Solaranlagen in „Göring-Heim“: Rückzugsgefecht der Denkmalpflege
Wozu der bereits vor Jahren aufgeweichte Denkmalschutz in der Ganghofersiedlung und anschließend beschlossene unklare Regelungen zu Solaranlagen führen, zeigt ein Fall vor dem Verwaltungsgericht Regensburg.
Erst kürzlich hat die Stadt Regensburg das grundsätzliche Solarverbot im Welterbe aufgehoben. Künftig können solche Anlagen nun auch in der Altstadt genehmigt werden. Es bleibe aber immer bei einer Abwägung im Einzelfall. Zu welchen Auseinandersetzungen solche Regelungen bereits außerhalb des Welterbes führen können, zeigt ein Rechtsstreit am Verwaltungsgericht Regensburg.
Bis zum Kauf durch das IZ: Anbauten und größere Sanierungen verboten
Auf der einen Seite steht ein Medizinerehepaar, das auf dem Anbau zu seinem Einfamilienhaus eine Photovoltaikanlage errichten möchte. Auf der anderen Seite steht das Denkmalamt der Stadt Regensburg, das vor dem Verwaltungsgericht einen Kampf führt, der schon längst verloren zu sein scheint.
Die Rede ist von der Ganghofersiedlung, 1939 als „Siedlung Göring-Heim“ für die Beschäftigten der Messerschmittwerke erbaut. Als Beispiel für nationalsozialistische Siedlungspolitik wurde die Siedlung 1999 durch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege unter Ensembleschutz gestellt. Seitdem wechselten die rund 300 Gebäude, Ein- und Mehrfamilienhäuser, mehrfach den Eigentümer.
Größere Sanierungen, Anbauten oder der Verkauf einzelner Häuschen wurden stets mit dem Verweis auf Ensembleschutz und eine 2005 erlassene Gestaltungssatzung erschwert bzw. verweigert. In den lange nicht sanierten Häuschen mit Garten wohnten Studenten, Kleinrentner und Familien für günstige Mieten.
Grüne Mitte: Luxussanierung mit aufgeweichtem Denkmalschutz
Selbst erwerben wollte die Stadt Regensburg das Ensemble nicht. Und so verkaufte die Wohnbaugesellschaft IGEWO die Ganghofersiedlung 2007 zunächst an die Landesbank Baden-Württemberg, die sie ein Jahr später an die Grüne Mitte GmbH veräußerte, eine Tochter der „Immobilien Zentrum Regensburg“-Gruppe.
Für die Luxussanierung des Viertels durch den allseits bekannten Bauträger, „Revitalisierung“ genannt, weichte die Stadt unter Regie von Oberbürgermeister Hans Schaidinger anschließend den Denkmalschutz auf und gewährte großzügige Ausnahmen von der Gestaltungssatzung. Garagen und Carports wurden erlaubt, vereinzelt Tiefgaragen, zuvor untersagte Dachgauben und zusätzliche Anbauten.
Die Häuschen durfte nun einzeln verkauft werden, unter anderem an das eingangs erwähnte Ehepaar. Das erwarb 2015 ein Einfamilienhaus in der Von-Richthofen-Straße und ließ es so mustergültig sanieren, dass es dafür mehrere Architekturpreise gab.
Photovoltaik bis Mitte 2020 verboten
Bei einer Sache aber legte sich die Stadt lange quer: Photovoltaikanlagen blieben aus Gründen des Ensembleschutzes in der Ganghofersiedlung zunächst weiter verboten. Erst nachdem mehrere Hausbesitzer Druck machten, mit Klagen drohten und an die Öffentlichkeit gingen, und wohl auch aufgrund des damaligen Wahlkampfs, wurde die Satzung nach anfänglichem Widerstand durch die Bürgermeister Gertrud Maltz-Schwarzfischer und Jürgen Huber Mitte 2020 nochmals angepasst.
Solaranlagen auf den neuen Anbauten wurden nun grundsätzlich erlaubt. Eine genauere Regelung im Detail allerdings wurde in der Satzung nicht verankert. Es bleibt jeweils einer Einzelfallprüfung überlassen, was nun genehmigungsfähig ist und was nicht – und die Abwägungsentscheidung des städtischen Denkmalamts bei ihrem Vorhaben veranlasste das Medizinerpaar schließlich zur Klage.
Denn die Gründe, deretwegen das Denkmalamt ihnen nur 18 und nicht die beantragten 20 Solarmodule genehmigen will, leuchten den beiden nicht ein. Sie sprechen von Willkür und Ungleichbehandlung. Und auch die zweite Kammer des Verwaltungsgerichts, die das Gebäude bei einem Ortstermin in Augenschein genommen hat, sieht sich zu einigen Nachfragen veranlasst.
Händeringend gesucht: Gewichtige Gründe des Denkmalschutzes
Es müssten schon gewichtige Gründe des Denkmalschutzes gegen die beiden zusätzlichen Solarmodule sprechen, so die Kammer. Welche das denn seien?
Der Vertreter des Denkmalschutzes holt weit aus. Es habe sich bei der Gangshofersiedlung um eine NS-Arbeitersiedlung mit großen Gärten zur Selbstversorgung gehandelt, deren Charakter erhalten werden sollte. Als der Ensembleschutz zugunsten der „Grünen Mitte“ aufgeweicht wurde, da sei klar gewesen, dass man Kompromisse würde eingehen müssen. Und so seien zwar Anbauten genehmigt worden, aber eben mit begrünten Dachflächen, um der ursprünglichen Gestaltung Rechnung zu tragen.
Als dann später doch Solaranlagen auf den Erweiterungsanbauten genehmigt wurden, habe die Denkmalpflege prüfen müssen, wann denn nun eine „Störwirkung“ von diesen ausgehe und wann nicht. Und da gehe es dann nicht um die reine Anzahl von Solarmodulen auf einem Dach.
Schließlich seien die Anbauten unterschiedlich groß (was wiederum der großzügigen Aufweichung des Denkmalschutzes zugunsten des „Immobilien Zentrum“ geschuldet sein dürfte, der nicht nur unterschiedliche Größen und Höhen der Anbauten zuließ, sondern auch individuelle Gestaltungen der Fassade). Insofern gehe es also um den Flächenanteil (was aber wiederum trotz des ursprünglichen Wunsches der Denkmalpflege in der Gestaltungssatzung nicht geregelt ist), den die Solarmodule ausmachen würden. Und da seien eben 18 in Ordnung und 20 zu viel.
Das Erscheinungsbild: mal mehr, mal weniger wichtig
Aber die strittigen Teile der Solaranlage seien doch von außen – von öffentlichen Straßen und Plätzen – überhaupt nicht einsehbar, wendet das Gericht ein. Das sei schon richtig, erwidert der Vertreter der Denkmalpflege.
Aber direkte Anrainer könnten die eine oder andere Solarpanele ja schon sehen. Und es sei nun mal auch ein Grundsatz des Denkmalschutzes, dass man nicht nur die Schauseiten eines Gebäudes erhalte. Es gebe bereits Anlieger, die das „nicht so schön“ fänden, was da jetzt schon in der Ganghofersiedlung entstanden sei.
Aber, wendet die Kammer nun wieder ein, es gäbe doch auch Stellen, wo Solarmodule genehmigt worden seien, obwohl sie von außen einsehbar seien. Das sei auch richtig, erklärt der Vertreter der Denkmalpflege. Jedoch gehe es nicht allein um das Erscheinungsbild, sondern auch um den Schutz der historischen Substanz. Und je mehr Solarmodule man in unmittelbarer Nähe zum historischen Bestand genehmige, desto mehr dieser Substanz gehe verloren.
Denkmalschützer warnt: Ensemble könnte von der Liste gestrichen werden
Beides, Erscheinungsbild und Substanzschutz, müssten bei der denkmalfachlichen Abwägung in Betracht gezogen werden. Das sei ein „Praxisproblem“, das man vielleicht „belächeln“, über das man „schmunzeln“ könne. „Aber das ist so.“
Die Gefahr sei nämlich, so der Denkmalpfleger weiter unter Verweis auf bisher schon genehmigte Solaranlagen: „Wenn das so weitergeht wie jetzt, wird das Landesamt für Denkmalpflege das Ensemble bald von der Liste streichen“, sprich: das Gesamtdenkmal Ganghofersiedlung wäre keines mehr.
Nachvollziehbare Vorgaben waren nicht erwünscht
Die beiden Kläger können all diese Einwände der städtischen Denkmalpflege nicht nachvollziehen. Die getroffene Abwägung sei in sich inkonsistent, wendet ihr Rechtsanwalt ein. Weder gebe es Vorgaben zur uniformen Gestaltung der Anbauten, um den ursprünglichen Charakter der Siedlung zu erhalten, noch zu deren Platzierung, noch zur Einsehbarkeit oder Nichteinsehbarkeit der Solarmodule.
Ja, dazu gebe es eben keine klaren Regelungen in der Gestaltungssatzung, räumt der Vertreter der Denkmalpflege ein. Das habe man sich auch anders gewünscht. „Wir haben damals eingebracht, dass nur zwei Drittel der Dachfläche für Solaranlagen genutzt werden sollten.“ Eine nachvollziehbare Vorgabe wäre dies gewesen. Doch das sei „von den offiziellen Stellen“ nicht berücksichtigt worden.
Und so bleibt es eben bei Einzelfallabwägungen des Denkmalamts, das ein Ensemble zu verteidigen trachtet, dessen Schutz bereits 2008 zugunsten der Luxussanierung aufgegeben wurde.
Eine Entscheidung hat die Kammer für Montag angekündigt.
joey
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“…wird das Landesamt für Denkmalpflege das Ensemble bald von der Liste streichen”. Welch ein Problem!
Man könnte den Denkmalschutz selbst unter Denkmalschutz stellen als Mahnmal einer sich selbst begründenden Bürokratie und Vetokultur. Mißbrauch von Macht hingegen ist in Regensburg ja völlig unbekannt.
Überregulierung ist eines der zentralen Probleme Deutschlands.
Meier mit „ei“
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Das Universum wird irgendwann auch unseren Planeten von der Liste der erhaltenswerten Himmelskörper streichen!
Ansonsten hat man das Gefühl, dass wir nur Verhinderungsbehörden haben! Gerade wenn es um das Bauen geht.
KW
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Interessant in dem Zusammenhang zu lesen, dass Schaidinger damals seine Weisungsbefugnis zugunsten des später wegen Bestechung verurteilten Chef des IZ genutzt hat, um die Denkmalschutzvorgaben aufzuweichen, damit das IZ dort seine extremst profitable Sanierung durchziehen konnte.
Gilt das für die aktuelle OBin nicht mehr? Ich meine jetzt nicht etwa, dass gegen Schmierung Gefälligkeitsdienste erfolgen (niemals! woher denn? welch völlig abwegiger Gedanke, wenn man die beiden Begriffe Schaidinger und IZ in einem Artikel erwähnt sieht) sondern, dass sie vielleicht als OBin immer noch über Weisungsbefugnis verfügt, um dieser Denkmalposse gegen PV endlich ein Ende zu setzen.
R.G.
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Bei zwei mir bekannten Siedlungen mit gleichen Hausgrundrissen wurde, ganz ohne amtlichen Druck – trotz inzwischen reichlichen Zu-und Umbauten – der typische Siedlungscharakter der nationalsozialistischen Zwangsarchitektur gewahrt. Dann erst kam der Denkmalschutz.
Eine Auseinandersetzung mit den von Hitler geliebten Entwürfen kann in Leonding bei Linz an der Donau beginnen.
Beim heutigen Haus der Bestattung Leonding, dem vormaligen Hitler Familienhaus.
Der Umgang mit einer heute unter Denkmalschutz stehenden Schwesternsiedlung in Linz Keferfeld, vormals Leonding, Lebensstadt des Hitler Buben. Errichtet für die bei dem Aufbau der Hermann Göring Werke Zwangsumgesiedelten, nach des Führers (Kindheits-) Geschmack. Sehr ähnelnd die Architektur der Regensburger Siedlung Göring Heim.
Wie geht man mit der explosiven Hinterlassenschaft um? Denkmalschutz als strikte Verherrlichung der Ästhetik brauner Gesinnung oder Bewahrung eines Kerns, mit dem aber bewusst architektonisch Auseinandersetzung gesucht werden soll?
Es ist beinahe unglaublich, dass in Regensburg der Geschmack des Diktators autoritär “in Reinkultur” bewahrt werden müsse, so weit, dass sogar eine teilweise Energieautarkheit erschwert wird.
R.G.
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Die Schwesternsiedlungen:
https://stadtgeschichte.linz.at/denkmal/Default.asp?action=denkmaldetail&id=2262
Spartacus
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Das ist so dumm, man weiß gar nicht was man dazu noch sagen soll…
Außer vielleicht dass man mal generell die Notwendigkeit von Denkmalschutz in Frage stellen sollte, wenn er weiterhin so interpretiert wird.
Mr. B.
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Zu KW
18. November 2022 um 19:04 | #
In meinen Augen ein ganz toller Beitrag!
Danke!
Wilfried Süß
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@ R.G.
„Wie geht man mit der explosiven Hinterlassenschaft um? Denkmalschutz als strikte Verherrlichung der Ästhetik brauner Gesinnung oder Bewahrung eines Kerns, mit dem aber bewusst architektonisch Auseinandersetzung gesucht werden soll?
Es ist beinahe unglaublich, dass in Regensburg der Geschmack des Diktators autoritär “in Reinkultur” bewahrt werden müsse, so weit, dass sogar eine teilweise Energieautarkheit erschwert wird.“
Ich bin kein Stadtplaner, aber weil ich einen prägenden Teil meiner Kindheit in der Siedlung verbracht habe, muss ich einigen krass oberflächlichen Kommentaren entgegensetzen: Die hohe soziokulturelle Funktionalität der ursprünglichen Anlage ist unabhängig vom ideologischen Zweck in Fachkreisen unumstritten. Das ist weder Verherrlichung brauner Gesinnung noch Ausdruck des Geschmacks eines Diktators. Ich ziehe durchaus Vergleiche zur Fuggerei in Augsburg oder zur Margaretenau im Stadtwesten. Beim Denkmalschutz ist es wie beim Klimaschutz. Ist der Kipppunkt einmal erreicht, gibt es keine Umkehr – deshalb das hartnäckige Dagegenhalten, obwohl es jetzt zu spät erscheint. Der Verkauf der Siedlung an das IZ, das damals schon für sein rücksichtsloses Gewinnstreben bekannt war, ist ein Lehrbeispiel dafür, wie man intakte Quartiere umpolt. Sicher war der Bestand sanierungsbedürftig und mit einem Investitionsstau belastet. Eine der Einmaligkeiten dieses weitläufigen Ensembles war ursprünglich, dass alle Bewohner Mieter der Heimbau Bayern waren. Sie unterhielten vielfach Nutzgärten; es gab Wäschetrockenplätze, die zugleich Bolzplätze waren. In dieser Ära wies die Siedlung ein Nahversorgungszentrum mit u. a. Milchladen, Bäckerei, Kolonialwarengeschäft, Gärtnerei mit Obst- und Gemüseladen sowie eine Gastwirtschaft mit Metzgerei auf. Es gab die Schule, einen Kiosk und eine Heißmangel. Wir Kinder wurden ab dem Schulalter zum Einkaufen geschickt, weil wir es rechtzeitig von den Eltern abgeschaut haben. Es war kein Paradies, aber ein Ort für eine gesunde Sozialisierung. So etwas schafft der Immobilienmarkt ohne Regulierung nicht. Angemessen wäre eine Umwandlung in eine Genossenschaft gewesen. Dann hätte zwar das Bauhandwerk zwangsläufig auch Gewinne gemacht und die Mieten wären angestiegen, aber die radikale Gentrifizierung wäre ausgeblieben. Das konnte so nach der Jahrtausendwende nicht gehalten werden. Ich erkläre mir das größtenteils damit, dass mit den Marktbedürfnissen Vertraute das zentrumsnah gelegen grüne Viertel als viel zu schade für weniger Betuchte bewerteten und es sich aneigneten. Der merkantile Erfolg gibt ihrem Riecher recht. So läuft das halt.
R.G.
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Herr Süß, ich gebe absolut Ihnen, was die ehemalige Soziale Qualität des Quartiers angeht!
Konservierung eines vorher gewachsenen Viertels in einer den Immobilengrößen nützlicheren Eintönigkeit, die zufällig die Braune Ästhetik in Reinkultur festschreibt, stinkt mir jedoch.
Ich habe selbst eure kleinen Häuschen von innen her, als Gast, liebgewonnen.
Wenn man sich im Vergleich zum Göring-Heim Siedlungen der ursprünglichen Ästhetik in anderen Städten ansieht, wie dort ein gemeinsamer Charakter erhalten blieb, trotz reichlicher Umbauten – siehe Stadtplan auf der gleichen Seite- kann man sich nur auf den Kopf greifen ob der Regensburger Gefallsucht bestimmter Politiker, der man alle funktionierenden Sozialen Wohnmodelle zu opfern bereit war.
Nochmals der Link zu den Schwesternsiedlungen, ich fuhr sie über Tage mit Google ab. Wenn Sie Zeit haben, bitte machen Sie das, es lohnt.
So lebendig, gewachsen und freundlich hätte es in Regensburg auch werden können, wenn man die Bewohner nur gelassen hätte.
https://stadtgeschichte.linz.at/denkmal/Default.asp?action=denkmaldetail&id=2262
(Ich habe meine virtuelle Reise in der Wallseestraße begonnen , weiter durch die Schaunbergerstraße und von da in alle Himmelsrichtungen, jeweils die im Artikel genannten Straßen.)
R.G.
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@Wilfried Süß
Sehen sie sich bitte eine weitere Schwesternsiedlung an, der durch die von den Bewohnern geschaffene Individualisierung die Braune Strenge genommen wurde:
Der Bereich Lenkstraße und Küffelstraße in Ebelsberg, Oberösterreich.
Es lohnt sich, das in Street View zu sehen, jedoch ist das gelbe Männchen immer nur am Beginn der Straße platzierbar.
So freundlich und herzlich könnte das Regensburger Göring Heim heute aussehen.
Städtischer Denkmalschutz unterliegt im Solarstreit » Regensburg Digital
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[…] für die städtischen Denkmalschützer vor dem Verwaltungsgericht Regensburg. Wie berichtet, hatte ein Ehepaar geklagt, um 20 Solarmodule auf dem Anbau zu ihrem Häuschen in der […]