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Besonders schwere Schizophrenie

Totschlagsprozess: Jakob T. war seiner Krankheit ausgeliefert

Im Sicherungsverfahren gegen einen 53-Jährigen wegen Totschlags spricht der psychiatrische Gutachter von einem „besonders schweren Krankheitsverlauf“ der paranoiden Schizophrenie. Staatsanwalt und Verteidiger beantragten für den Mann die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

„In dubio pro libertate.“ Im Zweifel für die Freiheit. Was im Nachgang der französischen Revolution gewissermaßen die Parole der bürgerlichen Emanzipationsbewegung war und auch in England individuellen Freiheitsrechten Aufwind gab, stellt die Strafgerichte bis heute immer wieder vor Herausforderungen. Der §63 im Strafgesetzbuch spielt hier eine ganz besondere Rolle und gilt mit als einschneidendstes Mittel das die Gerichtsbarkeit zur Hand hat.

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Der Paragraf regelt den sogenannten Maßregelvollzug in psychiatrischen Kliniken, damit auch die dauerhafte Unterbringung von psychisch Kranken und stellt einen massiven Eingriff in die individuelle Freiheit des Menschen dar. Denn der §63 baut immer auch auf einer Gefahrenprognose auf: Wie gefährlich wird ein Mensch in der Zukunft für die Allgemeinheit sein?

Auch im Fall von Jakob T. (Name geändert) muss sich die Schwurkammer des Landgericht Regensburg mit dieser nicht einfachen Frage beschäftigen. Wie bereits berichtet soll der 53-Jährige vergangenen Oktober seinen Mitbewohner auf grausame Weise mit mehreren Stichen und Schnitten getötet und anschließend auf den Toten weiter eingewirkt haben. Diesen Donnerstag gaben mehrere Gutachten weitere Details zum möglichen Tatgeschehen preis.

Keine Erinnerung mehr: „Durchaus plausibel“

Auf die spontane Nachfrage des Vorsitzenden Richters Dr. Michael Hammer rechnete der Rechtsmediziner Stephan Seidel kurzerhand noch einmal nach und erklärte dann etwa: Die Tat muss sich wohl bereits am 6. Oktober zwischen 5 und 19 Uhr zugetragen haben. Darauf würde die am Tatort festgestellte Körpertemperatur des 64-jährigen Toten hinweisen. Bislang galt der Morgen des 7. Oktober noch als möglicher Tatzeitpunkt. Am späten Vormittag hatten damals Sozialpädagogen, die die beiden psychisch kranken Männer betreuten, die Polizei gerufen.

Seidel zeichnet gegenüber dem Gericht anhand der vorgefundenen Blutspuren nach, was in etwa vorgefallen sein muss. So soll der Beschuldigte dem Opfer in dessen Zimmer eine erste Verletzung zugefügt haben. Mit einem Taschentuch dürfte der Mitbewohner noch versucht haben, die Blutung zu stillen. Aufgrund weiterer tödlicher Verletzungen ging der Mann dann im Essbereich des Wohnzimmers zu Boden, wo er verblutete.

Die Schilderungen vor Gericht zeugen von einer gewaltsamen und grausamen Tat – an die sich der Beschuldigte heute nicht mehr erinnern kann. Dies sei durchaus plausibel, erklärt ebenfalls am Donnerstag dann der psychiatrische Gutachter Dr. Dietmar Wirtz. Es sei nicht unüblich, dass Menschen mit solch einem Krankheitsbild an begangene Taten keine Erinnerungen mehr hätten.

Schwerste Form der Schizophrenie

Seit 1993 leidet Jakob T. an einer, wohl von der Mutter vererbten, besonders schweren Form der paranoiden Schizophrenie. „Selbst für BKH-Verhältnisse sticht er aus der Masse der schwer Kranken heraus“, so der Psychiater. Sogenannte aktive Symptome wie das Stimmenhören seien bei T. nicht besonders ausgeprägt, in der Vergangenheit aber immer wieder Thema gewesen. Auch kurz nach der Festnahme letzten Oktober soll er gegenüber Kriminalbeamten von Stimmen gesprochen haben. Es war einer der wenigen Sätze die der ansonsten als gehemmt, wirr und abwesend wirkend beschriebene Mann nach der Tat von sich gab.

Noch in der Wohnung, so schilderten es die Erstzugriffsbeamten diesen Dienstag, hätten sie den Mann aktiv aufrichten müssen. Auf ihre Fragen antwortete er zunächst gar nicht. Sagte dann plötzlich aber: „Ich bin ein Schwein.“ Später soll er sich noch selbst als Mörder bezeichnet haben.

Laut Wirtz könne davon ausgegangen werden, dass sich der Mann so kurz nach der Tat – er muss sich wohl mehrere Stunden mit dem Toten in der Wohnung aufgehalten haben – noch in Teilen daran erinnern konnte. Die Erinnerungen seien dann aber wohl bald, der Krankheit und dem menschlichen Verdängen geschuldet, verblasst.

„Seiner schweren Krankheit ausgeliefert“

Dafür, dass es in den letzten 30 Jahren – neben eher kleineren Vorfällen – nie zu vergleichbaren Handlungen gekommen ist, hat der Psychiater mehrere Erklärungen. Trotz einer schwierigen Kindheit sei Jakob T. stets ein friedliebender Mensch gewesen, der von sich aus eigentlich keinerlei Aggressionen zeigte. Durch seine grundsätzlich offene Art, die auch die gesetzliche Betreuerin hervorhob, sei er mit anderen auch recht gut ausgekommen und daher nie in konkrete Konfliktsituationen geraten. Auch mit Alkohol und Drogen hatte T. nichts zu schaffen. „Er ist ein friedlicher, freundlicher Mensch, der seiner schweren Krankheit ausgeliefert ist“, bringt es Wirtz auf den Punkt.

Wie konnte es nun aber zur Tötung des Mitbewohners kommen? Beide wohnten seit 2019 zusammen in der offen betreuten Wohnung in der Brahmsstraße. Sie sollen sich dem Vernehmen nach gut verstanden haben. Für Jakob T. sei am 7. Oktober auch sein bester Freund gestorben, stellt Rechtsanwalt Shervin Ameri Freitagvormittag in seinem Schlussvortrag noch einmal auch das persönliche Schicksal seines Mandanten in den Mittelpunkt.

Die Frage nach dem „Warum“, die den ersten Prozesstag zeitweise mitbestimmte, sie kann für Ameri nur auf eine Weise beantwortet werden: „Weil er völlig psychotisch gewesen ist, von Wahnvorstellungen und Stimmen getrieben. Das wird es gewesen sein.“ Genau das sei das Schlimme an dieser Krankheit, „dass man getrieben wird“. Ameri und ebenso Staatsanwalt Wolfgang Schirmbeck orientieren sich in ihren Plädoyers stark an den Feststellungen des Psychiaters. Jakob T. sei zum Zeitpunkt der Tat schlicht „nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen“ (Ameri).

Tat war wohl nicht zu verhindern

Verhindern können hätte man die Tat laut Wirtz wohl nicht. Ab Mitte 20 hätten dem Beschuldigten vor allem die so bezeichneten negativen Symptome der Schizophrenie wie depressive Verstimmungen, Lustlosigkeit und Lethargie sowie Katatonie zu schaffen gemacht. In den kommenden Jahren sollte der Mann dann immer wieder längere Zeit in stationärer Behandlung sein und bis heute eine regelmäßige Medikamentation erhalten, die immer wieder angepasst werden musste.

Wirtz beschreibt am Donnerstag einen eigentlich idealen Schutzraum, in dem sich Jakob T. viele Jahre befunden habe. Auch deshalb dürfte es wohl bislang zu keinen Eintragungen im Bundeszentralregister gekommen sein.

Die Schwurkammer unter Vorsitz von Richter Dr. Michael Hammer (m.) wird kommenden Mittwoch das Urteil im Sicherungsverfahren sprechen. Der Beschuldigte wird wohl weiterhin im BKH bleiben.

Die ausgesprochen gute Stimmung gegenüber der Betreuerin knapp zwei Wochen vor dem 7. Oktober sieht Wirtz rückblickend als erstes Anzeichen einer aufkommenden aktiven Krankheitsphase. Es sei nicht ungewöhnlich, dass Patienten zuvor von außen betrachtet eine merkliche Besserung zeigen.

Ein psychotischer Schub könne sich dann binnen weniger Tage entwickeln und sei von außen selbst für geschulte Augen in der Regel nicht wahrnehmbar. Vor allem dann, wenn sich Patienten nicht selbst dazu einlassen. „Deshalb ist das auch in der Psychiatrie so gefürchtet, weil das niemand so wirklich antizipieren kann.“ Auch eine damals bestehende Lungenentzündung könnte zumindest ein Stück weit den psychotischen Schub mit ausgelöst haben.

Mann sieht sich im BKH wohl gut aufgehoben

Der 53-Jährige, stellt der Gutachter schließlich fest, sei aufgrund seiner Krankheit im Tatzeitraum steuerungsunfähig gewesen und damit auch schuldunfähig nach §20 StGB. Damit ist auch die Grundlage für eine langfristige Unterbringung nach §63 StGB in einer psychiatrischen Einrichtung gegeben.

Ob der Mann diese noch einmal wird verlassen dürfen, will Wirtz nicht prognostizieren. Vom Beschuldigten gehe prinzipiell eine Gefahr für sein Umfeld aus, die langfristige Unterbringung sei daher geboten. Im BKH müsse sich nun zeigen, ob man den Mann mit Medikamenten wieder stabil bekommt. Kommenden Mittwoch wird dann das Gericht das endgültige Urteil sprechen. Ähnlich wie die Plädoyers, die jeweils die Unterbringung nach §63 fordern, dürfte es auch beim Urteil keine große Überraschung geben.

Laut Ameri fühle sich sein Mandant im BKH derzeit auch gut aufgehoben.

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Kommentare (11)

  • Hthik

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    “… sieht Wirtz rückblickend als erstes Anzeichen einer aufkommenden aktiven Krankheitsphase …”

    Hinterher ist man immer klüger. Es mag ja so sein, dass solche Schübe von niemandem vorhergesagt werden können, also die Psychiatrie keine Schuld trifft, nicht rechtzeitig gewarnt zu haben, aber wozu braucht man dann hier überhaupt einen Sachverständigen? Wenn der keine Prognosen abgeben kann, die nicht das Gericht genauso gut oder schlecht abgeben kann, wozu nützt der dann?

    Können wir bitte einmal von der Psychiatrie verlangen, was wir vom Rest der Medizin auch verlangen, dass sie testbare Modelle und evidenzbasierte Schlüsse vorlegen? Zwar gibt es dort auch noch Lehrstühle für homöopatische oder anthroposophische Medizin, aber das sind seltene Ausnahmen. In der Psychiatrie werden die Anhänger irgendwelcher Schulen – lies: Glaubenssysteme – als völlig normal betrachtet. Eine “Wissenschaft”, die nicht wenigstens statistisch zuverlässig Vorhersagen liefern, aber im nachhinein alles “erklären” kann, ist wertlos. Schmeißt die Schwurbler raus!

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  • Franz Josef Avestruz

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    @hthik

    Was ist denn das bitte fuer eine krude Theorie. Wenn man sich mit paranoiden Psychosen beschaeftigt, sieht man klar, dass es zwar Modelle gibt, wie produktive und eher nach innen wirkende Symptomatiken, aber sorry, was oder wie soll hier d Psychiatrie taetig werden…? Den Betroffenen v zuhause abholen? Vielmehr ist das Betreuungssystem in diesem Zusammenhang gefragt. Regelmaessige Kontakte zu Klienten sind eher telefonisch bzw pragmatischer Art. Betreuer:innen, die wirklich aufsuchen, sind eher selten. Und falls ja, wenn es Eskalationen oder Hinweise gibt. Dann ist der Schub oft schon weit fortgeschritten.
    Das Betreuungssystem gehoert sich laengst reformiert, es ist ueberholt.
    Ich finde solche unqualifizierten Beitraege wie v Hthik absolut ueberfluessig, denn im Uebrigen kann auch d von Hthik geforderte sog Evidenz im Einzelfall nicht richtig liegen. Sparen Sie sich also so einen Quatsch wie “Schwurbler” Anschuldigungen!

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  • Daniela

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    @Hthik

    Zum Thema Prognosen in der Psychiatrie.

    Vorhersagen treffen zu wollen, die von vielfältigen Faktoren, welche teilweise im Verlauf erst benennbar/ erkennbar, abhängig sind, ist in etwa, wie orakeln, Kaffeesatz lesen, oder Tarot legen.

    Die Hauptfrage die das Gericht stellte, ist die nach der Schuldfähigkeit zur Tatzeit. Diese hat der Gutachter -selbstverständlich in der Rückschau -bewertet.

    Akute Psychosen sind akut, dem Begriff nach plötzlich auftretend, somit nicht vorhersehbar.

    Da Richter/innen i.d.R. keine Mediziner sind, werden sie auch künftig auf Mediziner als Gutachter zurück greifen müssen. Sowie dies auch in anderen Bereichen der Rechtssprechung gängige Praxis ist, vgl. Sachverständige für Unfallgeschehen, Baugewerbe usw.

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  • Hthik

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    Daniela 21. Mai 2022 um 19:51

    “Vorhersagen treffen zu wollen, die von vielfältigen Faktoren, welche teilweise im Verlauf erst benennbar/ erkennbar, abhängig sind, ist in etwa, wie orakeln, Kaffeesatz lesen, oder Tarot legen.”

    Genau. Tarot hat bei Bericht nichts zu suchen.

    “Die Hauptfrage die das Gericht stellte, ist die nach der Schuldfähigkeit zur Tatzeit. Diese hat der Gutachter -selbstverständlich in der Rückschau -bewertet.”

    Das wird häufig auch so formuliert, dass entscheidend ist, ob der Beschuldigte aus freiem Willen gehandelt hat oder unter innerem Zwang, wie in der Überschrift formuliert “seiner Krankheit ausgeliefert war”.

    Aber was ist das “freier Wille” oder “Schuld”. Da steckt die Vorstellung dahinter irgendwas in unserem Körper würde uns steuern, so wie die Bedienmannschaft in Pacific Rim oder anderen Mecha-Filmen. Früher nannte man diese Steuereinheit Seele. Da kommen diese Ideen her: aus der Theologie. Die für das Gehirn zuständige Wissenschaft, die Neurologie weiß nichts mit diesen Begriffen anzufangen. Genausowenig wie die Chemie mit Phlogistin oder die Physik mit dem elektromagnetischen Äther.

    Was das Gericht eigentlich zu interessieren hätte, ist die Zukunft. Ist der Beschuldigte zum Schutz der Gesellschaft und zu seinem Schutz besser im Gefängnis oder im Krankenhaus aufgehoben? Die Vergangenheit kann man nicht ändern. Selbst Fragen, die scheinbar auf die Frage nach einer Schuld zurückgehen, wie etwa, wie den Angehörigen eines Opfers Genugtuung bereitet und sie von der Nochexistenz eines Rechtsstaats überzeugt werden können, beziehen sich in Wirklichkeit auf die Zukunft, nämlich auf die Frage, welche Entscheidung des Gerichts welche Empfindungen bei den Angehörigen auslösen sollte.

    “Akute Psychosen sind akut, dem Begriff nach plötzlich auftretend, somit nicht vorhersehbar.”

    Der radioaktive Zerfall ist auch nicht vorhersehbar, trotzdem kann ein Physiker sehr gut vorhersagen, welche Isotope in welcher Menge in 10m oder 100 Jahren in einem Gemisch noch vorhande sein werden.

    “Da Richter/innen i.d.R. keine Mediziner sind, werden sie auch künftig auf Mediziner als Gutachter zurück greifen müssen.”

    Das ist gängige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass sie müssen. Das wird meiner Ansicht nach eher zuwenig gemacht. Es überwiegt die richterliche Selbstherrlichkeit.

    Diese Mediziner haben aber auch etwas zu bieten. Die haben Studien, die zeigen, welche Substanzen mit welcher Wahrscheinlichkeit bestimmte Folgeerkrankungen hervorrufen. Oft haben sie auch noch biochemische Erklärungen, wie der Schädigungsprozess im Einzelnen abläuft.

    Die Psychiatrie hat zum Beispiel Freud. Der erzählt schöne Geschichten, die man sich so richtig gut vorstellen kann und die das Verhalten erklären. Hört sich alles irgendwie plausibel an. So könnte es gewesen sein. So wie man früher etwa einen Findling durch eine Geschichte erklärt hat. Den hat meinetwegen der Teufel in seiner Wut dort hin geworfen, weil er eine Seele nicht bekommen hat. Schöne Geschichte, möglicherweise plausibel, wenn man an den Teufel glaubt. Heutzutage halten wir für Erklärungen, wie dieser Stein dahin gekommen ist, eher die Geologie für zuständig, die uns doch tatsächlich erzählen will, dass der Gletscher da hoch oben in den Alpen einmal bis vor unsere Haustür reichte. Im Gegensatz zur Hypothese über den Teufel, der mehr oder minder macht was er will, mit dem man also genausogut ein Loch, dass er vor Wut in den Boden gestampft hat, erklären könnte, ist aber die Gletschertheorie eingebunden in eine wissenschaftliche Gesamterklärung der Welt. Da kann man nachfragen, wieso Gletscher früher größer waren oder ob die neben ein paar Findlingen nicht noch andere Spuren hinterlassen hätten müssen, die man finden können müsste.

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  • Hthik

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    Franz Josef Avestruz 21. Mai 2022 um 19:28

    “Was ist denn das bitte fuer eine krude Theorie.”

    Leider nicht nur eine. Jede “Schule” hat ihre eigene Theorie.

    “… was oder wie soll hier d Psychiatrie taetig werden…?”

    Wenn Sie nichts tun können, dann müssen sie nicht. Altehrwürdiger Rechtsgrundsatz: ultra posse nemo obligatur.

    Dann kann sie sich aber auch Erklärungen wie diese sparen

    “„Er ist ein friedlicher, freundlicher Mensch, der seiner schweren Krankheit ausgeliefert ist“, bringt es Wirtz auf den Punkt.”

    Er wird überwältigt von etwas, das dann anscheinend nicht er ist, sich aber auch in seinem Kopf befindet. Hört sich gut an. Kann man sich prima vorstellen, Etwa analog dazu, dass dem Normalen jemand eine Pistole an den Kopf hält und ihn dazu zwingt Dinge zu tun, für die er dann natürlich nicht verantwirtlich ist, sondern der Typ mit der Pistole. Mag so sein, nutz nur leider gar nichts, denn bei einem echte Anderen mit echter Pistole, kann man diesen getrennt zur Rechenschaft ziehen, nicht aber, wenn er im selben Kopf sitzt. Genausogut kann ich mir vorstellen, dass er nur er ist aber eben mal so und mal so handelt, wie ein Normaler auch nicht jeden Tag gleich drauf ist, nur eben extremer. Das ändert an den Konsequenzen gar nichts. Da ist nur ein Mensch. Der Richter kann nur einen einsperren oder nicht, ihm Medikamente geben oder nicht. Wenn es wirksame Medikamente gibt, dann ist es auch völlig egal, ob wir uns das so vorstellen, dass der der Typ in seinem Kopf mit der Pistole entwaffnet wird oder einfach, dass der eine er in seinem Kopf friedlicher wird. Wenn ich eine Tüte rauche, dann kann man umgangssprachöich auch sagen “Jetzt ist er ein anderer Mensch” oder eben auch, das ich viel ruhiger bin oder dass der Typ in meinem Kopf, der mich zwingt zu jedem und allen auf RD meinen Senf dazuzugebe, eingeschlafen ist.

    “Die Frage nach dem „Warum“, die den ersten Prozesstag zeitweise mitbestimmte, sie kann für Ameri nur auf eine Weise beantwortet werden: „Weil er völlig psychotisch gewesen ist, von Wahnvorstellungen und Stimmen getrieben. Das wird es gewesen sein.“”

    Hier sehen wir auch, dass ein Jurist, der mutmasslich keine Ausbildung in Psychiatrie hat, genauso in der Lage ist eine Erklärung aus dem Ärmel zu schütteln wenn ihm danach ist. Solange die Erklärung sich nicht an irgendwelchen nicht nur in der Vorstellung existierenden Dingen messen lassen muss, sind der Phantasie hier kwine Grenzen gesetzt.

    “Vielmehr ist das Betreuungssystem in diesem Zusammenhang gefragt. … Das Betreuungssystem gehoert sich laengst reformiert, es ist ueberholt.”

    Das mag schon sein. Wenn da jemand konkrete Ideen hat, ist das zu diskutieren innerhalb des Themas “Welche Maßnahmen kann man ergreifen, die wirken.”

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  • Daniela

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    @ Hthik

    Zur freien Willensbestimmung.

    Da heißt es bei Gericht i.a.R.

    Sie Er kann seine/n freien Willen nicht bestimmen und nicht nach Ihrer/seiner Einsicht handeln.

    Bedeutung i.a.R. die Person ist in seiner kognitiven Leistungsfähigkeit so weit eingeschränkt, seine eigenen existenziell bedeutsamen Entscheidungen so zu treffen, dass er/sie sich selbst keinen Schaden zufügt.

    ‘Das ist gängige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass sie müssen. Das wird meiner Ansicht nach eher zuwenig gemacht. Es überwiegt die richterliche Selbstherrlichkeit.’

    Dieser Argumentation kann ich so gar nicht folgen. Ist es nicht eher so, dass eben die Prognose eines Sachverständigen der Entscheidung des/der Richter/Richterin vorgreift?
    Nehmen wir die forensische Psychiatrie (Maßregelvollzug) da entscheiden letztendlich Mediziner/ Psychologen ob es prognostiziert richtig wäre jemand zu entlassen. Dies wird i.d.R. einmal im Jahr geprüft.

    Der Behandlungserfolg jeglicher medikamentösen Therapie ist von Einnahme und dem Wirkungsgrad der Medikamente abhängig. ( Einmal unabhängig von psychischen Erkrankungen.) Nicht jede Chemotherapie beendet die Krebserkrankung. Nicht jedes Antibiotika beendet die bakterielle Erkrankung.

    Ist das Gehirn in irgendeiner Form geschädigt oder anfällig kann es abrupt wirkend zur Veränderung der Wahrnehmung, des Bewusstseins, der kognitiven Fähigkeiten, des Wesens, der Persönlichkeit… kommen. Selbst die Dehydration eines Menschen hat Auswirkungen auf den Organismus. Im Grunde genommen das Weglassen von Flüssigkeitszufuhr.

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  • Ehemals Student

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    Die Prognose eines erfahrenen psychiatrischen Sachverständigen ist keine sichere Zukunftsvorhersage. Sie beansprucht das auch nicht für sich. Aber sie ist auch kein Tarotkarten- oder Kaffeesatzlesen.

    Das wissen zwar offenbar nicht alle hier, aber die psychiatrischen Sachverständigen wissen das. Und die Richter in der Regel auch. Die Forensische Psychiatrie ist eine Wissenschaft, die sich (ebenso wie beim Physiker, der sich mit dem Zerfall von Atomen beschäftigt) mit Wahrscheinlichkeiten befasst. Die Einflussfaktoren sind in der forensischen Psychiatrie sicherlich vielfältiger und komplexer und die Aussagekraft von deren Prognosen sicher geringer als die des Physikers, der etwas über den Zerfall radioaktiver Elemente vorhersagt. Aber sie sind besser als Würfeln. Und deswegen fragen die Richter die psychiatrischen Sachverständigen – weil Hinz und Kunz sich eben offenbar nicht ausreichend mit der Materie auskennen…

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  • Daniela

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    @ Ehemals Student
    22. Mai 2022 um 20:08 | #

    ‘Die Prognose eines erfahrenen psychiatrischen Sachverständigen ist keine sichere Zukunftsvorhersage. Sie beansprucht das auch nicht für sich. Aber sie ist auch kein Tarotkarten- oder Kaffeesatzlesen.’

    Zu wie viel Prozent garantiert ein Psychiatrischer Gutachter die Zuverlässigkeit seiner Prognose? Zu 10; 20; 30; …..99 Prozent?

    Tarotkarten legen beansprucht für sich auch keine sichere Zukunftsvorhersage…

    Ein Psychiatrischer Gutachter beschreibt besten falls, wie hoch die Wahrscheinlichkeit, unter Berücksichtigung bisheriger Erkenntnisse zum Probanden, bei präziser Einhaltung der jetzigen Therapiestruktur, ein Rückfall ausgeschlossen werden könnte.

    Bitte lesen Sie psychiatrische Prognosen, die bestehenden durchgängig aus Konjunktiv. Warum dies?
    Einzige Ausnahme von dieser Regel: Der Proband widersetzt sich den Therapien, nimmt keine Medikamente, negiert seine Krankheit… Dann ist die Prognose eindeutig.

    Eine geübte Tarotkartenlegerin verkauft Ihnen auch Konjunktiv. ‘ Sie könnten schon bald einen Gewinn erzielen…, den Mann ihrer Träume treffen….’

    In der Pharmazie ist noch nicht einmal zu 100 Prozent sicher, das die Wirkung von Medikamenten so eintrifft, wie gewünscht. Lesen Sie einmal Beipackzettel…, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, …

    Wer wollte also bei endogenen psychischen Krankheitsbildern dann auch nur annähernd eine sichere Prognose abgeben?

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  • Hthik

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    Ehemals Student 22. Mai 2022 um 20:08

    “Aber sie sind besser als Würfeln.”

    Das reicht aber nicht. Sie müssten besser als cold reading sein, denn der geschickte Tarotkartenlesr kann diese Informationsquelle auch nutzen und Psychiater hat sogar eine schöne Akte für hot reading. Die Frage ist nicht, ob der Psychiater besser als Würfeln ist, sondern ob er eine Fachkenntnis hat, die wesentlich über allgemeine Menschenkenntnis, wie sie ein Richter auch hat, hinausgeht.

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  • Hthik

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    @Daniela 22. Mai 2022 um 17:58

    “Sie Er kann seine/n freien Willen nicht bestimmen und nicht nach Ihrer/seiner Einsicht handeln.”

    Das läuft letzlich darauf hinaus, was wir für glaubwürdig halten. Warum sollte ich einem Kind, dass der Versuchung erliegt, seine Hausaufgaben nicht zu machen, nicht auch glauben, dass es das einfach nicht konnte, weil der Drang zur Spielkonsole so groß war?

    ‘Das ist gängige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass sie müssen. Das wird meiner Ansicht nach eher zuwenig gemacht. Es überwiegt die richterliche Selbstherrlichkeit.’

    “Dieser Argumentation kann ich so gar nicht folgen. Ist es nicht eher so, dass eben die Prognose eines Sachverständigen der Entscheidung des/der Richter/Richterin vorgreift?”

    Die Entscheidung trifft immer der Richter. Es geht um die Frage, welche Beismittel er zulassen muss.

    “Das LSG hat zu der behaupteten Kuhmilch- sowie der Hühnereiweißallergie lediglich ausgeführt, diese seien im Alter des Klägers unwahrscheinlich, Letztere könne auch durch Weglassen des Nahrungsmittels therapiert werden. Abgesehen davon, dass nicht deutlich wird, woher das LSG ausreichende Sachkunde über Therapiemöglichkeiten von Allergien besitzt, ist es für einen ernährungsbedingten Mehraufwand nicht entscheidend, ob ein bestimmtes Nahrungsmittel bei der Ernährung weggelassen werden kann; dies ist bei einer Allergie gegen ein bestimmtes Nahrungsmittel selbstverständlich. Entscheidend ist vielmehr, ob und durch welche Nahrungsmittel es ersetzt werden muss und ob hierdurch Mehrkosten entstehen. Wenn – wovon das LSG zu Recht ausgeht – insoweit eine pauschale Bescheinigung des Hausarztes zum Nachweis des Mehrbedarfs ungeeignet ist, hätte es sich aufgedrängt, weitere Ermittlungen zu einem etwaigen Mehrbedarf anzustellen und dabei nicht die einzelne Allergie isoliert betrachten.”

    B 8 SO 11/10 R, 09.06.2011

    BSG im vernünftigen Modus. Sowas kommt auch vor. Gilt aber in allen Gerichtszweigen, siehe den Link.

    “Nehmen wir die forensische Psychiatrie (Maßregelvollzug) da entscheiden letztendlich Mediziner/ Psychologen ob es prognostiziert richtig wäre jemand zu entlassen. Dies wird i.d.R. einmal im Jahr geprüft.”

    Ja und es mag für den Richter nett sein, dass er jemand anders die Verantwortung zuschieben kann. Aber was ist die Evidenz dafür, dass die das besser vorhersehen können, als Andere?

    Justiz und Psychiatrie haben viel gemeinsam. Wie unser damaliger OSta Wolfhard Meindl so richtig sagte“Ein guter Jurist kann alles in jede Richtung schreiben. Sie können Unschuldige hinter Gitter bringen, einen Schuldigen freisprechen.”

    Beides wilige Diener der Mächtigen, die den status quo aufrecht erhalten, egal wie offenbar unsinnige ihre Einschätzungen sind. ImPrinzip hat sich seit den Zeiten der Drapetomanie nichts geändert.

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  • Daniela

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    @Hthik

    ‘Ja und es mag für den Richter nett sein, dass er jemand anders die Verantwortung zuschieben kann. ‘

    Genau so ist es, der Richter urteilt i.d.R. nach der Bewertung des Gutachtens. Es gab Fälle, wenige, wo der Richter GG. Wertung im SV Gutachtens urteilte. Dies wurde dann aber im entsprechenden Beschwerdeverfahren GG. den Beschluss nächstinstanzlich gerügt.

    ‘Aber was ist die Evidenz dafür, dass die das besser vorhersehen können, als Andere?”

    Es gibt keine Evidenz ( im Sinne von Fakt, unumstößlich ) dafür. Es wird nur angenommen, dass ein medizinischer Sachverständiger Fachwissen ausweist, dass Müller Meier Lehmann ohne Medizinstudium nicht haben.

    Die freie Willensbestimmung ist eine sehr niedrige Stufe, nicht gleich zu setzen mit Geschäftsfähigkeit.

    Bei einem Kind würde man rational auch sagen, dass das erledigen der Hausaufgaben, der Schulbesuch, vor dem Spiel an der Konsole förderlich, existenziell bedeutsam für die Entwicklung des Kindes ist.

    Oder eine anderes Beispiel, welches vielleicht besser zu verstehen ist.

    A) Ein Erwachsener mit monatlichem Einkommen von 20 000 Euro geht regelmäßig einmal im Monat zum Zocken ins Casino, da verspielt er 1000 Euro.

    B) Ein anderer Erwachsener, ebenfalls 20000 Euro im Monat Einkommen, dieser leidet an Spielsucht, geht täglich für 1000 Euro zocken. Er benötigt zur Befriedigung seiner Sucht 30 000 Euro im Monat. Er macht Schulden, verspielt Haus und Hof, verliert, weil er den ganzen Tag suchtgetragen im Casino verbringt seinen Job, seine Ehe geht den Bach runter…

    Bei wem ist der Definition nach die freie Willensbestimmung eingeschränkt?

    Bei B , weil dieser durch sich durch die Sucht existenziell bedeutsamen Schaden zufügen.

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