selbst und ihre willfährige, geschichtsvergessene Klientel, öffentlich den beschämenden Beweis. Was 2019 galt, gilt auch aktuell für aufgeblasene Auftritte, auch im bayerischen Landtag im Oktober 2023.
    So nun ist es raus!

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  • Lurchi

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    Die Shoa wird ewig im kollektiven Gedächtnis bestehen bleiben. Von der abartigen
    Mörderbande Hamas bleibt nichts!

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  • Daniela

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    Ich finde es faszinierend, dass man annehmen könnte, dass nationalsozialistische Verbrechen im 3. Reich jemals in Vergessenheit geraten könnten.
    Zum 1. werden wir aktuell alarmierend daran erinnert, wie von einem Tag auf den anderen Tag viele Staaten in Kriege gezogen werden. Zum 2. wird ebenfalls mehr als deutlich, welche Größenordnung dabei unterschiedliche Religionen und Fanatismus einnehmen.
    Und 3. erkennen wir nach und nach, dass es in Deutschland verbreitet ist, auf unseren Straßen und Plätzen steht.
    Wer sich in Zeiten wie diesen nicht automatisch erinnert und zum Nachdenken angeregt wird, hatte noch nie deutsche Geschichte in der Schule.

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