12 Okt2012
Stärkt die Einheit der Flüchtlingskämpfe gegen koloniales Unrecht
Solidarität mit dem Protest der Flüchtlinge in Berlin – Erklärung von THE
VOICE REFUGEE Forum und KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und
MigrantInnen
Stärkt die Einheit der Flüchtlingskämpfe gegen koloniales Unrecht
Kommt am 13. Oktober 2012 nach Berlin – 15:00Uhr Oranienplatz
Die protestierenden Flüchtlinge rufen für den Samstag, den 13. Oktober
2012, genau eine Woche nach Ankunft des Protestmarsches zu einer
Demonstration in Berlin auf. Wir solidarisieren uns vollständig mit den
Zielen des Flüchtlingsprotestmarsches und werden diese Aktion durch unsere
Anwesenheit stärken. Aus Baden-Württemberg, Hamburg, Sachsen-Anhnalt,
Thüringen und Nordrhein-Westfalen kommen wir, um unserer Einheit in diesem
besonderen Moment Nachdruck zu verleihen.
Besonders ist dieser Augenblick, weil sich nach dem Tod von Mohammad
Rahsepar im Januar diesen Jahres zuerst einige und mit der Zeit immer mehr
Flüchtlinge aus ihren offenen Gefängnissen, den Isolationslagern befreit
haben. Sie gingen am 19. März 2012 in Würzburg auf die Straße und begannen
einen Streik. In diesem Augenblick starben für sie die Isolationslager.
Sie haben sich befreit von den Schikanen und den Kontrollen des
Asylsystems in Deutschland, das mit Isolation beginnt und mit Abschiebung
endet. Sie haben mit der Zeit den Protest in andere Orte gebracht und
haben die Residenzpflicht konkret gebrochen. Am 8. September 2012 begannen
sie gemeinsam den Protestmarsch nach Berlin und haben auf dem Weg dahin
viele unsichtbare Grenzen überschritten, so wie sie früher die
Landesgrenzen auf ihrer Flucht nach Deutschland überwunden haben. An der
Landesgrenze zwischen Bayern und Thüringen, an der ehemaligen
innerdeutschen Grenze, am Skulpturenpark „Deutsche Einheit“ haben einige
von ihnen ihre Ausweispapiere zerrissen und sich ein weiteres Mal befreit.
Auf ihrem Marsch nach Berlin haben sich ihnen weitere Flüchtlinge
angeschlossen. Der Protestmarsch hat die Lebensbedingungen der Flüchtlinge
in Deutschland in den Fokus der Öffentlichkeit gebracht. Vor allem hat
diese kollektive Aktion die Protestierenden selbst zusammengeschweißt und
nun tritt dieser bereits fast sieben Monate andauernde Protest in eine
neue Phase ein.
Praktisch haben die protestierenden Flüchtlinge alle Auflagen und
Einschränkungen aufgehoben. Sie haben ihre Würde zurückerobert, indem sie
die Isolationslager verließen und Mut bewiesen auf ihrem Weg nach Berlin.
Sie wollen vorerst bis auf weiteres in Berlin bleiben, bis die Asylgesetze
sich ändern, bis die Residenzpflicht abgeschafft wird, bis alle
Isolationslager geschlossen werden, bis keine Abschiebungen mehr
durchgeführt werden. Die Aktivistinnen und Aktivisten von THE VOICE
Refugee Forum bekennen sich nicht nur zu diesen Zielen, sondern haben jede
freie Minute und all ihre Energie für diese Ziele eingesetzt. Sie tragen
tiefe Narben, die sie infolge ihres zivilen Ungehorsams gegen die
Residenzpflicht durch Polizeibrutalität und Gefängnis erleiden mussten.
Der Internationale KARAWANE-Kongress der Flüchtlinge und MigrantInnen im
Jahre 2000 in Jena und die Aktionstage gegen die Residenzpflicht in 2001
sind Höhepunkte des zivilen Ungehorsams gewesen. Die Aktivistinnen und
Aktivisten der KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen
unternehmen ihr Mögliches, damit der bereits seit langem geführte Kampf
gegen die genannten Gesetze gestärkt und bis zum Ende geführt werden kann.
Aber, ein Blick zurück auf unsere individuellen Erfahrungen und Leben, auf
unsere kollektive Geschichte als Verdammte dieser Erde, als Ausgegrenzte,
als Ausgeschlossene ganz unten lehrt uns folgendes:
Die Residenzpflicht, die Isolationslager und Abschiebungen sind Teil
der aktuellen Herrschaftsverhältnisse in Deutschland und nicht zu
trennen von den weltweiten wirtschaftlichen, politischen und sozialen
Dominanzstrukturen. Rassismus ist eine Waffe, die im kolonialen
Zeitalter verschärft eingesetzt wurde, um die Macht durchzusetzen und
den Reichtum der Minderheit durch Ausbeutung der Mehrheit
sicherzustellen. Diese Waffe ist weiter ausgebaut worden und
mittlerweile zum Kampf der Kulturen umbenannt worden. Die Passgesetze
in den Kolonien sind die Vorläufer einer Polizeiverordnung der Nazis,
welche 1981 als Residenzpflicht Eingang in die Asylgesetze fand. Die
Konzentrationslager wurden von den britischen Kolonialherren zuerst in
Afrika errichtet, um die Profite des Imperiums durch Unterdrückung zu
gewährleisten. Abschiebungen waren schon immer Teil der deutschen
Ausländerpolitik der Bundesrepublik, um „GastarbeiterInnen“,
MigrantInnen und Flüchtlinge in Angst und Schrecken zu halten und
Migration zu kontrollieren. In diesen Herrschaftsverhältnissen wird
Rasse konstruiert, werden die Arbeiterinnen und Arbeiter ausgebeutet
und wird die Herrschaft der Männer über Frauen aufrecht erhalten und
verschärft.
Flucht ist eine Folge der genannten Herrschaftsverhältnisse. Flucht
und Migration werden erzwungen durch Armut, durch Kriege, durch
Unterdrückung jeglicher Opposition gegen die bestehende
Gesellschaftsordnung und Herrschaftsverhältnisse oder durch die
Zerstörung der Natur. Die protestierenden Flüchtlinge in Berlin sind
die lebendigen Beweise der bestehenden Weltordnung. Sie kommen aus
Afghanistan, Benin, Irak, Iran, Kamerun, Kongo, Nigeria, Türkei und
… In diesen Ländern führt die NATO Kriege, wird die Opposition
unterdrückt durch Waffen aus deutschen Waffenschmieden, werden die
Menschen ihrer kulturellen Rechte und Sprache beraubt, müssen die
Menschen für Hungerlöhne arbeiten, müssen Kinder sterben… Hier in
Deutschland stehen sie vereint und klagen mit ihrem Protest
gleichzeitig die Zerstörung ihrer Länder durch NATO und die Gier der
großen Konzerne an. Ihre Einheit und ihr Protest richten sich zur
gleichen Zeit gegen die F-Typ-Isolationsgefängnisse in der Türkei,
einem starken Bündnispartner des deutschen Staates im Nahen Osten. Ihr
Protest richtet sich gegen die Tötung von Flüchtlingen an den
europäischen Außengrenzen durch die europäische Grenzschutzagentur
Frontex. Ihr Protest ist der Schrei der Menschheit gegen die Barbarei,
der täglich lauter wird. An wen richten sich also unsere Forderungen,
wenn diejenigen, die die Gesetze letztendlich formulieren,
durchsetzen, ihren Polizei- und Militärapparat gegen die Menschen
richten, gleichzeitig die Ursache für unsere Flucht sind?
Wir sind überzeugt, dass wir keine Forderungen an die Herrschenden richten
können. Denn durch jede Forderung, legitimieren wir die Herrschaft des
Unrechts über uns. Nur wir selbst können die Befreiung herbeiführen, in
dem wir die konkreten Kämpfe wie aktuell in Berlin ausfechten und uns in
diesen Kämpfen bilden und stärken. Gleichzeitig aber auf dem gemeinsamen
Weg, in jeder Minute unseres Zusammenseins, die Mechanismen der
Machtausübung und die Deformationen, die wir als Menschen selbst in diesem
System erleben, analysieren und die nächsten Schritte planen. Mit jedem
Schritt wollen wir unsere solidarischen kollektiven Strukturen in unseren
Gemeinschaften, Communities, Komitees stärken und ausweiten. Mit jedem
Schritt wollen wir der Barbarei die Stirn bieten an ihren Fundamenten
rütteln. Wir wollen das System überwinden, welches den Menschen von den
Menschen isoliert, welches permanent Konkurrenz und Ignoranz erzeugt. Wir
wollen die Machtverhältnisse verändern, die heute dazu dienen, damit eine
kleine Minderheit den Reichtum an sich zerrt und denen raubt, die die
Mehrheit der Menschheit bilden und diesen Reichtum tagtäglich generieren.
Kommt nach Berlin, um an diesem Samstag den Protest zu stärken. Tragt den
Protest an die Orte, in denen ihr seid. Brecht das Schweigen, demaskiert
die Herrschaft und benennt die Verursacher von Flucht und Kriegen. Macht
sie sichtbar und stoppt sie dort, wo ihr könnt. Stärkt euch, brecht die
Isolation und baut solidarische Strukturen auf – dezentral und nachhaltig.
Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört!
Vereint gegen koloniales Unrecht in Deutschland
Weitere Termine und Aktionen
Aktivistinnen der KARAWANE besuchen am 17.11.2012 um 13.00 Uhr das
Lager in Breitenworbis in Thüringen.
7. Januar 2013 ab 13:00Uhr in Dessau
Oury Jalloh – das war Mord!
Demonstration in Gedenken an Oury Jalloh und alle anderen Opfer der
rassistischen Polizeibrutalität
Tribunal-Vorbereitungstreffen in Berlin: 10./11.11.2012 und
12./13.01.2013
INTERNATIONALES TRIBUNAL GEGEN DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND – 13.
bis 16. Juni 2013 in Berlin