Tuntenkitsch, System-Horror und ein Trenchcoat, 2. Wahl
Die Spielzeit am Theater Regensburg läuft noch bis Ende Juli. Drei aktuelle Produktionen, die bis zur Sommerpause noch im Programm sind, stehen für Theaterwillige auf dem Prüfstand: La Cage aux Folles, Kaspar Häuser Meer und Dear Eddie.
La Cage aux Folles (Musical)
Tuntenkitsch, lustiges Gehusche und ein bisschen Queer-Pride – das erwartet man sich vom 1983 uraufgeführten Broadway-Klassiker “La Cage aux Folles”. Und grundsätzlich bekommt man auch all dies im Velodrom geboten, doch in Christina Schmidts Inszenierung reichlich saft- und kraftlos. Wenn das Stück im Stück, also das Varieté selbst heraus tritt, dann ist alles gut. Hauptrolle Adrian Becker geht wunderbar in der Transenkönigin Zaza (alias Albin) auf, weiß sie mit Humor und Charakter anzureichern und hat das Publikum im Griff. Der Rest des Ensembles scheint sich allerdings weniger wohl in den fantasievollen, bunt gestalteten und eigentlich keineswegs biederen Kostümen zu fühlen.
Ein bisschen verloren wirken die jungen Schauspieler, nicht nur in ihren Strapsen und Stöckelschuhen, sondern auch in der etwas unbeholfenen Choreographie. Vielleicht hätte man einmal einen Bildungsausflug zum Christopher Street Day veranstalten sollen, in dem Derartiges eigentlich Jahr für Jahr in Perfektion dargeboten wird. Trotzdem sind diese Tanzeinlagen wenigstens ein milder Spaß.
Richtig schwach sind hingegen die Sprech-Passagen. Das Timing ist daneben, die Witze verblassen und bei Georges (Ansgar Schäfer) fragt man sich, ob er als Direktor eines Travestietheaters und gleichzeitig “Ehemann” einer Drag Queen, gerade den “Käfig voller Narren” mit dem “Weißen Rössl am Wolfgangssee” verwechselt hat.
Auch die Musik ergreift dieses Schicksal leider. Dass die Vorlage schon knapp drei Stunden um die immerselben Harmonien zirkelt, ist nicht die Schuld des Orchesters und seiner Leitung, die schlaffe Interpretation allerdings schon. Wieder ist es Becker, der hier für wenigstens ein paar schwungvolle Akzente sorgt, denn die restlichen Darsteller singen zwar gut, aber leider auch nicht mehr. So bleibt “La Cage aux Folles” eine dröge Adaption, die den flamboyanten Kitsch des Originals lediglich in seiner Requisite überzeugend zur Schau stellen kann. (2 Flamingos von 5)
Kaspar Häuser Meer (Theater)
Es ist immer genauso einfach wie schwierig, bei so tragischen Themen wie Kindesmissbrauch die Verantwortlichen zu finden und Schuld zuzuschreiben: “Ganz bestimmt sind es die Eltern, allermeistens der Staat, oft das Jugendamt und dann auch noch die unfähigen Sozialarbeiter.”
Felicia Zellers Stück “Kaspar Häuser Meer” scheint zu Anfang eine eindeutige Antwort zu finden. Schuld ist der Verwaltungsapparat mit seinen hausschuhtragenden, post-menstruativen Strohwitwen, die sich in ihrer chronischen Überforderung in irrationale Übersprungshandlungen flüchten. Sie lästern, trinken, prokrastinieren. Dabei bleibt es auch in der ersten Hälfte des Stücks, die ruhig etwas Kürzung vertragen hätte.
Leidlich vermutet man schon ein feministisches Kammerspiel, das das eigentliche Thema nur als Vorwand für ein muffiges Milieu gebraucht. Doch es kommt anders. Die beamtische Welt entpuppt sich als Kafkas “Prozess” aus Sicht der Maschinerie, die jedoch keine Täter, sondern nur Opfer kennt. Und so sind die drei Sozialarbeiterinnen einem hoffnungslos vor die Hunde gegangenen System ausgeliefert, das längst nicht nur für sie selbst zum Horror geworden ist.
Ständig mehr Arbeit, mehr Stapel, ein klingelndes Telefon das Fieberträume auslöst, kranke Kollegen, fordernde Chefs. Eindrücklich spielt die Inszenierung Jona Manow mit feinen Surrealismen und drei großartigen Darstellerinnen, allen voran Doris Dubiel, die verzweifelt wie manisch und dann wieder liebevoll muttihaft-kollegial auftritt. Das Licht ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort und weiß das Bühnenbild emotional zu variieren. Stark auch Timing und Verarbeitung des Textes, der mit Satzfragmenten spielend die bürokratischen Phrasen entblößt. Mit einem “da capo al fine” kehrt das Stück am Schluss zu seinem Anfang zurück, allerdings nicht ohne zuvor noch mit der desillusionierenden Grausamkeit der äußeren Welt für Gänsehaut gesorgt zu haben. (4 Flamingos von 5)
Dear Eddie (Musiktheater)
Seit gut 100 Jahren streiten sich namhafte englische Hersteller um die Erfindung eines Kleidungsstücks namens “Trenchcoat”. Wer nun der Urheber des für die britische Armee entwickelten Regenmantels ist, bleibt unklar – bekannt sind jedoch die namhaften Stars des vergangenen Jahrhunderts, die diesem ewigen Modeklassiker seinen Kultstatus verliehen haben. Da wären zunächst Humphrey Bogart und Ronald Reagan als männliche Vertreter und aber auch Audrey Hepburn und Charlotte Gainsbourg in weiblichen Gefilden.
Ein weiterer, wenn auch etwas außenstehender, fast vergessener, aber nicht weniger beeindruckender Träger dieses Markenzeichens, ist der amerikanische Noir- und Agentenfilm-Schauspieler Eddie Constantine. Dass es für diesen stoischen, narbengesichtigen, etwas tragischen Anti-007 nun eine Tributveranstaltung gibt, ist notwendig, wenn nicht gar überfällig.
Nun ist ein Trenchcoat aber auch ein kompliziertes Teil. Nicht jeder kann ihn tragen – falsch kombiniert, oder falsch interpretiert, wird er zur peinlichen Posse. Leider trifft diese Formulierung recht traurig auf “Dear Eddie” am Theater Regensburg zu. Revue-artig wechseln sich (oft mehr schlecht als recht zusammengeschnittene) Original-Filmszenen, mit nachgestellten auf der Theaterbühne und Gesangseinlagen ab. Letztere geschehen ohne jegliche Spur von Constantines dunklem Charme.
Es ist ein bisschen wie die “Große Eddie Constantine Karaoke Show”, die dessen Schaffen völlig empathie- und kunstlos zu einer stumpfen Collage zusammenschneidet: Für die Atmosphäre eines Godard-Films reicht eine schwarz Gekleidete, die abgehackt spricht. Für Constantines Biographie reicht einer, der sie irgendwie vorliest (“Ober-Eddie” Gerhard Hermann mangelt es hier leider an sprecherischer Qualität). Und für “Alphaville”, in dem er seine bekannteste Rolle bekleidet, reicht (in einem der unmöglichsten Momente des Abends) die plumpe Assoziation mit der gleichnamigen Pop-Band und ihrem Hit “Forever Young”.
Eddie Constantine ist in diesem Stück lediglich ein Spätpubertärer, der Whiskey trinkt, coole Sprüche reißt, kitschige Songs singt, seine Sonnenbrillen nachts trägt, und das in einem schlecht sitzenden Mantel. Dass mit Regisseurin Mia Constantine ausgerechnet die Tochter am Werk ist und das (sichtlich leidende) Publikum mit einem schiefen “Skyfall” verabschiedet, versteht niemand. Dieser Trenchcoat ist weder von Burberry, noch von Aquascutum, sondern höchstens zweite Wahl bei H&M. (1 Flamingo von 5)