Stadt will Raubkunst zurückgeben
Die Stadt Regensburg will Raubkunst, die man sich unter Ägide des Nazi-Karrieristen und Ehrenbürgers Walter Boll angeeignet hat, zurückgeben. Die Vorlage räumt nebenbei mit einer Entlastungslegende Bolls auf. Stadtrat Jakob Friedl fordert weitere Aufklärung – auch zu einer Geschichte, die vom früheren Kulturreferenten Klemens Unger verbreitet wurde.
Die Geschichte, die der frühere Regensburger Kulturreferent Klemens Unger im Februar 2017 bei einer Sitzung des Kulturausschusses zum Besten gab, ist bemerkenswert. Anlässlich einer Debatte zur Provenienzforschung an den Museen in Regensburg wusste Unger zu berichten, dass der langjährige Kulturdezernent, Museumsdirektor, Stadtarchivar, Ehrenbürger, NS-Kreiskulturwart und Nazi-Karrierist Walter Boll „im Jahr 1943 einen Juden in einem steinernen Sarg in der Minoritenkirche vor der Gestapo versteckt und ihm so das Leben gerettet“ habe.
Aufgefallen ist diese Geschichte, die ausweislich des Protokolls der damaligen Sitzung unwidersprochen blieb und zu der es keinerlei Nachfragen gab, Ribisl-Stadtrat Jakob Friedl. Für die Sitzung des Kulturausschusses am morgigen Donnerstag hat er nun den Antrag gestellt, diese Erzählung Ungers auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Hat Unger exklusive Kenntnisse – oder nur irgendetwas erzählt?
Gibt es dazu belastbare Belege? Um welche Person hat es sich hierbei gehandelt? In welchem Steinsarg hatte Boll sie versteckt? Das sind nur einige Fragen, die Friedl beantwortet haben möchte. Denn tatsächlich wäre diese Geschichte Ungers eine kleine Sensation.
Weder findet sich dazu etwas in den Entnazifizierungsakten des Spruchkammerverfahrens, bei dem der zunächst als belastet eingestufte Walter Boll ohnehin einige, mittlerweile widerlegte Falschaussagen leistete, um als entlastet eingestuft zu werden. Noch gibt es dazu irgendwelche Erkenntnisse in der bislang veröffentlichten historischen Forschung.
Hat der frühere Regensburger Kulturreferent also dazu exklusive Erkenntnisse, die noch einer Veröffentlichung harren. Oder hat Unger, wissentlich oder unwissentlich, den Stadtrat mit einer Legende zu angeblichen Verdiensten Bolls bedient, von denen es so manche gab, um dessen tatsächliche Rolle während der NS-Zeit zu relativieren und zu verschleiern? Es wäre nicht unbedingt das erste Mal gewesen, dass Unger den Stadtrat mit der Unwahrheit bediente (siehe dazu diesen Bericht).
Reaktion auf unsere Recherchen?
Anlass von Friedls Antrag, es ist einer von mehreren, ist eine Beschlussvorlage des amtierenden Kulturreferenten Wolfgang Dersch zur Rückgabe von mehreren Kunstobjekten, die unter Bolls Ägide im November 1933 in den Besitz der städtischen Museen gelangten, sogenannte Raubkunst.
Unser Autor Robert Werner hatte dazu erstmals im Februar 2019 ausführliche Recherchen veröffentlicht. Jahrzehntelang war zuvor die Rede davon gewesen, dass Walter Boll als städtischer Konservator wertvollen Besitz der verbotenen und aufgelösten Freimaurerlogen „Drei Schlüssel zur treudeutschen Bruderschaft“ und „Walhalla zum aufgehenden Licht“ (nach dem Krieg entstand daraus die Loge „Drei Schlüssel zum aufgehenden Licht“) vor dem Zugriff der Nazis gerettet und deshalb sogar Probleme mit der Gestapo bekommen habe.
Diese Geschichte, die nicht mit den historischen Quellen in Einklang zu bringen ist, trug 1947 wesentlich dazu bei, dass Boll in seinem Spruchkammerverfahren als Widerständler darstellen konhte und schließlich als „entlastet“ eingestuft wurde. Auch der frühere MZ-Herausgeber Karl Esser spielte dabei eine Rolle (mehr dazu in diesem ausführlichen Bericht).
Historisches Museum bis heute unkritisch
Doch tatsächlich arbeitete Boll ganz im Sinne der NS-Behörden – Mitgliederlisten und neuere Dokumente der Loge gab er ohne weiteres an die Gestapo heraus. Den wertvolleren Teil der Beute behielt er für die städtischen Museen zurück – im Einklang mit NS-Oberbürgermeister Otto Schottenheim.
Es ist nirgendwo dokumentiert, dass Boll jemals Probleme mit der Gestapo bekam. Ungeachtet dessen wurde diese Legende noch 2015 im Rahmen einer Ausstellung im Historischen Museum wiederholt – ohne Bolls Rolle während der NS-Zeit auch nur irgendwie zu problematisieren.
Beschlussvorlage beerdigt zentrale Entlastungslegende
All diese Hintergründe werden in der Vorlage für den Kulturausschuss zwar nicht im Detail erläutert. Allerdings räumt Berichterstatter Wolfgang Dersch mit der zentralen Entlastungslegende von Walter Boll auf, wenn er schreibt, dass dieser in einem Aktenvermerk dokumentiert habe, dass er „in Rücksprache mit seinen vorgesetzten Dienststellen“ handelte, als er die wertvolleren Gegenstände der Freimaurerloge für die Museen behielt.
Die angebliche Widerstandshandlung ist damit auch hier vom Tisch. Es wird klar benannt, dass es sich bei den von Boll vereinnahmten Gegenständen um „nationalsozialistisches Raubgut” handelt, das restituiert, also zurückgegeben werden müsse.
Die Freimaurerloge hatte Anfang des Jahres einen Antrag auf die Rückgabe von insgesamt sechs Objekten gestellt. Konkret geht es um drei Freimaurer-Briefe, zwei Medaillen sowie ein Porträt, das Fürst Karl Alexander von Thurn & Taxis als Großmeister der Loge zeigt.
Antrag: Stadt soll Kosten für Bolls Ehrengrab nicht mehr tragen
Jakob Friedl möchte nun mehr zur Rolle Bolls erfahren, zu möglicher weiterer Raubkunst in städtischen Museen – und er fordert, bereits jetzt Konsequenzen zu ziehen, aus dem, was bislang schon über Walter Boll bekannt ist.
Unter anderem beantragt der Ribisl-Stadtrat, dass die Stadt nicht länger die Pflege von dessen Ehrengrab übernehmen solle. Dies sei „fehl am Platz”. Darüber hinaus verlangt Friedl einen Bericht zu Kunstgegenständen zweifelhafter Provenienz im Kunstforum Ostdeutsche Galerie, deren Geschicke Boll noch bis 1983 maßgeblich mitbestimmte.
Dabei verweist er auf Recherchen der Autorin Waltraud Bierwirth. Sie geht davon aus, dass Boll Kunstschätze ungeklärter Provenienz in die von ihm mitgegründete Ostdeutsche Galerie einbrachte. Es sei überfällig, so Bierwirth, „dass über 70 Jahre nach Kriegsende die Herkunft aller Bilder im Kunstforum Ostdeutsche Galerie erforscht wird“.
Museum soll eigene Geschichte problematisieren
Und schließlich fordert Friedl Aufklärung darüber, was die Stadt bislang unternommen hat, um das „Wirken” Walter Bolls angemessen zu erforschen und aufzuarbeiten. Bereits seit 2008 gibt es einen entsprechenden Auftrag des Stadtrats.
Doch noch neun Jahre später konnte der damalige Kulturreferent Klemens Unger unwidersprochen die Geschichte eines angeblich geretteten Juden zum Besten geben, ohne dass er das in irgendeiner Form hätte belegen müssen. Eine bereits zu Lebzeiten Bolls gestiftete Büste von ihm steht bis heute unkommentiert im Historischen Museum.
joey
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bei Raubkunst gibt es kein Wollen, sondern ein Müssen. Daß viele (um nicht zu sagen die meisten) Museen lieber keine Provenienzforschung machen, ist dann gut zu erklären.
Danke an Jakob Friedl, daß er die Sache angestoßen hat.
Mr. T.
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Und wieder ist es der Störenfriedl, der die wichtigste Arbeit im Stadtrat leistet. Ist das den anderen nicht langsam peinlich?
Peter Lang
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Das KOG hat seit 2018 eine Stelle für Provenienzrecherche. Noch bis 30. November 2022. Einfach mal dort nachfragen. https://www.kunstforum.net/museum/forschung-recherche/provenienzforschung
Jakob Friedl
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@Peter Lang
Bezüglich des KOG wäre es auch interessant zu erfahren, ob externe Historiker*innen, denen es weniger um die lückenlose Provinienz einzelnen Werke, sondern um die Erschließung historischer Zusammenhänge geht, mit dem Archivbestand und dem Forschungsstand der Provenienzforschung des KOG weiterarbeiten und die Ergebnisse für ihre Arbeit verwenden und publizieren dürfen.
Spartacus
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Da ist man im Jahr 2022 aber wieder mal früh dran. Ein Großteil der vorhergegangenen Generationen scheint schon wirklich schockierend wenig Bewusstsein für irgendetwas gehabt zu haben, bzw. zu haben, sei es Raubkunst, Klima oder sich komplett von Diktatoren abhängig zu machen. Armelig.
xy
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Kommentar gelöscht. Bitte sachlich und zum Thema.
Rumpelstilzchen
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Die Erklärung des früheren Kulturreferenten im Stadtrat ist ein echter Unger eben. Seine Zeit war für Regensburg alles andere als rühmlich. Dazu passt seine Aussage, die er vermutlich irgendwo von irgendwem aufgeschnappt und ungeprüft übernommen hat. Es wäre die naheliegende Erklärung für seine Einlassung.
Peter Lang
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@Jakob Friedl
Es ist nicht verboten, beim KOG nachzufragen.
Jahn
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Hat der Hr. Unger – dem ein Prof. “manischen Franzosenhass” attestiert hat – nicht am Pylonentor historisch-sachlich falsche Inschriften in Stein meißeln lassen? Statt Bolls Erbe und Rolle im NS historisch untersuchen zu lassen, hat Unger dem Kreiskulturwart und SA-Mann Boll die Stange gehalten und neue Persil-Schein-artige Geschichte in die Welt gesetzt. Das ist Ungers Umgang mit Geschichte. Ein Trauerspiel mit hoher Schadenswirkung. Hoffentlich wird dieser “echter Unger” offiziell korrigiert.
Zu Peter Lang. klar kann man beim KOG anfragen, wenn ich mich nicht irre hat rd darüber auch schon geschrieben und Fr. Bierwirth dazu öffentliche Kritik geübt. Ich meine, das Problem ungeklärte/zweifelhafte Provenienz wird beim KOG ausgesessen.