Der Manager der Mortalität und die Marketenderin der Todeswaffen
Angela Merkel und Claus Günther, Joschka Fischer und Dieter Zetsche, Guido Westerwelle und Andreas Heeschen – sie alle sind Täter. In seinem neuen Buch „Schwarzbuch Waffenhandel“ präsentiert Jürgen Grässlin akribische Recherchen und deutliche Worte. Gegen die Waffenschmiede Heckler & Koch hat er sogar Strafanzeige erstattet. Am Dienstag war er in Regensburg.
Jürgen Grässlin ist ein mutiger Mann. Das Who is Who der deutschen Waffenlobby kennt den Lehrer. Und sie mögen ihn nicht. Bei Aktionärsversammlungen ergreift er regelmäßig das Wort und rechnet den Managern vor, mit welchem Blutzoll sie ihre Rendite erwirtschaften. In zahlreichen Veröffentlichungen benennt er klar, welche Banken Streumunitionsgeschäfte finanzieren, wer atomwaffenfähige U-Boote an Israel liefert und für wie viele Toten die reine Profitorientierung bei EADS, Daimler Chrysler, Diehl, ThyssenKrupp, Rheinmetall und anderen sorgt.
Die Daimler-Bosse Jürgen Schrempp und Dieter Zetsche haben Grässlin vor Gericht gezerrt, weil ihnen nicht gefiel, was Grässlin da recherchiert und veröffentlicht hatte. Sein Haus wäre im Fall einer Niederlage wohl futsch gewesen. Erst der Bundesgerichtshof schob dem Versuch, Grässlin mundtot zu machen, einen Riegel vor und gab ihm recht. Und so ging es auch anderen Waffenfabrikanten. „Alle Prozesse gegen Konzerne, die mich verklagt haben, habe ich gewonnen“, sagt er am Dienstag in Regensburg.
Waffenexporte: Konsens von schwarz bis grün
In den Medien geniest der 55jährige den Ruf als Deutschlands profiliertester Rüstungskritiker. Da macht man sich manchen Feind in einem Land, das Platz 3 im Ranking der größten Rüstungsexporteure einnimmt und in dem parteiübergreifend von der CDU/ CSU und FDP über die SPD bis hin zu den Grünen ein Konsens zu bestehen scheint, dass das auch so bleiben soll. Das steht übrigens diametral zur Stimmung in der Bevölkerung: 78 Prozent sind verschiedenen Umfragen zufolge der Meinung, dass Deutschland vollständig auf Waffenexporte verzichten sollte.
Grässlins neues Buch („Schwarzbuch Waffenhandel“), das er beim Evangelischen Bildungswerk vorstellt, enthält auf über 600 Seiten neben akribischer Recherchen zum Thema Waffenhandel auch deutliche Worte, die man diesem freundlich lächelndem Mann auf den ersten Blick so gar nicht zutrauen mag. Es ist Empörung und hoffnungsloser Idealismus, der aus ihm spricht.
Deutschland: Allzeit-Hoch beim Export von Massenvernichtungswaffen
Rund 2.000 Menschen verlieren täglich durch Waffengewalt ihr Leben. Das belegt eine Studie der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2010. Die meisten von ihnen sterben durch so genannte „Klein- und Leichtwaffen“: Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm- und Maschinengewehre, Granaten, Panzerabwehrkanonen und Mörser. Und Grässlin kennt nicht nur die nackten Zahlen. Er war in den Kriegs- und Krisengebieten auf dem afrikanischen Kontinent oder in der Türkei, wo die Armee wahllos Kurden mit deutschen Waffen massakriert.
400 bis 900 Millionen solcher Kleinwaffen sind traditionellen Schätzungen zufolge weltweit im Umlauf. Und gerade hat Deutschland bei diesen Waffen ein Allzeit-Export-Hoch zu verzeichnen. Für die Ausfuhr von Kleinwaffen und Kleinwaffenteilen wurden 2012 Exportgenehmigungen im Wert von über 76 Millionen Euro erteilt. Doppelt so viele wie im Vorjahr.
Grässlin: „Die Massenvernichtungswaffen des 20. und 21. Jahrhunderts sind Handgranaten, Landminen und Mörser, Faustfeuerwaffen wie Pistolen und Revolver, und allen voran Sturm-, Scharfschützen- und Maschinengewehre – 95 von 100 Opfern gehen auf deren Einsatz zurück.“
Täglich: 114 Tote durch Heckler & Koch-Waffen
Das führend Unternehmen dabei: Heckler & Koch. Über zwei Millionen Menschen sind Berechnungen von Grässlin zufolge in den letzten 50 Jahren mit Produkten aus der Oberndorfer Waffenschmiede umgebracht worden. 114 Tote täglich, denen 700 Arbeitsplätze bei Heckler & Koch gegenüberstehen. Auf einen Vorschlag Grässlins zur Umstellung der Produktion auf zivile Güter erhielt er von einer H&K-Sprecherin nur zur Antwort: „Aber Sie wissen doch, dass wir damit viel weniger verdienen.“ Ein Mordsgeschäft lässt man sich eben nicht verderben.
„Wenn andere nicht liefern, liefert Deutschland.“
Generell sei es eine Verblödungsstrategie, zu behaupten, dass die Rüstung ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sei, so Grässlin. Etwa 100.000 Arbeitsplätze gibt es – Angaben der IG Metall zufolge – in diesem Bereich. Gerade einmal 0,16 Prozent des Gesamtexporterlöses in Deutschland komme von der Rüstung. „Das ist doch keine Schlüsselindustrie.“
Auch das „Pseudo-Argument ‘Wenn wir nicht liefern, liefern andere’“ sei so nicht zu halten. Erst kürzlich etwa haben die Niederlande beschlossen, wegen der Menschenrechtslage in Indonesien keine Kampfpanzer dorthin zu liefern. Das übernimmt nun stattdessen Deutschland. Grässlin: „Die Realität ist: Wenn andere nicht liefern, liefern wir.“
Produktionslizenz für ein Unrechtsregime
Wer welche Waffen von wem geliefert bekommt, erfährt nicht einmal der Bundestag. „Waffenhandel ist nie demokratisch“, so Grässlin. Die Entscheidungen fallen in geheimer Sitzung im Bundessicherheitsrat. Das neunköpfigem Gremium, dem unter anderem die Bundeskanzlerin, Verteidigungs-, Innen- und Außenminister und die Justizministerin angehören, ist verantwortlich für das, was Grässlin den „größten Skandal“ nennt: Dass 98 Prozent aller deutschen Waffenexporte legal sind – auch in Unrechtsstaaten. Die regelmäßig mit Verspätung veröffentlichten Rüstungsexportberichte präsentieren dann nur, was nicht mehr zu ändern ist.
Erst kürzlich hat etwa Saudi-Arabien mit dem Segen der Bundesregierung die Fertigungslizenz für eine Gewehr von Heckler & Koch bekommen, obwohl Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass dieses Regime an jeden liefert, der bezahlt und sich um Vertragsverpflichtungen nichts schert.
Die Täter aus Wirtschaft und Politik
Es sind beeindruckende Passagen aus Grässlins Buch, in denen etwa die Rolle des vermeintlichen Friedensaktivisten Joschka Fischer in seiner Zeit als Außenminister zur Sprache kommen. Zum Teil mit erheblichen Druck auf andere Mitglieder des Sicherheitsrats wurden da in Absprache zwischen Gerhard Schröder und Fischer fragwürdigste Exporte durchgedrückt.
Überhaupt spart Grässlin in seinem Buch nicht mit Namen. Sein Ziel sei immer gewesen, den Opfern eine Stimme zu geben und den Tätern Name und Gesicht. Insbesondere letztere bekommen ausreichend Platz. Jeweils zehn Politiker und Manager großer Konzerne hat Grässlin porträtiert und eine „Top Ten der Täter“ in Politik und Wirtschaft veröffentlicht. „Ich warte auf Klagen. Mal sehen, ob sich jemand traut. Im Zweifel sehen wir uns eben in Karlsruhe.“
Die Top Ten der Täter in der PolitikPlatz 10: Volker Kauder – Abwickler von Exportanfragen
Platz 9: Ludwig-Holger Pfahls – vom Staatssekretär zum Steuerhinterzieher
Platz 8: Gerhard Stoltenberg – illegale Panzerlieferungen in das Bürgerkriegsland Türkei
Platz 7: Franz Josef Strauß – Wegbereiter des deutschen Waffenhandels
Platz 6: Joschka Fischer – vom Steinewerfer zum Genehmiger von Waffenexporten
Platz 5: Guido Westerwelle – Türöffner für die deutsche Rüstungswirtschaft
Platz 4: Frank-Walter Steinmeier – Rekordhalter bei Kleinwaffenexporten
Platz 3: Gerhard Schröder – Kanzler der Rüstungskonzerne
Platz 2: Helmut Kohl – Unfrieden schaffen mit immer mehr Exportwaffen
Platz 1: Angela Merkel: Marketenderin der TodeswaffenDie Top Ten der Täter in der Rüstungsindustrie
Platz 10: Egon Behle (MTU Aeroengines) – aktiver Unterstützer für Exportkampagnen
Platz 9: Dieter Zetsche (Mercedes Benz) – Mister Mercedes & Military
Platz 8: Friedrich Lürßen (ThyssenKrupp) – Marineschiffe für Massenmörder
Platz 7: Bodo Uebber – der Daimler-EADS-Verbindungsmann
Platz 6: Thomas Enders (EADS) – Nullnummer statt Nummer 1
Platz 5: Olaf Berlien (ThyssenKrupp) – U-Boote für die israelische Kriegsmarine
Platz 4: Klaus Eberhardt (Rheinmetall) – Europas Frontmann forcierten Waffenhandels
Platz 3: Frank Haun (Kraus-Maffei Wegmann) – Kinderhilfe mit Kampfpanzern
Platz 2: Claus Günther (Diehl) – zahllose Opfer durch Zünder, Raketen und Lenkflugkörper
Platz 1: Andreas Heeschen (Heckler & Koch) – Manager der Mortalität
Aus: Jürgen Grässlin. Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deurtschland am Krieg verdient. München 2013.
Heckler & Koch: Illegale Waffenlieferungen nach Mexiko
Vorerst klagt Grässlin selbst. Gegen Heckler & Koch hat er wegen Waffenlieferungen nach Mexiko Strafanzeige erstattet. „Es sind definitiv illegal Gewehre in Provinzen geliefert worden, wo dies ausdrücklich untersagt war“, sagt er. Grässlins Recherchen dazu machen einen Großteil des Buches aus. Am Dienstag präsentiert er Fotos von Schießübungen, die Heckler & Koch-Mitarbeiter in Mexiko durchgeführt haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt seit mittlerweile drei Jahren. „Sollte das Verfahren eingestellt werden, erstatte ich Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt“, kündigt Grässlin an. Denn, das zeige seine Erfahrung, „der Kampf gegen den Waffenhandel ist immer auch ein Kampf gegen die deutsche Justiz“.
Bei alledem wirkt Grässlin nicht die Spur frustriert. Er will nichts weniger als die Welt verändern. Der „Aktion Aufschrei“, die er mitbegründet hat, und die einen Stopp deutscher Waffenexporte fordert, gehören mittlerweile über 150 Organisationen an.