Warmer Applaus statt Gummiknüppel
Am Dienstag gab es im Leeren Beutel Sekt und Schnittchen für Flüchtlingsaktivisten.
„Die Flüchtlinge gelten als Feinde des Wohlstands. Die Europäische Union schützt sich vor ihnen wie vor Terroristen: man fürchtet sie nicht wegen ihrer Waffen, sie haben keine; man fürchtet sie wegen ihres Triebes, sie wollen nicht krepieren, sie wollen überleben – sie werden also behandelt wie Triebtäter, und sie werden betrachtet wie Einbrecher, weil sie einbrechen wollen in das Paradies Europa; und man fürchtet sie wegen ihrer Zahl und sieht in ihnen so eine Art kriminelle Vereinigung. Deswegen wird aus dem ‘Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts’, wie sich Europa selbst nennt, die Festung Europa.“
Wäre es nicht SZ-Leitartikler Heribert Prantl, der da vorne steht und zum feierlichen Anlass eine Laudatio hält, sondern einer von diesen Flüchtlingsaktivisten, langhaarig womöglich, der dasselbe bei einem Protestmarsch ins Megaphon spricht – ein Großteil der Passanten würde ihn ignorieren, vielleicht würden einige von ihnen rassistische Parolen grölen und womöglich würde die Polizei dazwischen gehen und mit dem Abbruch der Kundgebung drohen.
Aber am Dienstagabend im Leeren Beutel ist es plötzlich ganz einfach, so etwas auszusprechen. Und anstelle von Ignoranz, Gegröle und staatlichen Zwangsmaßnahmen gibt es hier immer wieder zustimmenden Applaus von den Festgästen, während im Hintergrund schon Sekt und Schnittchen aufgebaut werden. Dazwischen gibt es Musik aus Afghanistan. Ein kurzer Auszug aus dem Theaterstück „Lebenserlaubnis“ wird aufgeführt. Die Darsteller: Jugendliche Flüchtlinge von der städtischen Berufsschule. Der designierte Oberbürgermeister Joachim Wolbergs ist da und spricht ein wohlwollendes Grußwort.
Streitberger: einige Jahre Hausverbot bei der Ausländerbehörde
Pax christi, die internationale katholische Friedensbewegung, verleiht heute zum sechsten Mal seine Auszeichnung „Einspruch wagen! – Preis für Zivilcourage“. Die Preisträger in diesem Jahr: Otto Fuhrmann und Gotthold Streitberger. Beide werden für ihr jahrzehntelanges Engagement für Flüchtlinge ausgezeichnet. Und beide sind es nicht unbedingt gewohnt, dass sie mit Preisen und Lob überschüttet werden. Im Gegenteil. Bei der Ausländerbehörde der Stadt Regensburg etwa hatte Streitberger einige Jahre Hausverbot.
Es gefällt eben nicht jedem, wenn jemand Klartext redet. Das tut Streitberger auch am Dienstag, als er – nach zweieinhalb Stunden Vorreden und Musik – endlich den Preis überreicht bekommt und selbst an der Reihe ist, um ein paar Worte zu sagen.
Doch zuvor ist Otto Fuhrmann dran. Seit in seinem Heimatort Weiden die ersten Asylbewerber untergebracht wurden, hat sich der Lehrer im dortigen Arbeitskreis Asyl engagiert. „Sein humanitärer Einsatz glänzt mit einer bewundernswerten Individualität und Kreativität“, heißt es in der Begründung der Preis-Jury.
Asyl beantragen? Nicht am Samstag.
Von privatem Geld kauft Fuhrmann etwa Flüchtlingen Lebensmittel aus ihren Essenspaketen ab, um ihnen so ein kleines Stück finanzielle Freiheit zu ermöglichen. Die gekauften Waren fährt er anschließend nach Tschechien, um sie dort an Einrichtungen für sozial Bedürftige zu verschenken. Regelmäßig hat Fuhrmann Flüchtlinge von dort an die deutsche Grenze mitgenommen, damit sie hier Asyl beantragen können. Wann er Einspruch gewagt habe? Er wisse es gar nicht so genau, sagt er, als er mit leiser Stimme am Rednerpult steht. Vielleicht damals, als er zwei afghanische Frauen an den Grenzübergang Waidhaus gebracht und der Grenzbeamte dort zu ihm gemeint habe, heute könnten die Frauen kein Asyl beantragen. Es sei ja Samstag. „Da habe ich dann doch gemeint, dass Grundrechte ja wohl auch am Wochenende gelten“, sagt Fuhrmann unter dem ungläubigen Gelächter der Zuhörer. Nach langem Hin und Her hätten die beiden ihren Antrag dann auch stellen dürfen. Ohne seine Begleitung wäre dies sicher nicht gelungen. Eine der beiden habe Asyl bekommen, erzählt er noch. Was aus der anderen geworden sei, wisse er nicht.
„Völkerverständigung oder CSU“
Ganz anders der Auftritt von Gotthold Streitberger. Er hat eine kleine Rede vorbereitet. Und er trägt ein T-Shirt mit dem Logo der aktuellen Flüchtlingsproteste, dem „Refugee Struggle“, dessen Aktivisten im Zuge von Ausweiskontrollen schon mal den Gummiknüppel zu spüren bekommen. Und obwohl es manchmal für einen kleinen öffentlichen Aufschrei sorgt, wenn es denn mal einem Kameramann gelingt, Aufnahmen von solchen Übergriffen zu machen, ist es doch nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was Streitberger „staatlichen Rassismus“ nennt.
Der Mitbegründer der „BI Asyl“ in Regensburg erlebt das schon seit einigen Jahrzehnten. Dass „elementare humanitäre und demokratische Grundprinzipien laufend verletzt“ werden, dass Flüchtlinge systematisch ausgegrenzt, benachteiligt und fertig gemacht werden.
Streitberger hat die Vernetzung verschiedenster Organisationen Regensburg- und bayernweit vorangetrieben. „Asylpolitik und Asylpraxis – Herausforderung für menschlich und demokratisch Denkende“ lautet der Titel der Diplomarbeit, die Streitberger vor über 30 Jahren in Regensburg abgegeben hat. Damals, als man seinen Mitbewohner zwang, aus der gemeinsamen WG in ein Flüchtlingslager umzuziehen. Als es auch nichts half, dass man alle Kosten für ihn übernehmen wollte. „Es gehe nicht um Geld, hat man uns gesagt. Es gehe darum, unerwünschte Integration zu verhindern.“ Er erzählt davon, wie man seinen Freund Kumran sechs Wochen bei einem Pastor versteckt habe, um dessen Abschiebung zu verhindern. Wie man unter der Schirmherrschaft von Altoberbürgermeisterin Christa Meier ein Fest organisiert habe unter dem Titel „Völkerverständigung oder CSU“.
Junger Tschtschene: Abschiebung nächste Woche?
Streitberger berichtet aber auch von dem Polizisten, der vor einer Abschiebung gewarnt habe. Oder von der Standesbeamtin, die einen Asylbewerber davon abhielt, zur Ausländerbehörde zu gehen, die ihn vor seiner Hochzeit noch schnell abschieben wollte. „Innerhalb dieses Systems gibt es menschlich Denkende und Handelnde“, so Streitberger. Deshalb sei es wichtig, sich über weltanschauliche und parteipolitische Grenzen hinweg zu vernetzen. An seiner politischen Haltung lässt Streitberger indes keinen Zweifel. „Die Fluchtursachen liegen im Wirtschaftssystem. Es geht um Imperialismus. Und da steht der Hauptfeind im eigenen Land.“
Wolbergs: Abschiebung „mit allen möglichen Mitteln“ verhindern
Im Hintergrund hat ein junger Mann die ganze Zeit zugehört. Er war einer der Darsteller in dem Theaterstück „Lebenserlaubnis“. Die seine ist – in Deutschland – gerade abgelaufen. Er stammt aus Tschetschenien und floh, nachdem seine Familie im Krieg getötet wurde. Doch dort sei es sicher, lautet die aktuelle Doktrin. Es gehöre ja zu Russland. Nächste Woche soll er deshalb abgeschoben werden. „Völlig absurd“, nennt das Bürgermeister Wolbergs. Er werde versuchen, die Abschiebung „mit allen möglichen Mitteln“ zu verhindern.