Staat und Kirche in der Gebärmutter unerwünscht
Anlässlich des weltweit stattfindenden Safe Abortion Day (28. September) fand in Regensburg etwas verspätet am 3. Oktober eine von der feministischen Gruppe Eben.widerspruch und Pro Familia organisierte Kundgebung statt. Sie stand unter dem Motto „Schwangerschaftsabbruch ist Grundversorgung“. Etwa 60 Personen fanden sich dazu am Samstagnachmittag auf dem Neupfarrplatz ein.
„Egal wo, egal wer, egal warum!“ Die Anwesenden der Kundgebung setzen sich für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein. Das wird nicht nur durch Reden und Transparente deutlich. Es werden auch Zettel mit Slogans wie „Mein Körper, meine Entscheidung! Weg mit § 218!“ oder „Sichere Abtreibungen retten Leben“ verteilt und an geeigneten Orten aufgehängt. Das Besondere: Die Zettel sind auf etlichen Kleiderbügeln aus Draht – dem Symbol für risikoreiche und unwürdige Selbstabtreibungen – befestigt.
Forderung nach Streichung der Paragrafen 218 und 219 StGB
In Regensburg gibt es nur noch zwei Arztpraxen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Über ihre Homepage informieren sie über diese medizinische Leistung allerdings nicht. Und das obwohl sie das nach der Neufassung des Paragrafen 219a Strafgesetzbuch („Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“) im Jahr 2019 dürften. Zu groß sind möglicherweise noch die Angst vor christlich-fundamentalistischen Abtreibungsgegnern und dem sozialen und beruflichen Stigma, Abbrüche vorzunehmen.
Abtreibungen sind ein Tabuthema und werden in Deutschland im Strafgesetzbuch in den Paragrafen 218 bis 219b verhandelt. Das Angebot gehe allgemein zurück. So spricht der Kundgebungsflyer davon, dass zwischen 2003 und 2018 die Zahl von Abtreibungspraxen und -kliniken um 43 Prozent gesunken sei und es nunmehr rund 1.200 Stellen in Deutschland gebe, die Abbrüche vornehmen.
Neben der Forderung nach Abschaffung des Paragrafen 218 wird im bundesweiten Aufruf zum Aktionstag eine flächendeckende Verfügbarkeit der Möglichkeit zu Schwangerschaftsabbrüchen gefordert, wozu auch „überall qualifiziertes medizinisches Fachpersonal vor Ort“ nötig sei. Ärzte bräuchten „Rechtssicherheit statt Kriminalisierung“. Als „Standardeingriff“ müsse der Abbruch „grundlegender Bestandteil von Lehre und Forschung“ sowie Krankenkassenleistungen sein. Bisher ist dies nicht der Fall. In medizinischen Fakultäten sind Schwangerschaftsabbrüche tabu. Abbrüche müssen Frauen in der Regel selbst finanzieren.
Carolin Wagner: „Ortsnahe beste Versorgung“
Die Regensburger Pro-Famila-Vorständin Carolin Wagner fordert ebenfalls die Streichung der einschlägigen Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch. Ihr Verband trete „dafür ein, dass Frauen nicht nur selbstständig und eigenverantwortlich, sondern auch frei von Strafandrohung und staatlicher Einflussnahme über die Fortsetzung oder den Abbruch einer Schwangerschaft entscheiden können.“
Die Familienplanung als Teil der Lebensgestaltung von Frauen und Paaren sei „von öffentlicher Kontrolle und staatlichem Druck freizuhalten,“ so Wagner. Stattdessen müsse man „in einem medizinisch fortschrittlichen Land wie Deutschland erwarten,“ dass es „eine ortsnahe beste Versorgung“ für Frauen „in dieser Notsituation“ gebe.
Informationen zu „Abbruch-Praxen“ nur auf Holocaustleugner-Seite
Besonders eindrücklich sind Betroffenengeschichten, die verlesen werden und deutlich machen, dass es diese Versorgung vor allem in der Region nicht ansatzweise gibt. Darunter ist auch eine Schilderung einer Regensburgerin, die Einblick in ihren verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit gewährt. Ein positiver Schwangerschaftstest kurz vor Weihnachten. Anrufe bei Frauenärztin und Beratungsstelle, die Vereinbarung von Terminen. Um den Jahreswechsel bedeute das: „Viele Feiertage und viele geschlossene Praxen – aber die Fristen laufen.“
Wo in Regensburg überhaupt Abbrüche vorgenommen werden, erfährt die ungewollt Schwangere per Internetrecherche lediglich über die Seite www.babykaust.de des Holocaust-Relativierers Klaus Günter Annen. Die extrem rechte Website betrachtet Abtreibungen als „Massenmord an unseren ungeborenen Kindern und sieht in ihnen eine „Steigerungsform“ des Holocaust. Die Betroffene könne „es kaum fassen“, aber die „einzigen möglichen Infos im Netz“ (auch) zu überregionalen Praxen gebe es nur auf dieser Seite „mit Brechreizgarantie“.
Ungewollt Schwangere: Was ist hier los in dieser Stadt?
Von der Beratungsstelle habe sie schließlich zu zwei Regensburger Praxen Informationen bekommen, die jeweils nur eine Methode anbieten – eine Praxis führe Abbrüche medikamentös, die andere per Absaugen durch. Was beide gemeinsam hätten: bei den Fristen bleiben beide unter den gesetzlichen Möglichkeiten. Die medikamentöse Lösung werde „aus irgendwelchen Gründen“ nur bis zur siebten statt bis zur neunten Wochen (nach dem ersten Tag der letzten Regelblutung) angeboten. Die Absaugmethode nur bis zur zehnten statt bis zur 14. Woche.
Auf ihre Frage, warum der Abbruch nach der zehnten Woche nicht mehr möglich sei, sei der Arzt „laut und ungehalten“ geworden und habe sie aus seinem Büro hinauskomplimentiert. „Wer so etwas fragt, ist sich seiner Entscheidung nicht sicher!“, soll er damals gesagt haben. „Was ist los in dieser Stadt?“, fragt die Betroffene entsetzt.
Die Abtreibung habe sie letztlich in einer Nürnberger Praxis vornehmen lassen – einer der wenigen in Bayern überhaupt. „So sehr wurde bisher noch nie in meinem Leben über meinen Körper, über meine Psyche und Entscheidungsfähigkeit bestimmt und geurteilt wie damals,“ resümiert die Betroffene über die Zeit ihrer ungewollten Schwangerschaft.
Frauen-Union kritisiert Kundgebung
Eine Reaktion zur Kundgebung am Samstag kam Montagvormittag von der Frauen-Union. Die CSU-Frauenvereinigung kritisiert dabei „das reißerische Motto für so ein ernstes Thema,“ teilt Stadträtin Bernadette Dechant mit, die „weiterhin für den Schutz des ungeborenen Lebens“ stehe. „Die Frage der medizinischen Versorgung von ungewollt Schwangeren taugt nicht für laute Überschriften.“ Dem CSU-Verband sei es „nicht egal, wer, wo und warum eine bestehende Schwangerschaft abbricht.“ Die Regensburger Kreisvorsitzende der Frauen-Union und Stadträtin Ariane Weckerle betont, dass man „selbstverständlich zum Paragraphen 218 und zur geltenden Rechtslage“ stehe.
Die Frauen-Union steht damit weiterhin zur Illegalität von Schwangerschaftsabbrüchen und dürfte bei den Kundgebungsteilnehmerinnen und -teilnehmern durchweg auf Ablehnung stoßen.
Mr. T.
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Die Mittelalterlichkeit Regensburgs drückt sich nicht nur in der Architektur aus …
Piedro
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„Die Frage der medizinischen Versorgung von ungewollt Schwangeren taugt nicht für laute Überschriften.“
Aber die fehlenden Informationen und andere Defizite eigenen sich sehr gut für “laute Überschriften”. Und ohne die wird sowas nun mal nicht zur Kenntnis genommen, was manchen “Lebensschützern” wohl nur recht wäre. Ebenso wie die Verwendung von Kleiderbügeln zur Abtreibung, inklusive verblutender und verstümmelter Frauen. Wie in den guten, alten Zeiten, als die Christenwelt noch in Ordnung war, und die Frauen schön leise.
Skyrider
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“Die CSU-Frauenvereinigung kritisiert dabei „das reißerische Motto für so ein ernstes Thema,“ teilt Stadträtin Bernadette Dechant mit, die „weiterhin für den Schutz des ungeborenen Lebens“ stehe.”
Die “Frauen Union” und die “Fürstin zu Regensburg”, haben manchmal ganz “komische” Ansichten. Wenn es sich hier um so ein “ernstes Thema”, wie von Fr. Dechant angesprochen handelt, warum führt die Frauen Union die Diskusion nicht offensiv, öffentlich, mit den betroffenen Frauen…? Angst vor Gegenwind?
xy
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Wer denkt und durchdacht handelt, braucht keine neue Abtreibungsdebatte. Frauen sollten sich lieber über anständige Verhütung informieren und diese anwenden, was ja heutzutage keine Kunst mehr ist, statt post festum eine Änderung wohlüberlegter und lange umkämpfter strafrechtlicher Vorschriften zu fordern.
R.G.
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Danke@xy,
ich werde es den Vergewaltigten ausrichten, allen trotz Verwendung der sichersten Verhütungsmittel schwanger Gewordenen usw.
Mr. T.
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Gutes Argument, xy! Damit könnte man die Notwendigkeit sämtlicher Nothilfen obsolet machen. Was man sich da sparen könnte?!?
Wenn jeder aufpasst, bräuchte man keine Feuerwehr mehr. Und wem trotzdem was passiert, ist selber schuld. Und die wenigsten können vielleicht doch nix dafür.
Piedro
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xy
Ihre Argumentation beweist doch die Notwendigkeit der “Debatte”. Im Gegensatz zu Ihnen verfügen die Frauen, die sich hier engagieren und informieren, über Argumente. Auch die Wirksamkeit von Verhütung betreffend. Die lassen sich, wie etwa von Seiten der “Frauen Union”, leicht ignorieren und mit Phrasen begegnen, aber was Sie da vorbringen ist völlig unbrauchbar. Warum schlagen Sie nicht vor, jeder, der keinen Nachwuchs will, solle auf Sex verzichten, und wer vergewaltigt wird hat halt Pech gehabt? Das wäre wenigstens konsequent und schlüssig – und genauso unbrauchbar.
Ratisboo!ner
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Jetzt kann ich mich als ausgewachsener Zellklumpen auch nicht mehr zurückhalten…
@R.G. und Piedro: Bevor Sie hier so schwergewichtige Argumente wie geplatzte Kondome oder Vergewaltigungen hervorkehren, überprüfen Sie bitte nochmal die Quote einer kriminologischer Indikation bei jährlich circa 100.000 straffrei durchgeführten, registrierten Abtreibungen (die Dunkelziffer müsste ja aufgrund des viel zitierten Kleiderbügels gigantisch hoch sein). Die bewegt sich im Promillebereich (<100 Fälle) und wird deshalb mit der weit häufigeren medizinischen Indikation zusammengefasst, dass man überhaupt auf 3-4 Prozent kommt!
Der Staat hat sich nicht für die Gebärmutter einer Frau zu interessieren, sehr wohl aber für die Rechte eines darin befindlichen menschlichen Lebewesens. Für das geht es in der Sache nämlich um Leben und Tod. Darauf wird in den Beiträgen natürlich nicht eingegangen, weil es dem eigentlichen Dilemma der Grundrechtsabwägung des Gesetzgebers zu nahe käme. Wer seine Sache plakativ mit Kleiderbügeln vertritt, hat auch keine besseren Argumente als Abtreibungsgegner mit Bildern zerstückelter Föten.
Dass die Zahl der Abtreibungen in Deutschland sich seit Jahren auf einem konstanten Niveau bewegt, spricht m.E. gegen die vielbehauptete Versorgungslücke. Zumal die medizinische Versorgung in der Breite (v.a. im ländlichen Raum) allgemein zurückgegangen ist, weniger Praxen leisten mehr Behandlungen. Wieso sollen Abtreibungen da eine Ausnahme bilden?
R.G.
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@Ratisboo!ner
Ich habe keinerlei Posting gegen oder für Abtreibung abgegeben.
Meine Antwort bezog sich auf diesen Satz:
“Frauen sollten sich lieber über anständige Verhütung informieren und diese anwenden, was ja heutzutage keine Kunst mehr ist,…”
Denn das geht an der Wirklichkeit vorbei. Nicht mal die sichersten Verhütungsmittel verhindern zu 100%. Wenn eine Frau trotz korrekter Anwendung empfängt, ist sie dann nicht prozentual/ bisschen schwanger und beispelsweise zu 97 % doch nicht, sondern sie ist völlig schwanger.
Sicher bin ich mir, dass ich einen Mann, der Verhütung als Verpflichtung der Frau sieht und trotzdem gegen Abtreibung ist, für einen peinlich kindischen Menschen halte.
Piedro
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@Ratisboo!ner
Ihre Polemik ist dem Thema nicht angemessen.
Bei Vergewaltigung kommt es nicht auf die Zahl der schwangeren Opfer an, sondern darauf, dass sie die Möglichkeit der Beratung und des Abbruchs haben, wenn sie das wünschen. Wenn beides mit Hürden versehen ist, muss das thematisiert und geändert werden.
Es gibt gewiss keine Statistik darüber, wie viele Betroffene erfolglos verhütet haben. Das betrifft nicht nur geplatzte Kondome, auch wirksamere Methoden sind nicht völlig sicher, wie Ihnen bekannt sein sollte. Auch dann haben die Frauen und Familien einen Anspruch auf ausreichende Beratung und medizinische Hilfe.
Die angesprochene Kleiderbügelquote dürfte heutzutage eher gering sein, aber es gab Zeiten, als der “Engelmacher” der einzige Weg war. Später gingen die Frauen ins Ausland, etwa in die Niederlande, wo sie die Hilfe fanden, die ihnen in D-Land verwehrt wurde – wenn sie sich das leisten konnten.
Die angesprochene Grundrechtserwägung bleibt keinesfalls außen vor, sondern ist Basis des Disputes. Zum Beispiel die Diskrepanz der praktizierten Fristen, in Regensburg werden diese von den Medizinern verkürzt, obwohl der grundrechtserwägende Gesetzgeber einen größeren Zeitraum veranlagt hat. Das wäre in Ordnung, wenn diese Angebote nicht als einzige mitgeteilt würden. So wird die gesetzliche Regelung für die regensburger Frauen nicht mehr vom Gesetzgeber limitiert, sondern von den Anbietern.
Die Kleiderbügelnummer haben Sie nicht, oder falsch verstanden. Wo die gesetzlichen Möglichkeiten durch das Angebot an Beratung oder medizinischem Beistand nicht ausgeschöpft werden können, besteht nun mal die Gefahr, das betroffene Frauen weniger sichere Methoden des Abbruchs wählen, statt eine ungewollte Schwangerschaft auszutragen. Die Versorgungslücke können Sie natürlich bestreiten, aber die Statistik hilft da nicht wirklich, wenn konkrete Misstände vor Ort benannt werden. In anderen Bundesländern mag es nicht nötig sein, in eine hunderte Kilometer entfernte Stadt zu fahren, um Beratung und medizinische Versorgung zu finden. Wo das so ist, sollte man diesen Misstand durchaus ernst nehmen. Abgesehen davon: der Anblick eines Kleiderbügels hat, auch in diesem Zusammenhang, eine andere emotionale Wirkung als der eines (zerstückelten) Fötus.
“Wieso sollen Abtreibungen da eine Ausnahme bilden?”
Gute Frage. Aber ist ist wohl so. Eine Betroffene bekommt Auskunft zu (nur) zwei Praxen, beide bieten nicht beide Möglichkeiten des Abbruchs an, beide schöpfen die gesetzliche Frist nicht aus. Warum das so ist kann ich Ihnen leider nicht beantworten.
Wenn eine Praxis die Möglichkeit einer Beratung und des Abbruchs benennt, wird das als Werbung ausgelegt. Das Angebot ist legal, keine(r) wird es leichtfertig in Anspruch nehmen, es gehört zur medizinischen Grundversorgung, aber die Ärzte dürfen nicht mitteilen, dass sie diese Versorgungsleistung anbieten. Die Sinnhaftigkeit dieser Regelung darf sehr wohl angezweifelt werden. Ich bezweifele, dass in Regensburg nur die beiden Praxen, die der Betroffenen mitgeteilt wurde, einen Abbruch durchführen würden. Kann natürlich sein. Ob es ein größeres Angebot gibt werden wir nicht erfahren: würden die Ärzte dies meitteilen, machten sie sich strafbar.