Urteile im „Beispielfall“ des Verfassungsschutzes
Vor dem Amtsgericht Schwandorf mussten sich zwei junge Oberpfälzer wegen eines rassistisch motivierten Angriffs verantworten. Einer von ihnen muss ins Gefängnis – allerdings wegen einer anderen Tat.
Es war der Verfassungsschutz, der dem Fall eine gewisse Prominenz verliehen hatte. Dass der junge Kurde Boran A. (alle Namen geändert) im Februar letztes Jahr in einer Toilette der Discothek „Sound“ unter rassistischen Beleidigungen und Nazi-Parolen geschlagen und getreten wurde, wählte der Verfassungsschutz in seinem aktuellen Bericht als Beispielfall für Übergriffe auf Migranten. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass mehrere Medien nach der Vorstellung des Berichts im April 2016 den Übergriff zumindest erwähnt hatten. Boran A. (22) erlitt dabei mehrere Verletzungen an Auge und Oberkörper.
Erwähnungen im VS-Bericht ohne Urteil
Ohne Urteil sind solche Erwähnungen im Verfassungsschutzbericht eigentlich immer ein heikles Unterfangen. Doch die lange Dauer von Ermittlungsverfahren nötigt die Behörde offenbar immer wieder dazu, auf noch nicht abgeschlossene Fälle zurückgreifen zu müssen. Zwischen der Tat in Burglengenfeld und der ersten Hauptverhandlung lagen insgesamt 16 Monate.
Falsch wird der Bericht durch das Urteil, das am gestrigen Donnerstag gefällt wurde, nicht. Ob der für die Tat zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilte Peter K. (24) allerdings ideologisch in eine Reihe mit den sonst im Bericht gewürdigten Überzeugungstätern passt, blieb am Ende des Tages zweifelhaft.
“Ich habe viele ausländische Freunde.”
Zu Beginn räumte K. ein, den jungen Kurden geschlagen zu haben. Laut seiner Version sei alles eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen, bei denen Alkohol im Spiel war. An die nationalsozialistischen Parolen („Heil Hitler!“) und die rassistischen Beleidigungen („Kanake“), die der Tat vorausgegangen sein sollen, wollte er sich dagegen nicht erinnern. Sie würden nicht zu ihm passen. Er habe viele ausländische Freunde. Ein Satz, den (mutmaßliche) Rassisten häufig in den Mund nehmen und der eigentlich nichts beweist, außer, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.
Zweifel an rassistischen Motiven nährt hingegen das weitere Verhalten des Angeklagten. Sofort willigt K. ein, gemeinnützige Arbeit in der Flüchtlingshilfe zu leisten, sollte ihm das zur Auflage gemacht werden. In einer Verhandlungspause richtete er einen Dauerauftrag mit einer monatlichen Zahlung an das Opfer ein und entschuldigte sich in seinen letzten Worten beim ihm.
“Es gibt auch andere Beleidigungen.”
Von rassistischen Vorurteilen und einer problematischen Einstellung, wenn auch tiefer verborgen, mochten ihn Richterin Petra Froschauer und Rechtsanwältin Ricarda Lang, Nebenklagevertreterin für Boran A., allerdings nicht freisprechen.
„Es gibt auch andere Beleidigungen, die nicht auf die ethnische Herkunft eines Menschen zielen“, hielt die Münchner Fachanwältin für Strafrecht dem Angeklagten in ihrer Stellungnahme vor. Lang verlangte vom ihm, sich ernsthaft mit seinem Welt- und Menschenbild auseinanderzusetzen. Sie beurteilt den Angriff als typischen Fall von Hasskriminalität, der strafverschärfend zu werten sei. Die Bemühungen des Täters um eine Wiedergutmachung erst im Angesicht der Richterin kämen zu spät und seien eher der Prozesstaktik als ehrlicher Schuldeinsicht geschuldet.
Opfer einer besonders verwerflich motivierten Straftat
Am Ende fand sich im Urteil, zehn Monate auf Bewährung, 1.000 Euro Geldauflage an das Opfer und 150 Arbeitsstunden, bevorzugt in der Flüchtlingshilfe, etwas aus allen drei „Plädoyers“ wieder. Staatsanwaltschaft und Nebenklage hatten ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung, die Verteidigung weniger als sechs Monate gefordert. Der Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und Beleidigung habe sich bestätigt, so das Gericht. Mit Blick auf Boran A. wird im Urteil damit festgehalten, dass er Opfer einer besonders verwerflich motivierten Straftat geworden ist.
Der junge Mann wurde vom Verein B.U.D. beraten, der im Rahmen des beim Bayerischen Jugendring angesiedelten Beratungsnetzwerkes Opfer rechter Gewalt unterstützt. Ob er die Entschuldigung des Täters annehme, darüber war er sich im Laufe des gestrigen Verhandlungstages noch unschlüssig.
Trotz Freispruch in den Knast
Der zweite Angeklagte, Christian E. (22), war dagegen nach Meinung aller Beteiligten freizusprechen. Die Beweisaufnahme bestätigte zwar, dass Boran A. auf der Toilette der Diskothek von zwei Personen gemeinschaftlich getreten wurde, als er schon am Boden lag. Allerdings konnte nicht mit Sicherheit bewiesen werden, dass Christian E. der zweite Täter war. Ein Gutachten des Landeskriminalamts zu einem Schuhabdruck auf dem Oberkörper des Opfers konnte E. nicht mit Sicherheit zugeordnet werden.
Zwar war auch E. in besagter Disco und wurde von den Türstehern gemeinsam mit Peter K. vor die Tür gesetzt. Ein Zeuge aus dem Umfeld von Boran A. erinnerte sich aber, ihn zur Tatzeit außerhalb der Toiletten gesehen zu haben. Auch das Opfer konnte sich nicht sicher an die zweite Person erinnern.
Ohnehin war die Zeugenlage insgesamt äußerst dünn, was vor allem daran liegen dürfte, dass es sehr lange dauerte, bis die Polizei am Tatort eintraf. Laut den Telefonprotokollen des Opfers verging beinahe eine Stunde, bis endlich eine Streife bei der Diskothek eintraf, so dass sich Boran A. und ein Zeuge selbst auf die Suche nach den Tätern machten. Dabei kam es zu einer erneuten Konfrontation, die glücklicherweise glimpflich abging. Die Suche nach dem zweiten Täter oder nach Zeugen – es sollen sich beim Rauswurf von K. und E. noch bis zu sechs Personen im Toilettenbereich aufgehalten haben – war durch das späte Eintreffen der Polizeistreife am Ende kaum mehr möglich.
Private Polizeiarbeit in Zeiten des Web 2.0
Ins Gefängnis muss E. nach dem gestrigen Verhandlungstag allerdings dennoch, sofern die Urteile rechtskräftig waren. Zu dem Verfahren wurde nämlich eine weitere gewaltsame Auseinandersetzung in der gleichen Diskothek an Halloween letztes Jahr hinzugezogen, bei der einem Gast durch einen unvermittelten Faustschlag ins Gesicht die Nase gebrochen wurde. Der Täter konnte an dem Abend zwar nicht ausfindig macht werden.
Freunde des Opfers machten sich an die private Polizeiarbeit und recherchierten in sozialen Netzwerken. Schnell fokussierte sich ihr Verdacht auf Christian E.. Der polizeiliche Sachbearbeiter räumte denn auch leicht resigniert den Einfluss auf seine Ermittlungen ein. Die Zeugen hätten durch die Facebook-Fotos nun schon ein bestimmtes Bild vor Augen, so dass er eine Befragung mit Lichtbildmappen für sinnlos erachtete.
Über eine Whats-App-Gruppe konfrontierten dann Zeugen und Opfer ihren Verdächtigen mit den Vorwürfen. Christian E. bestritt, an dem Abend im „Sound“ gewesen zu sein. Zeugen waren sich dagegen sicher, ihn vor der Diskothek gesehen zu haben.
Zahlreiche Vorstrafen wegen Gewalttaten
Ins Gefängnis muss E. wegen seiner zahlreichen Vorstrafen, die „zu gut“ auch in das Schema der Tat an Halloween passten. In Clubs in Burglengenfeld und Regensburg zielte er mit Kopfstößen und Fäusten immer wieder ins Gesicht von Kontrahenten. Hinzu kam eine falsche Aussage vor Gericht. Insgesamt gab es im Bundeszentralregister sechs Eintragungen, vier davon einschlägig. Zum Zeitpunkt der Tat stand er unter zweifacher Bewährung. Zudem war er der Auflage, ein Anti-Aggressionstrainung zu absolvieren, nicht nachgekommen. Nur sein Verteidiger wollte ihm noch ein Mal eine Chance geben. Das Gericht allerdings verurteilte ihn zu einem Jahr Gefängnis.
joey
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Bewährung:
hätte man E. gleich beim ersten Mal eingesperrt, wären die anderen Taten vielleicht nicht passiert. Ein anti Aggressionstraining der alten Schule… Vielleicht hätte es auch gereicht, ihn schon beim ersten Schwänzen des anti Aggressionstrainings zu verhaften – für einen ersten Kurztrip in den Knast, einen echten Warnschuß.