Unfalltheorie war „zu viel verlangt“
Am Dienstag sprach die Zweite Strafkammer des Landgerichts Regensburg das Urteil im SEK-Prozess wegen versuchten Mordes. Die Kammer ist überzeugt, dass Markus S. vergangenes Jahr eine Brandfalle gebaut und damit den Tod von Menschen billigend in Kauf genommen hat.
Markus S. ist des versuchten Mordes schuldig. Das hat die Zweite Strafkammer unter Vorsitz von Dr. Michael Hammer am Dienstag entschieden und den Angeklagten zu sieben Jahren Haft verurteilt. Durch ein Brandfalle in seiner Wohnung habe S. billigend in Kauf genommen, dass jemand getötet werden könne. Eine SEK-Beamter wurde damals schwer verletzt.
Wenn die Polizei in seine Wohnung komme, dann werde es „knallen“. Diese Warnung soll der Angeklagte in der Nacht des 14. Juni 2020 gegenüber den Beamten ausgesprochen haben, die gekommen waren, nachdem er mehrere Molotow-Cocktails vom Fenster aus in ein Gebüsch geworfen hatte. Den Zuruf an die Beamten haben mehrere Zeugen unabhängig voneinander vor Gericht bestätigt. Die Kammer sieht darin ein entscheidendes Detail für die Frage der Schuld und auch dafür, ob bei der verhandelten Tat das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt ist.
Richter glaubt Erinnerungslücken nicht
In der Urteilsbegründung erklärt Richter Dr. Michael Hammer am Dienstag, dass sich derlei Äußerungen zwar oft als „leere Drohung“ darstellen würden. „Wenn so etwas dann aber doch eintritt, von meinem Unfall zu sprechen, ist sehr viel verlangt. Wir meinen, zu viel verlangt.“ In dem seit Ende März vor der Schwurkammer verhandelten Verfahren (wir haben hier und hier darüber berichtet) hatte Markus S. immer wieder beteuert, der verursachte Brand sei ein Unfall gewesen. Er habe „zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt, jemanden zu verletzen“ oder gar zu töten.
Keine Zweifel hat das Gericht daran, dass der 42-Jährige die Tat gerne rückgängig machen würde und über das Geschehene selbst bis heute schockiert sei. Die mehrfach geltend gemachten Erinnerungslücken will die Kammer hingegen nicht ohne Weiteres gelten lassen. Diese könnten sehr wohl eine „bewusste Verteidigungsstrategie“ oder auch „Selbstschutzverdrängung“ sein. Beides erlebe man bei vielen Tätern, so der Richter.
„Widersprüchlich“ und „lebensfern“
Bei der Beweiswürdigung geht der Hammer dann noch einmal genauer auf eine Aussage des Angeklagten ein. Laut ihm habe ein Polizist im Laufe des Einsatzes gefordert, das Teelicht vom Fensterbereich wegzustellen. Besagter Polizist gab bei seiner Zeugenvernehmung jedoch an, weder ein Teelicht am Fenster neben dem Beklagten gesehen zu haben, noch konkret dessen Beseitigung verlangt zu haben. Er habe lediglich darum gebeten, „keine Sachen mehr zu werfen“.
Der gelernte Maurer änderte daraufhin seine Aussage und meinte, er müsse das „dann wohl so interpretiert haben, dass auch die Kerze gemeint war“. Dass der Angeklagte einem „auf Gefahr beseitigenden Appell entsprechend gehandelt haben will“ und dabei die noch immer brennende Kerze in den Flur der Wohnung gestellt habe, sei „in sich widersprüchlich“, betont Hammer. Von einer „lebensfernen“ Handlung hatte auch Staatsanwalt Denis Biermann in seinem Plädoyer gesprochen und gefragt, warum man die Kerze dann nicht einfach ausblase.
Angeklagter soll bewusst Menschen in Gefahr gebracht haben
Das Gericht ist nach der viertägigen Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der von Verteidiger Dr. Jan Bockemühl angenommene „tragische Unfall“ kein solcher war. Vielmehr habe Markus S. ein mit einem halben Liter Benzin gefülltes Glas und das Teelicht in ausreichendem Abstand dahinter bewusst im Flur platziert. Mit dieser Brandfalle habe er „eine nicht mehr kontrollierbare Gefahr für andere Menschen und sich selbst“ geschaffen. Die dadurch geschaffene Todesgefahr liege „auf der Hand“.
Die erhebliche Intoxikation des Angeklagten zur Tatzeit – er hatte seit zehn Tagen durchgehend Drogen konsumiert und am Tattag auch eine einiges an Alkohol getrunken – und dessen langjährige Suchterkrankung seien zwar ausschlaggebend für die Tat gewesen. Die Kammer nimmt hier auch eine verminderte Steuerungsfähigkeit an. Trotzdem müsse davon ausgegangen werden, dass S. die von ihm geschaffenen „potentiellen Todesursachen“ bewusst waren. Das würden mehrere Zeugenaussagen über das Verhalten des Mannes zur Tatzeit nahelegen.
Anwohner und auch Beamte hatten den Beschuldigten als „aufgedreht“ und „sprunghaft“ wahrgenommen. Dennoch habe er sich mit den Polizisten normal unterhalten und auf ihre Fragen auch angemessen reagieren können. Auch die Aussprache sei gut verständlich gewesen.
Gericht sieht Vorwürfe der Staatsanwalt bestätigt
Die Position der verbliebenen vier Molotowcocktails im Wohnzimmer als „potentiellem Einsatzbereich“ (Hammer) und ein Benzinkanister im Badezimmer – dem „Abfüllbereich“ – sprechen laut Gericht ebenfalls für ein strukturiertes Vorgehen. Das Benzin habe er zudem nur deshalb besorgt, um damit Brandsätze herzustellen. Spätestens seit dem Tankstellenbesuch einige Stunden zuvor habe er also planvoll gehandelt.
Die Beweisaufnahme habe letztlich den Tötungsvorsatz und eben auch den Vorwurf des versuchten Mordes an dem geschädigten SEK-Beamten bestätigt, so Hammer weiter. Dieser hatte beim Betreten der Wohnung das Gefäß umgestoßen und dadurch die Brandfalle ausgelöst. Binnen Sekunden stand der Mann in Flammen und trug schwere Verbrennungen davon.
Keine Heimtücke
Das von Nebenklagevertreter Harald Straßner angenommene Motiv der Heimtücke sieht die Kammer nicht erfüllt. Die Androhung, es werde „knallen“, habe zuvor deutlich gemacht, womit gerechnet werden müsse. Ein „feuerbasierter Angriff“ sei zudem auf Grund des Vorgeschehens zu erwarten gewesen.
Die Schwurkammer verurteilt Markus S. schließlich wegen schwerer Brandstiftung, in zwei tateinheitlichen Fällen der gefährlichen Körperverletzung, wegen tätlichen Angriffs auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie Verstoß gegen das Waffengesetz. Die verhängte Haftstrafe von sieben Jahren soll der Beschuldigte zum Teil im Maßregelvollzug in einer Entziehungsanstalt nach §64 verbringen.
Die Notwendigkeit einer therapeutischen Behandlung seiner Drogensucht hatte Markus S. selbst schon im Vorfeld bejaht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Alfons Kaiser
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Kommentar gelöscht. Kein Getrolle.
Fauler Hund
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Wenn ich einer der Beamten gewesen wäre, hätte ich nach den Molotow-Cocktails und der Drohung zumindest Brandschutzklamotten angezogen beim Betreten der Wohnung…
R.G.
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Ganz klar, das Anlegen von Brandschutzkleidung wird nicht durch gesagte Sätze verstanden, das muss wiederholt trainiert werden.
Verhalten für Extremsituationen ist in den Körper der Polizisten zu programmieren, damit es in der Not automatisiert ablaufen kann.
Dem Beamten aus dem Nichttragen der Brandschutzkleidung eine Mitschuld an der Schwere seiner eigenen Verletzungen zu geben, halte ich für höchst problematisch, das würde letztlich bedeuten, dass Beamte ohne schusssichere Weste lustig erschossen werden dürften, weil sie einen wesentlichen Teil der Schuld trügen.
Mr. T.
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Wenn ich ein Fauler Hund wäre, wüsste ich nicht mal hinterher alles besser.
Aber klar ist schon, dass dieses Versäumnis in irgendeiner Weise gewürdigt werden muss.
R.G.
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De-Eskalation gelingt häufig nur durch einen Mix aus professionellem Vorgehen und intuitivem Zugehen auf die drohende Person.
Erfahrungsgemäß, je uniformierter und noch verkleideter aufgetreten wird, desto mehr können bestimmte aufgeregte Menschen außer Rand und Band gelangen.
Für die Polizisten am Ort wird dieses Ereignis vielleicht dazu führen, nicht nur ein gemeinsames Vorgehen in Extremfällen zu trainieren, sondern auch ein privates Geräusch als Ersatz für das in der Panik nicht mehr wahrgenommene gesprochene Wort, etwa ein Zischen oder Zungenschnalzen für ein “Zurück”, aber kein Pfiff.
b
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Warum wird zu Beginn von “versuchtem Mord” geschrieben und im letzten Absatz von anderen Tatbeständen und dem nicht erfüllten Mordmotiv der Heimtücke?
Stefan Aigner
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@b
Es gibt mehr als nur ein Mordmerkmal. Allein die Absicht, Menschen in Lebensgefahr zu bringen und deren Tod billigend in Kauf zu nehmen, reicht aus.
Fauler Hund
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@R.G.
“Dem Beamten aus dem Nichttragen der Brandschutzkleidung eine Mitschuld an der Schwere seiner eigenen Verletzungen zu geben, halte ich für höchst problematisch, das würde letztlich bedeuten, dass Beamte ohne schusssichere Weste lustig erschossen werden dürften, weil sie einen wesentlichen Teil der Schuld trügen.”
Es kommt immer auf die Situation an, solche Pauschalisierungen langweilen mich ;)
Es ist ein Unterschied, ob ein Beamter ohne Weste in einen Kugelhagel geht, oder routinemäßig irgendwo rumstreift. Beim Kugelhagel wär die Weste angebracht, sowie Brandschutzkleidung bei Molotows.