Überleben durch Kunst
Eine Ausstellung holt die vergessenen Nazi-Opfer von Messerschmitt zurück. Der Regensburger Antiquar Reinhard Hanausch wurde vor kurzem dafür ausgezeichnet.
Von Waltraud Bierwirth
„Gusen ist der richtige Ort, um den Wert des Lebens zu verstehen.“ So sagt es einer der Zeitzeugen, der „der Hölle von Gusen“ entkam. Von 71.000 KZ-Gefangenen starb mehr als die Hälfte. „Es war das KZ mit den höchsten Todesraten“, sagen die Historiker. Alljährlich wird in einer Gedenkfeier im Mai in dem idyllischen Dorf in Oberösterreich der ermordeten und geschundenen Opfer gedacht. Unter dem Decknamen „Bergkristall“ wurden hier in kilometerlangen Stollenanlagen für das Regensburger Messerschmittwerk Teile des Jagdflugzeuges ME 109 und des Düsenjägers ME 262 gefertigt.
Nur ein Steinwurf weit von der Schnellstraße nach Linz, die KZ-Gefangene bauten, steht das „Memorial Gusen“. Direkt neben den Fundamentresten der ehemaligen Krematoriumsbaracke, wo etwa 30.000 der im Konzentrationslager Gusen verstorbenen Häftlinge verbrannt wurden. Blass und sichtbar aufgeregt tritt hier Stanislaw Leszcinski ans Mikrophon und berichtet, wie es war, als er mit dem Trupp von etwa 400 polnischen Gefangenen im Konzentrationslager Gusen eintraf: „Der Lagerkommandant Franz Ziereins sagte zur Begrüßung: ‚Das Essen reicht für euch für drei bis vier Wochen. Wenn einer länger lebt, heißt das, er stiehlt. Er wird in die Strafkompanie versetzt und dort lebt man kürzer.“ Wie sich das „Sterben vor Hunger“ in den grausamen Einzelheiten vollzog, schildert der fast 90jährige in dürren Fakten.
Auf der blutgetränkten Erde wuchsen Gemüse und Salat
Bereits vor der Gedenkfeier hatten sich die etwa 50 polnischen Pfadfinder, die Stanislaw zur Gedenkfeier begleiteten, im Besucherzentrum der Gedenkstätte informiert.
Seit zehn Jahren erst gibt es das „Memorial Gusen“ und die Dauerausstellung, die in vielen Zeugnissen von den Verbrechen berichtet. Das sprichwörtliche Gras des Vergessens sollte direkt nach der Befreiung im Mai 1945 über den Schauplatz des Schreckens wachsen. Die Holzbaracken der Häftlinge, die Leichenhalle, das Krematorium, der Folterkeller wurden beseitigt. Es entstand eine Siedlung von Ein- und Zweifamilienhäusern mit Gärten. Auf der blutgetränkten Erde wuchsen Gemüse und Salat. In die festen Ziegelbauten der SS, in das Jourhaus der Lagerkommandantur, in das Bordell mit den Zwangsprostituierten aus dem KZ Ravensbrück, zogen Siedler mit Kindern ein. Sie beseitigten alles, was irgendwie KZ-mäßig war.
Ein traumatischer Ort sollte sich in einen Ort der Normalität verwandeln. Doch die Geschichte des Ortes, die Erinnerung an das Foltern und Morden war nicht zu löschen. Die Rückholung aus dem „Vergessen“ geschieht gerade noch rechtzeitig. Zu Lebzeiten von Zeitzeugen und KZ-Überlebenden, die die Mauern des Schweigens durchbrechen.
Einer der wenigen, die alljährlich aus Deutschland zur Gedenkfeier nach Gusen kommen, ist seit 15 Jahren der Regensburger Antiquar Reinhard Hanausch. Seine Forschungen über die Zwangsarbeit des Flugzeugkonzerns Messerschmitt führten ihn zum vergessen KZ Gusen und der Zwangsarbeit unter dem Decknamen „Bergkristall“.
Ab August 1944 wurden in den weit verzweigten Stollenanlagen Teile der Düsenjäger für das Regensburger Messerschmittwerk produziert. Unter Mitwirkung von einigen hundert Messerschmitt-Facharbeitern, für die das NS-Verdikt „Geheime Kommandosache“ auch nach dem Krieg Bestand hatte. In den Stollen von Gusen ließen tausende von KZ-Gefangenen ihr Leben. Nicht selten entschied die Bewertung der Zwangsarbeit durch einen Messerschmitt-Vorarbeiter über Leben und Tod (eine ausführliche Recherche zu Messerschmitt und Gusen von Robert Werner).
Eine Ausnahme von der Unmenschlichkeit
Eine Ausnahme von diesem System der Unmenschlichkeit war die Begegnung zwischen dem Regensburger Vorarbeiter Karl Seider und dem polnischen KZ-Häftling und Maler Frantisek Znamirowski. Das anrührende Zeugnis dieser Begegnung ist ein Album mit zehn farbigen Aquarellen, das der Maler unter dem Titel „Gut gesinnt…“ 1944 fertigte und seinem Vorarbeiter zum Geburtstag schenkte.
Dieses Album entdeckte Reinhard Hanausch zwischen Büchern eines Nachlasses, forschte weiter der Messerschmitt-Zwangsarbeit nach und kam der Identität und dem Schicksal des Malers auf die Spur. Der Maler von Gusen, Frantisek Znamirowski, hatte überlebt. Seine zehn Aquarelle stehen im Mittelpunkt der Ausstellung „Überleben durch Kunst“, die in Regensburg konzipiert und in der Staatlichen Bibliothek präsentiert wurde. Die über viele Jahre gehüteten Aquarelle machte Hanausch der Staatlichen Bibliothek zum Geschenk. Nach drei Ausstellungsorten in Polen und derzeit in Berlin, soll im nächsten Jahr, zum 70. Jahrestag der Befreiung, die Regensburger Ausstellung in der Gedenkstätte des KZ Mauthausen gezeigt werden.
Die Konzentrationslager Gusen, Mauthausen und das mörderische Schloss Hartheim, die drei Todesstätten für tausende KZ-Gefangene, gruppieren sich um Linz. Alle drei stehen im Zusammenhang mit der Sklavenarbeit für die Rüstungsindustrie und speziell mit dem Messerschmitt-Konzern.
Keine kritische Biographie über den Hitler-Verehrer Messerschmitt
„Bis heute wesen die Messerschmitt-Legenden vor allem im Internet fort. Eine historisch-kritische Biographie über den skrupellosen, ‘genialen Flugzeugbauer’ sucht man indes vergebens“, beschreibt Reinhard Hanausch im Buch zur Ausstellung „Überleben durch Kunst“, was bis heute im öffentlichen Bild von Willy Messerschmitt dominiert. Es ist das Bild des „Pioniers der modernen Luftfahrt“, der bis zu seinem Tod 1978 mit öffentlichen Ehrungen überhäuft wurde, nie auf einer Anklagebank als Nazi-Kriegsverbrecher saß, obwohl er mitverantwortlich am Tod zehntausender KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter war, die er selbst dringend angefordert hatte.
Den Namen des Hitler-Verehrers und überzeugten Nazis Messerschmitt, den keine Schuldgefühle plagten, tragen bis heute Straßen in Regensburg (mehr zu Messerschmitt und Regensburg) und Augsburg, ein Flugzeugmuseum und eine millionenschwere Stiftung in München.
Die Ausstellung „Überleben durch Kunst“ und die damit verbundene Aufklärung über den „Mord an zehntausenden vergessenen Gefangenen der Konzentrationslager Gusen I, II und III“ ist ein wichtiger Beitrag zur Korrektur in der öffentlichen Wahrnehmung. So sieht es das Gedenkkomitee in Gusen mit ihrer Präsidentin Martha Gammer und zeichnete Reinhard Hanausch aus Regensburg in diesem Jahr für seine engagierte Unterstützung mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft und der Gusen-Gedenkplakette aus.