Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus für Regensburg!
Hallo. Schön, dass Sie hier lesen oder kommentieren. Fast noch mehr freuen würden wir uns, wenn Sie die Arbeit von regensburg-digital mit einem kleinen (gern auch größerem) Beitrag unterstützen. Wir finanzieren uns nämlich nur zu etwa einem Drittel über Werbeanzeigen. Und für die gibt es bei uns auch ausdrücklich keine zusätzliche Gegenleistung, etwa in Form von PR-Artikeln oder Native Advertising.
Mehr als zwei Drittel unseres Budgets stammt aus Spenden – regelmäßige Beiträge von etwa 300 Mitgliedern im Verein zur Förderung der Meinungs- und Informationsvielfalt e.V.
Anders ausgedrückt: Wir bauen auf Sie – mündige Leserinnen und Leser, die uns freiwillig unterstützen. Seien Sie dabei – mit einem einmaligen oder regelmäßigen Beitrag. Herzlichen Dank.
Regensburg ist eine kleine Stadt. Alle naselang trifft man jemanden, den man kennt, oder – noch schlimmer – jemanden,der etwas über einen weiß. Das kann amüsant sein, aber auch gewaltig an den Nerven zehren. Unsere Autorin Bianca Haslbeck weiß selbst nicht so genau, wie sie das findet. Aber sie hat sich damit arrangiert. Im heutigen Teil der vierzehntätig erscheinenden Kolumne geht es um ein Regensburg ist, das formal eine Großstadt ist, de facto aber kleiner als eine handelsübliche Damenhandtasche. Wie immer hochgradig subjektivität und persönlich voreingenommen. Man möge die Größe besitzen, über diese kleinen Schwächen hinwegzusehen! Heute: Teil 3 – Große Stadt, kleine Welt.
Liebes Regensburg,
groß bist du geworden. Offiziell bist du sogar eine Großstadt, weil du über 100.000 Einwohner hast. Gut 138.000 sogar offiziell nach Erstwohnsitzen, über 150.000 sogar mit Zweitwohnsitzen. Inklusive aller Studenten und sonstiger Gestalten, die hier hausen, ohne angemeldet zu sein, sind es bestimmt noch mehr.
Das klingt natürlich verheißungsvoll, wenn man aus einem Ort kommt, in dem einen gefühlt jeder zweite Bewohner als Kleinkind in die Backe gekniffen hat, weil es dort einfach nicht so wahnsinnig viele Leute gibt.
Und anfangs hat das wirklich funktioniert. Da konnte ich gut in dir abtauchen. Durch die Stadt laufen, mit unbekannten Leuten sprechen (oder auch nicht), mich in Cafés und Bars setzen, über die Dult schlendern, mich ins Nachtleben stürzen, mir abseitige Studentenjobs suchen – und überall in lauter fremde Gesichter schauen.
Das war gar nicht schlecht. Das gab mir ein Gefühl von Freiheit, das Gefühl von Entwicklungschancen, von Unvoreingenommenheit mir gegenüber, das Gefühl einer angenehm einlullenden Anonymität. Ja, ich mag das. Dieses Gefühl, nur in einem von mir selbst auserwählten Mikrokosmos eine Rolle zu spielen und ansonsten einfach ein bisschen unterzugehen. Die expressionistischen Dichter, die diese Anonymität immer als so bedrohlich und entmenschlichend beschrieben haben, konnte ich noch nie verstehen. Das ist doch was Tolles. Ein Goldfisch im großen Teich. Ein bisschen mitschwimmen, ab und zu das Kopferl rausstrecken, wieder untertauchen und weiterwuseln. Die Kreise, in denen man mit Namen und Geburtstag und Lieblingsmüsli bekannt ist, kann man sich ja aussuchen.
Aber es kam der Zeitpunkt, da musste ich feststellen, dass diese Anonymitätswolke nur eine Illusion war. Eine Mutmaßung, die mit den Jahren immer mehr der Realität zum Opfer fiel. Gut, ein Teil davon mag meinem selbstgewählten Leben geschuldet sein. Wer Journalist ist und in Bands spielt, macht möglicherweise mehr Bekanntschaften und kreuzt im Alltag an mehr Orten auf als jemand in der Sortierstelle der Post oder der prototypische Buchhalter.
Vieles aber, liebes Regensburg, ist einfach wirklich der blanke Zufall und – ich behaupte das jetzt einfach mal – Resultat deiner doch nicht so beeindruckenden Größe.
Relativ kurz, nachdem ich hier hergezogen bin, gab es einen unschönen Zwischenfall, bei dem mir jemand unterstellte, ich hätte beim Parken sein Auto gerammt. Ich bestreite das bis heute, und die Justiz gab mir Recht. Etwa ein halbes Jahr später beschloss ich, bei einer heute nicht mehr erscheinenden Zeitschrift als freie Mitarbeiterin anzuheuern. Ich vereinbarte einen Termin mit dem mir gänzlich unbekannten Redaktionsleiter, und als mich der durch die Büroräume führte und mir die Mitarbeiter vorstellte, unterbrach ich ihn, als er mir den Namen desjenigen Redakteurs sagen wollte, der in der Hauptsache für mich zuständig sein sollte – es war mein Gegner aus der Auto-Geschichte. Nach ein paar gequälten Sätzen mit gequältem Lächeln arrangierten wir uns miteinander. Eine Fähigkeit, die in dieser Stadt sehr nützlich sein kann.
Um beim Auto-Thema zu bleiben: Erst letzte Woche hast du, liebes Regensburg, mir wieder bewiesen, dass das Großstadt-Label nur Tarnung ist. Ich parkte – frei von Zwischenfällen jeglicher Art – am Donaumarkt. Ging meines Weges. Zwei Autos weiter blieb mein Blick hängen. Ich sah ein Auto der Marke und des Modells und der Farbe, wie ich es zuletzt gefahren bin. Ein unauffälliges Gefährt, aber nicht allzu häufig. “Schon lang keinen solchen mehr gesehen”, dachte ich mir, bis mein Blick an der hinteren Türe hängenblieb. Die Kratzer, die Fahrer, die Dellen – das ist ja wie ein Fingerabdruck. Ich inspizierte das Auto näher und stellte fest: Das war mal meins! Ich hatte es wenige Monate zuvor zwei halbseidenen Gestalten übereignet und fest damit gerechnet, dass es wenige Tage später auf einen Anhänger Richtung Osteuropa gepackt oder in alle Einzelteile zersäbelt und stückweise verkauft und verbaut werden würde. Aber nein. Es ist da geblieben. Und jetzt habe ich es schon zweimal gesehen, beide Male an ungefähr derselben Stelle. Und ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass diese Stadt auf eine eigenartige Weise ganz schön klein ist, wenn ich unter rund 75.000 in der Stadt zugelassenen PKW zweimal mein altes Auto antreffe und es eindeutig als dieses identifizieren kann.
Auf eine eigenartige Weise klein… Ja, so ist das mit dir, Regensburg. Solche Geschichten gäbe es noch mehr. Viel mehr. Zum Beispiel, als zwei Freundinnen denjenigen Kretin trafen, der im Vollsuff mein wundervolles, silbernes Herren-Rennrad geklaut und in der Donau versenkt hat und mit dieser “Heldentat” dann hausieren ging, während ich – an meinem Verstand und der Menschheit zweifelnd – bestimmt 15 Mal die Steinerne Brücke auf- und ablief, um das eben ertränkte Fahrrad zu suchen. (Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte ist unbestätigt, aber die Details passen zu gut, um nicht daran zu glauben, dass es sich tatsächlich um meinen Fahrraddieb gehandelt hat.)
So ist das oft. 75.000 Autos sind ja jetzt nicht wenig. 150.000 Menschen auch nicht. Trotzdem führst du immer wieder Menschen zusammen, die eigentlich so rein gar nichts miteinander zu tun haben. Und manchmal ist man so eng aufeinander und bemerkt sich doch nicht. So wie ich nie bemerkt habe, dass ich jahrelang Tür an Tür mit einem meiner Lieblingsprofessoren gewohnt habe. Oder dass ich jahrelang an einem mittlerweile guten Freund vorbeigelebt habe, der zur selben Zeit dasselbe Fach wie ich studiert hat, dieselben Freunde hatte und danach auch noch zeitgleich für denselben Auftraggeber gearbeitet hat. Auf eine mindestens ebenso eigenartige Weise bist du auch ganz schön groß, mein liebes Regensburg.
Auf der einen Seite ist diese mehr oder minder zufällige Kleinheit ganz schön nervig. Nämlich dann, wenn man den Eindruck hat, immer und immer wieder denselben Nasen zu begegnen.
Wenn man durch die Stadt läuft und ständig grüßen muss.
Wenn man mit nur vermeintlich unbekannten Leuten spricht und nach drei Sätzen merkt, dass es dabei um den Mitbewohner der Ex-Freundin des früheren Studienkollegen handelt und man aufpassen muss, was man über wen sagt.
Wenn man sich in Cafés und Bars setzt und sich vorm Keeper über die exzentrische Getränkewahl rechtfertigen muss. Man trinkt doch sonst auch immer dasselbe.
Wenn man über die Dult schlendert und oder sich ins Nachtleben stürzt und nie weiß, welcher Zuflüsterer vom Chef oder Prof oder Vermieter ganz fürchterliche Dinge gesehen haben will.
Wenn man sich neue Jobs sucht – und dabei den Unfallgegner von vor sechs Monaten trifft. Dann, liebes Regensburg, wünsche ich mich manchmal 13 Jahre zurück, als ich hier noch fast niemanden kannte.
Auf der anderen Seite ist das aber auch ziemlich toll. Nämlich dann, wenn man fast auf Schritt und Tritt in lauter bekannte Gesichter schaut. Ob man sie nun im Einzelfall mag oder nicht, ist dabei nicht mal wichtig. Man kennt sich. Und zur Not lächelt man kurz gequält, arrangiert sich miteinander und geht weiter. Bis zum nächsten bekannten Gesicht, bei dem das Lächeln dann ehrlich gemeint ist. Dann, liebes Regensburg, bewundere ich dich – für deine Kleinheit und für deine Größe. Und für deine Raffinesse, mit der du es mal wieder geschafft hast, dass ich mich hier daheim fühle.
Frau Haslbeck Ihre ersten beiden Artikel fand ich köstlich, dieser hier drängt mich ständig zu der Frage warum Sie denn nicht einfach in eine Großstadt ziehen?
Der Autovergleich ist mit verlaub hanebüchen. ..
Generell gilt
wenn man dieses und jenes nicht will:
“deaf ma hold net fuat geh. muas ma dahoam bleim.”
in diesem sinne wünsche ich ein schönes Wochenende!
ich finde es wieder mal gelungen. es steht ja gross drüber, dass es eine subjektive meinung ist. ein typischer bayer grantelt halt gern, dennoch liebt er seine umgebung und eigentlich soll sich auch nicht wirklich was ändern. es ist eine liebevolle homage ans bayrische volk und zeigt guten queerschnitt. wer regt sich denn nicht gerne über alltägliche sachen auf? wer ist aber tatsächlich so genervt davon, dass er konsequenzen zieht? man grantelt. aber eigentlich ist es doch gar nicht so schlimm.
franz streibl
| #
Frau Haslbeck Ihre ersten beiden Artikel fand ich köstlich, dieser hier drängt mich ständig zu der Frage warum Sie denn nicht einfach in eine Großstadt ziehen?
Der Autovergleich ist mit verlaub hanebüchen. ..
Generell gilt
wenn man dieses und jenes nicht will:
“deaf ma hold net fuat geh. muas ma dahoam bleim.”
in diesem sinne wünsche ich ein schönes Wochenende!
frage
| #
@franz streibl @bianca haslbeck
ich finde es wieder mal gelungen. es steht ja gross drüber, dass es eine subjektive meinung ist. ein typischer bayer grantelt halt gern, dennoch liebt er seine umgebung und eigentlich soll sich auch nicht wirklich was ändern. es ist eine liebevolle homage ans bayrische volk und zeigt guten queerschnitt. wer regt sich denn nicht gerne über alltägliche sachen auf? wer ist aber tatsächlich so genervt davon, dass er konsequenzen zieht? man grantelt. aber eigentlich ist es doch gar nicht so schlimm.