Stänkern für den „Märtyrer“
Zweiter Tag im Mollath-Prozess: Das Gericht hat mit Erinnerungslücken von Zeugen und mit renitenten Unterstützern zu kämpfen. (Alle Prozessberichte gibt es hier.)
Von David Liese
Als Gustl Mollath den Gerichtssaal betritt, ist nicht nur das Rattern der Fotoapparate, sondern auch Applaus zu vernehmen. An Tag zwei des Wiederaufnahmeverfahrens vor dem Landgericht Regensburg haben sich im Saal wieder zahlreiche Unterstützer von Deutschlands bekanntestem (Ex-)Psychiatrieinsassen eingefunden. Den psychiatrischen Sachverständigen im Verfahren, Prof. Dr. Nedopil, begrüßen sie mit verhaltenen, aber doch deutlich zu vernehmenden Buhrufen.
Was einmal echte, ungehaltene Gefühlsausbrüche ob des Dramas um Gustl Mollath gewesen sein mögen, ist mittlerweile eher ein Reflex. Die öffentliche Regung mäandert zumindest heute im Gerichtssaal irgendwo zwischen zivilem Ungehorsam, zur Schau getragener Empörung und dem Bedürfnis, einen Mann zum Märtyrer zu stilisieren. Misstrauen und Geringschätzung gegenüber der Justiz liegen in der Luft. Mal lacht man laut auf, mal ruft man dazwischen.
Erinnerungslücken nach mehr als einem Jahrzehnt
Dabei ist das Bohei im Vergleich zum gestrigen Prozessauftakt gemäßigt. Das mag auch am nicht sehr vielversprechenden Tagesprogramm liegen. Zwei Polizeibeamte sollen gehört werden, die Mollaths Ex-Frau Petra M. 2002 und 2003 in Nürnberg vernommen hatten. Damals ging es um die heute landläufig bekannten Vorwürfe, die die Causa Mollath erst losstießen: die angeblichen Attacken gegen seine Frau, die Freiheitsberaubung im früheren gemeinsamen Haus, der vermeintliche Besitz einer illegalen Schusswaffe, mit deren Verwendung Mollath gedroht haben soll.
Dass nach elf Jahren nicht mehr viel aus den Zeugen rauszuholen ist, wird allen Prozessbeteiligten schnell klar. Ein heute 45-jähriger Polizist vom Dezernat für Waffendelikte hat zumindest die Akte von damals noch dabei, auf die er seine Aussage vor der 6. Strafkammer stützen kann. Er hatte Petra M. im Januar 2003 vernommen.
Mollath bei Hausdurchsuchung „leidlich kooperativ“
Die Frau habe bei ihm Anzeige gegen ihren Ehemann erstatten wollen, weil sie vermutet habe, dieser sei im Besitz einer illegalen Schusswaffe. Im Laufe der Vernehmung habe sie auch von „zunehmenden gewalttätigen Übergriffen“ ihr gegenüber berichtet. Bei einer Hausdurchsuchung, bei der sich Mollath „leidlich kooperativ“ gezeigt habe, hatte sich die Schusswaffe letztlich als nicht genehmigungspflichtiges Luftgewehr herausgestellt.
Eigene Erinnerungen hat der Beamte allerdings kaum noch. Immer wieder entschuldigt er sich, zieht sich darauf zurück, nach elf Jahren höchstens noch rekonstruieren zu können, „wie das Vorgehen üblich ist“. Unstimmigkeiten in den Akten, etwa in Bezug auf den Tag, an dem Mollath seine Frau eingesperrt haben soll, erklärt er durch „Tippfehler“ oder nachträgliche Aktenvermerke.
Reinrufen, um mehr zu verstehen
Ein Mann und eine Frau im Publikum mokieren sich immer wieder lautstark darüber, dass sie nichts verstehen könnten. Das führt erst zu einer kurzen Unterweisung von Oberstaatsanwalt Wolfhard Meindl, wie die Sprechanlage im Gerichtssaal zu bedienen sei.
Später droht dann die eigentlich sehr entspannt verhandelnde vorsitzende Richterin Elke Escher den renitenten Störern „Ordnungsmaßnahmen“ an. Der Mann hält nur fest, dass er „Zuhörer“ sei, „als solcher auch etwas hören möchte“ und es „rüge“, wenn die Mikrofonanlage nicht genutzt werde. Die Frau springt auf und verlässt echauffiert den Saal („So ein Affentheater.“).
Keine Akten mehr bei der Polizei
Viel zu hören gibt es – außer „weiß ich nicht mehr“ und „kann ich nicht sagen“ – ohnehin nicht. Noch schlimmer wird es beim zweiten Zeugen, der gleich zu Beginn seiner Vernehmung vorausschickt, dass es in seiner Polizeidienststelle keine Akten mehr zu den über ein Jahrzehnt zurückliegenden Vorfällen gäbe. Ein Zuhörer flüstert Pressevertretern wissend zu: „Die sind vernichtet worden! Die sind vernichtet worden!“
Der Polizist sagt, er wisse „nicht mal mehr, dass ich damals der Sachbearbeiter war.“ In einem nicht enden wollenden Wust aus Vorhalten und Beschwörungen des Gedächtnisses des Polizisten („Können Sie sich da jetzt vielleicht noch an irgendwas erinnern?“) arbeiten sich die Richter, der Staatsanwalt, der Vertreter von der auch am zweiten Verhandlungstag nicht erschienenen Nebenklägerin Petra M. und Mollaths Rechtsanwalt Gerhard Strate ab.
„Ging es da um zerstochene Autoreifen?“
Ohne Erfolg, wie sich zeigt: Der Polizeibeamte versucht zwar, Einzelheiten zu rekonstruieren und beruft sich dabei auf „dunkle, vage Erinnerungen“. Letztlich tippt er aber belegbar falsch. „Ging es da um zerstochene Autoreifen?“, vermutet er etwa, als die Richterin Einzelheiten zu einem völlig anderen Einsatz erfragen will. „Nein, das haben Sie jetzt aus der Presse“, stellt sie verständnisvoll lächelnd klar.
Gustl Mollath selbst lässt diesen Prozesstag weitestgehend regungslos über sich ergehen. Ab und an macht er sich Notizen, nippt an einem zierlichen Wasserkelch, in den er immer wieder San Pellegrino aus einer Plastikflasche füllt. Nach einigen Stunden steckt er sich ein Bonbon in den Mund, schließt die Augen, ruht ein wenig. Nur einmal äußert er sich über seinen Verteidiger, indem er ihm einen Zettel zuschiebt. Er will klarstellen, dass das Luftgewehr, welches man damals in seiner Wohnung fand, „verrostet und nicht funktionsfähig“ war.
Noch ein langer Weg – nicht nur für Mollath
Es wird noch ein langer Weg für ihn und alle anderen Prozessbeteiligten. Richterin Escher weiß die Neuauflage des Dramas Mollath bislang mit ruhiger und gefasster Hand zu führen. Nicht auszudenken, wie die selbsternannten „Unterstützer“ reagiert hätten, hätte Escher tatsächlich zu Ordnungsmaßnahmen gegriffen.
Ob solche „Unterstützung“ wirklich immer im Sinne Gustl Mollaths ist, sei ohnehin dahingestellt. Der Prozess jedenfalls wird am Mittwoch fortgesetzt.
_erik_
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ich stänkere auch, heute war zu lesen “Urteil zu HSH Nordbank, Freispruch für Bankenvorstand”. Mag der Schaden für das Staatswesen und die Bürger noch so hoch sein, ab einer bestimmten Ebene muss man nicht mehr mit Konsequenzen rechnen, ist zumindest mein Eindruck. Nach unten treten nach oben kriechen könnte Leitspruch dieses Rechtssystems sein. Für mich eindeutige Merkmale von Sodom und Gomorrha!
Neue Überraschungen im Mollath-Prozess | Regensburg Digital
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