Singen, fliegen, Luft nach oben
Die neue Spielzeit am Theater Regensburg beginnt mit „Maria Stuart“ und Wagners „Der Fliegende Holländer“ gelungen, aber nicht durchweg überzeugend.
Am Ende spielt Macht keine Rolle. Und dabei geht es in drei Stunden zuvor um nichts anderes.
Maria Stuart: Emotionale Ausnahmezustände in kargen Räumen
„Maria Stuart“ eröffnete am Freitag die Spielzeit des Theaters Regensburgs. Im Velodrom inszenierte Mélanie Huber Schillers Trauerspiel über den ungleich geführten Kampf zwischen der englischen Königin Elisabeth I. und der eingekerkerten Maria Stuart, Königin von Schottland.
Auf karger Bühne, die sich zwischen bronzenen Panelenwänden aufspannt, spielen sich die mannigfaltigen Konflikte der Protagonistinnen (maximalst eindringlich als Elisabeth: Andine Pfrepper; zerbrechlich, aber ungebrochen hingegen als Maria Stuart: Verena Maria Bauer), aber auch die ihrer Untergebenen – manche hehr, manche berechnend, keiner heldenhaft – ab.
Längen trotz starker Bearbeitung
Jedes Ensemblemitglied außer den beiden Hauptdarstellerinnen (Silke Heise, Franziska Sörensen, Josephine Raschke, Benno Schulz, Michael Haake, Philipp Quest) übernimmt dabei mehrere Rollen. Für den wegen Krankheit kurzfristig ausfallenden Gunnar Blume springt Regisseurin Huber selbst, mit Textbuch bewaffnet, ein.
„Maria Stuart“ gehört nun nicht unbedingt zu den leichtverdaulichsten – und unterhaltsamsten – Stoffen Schillers. Das gibt auch Hubers Umsetzung Herausforderungen auf, und tatsächlich öffnen sich trotz starker Bearbeitung der Vorlage immer wieder Passagen, die einigermaßen dröge daherkommen. Zu wenig optische Abwechslung gibt es, zu wenig reißt letztlich auch Schillers Text allein heutzutage mit, um Längen in drei Stunden Aufführung nicht aufkommen zu lassen.
Standbilder und gelungene musikalische Einlagen
Die Stärke dieser Regensburger „Maria Stuart“ sind die eindrucksvollen Standbilder, die sie immer wieder erzeugt. Ein durchdachtes Lichtkonzept und das hervorragende Spiel im Raum kitzelt jede Statusverschiebung, jedes Machtspielchen aus den Szenen heraus. Ein weiteres Highlight sind die musikalischen Elemente, maßgeblich vorgetragen von Martin von Allmen in der Rolle des Sängers Rizzio.
Hauptsächlich bestehen sie aus stimmungsvollem, oft meditativem Satzgesang des Ensembles sowie immer wieder eingeworfenen perkussiven und quasi filmmusikalischen Instrumentaleinlagen. Die Akustik des Bühnenraums wird klug genutzt, die ganze Bühne scheint Resonanzkörper für die erzeugten Töne und Geräusche zu sein. Es entsteht ein klangliches Live-Erlebnis, das man nicht einmal durch eine hochklassige Surround-Anlage reproduzieren könnte.
Und wenn die Elisabeth am Ende auch hat, was sie immer wollte – unangefochtne Macht – so trägt sie doch nichts mehr in sich, was dieser Macht einen Sinn verleihen könnte. Andine Pfrepper spielt sich in diesem Finale in einen regelrechten emotionalen Ausnahmezustand. Zurecht wird sie dafür – wie auch das übrige Ensemble – mit frenetischem Premierenapplaus bedacht.
„Der fliegende Holländer“ fliegt erst im letzten Akt
Emotionale Ausnahmezustände gibt es üblicherweise auch in Richard Wagners „Fliegendem Holländer“. Die romantische Oper, Wagners kürzeste, läutete die neue Spielzeit am Samstag im Theater am Bismarckplatz ein.
Richard Wagner. Das heißt üblicherweise: üppige Dramatik, epische musikalische Abenteuer, emotionaler Bombast, mythisch überladenes Heldengehabe längst überkommener Zeiten. Zuletzt konnte man das in Regensburg famos in „Tristan und Isolde“ erleben. Bei den richtigen Passagen, da muss es das Publikum in einer Wagneroper aus dem Sitz heben. Doch „Der fliegende Holländer“ in Regensburg; er tut sich schwer, so richtig ins Fliegen zu kommen.
Musikalisch ein Hochgenuss
Das Regieteam um Uwe Schwarz verfrachtet die Handlung in ein Setting moderner Nautik, wo Öl und Stahl Takelage und Holzplanken ablösen, und Reichtum nicht Gold und Edelsteine, sondern Container voll Luxusgüter heißt. Diese Idee wird mit einer eher funktional als üppig gestalteten Bühne auch sinnvoll umgesetzt.
Recht viel mehr vermag die Regie dann aber auch nicht zu einem gelungenen Opernabend beizusteuern. Der Holländer wird von Adam Krużel zwar mit viel Impetus und Vielseitigkeit gesungen, sein Auftreten mutet dank Vollbart und Grauhaar-Minidutt aber eher wie der eines in die Jahre gekommenen Business-Hipsters an. Auch die restliche Besetzung (unbeschwert: Angelo Pollak als Steuermann; emotional: Deniz Yilmaz als Erik; ohne Tadel: Vera Egorova-Schönhofer als Mary) weiß stimmlich ohne Frage zu überzeugen – überhaupt vernimmt man kaum musikalische Schwächen an diesem Premierenabend, was natürlich auch dem Dirigat von Judith Kubitz und explizit dem Chor unter der Leitung von Alistair Lilley zu verdanken ist.
Die großen Ideen fehlen
Aufseiten der Inszenierung fehlen aber die großen, die überzeugenden Ideen. Zu vieles kommt zu einfach, auch manchmal zu abgeschmackt daher. Ein Beispiel sei genannt: Schon bei Wagner kommen die Frauen der Seefahrer nicht eben emanzipiert weg. Während sie laut Libretto aber wenigstens in der Spinnstube arbeitend auf ihre heldenhaften Liebsten warten dürfen, macht Regisseur Schwarz sie endgültig zum Klischee eines nägelfeilenden, cocktailschlürfenden Hühnerhaufens.
Eben jene eingangs erwähnten emotionalen Ausnahmezustände, sie wollen auch dann nicht recht aufkommen, als die Handlung um den sagenumwobenen Holländer, der alle sieben Jahre Festland betreten darf und nur von einer ihn bis in den Tod liebenden Frau von seinem Unsterblichkeitsschicksal erlöst werden kann, so richtig ins Fahrwasser kommt. Da kann Elisabeth Teige ihre Partie als dem Holländer verfallene Senta noch so bravourös singen – der Funke zwischen ihr und Krużel mag nicht recht überspringen.
Volle Fahrt im dritten Akt
Erst im dritten Akt vermag die Inszenierung Fahrt aufzunehmen. Der Festakt der Matrosen anlässlich ihrer Heimkehr sowie der bevorstehenden Hochzeit des Holländers mit Senta, der Tochter von Kapitän Daland (jovial: Jongmin Yoon), kommt mit viel Bewegung und schwungvoller Choreographie daher. Die mystische Besatzung des Holländerschiffes ist stimmungsvoll in Szene gesetzt, macht Lust auf Finsternis und Sagenwelt. Erstmals kommt hier echte Wagner-Stimmung auf: Es wird mythisch, es wird magisch. Und auch das Schlussbild brennt sich ins Gedächtnis ein.
Alles in allem ist dem Theater Regensburg sowohl in der Schauspiel- als auch in der Musiktheatersparte zwar ein gelungener Start in die Spielzeit geglückt. Doch es bleibt einiges an Luft nach oben. Weitere Highlights auf dem Spielplan wie das Beckett-Stück „Glückliche Tage“ oder Robert Wilsons „Black Rider“ machen auf jeden Fall Hoffnung.
eingeborener
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Ich hingegen lasse jede Hoffnung fallen, dass mir diese Kolumne noch irgendeinen Lust- oder Erkenntnisgewinn verschafft.
Was schreibt der Autor gleich wieder? Hab’s bereits vergessen. Die aufgeführten Stücke hatten ja zu ihrer Entstehungszeit eine wichtige kulturpolitische
Bedeutung.
Das ist anscheinend nicht mehr der Fall, es geht nur noch um die Qualität des Tones und der Bühnenbilder.
Also ,Kultur’-Genuss für ein paar eingeschlafene Spießer. Stattdessen würde ich in rd gerne über die Kleinkunstszene in Regensburg lesen. Ich war dieser Tage mehrmals im Mini mundi Kulturzelt von Fredemann neben der RT Halle(leider schon vorbei), einfach toll, was da an Aufführungen geboten wurde, bei denen man mitsingen und mittanzen konnte.
Kein Ort für Kulturmumien, aber für lebendige Menschen