Trotz Fortschritten bei Regensburgs Obdachlosenkonzept: die Notwohnanlage wird es noch länger geben
Lob, aber auch Pessimismus im Sozialausschuss. Zwar wird das Chancenhaus für obdachlose Familien kommendes Jahr fertig, auch soll es mehr Schlafplätze für Frauen geben. Doch eine weitergehende dezentrale Unterbringung scheint auf absehbare Zeit nicht möglich.
96 Minderjährige und damit mehr als die Hälfte der insgesamt 184 Bewohnerinnen und Bewohner leben derzeit in der Regensburger Notwohnanlage in der Aussiger Straße. Heruntergekommene, eigentlich abbruchreife Wohnblocks der Stadtbau, mit Duschen im Keller, Schimmelbefall und notdürftigen Heizmöglichkeiten. Im März 2022 hat der Stadtrat – nach einigem Hickhack zwischen SPD und CSU – ein „Konzept zur Obdachlosen- und Wohnungshilfe“ beschlossen und damit einen zuvor geplanten 23 Millionen Euro teuren Neubau der Notwohnanlage gekippt.
Doch obwohl nun stattdessen eine dezentrale Unterbringung als Marschrichtung ausgegeben wurde, kommt Stadträtin Wiebke Richter (Grüne) der Realität sehr nahe, wenn sie konstatiert: „Ich habe nicht den Eindruck, dass die Aussiger Straße auf absehbare Zeit ersetzt werden kann.“ Widerspruch kommt dazu von niemandem. Ein Teilabriss einzelner, irgendwann leerstehender Blocks komme die Stadt zu teuer, sagt Sozialbürgermeisterin Astrid Freudenstein (CSU). Das bedeutet: Bevor nicht anderswo Platz für alle dort lebenden Menschen gefunden ist, bleibt die Notwohnanlage bestehen. Allzu heruntergekommene Wohnungen würden bei Bedarf auch notdürftig renoviert, sagt Sozialamtschef Christoph Gailer.
Damit scheint sich eine Kritik zu bewahrheiten, die Grünen-Stadträtin Theresa Eberlein schon 2022 mit Blick auf das vorgelegten Konzept geübt hatte: „Unsere Sorge ist, dass man in der Hoffnung auf Luftschlösser dafür sorgt, dass der momentane Zustand der Aussiger Straße noch viel länger bestehen bleibt, als das alle möchten.“
Kein Vinzi-Dorf, aber ein Chancenhaus
Im Sozialausschuss lieferte Gailer am Dienstag einen Bericht zum Umsetzungsstand des 2022 beschlossenen Konzepts. Die SPD-Fraktion hatte das gefordert. Ein Teilbereich des Konzepts, das „Hüttendorf“ für alleinstehende ältere suchtkranke Obdachlose nach dem Vorbild der Vinzi-Dörfer in Wien, ist bereits gestorben. Man bekomme das dafür vorgesehene Grundstück am Kreuzhof nicht, sagt Sozialbürgermeisterin Astrid Freudenstein. „Und wir suchen auch nichts anderes.“ Man werde ohnehin nichts Geeignetes finden, und: Sie habe ohnehin von Anfang an gesagt, dass man das nicht zwingend brauche. Das sei dann eben nicht umsetzbar.
Weit fortgeschritten ist das Projekt „Chancenhaus“ für etwa 20 Familien, das derzeit in der Augsburger Straße in Kumpfmühl gebaut wird. Sie sollen von dort „fit“ für den regulären Wohnungsmarkt gemacht werden. Im Herbst 2025 wolle man es voraussichtlich in Betrieb nehmen, sagt Sozialamtschef Gailer, und damit sei es „das schnellste Bauprojekt der Stadt Regensburg“, glaubt Freudenstein.
Flexi-Wohnen im leerstehenden Hochhaus?
Bei den Notschlafstellen für alleinstehende Frauen scheint man ebenfalls vorangekommen zu sein. Auch wenn bislang noch nichts unterschrieben sei, werde ein freier Träger Anfang 2025 etwa 30 Plätze eröffnen, stellt Gailer in Aussicht. Und für schwer integrierbare Personen sollen Einzelzimmer in zwei Stockwerken des seit Jahren leerstehenden Hochhauses in der Daimlerstraße, das ehemalige Divisionsstabsgebäude der Bundeswehr, zur Verfügung gestellt werden.
Zumindest sei ein entsprechender Maßnahmenbeschluss für sogenanntes Flexi-Wohnen im Arbeit, der dem Stadtrat ebenfalls im kommenden Jahr vorgelegt werden soll, sagt Freudenstein. Es gebe bereits einen Planungsauftrag und eine Kostenberechnung.
Seitenhieb von CSU-Stadträtin Dechant
Freudensteins Parteifreundin Bernadette Dechant zeigt sich von alledem begeistert. „Großer Dank, was das Amt hier geleistet“, freut sich die CSU-Stadträtin. „Herzlicher Dank.“ So etwas habe es in der vorherigen Stadtratsperiode überhaupt nicht gegeben, und es sei klar: „In Regensburg muss keiner, wenn er nicht will, unter der Brücke schlafen.“
Das wiederum weckt Widerspruch von SPD-Stadtrat Alexander Irmisch, der dazu rät, keinen Überbietungswettbewerb zu starten, wer hier wann was gemacht habe. Auch die jetzige Oberbürgermeisterin habe in ihrer vorherigen Eigenschaft als Sozialbürgermeisterin „einiges auf den Weg“ gebracht und insofern sei Dechants Seitenhieb „anmaßend und unzutreffend“.
Dabei wird er von Florian Rottke (Brücke) unterstützt, der sich zwar über das bisher Erreichte freut, aber in Richtung Dechant meint: „Man kann das Sozialamt auch loben, ohne auf die Jahre vorher einzudreschen.“
Schwelender Dauerkonflikt zwischen SPD und CSU
Es ist wohl der Genese des neuen Obdachlosenkonzepts geschuldet, dass sich SPD und CSU hier immer wieder, mal mehr, mal weniger unterschwellig, anfeinden. Im Vorfeld des 2022 gefassten Beschlusses waren Sozialbürgermeisterin Freudenstein und die SPD mehrfach aneinandergeraten. Lange hatten die Sozialdemokraten an einem Neubau der zentralen Notwohnanlage festgehalten. Hauptargument: Eine dezentrale Unterbringung sei zwar wünschenswert, aber mangels Optionen – Wohnraum und Grundstücken – kaum umsetzbar. Freudensteins Konzept sei unausgegoren und es fehle an entsprechenden Flächen.
Doch am Ende setzte sich die Sozialbürgermeisterin durch – insbesondere, weil sich in der Aussiger Straße eine Bürgerinitiative gegen einen Neubau der Notwohnanlage an selber Stelle formierte. Wohl auch deshalb pochte die SPD mehrfach auf einen Bericht zum Stand der Dinge.
Freudenstein fordert mehr Wohnungen von der Stadtbau
Astrid Freudenstein klingt während der Sitzung immer wieder genervt. „Wir geben Gas in einem Ausmaß, dass ich mich hier schützend vor die Sozialverwaltung stelle.“ Diese habe eine „Turbo-Turbo-Leistung“ hingelegt. „Man möge mir mal zeigen, wo die Stadt Regensburg so schnell so viel Wohnfläche fertiggestellt hat, sagt die Bürgermeisterin mit Blick auf das Chancenhaus. Und überhaupt sei sie „die einzige Sozialreferentin (in Bayern), die nicht regulär auf Sozialwohnungen der eigenen Stadt zugreifen kann“.
Das ist zwar, was während der Sitzung nicht auffällt, so nicht ganz richtig, aber Freudenstein fordert ungeachtet dessen ein Umsteuern in diese Richtung: „Das ist der eigentliche Schritt, den wir bräuchten, um das Thema auf Dauer besser zu machen“, sprich: das von ihr propagierte dezentrale Konzept umzusetzen. Dafür brauche sie größere Wohneinheiten – von der Stadtbau.
Generell merkt man, dass der Sozialbürgermeisterin das Thema zu sehr im öffentlichen Fokus steht: „Es handelt sich ja eher um einen eher kleinen Personenkreis, um den es hier geht. Das ist nicht die Hauptbeschäftigung des Sozialamts.“
Gregor
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Die Gemeinde sieht für die Unterkünfte folgende Gebühren vor (Auszug Sitzungskalender):
…..Kategorie I: 7,30 €/mª
(darunter fallen die Wohnungen in der Aussiger Straße)
Kategorie II: 9,10 €/m?
(dies umfasst die Wohnungen Am Kreuzhof und das künftige Chancenhaus in der Augsburgerstraße)
Kategorie III: 10,40 €/m2
(aktuell nur die Wohnungen im Ziegelweg)…..
Wenn kein Versorgungsvertrag besteht kann
…ggf. eine Gebühr i.H.v. 2,10 €/m2 für Heizung und Warmwasser bzw. 0,65 €/m? für Strom erhoben…. erhoben werden.
Daniela
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…’Notwohnanlage in der Aussiger Straße. Heruntergekommene, eigentlich abbruchreife Wohnblocks der Stadtbau, mit Duschen im Keller, Schimmelbefall und notdürftigen Heizmöglichkeiten.’ ….
….’ Die Gemeinde sieht für die Unterkünfte folgende Gebühren vor (Auszug Sitzungskalender):
…..Kategorie I: 7,30 €/mª
(darunter fallen die Wohnungen in der Aussiger Straße)…
Das finde ich reichlich überteuert für abbruchreife Wohnblocks, Schimmelbefall, notdürftiger Heizung und Duschen im Keller.
Jeder andere ‘Vermieter’ hätte bei derartigen ‘Vermietungsobjekten’ mutmaßlich permanent Ärger und/oder Klagen auf Instandsetzung.
Ich bin einigermaßen geschockt, wie die Not von Obdachlosigkeit ausgenutzt wird.
Zumal ja nicht so richtig feststeht, wann Ersatzquartiere fertig gestellt sind, um diese Notwohnanlage endgültig zu schließen.
Zum ‘freuen’ gibt’s da noch lange nichts.
El
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Zitat:
*Ein Teilbereich des Konzepts, das „Hüttendorf“ für alleinstehende ältere suchtkranke Obdachlose nach dem Vorbild der Vinzi-Dörfer in Wien, ist bereits gestorben. Man bekomme das dafür vorgesehene Grundstück am Kreuzhof nicht, sagt Sozialbürgermeisterin Astrid Freudenstein. „Und wir suchen auch nichts anderes.“ Man werde ohnehin nichts Geeignetes finden, und: Sie habe ohnehin von Anfang an gesagt, dass man das nicht zwingend brauche. Das sei dann eben nicht umsetzbar*
Schade, dass Frau Freudenstein sich da nicht mehr einsetzt. Wenn ich mit so einer Haltung an die Sache herangehe, dann kann da ja nichts Konstruktives dabei herauskommen.
Ich kannte diese Dörfer nicht und finde sie einfach genial.
Vorigen Herbst etwa um diese Zeit hat ein Obdachloser an der Bushaltestelle am Dachausplatz auf der Museumsseite seine Zelte aufgeschlagen gehabt. Er so eine Art “Iglu” aus Styropor o.ä. . Er war seit mehreren Jahrzehnten ohne Wohnung. Ein Bekannter von ihm erzählte mir, dass einmal (angesoffene?) Jugendliche vorbeigekommen sind und ihn mit Münzen beworfen haben. Was ist das für ein Leben? Wie ein Tier und ständig in der Öffentlichkeit.
Für so einen Menschen wäre das Vinzidorf, das Frau Freudenstein hier so schnell von der Tagesordnung wischt, obwohl ja anderswo der Turbo-Turbo unterwegs ist *lach* ein Traum.
Eine (Stadt-)Gesellschaft, und insbesondere der Stadtrat / die Bürgermeisterinnen müssen sich auch daran messen lassen, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern dieser Stadt umgehen.
Dieses Vinzi-Dorf wurde offenbar mit einfachsten Materialien hergestellt und mit der ehrenamtlichen Hilfe von vielen. Vermutlich nicht annähernd so teuer wie der Himmelsbrunnen, der nicht funzt oder eines der leerstehenden Parkhäuser…
https://www.youtube.com/watch?v=bQjf9oANkj0&t=25s
Aber, anstatt ein solches, zutiefst humanitäres Projekt anzugehen, um Menschen, die am äußersten Rand der Gesellschaft ein entwürdigendes Dasein fristen, ein Obdach zu bieten,
werden Projekte in Millionenhöhe angegangen, um obdachlosen Autos ein Obdach zu bauen. Dies ein Projekt, das nicht zwingend gebraucht wird!
Mich ekelt eine solche Haltung zutiefst an.
Jakob Friedl
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Schön, dass es Bgm. Freudenstein gelungen ist 3 Etagen des Divisionshochhauses für eine temporäre Nutzung durch ihr Referat zu sichern. Ich bin gepannt auf die Vorlage im Planungsausschuss im 1. Quartal 2025. Es sei daran erinnert, dass die Stadt erst 2023 300 TSD € Verbilligungsrichtlinie an die BImA zurückgezahlt hat, weil sie nicht mehr vorhatte Pläne für eine Nutzung im Sinne des Gemeinwohls für das Gebäude zu entwickeln…
Im Divisionshochhaus in der Daimlerstraße wäre in den 4 Stockwerken incl. Dachterrasse über der geplanten „Flexihaus“-Obdachlosenunterbringung E+2 Platz für alle möglichen weiteren Nutzungen, die sich sinnvoll ergänzen könnten. Am einfachsten zu realisieren wäre wohl eine Nutzung für Ateliers und Studios. Naheliegenderweise wird die Zentralheizung des Gebäudes wird wohl sowieso wieder in Betrieb genommen…Der Andreasstadel passt da x-fach rein. Außen herum ist ein interessantes malerisches Grundstück auf dem auch einiges möglich werden könnte. Das habe ich im Ausschuss angesprochen.
In Regensburg scheint man zwar schon einmal von innovativen Obdachlosen-Projekten aus anderen Städten gehört wie z.B. “Vinzi Dorf” oder “neunerhaus Café” in Wien gehört zu haben… ein Nachdenken darüber bleibt jedoch aus. Die Studenten der TU München haben bereits interessante Entwurf-Skizzen für eine Generalsanierung geliefert, die auch dem Sozialreferat bekannt sind, ganz weit runterscrollen: https://ribisl.org/divisionsgebaeude-wasserschaden-vermeiden/