Sexuelle Handlung „am untersten Rand”
Eigentlich wollte eine junge Frau vergangenen Dezember nur ihre Unterwäsche an den Mann bringen. Doch einem Familienvater war das getragene Höschen dann nicht genug. Wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung musste er sich nun vor Gericht einfinden.
Was er mit seinem Geld mache, das sei seine Sache, sagt Richterin Andrea Costa Dienstagmittag zum Angeklagten. „Aber es muss sich in dem Rahmen halten, wie das vereinbart wurde.“ Genau das hat der 35-Jährige aus Nittenau Ende letzten Jahres nicht getan. Unter dem Pseudonym Tom schreibt er am 9. Dezember Nachmittags Sarah F. (Name geändert) an. Die 22-Jährige hatte auf einem Online-Marktplatz ihre Unterwäsche zum Verkauf angeboten.
Opfer hatte Geld- und Drogenprobleme
70 Euro ist Tom bereit, dafür zu zahlen – wenn die Frau den Slip vor seinen Augen auszieht. Offenbar auf das Geld angewiesen, willigt die damals arbeitslose und zudem drogenabhängige Frau in den Deal ein. Ob es auch zum Sex kommen könnte, wie vom Angeklagten im Chat erfragt, das wolle sie dann persönlich vor Ort klären. Eine klare Einwilligung gibt es zu diesem Zeitpunkt folglich nicht.
Für 18 Uhr verabreden sich beide vor dem Justizgebäude in Regensburg. Sarah F. ist pünktlich. Muss schräg gegenüber vom Eingang zum Dörnbergpark aber erst einmal etwa eine Dreiviertelstunde warten. Dann kommt auch Tom. Weshalb der Familienvater zu spät kommt, ist nicht bekannt. Beide begeben sich dann in die Abgeschiedenheit des Parks. Auf einer der grünen Parkbänke beginnt die Frau damit, Schuhe, Hose und ihren Slip auszuziehen.
Angeklagter legt umfassendes Geständnis ab
An das konkrete weitere Geschehen hat die Geschädigte – die unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagt – heute keine wirkliche Erinnerung mehr. „Ich habe den Eindruck, Sie verdrängen das auch“, meint Richterin Costa am Dienstag. Der Angeklagte hat da die Vorwürfe bereits gestanden und macht keinerlei Anstalten, die Anklage in Frage zu stellen.
Einer von mehreren Punkten, den das Schöffengericht im Urteil dann deutlich zu seinen Gunsten werten wird. Wenngleich die Geschädigte noch am Tatabend gegenüber der Polizei und einer Ärztin mehrmals übereinstimmend den sexuellen Übergriff schilderte. Und auch die gesicherten Chatverläufe liefern wichtige Hinweise zum weiteren Geschehen.
Während sie sich im Park auszieht, kommt Sarah F. vermutlich ins Wanken. Der Angeklagte stützt sie deshalb. Dabei greift er ihr spontan von hinten ans Gesäß. Den Überraschungsmoment nutzend, dringt der 35-Jährige zudem für einen kurzen Augenblick mit einem Finger in die Frau ein. Damit ist der Tatbestand der Vergewaltigung bereits erfüllt.
Polizei stellt Täter eine Falle
Als sie selbst realisiert was gerade geschieht, schreit die 22-Jährige laut auf, tritt nach dem Mann und droht, die Polizei zu rufen. Tom lässt sofort von ihr ab und entschwindet zunächst in die Nacht.
Nur eine Viertelstunde später meldet er sich bei seinem Opfer aber bereits wieder per Chatnachricht. Es tue ihm leid und er wolle es wieder gut machen, schreibt er. Fragt aber so gleich, ob er sie „ficken“ dürfe. Was Tom im weiteren Verlauf nicht weiß: Er schreibt gar nicht mehr mit Sarah F. Die verständigte Polizei ist mit einem Großaufgebot im Einsatz und sucht rund um den Park nach dem Täter. Auch den Chat mit ihm haben die Beamten kurzerhand übernommen und stellen dem Angeklagten eine Falle.
Partner des Opfers droht dem Angeklagten
Die Tat sei für die Frau in jedem Fall erniedrigend gewesen, stellt Costa am Dienstag abschließend fest. Dennoch bleibt das Gericht mit der verhängten zehnmonatigen Haftstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, am untersten Rand. Neben der Bewährungsstrafe muss der 36-Jährige 2.000 Euro Schmerzensgeld an sein Opfer überweisen.
Für den Partner der Geschädigten ein emotional nicht nachvollziehbares Urteil. Schon während der Verhandlung fällt er immer wieder mit kurzen Wortbeiträgen in Richtung des Angeklagten auf. In mehreren Verhandlungspausen kommt es auch zu klaren Drohungen und Beleidigungen.
Die ohnehin schon vom Verfahren sichtlich belastete Frau, hat gewisse Mühe, ihren Freund zurückzuhalten. Auch die Richterin ermahnt ihn wiederholt und bittet, im Zweifel den Saal zu verlassen.
Täter absolviert eine Therapie
Dass der Angeklagte laut eigener Aussage seit der Tat mit massiven Eheproblemen zu kämpfen hat und mittlerweile in Therapie ist, dürfte der Geschädigten und vor allem auch ihrem Freund wenig Genugtuung sein.
Laut dem Schöffengericht müsse das konkrete Geschehen aufgrund der geringen Intensität der sexuellen Handlung aber „am untersten Rand angesiedelt“ werden. Das kurze, nicht allzu tiefe Eindringen sei für die Frau nicht mit Schmerzen verbunden gewesen. Zudem müsse von einer spontanen Handlung ausgegangen werden, die der Angeklagte so selbst gar nicht geplant hatte.
Nachdem der Angeklagte mit seinem Verteidiger Matthias Klose das Gerichtsgebäude verlässt, wartet der Freund bereits wieder und will den 36-Jährigen zur Rede stellen. Als Klose ihn mehrfach bittet, einfach zu gehen, setzt er sich auf die Stufen vor den Eingang, ohne den Blick vom Angeklagten zu lassen – bis dieser um die Ecke verschwindet.
Renate
| #
Kann mir jemand erklären warum nicht beide belangt werden?
exil-rengschburger
| #
@Renate
Wer soll den noch etwas verbrochen haben ?
Der Lebensgefährte des Opfers ?
joey
| #
der Täter ist zu Recht bestraft worden, da war eine klare Grenzüberschreitung – z.B. der Besuch einer Stripshow berechtigt ja auch nicht zur Vergewaltigung.
Daß er “Familienvater” ist, halte ich dann für eine bürgerlich erzkonservative Grundhaltung von Herrn Bothner.-) Dürfen “Junggesellen” mehr? Ist Fetisch sittenlos? Man sollte in einer toleranten Gesellschaft Sexualität den Beteiligten überlassen, sofern der Jugendschutz gewahrt wird.
Anschließend stellt sich aber schon die Frage, was “normal” ist und wann erhöhte Sicherheitsmaßnahmen ratsam sind. Eine Bank darf nicht beraubt werden, weil sie “viel Geld hat”, läßt dieses aber auch nicht offen herumliegen. Ein Sicherheitsabstand hätte die Situation ganz anders laufen lassen.
Einiges erinnert mich dann an MeToo, besonders die Empörung des Freundes. Das war kein Vorstellungsgespräch in einem Kloster.
Hthik
| #
@joey 3. August 2022 um 10:29
“Daß er “Familienvater” ist, halte ich dann für eine bürgerlich erzkonservative Grundhaltung von Herrn Bothner.”
Das liefert den sozialen Kontext, siehe auch “Dass der Angeklagte laut eigener Aussage seit der Tat mit massiven Eheproblemen zu kämpfen hat …”
“Ist Fetisch sittenlos?”
Er wollte “ficken”, die Unterwäsche war nur Ersatz- und Anbahnungsmittel. Ist das überhaupt ein Fetisch?
Aber er ist ja in Therapie. Wenn das krankhaft ist, was ist dann eigentlich nicht mehr krankhaft sondern einfach mangelnde Selbstbeherrschung? Oder gibt es das überhaupt nicht mehr? Ist das jetzt krankhaft, wenn ich noch einen Nachschlag nehme, weil’s so gut schmeckt, obwohl ich genau weiß, dass ich die ganze Nacht vor Sodbrennen kaum schlafen kann?
“Einiges erinnert mich dann an MeToo, besonders die Empörung des Freundes.”
Mich drängt es auch den Freund in Anführungszeichen zu setzen, da der Artikel recht gut vermittelt, wie sehr er sich um seine Freundin wirklich kümmert. Er scheint eher von Eigeninteressen getrieben, sei es gekränkter Stolz wegen des Übergriffs auf sein “weibliches Eigentum” oder Spekulation auf ein härteres Urteil im Sinne einer höheren Entschädigungen.
Die Erqähnung von MeToo dechifriere ich daher als Unterstellung, dass es auch MeToo darum ging. Würde mich freuen, wenn ich mich irre.
joey
| #
@Hthik
Fetisch glaube ich schon. Ich habe zwar gar keine Ahnung, was Wäsche kostet und nur sehr ungefähr eine Peilung über die Stundensätze der Prostituierten in R. Ich glaube, das ist etwa gleich. Wenn der Ehefrau der Fetisch ihres Mannes nicht bekannt ist, sollte sie auch zur Beratung gehen (wie höre ich auf, mich selbst zu belügen). Ich halte Fetische für moralisch zulässig, man sollte einfach offener damit umgehen. Die Ehefrau sollte ihm ihre Wäsche mitgeben… Nein, ich selbst mag keine Wäsche.-)
MeToo halte ich in einigen Punkten für vergleichbar. Das Verhalten Weinsteins ist ebensowenig tolerabel wie das des “Familienvaters”. Die Höhe der Empörung ist in dieser Form nicht recht glaubwürdig (wie z.B. Catherine Deneuve kritisiert). Nur kurz ein paar Stichworte: “warum erst jetzt” und “das war aber schon weithin bekannt”. Wenn mich ein Auftraggeber im Bademantel empfangen würde, würde ich mich in leichter Ironie entschuldigen, zu früh gekommen zu sein. Auf so eine Situation wäre ich in dieser Branche auch vorbereitet gewesen. Es gibt gute Gründe, warum ich (Bau) nicht mehr für Kommunen arbeite: ich habe es nicht nötig, Parteispenden zu leisten oder mich politisch zu prostituieren. Ich verdiene mein Geld mit ehrlicher Arbeit und echter Leistung für private Bauherren. Falls das nicht mehr geht, verkaufe ich vielleicht auch mal Wäsche (Scherz!), würde aber durchaus damit rechnen, mit absolut triebgesteuerten Leuten zu tun zu haben.
Mr. B.
| #
Zu joey
4. August 2022 um 19:45 | #
Joey, wieder einmal ein sehr guter Beitrag! Inhalt sehr zutreffend!
Daniela
| #
Der Partner des Opfers droht dem Täter.
Warum? Er hätte doch seine Partnerin begleiten können. Es muss ihm doch klar sein, dass der Verkauf von getragener Unterwäsche eine bestimmte Kundschaft anzieht.
Natürlich ist der Täter zu bestrafen, ob es einer Therapie bedarf, weil man einen Fetisch hat, ist mehr als fraglich. Dies kann unmöglich der Grund der Therapie sein.
Wer aber dringend Therapie bräuchte ist die Geschädigte, wegen Drogenproblem…. Dann müsste sie ihre getragene Unterwäsche nicht mehr ungeschützt in Parks an Fetischisten verkaufen.
R.G.
| #
@Joey
schreibt: “. Ich verdiene mein Geld mit ehrlicher Arbeit und echter Leistung für private Bauherren. Falls das nicht mehr geht, verkaufe ich vielleicht auch mal Wäsche (Scherz!), würde aber durchaus damit rechnen, mit absolut triebgesteuerten Leuten zu tun zu haben.”
Professionelle VerkäuferInnen sexueller Leistungen müssen nicht alles machen, sie dürfen auswählen, was sie mit wem in welcher Umgebung machen möchten.
Wenn Kunde X. vorgibt einen Fetisch zu haben, bei dem er oder sie nicht für Körperkontakt, sondern für das Berühren von getragenen Dingen und Riechen am ihnen bezahlen möchte, muss sich ein Vertragspartner drauf verlassen können, dass es so ist.
Treibgesteuert heißt nicht zwingend, dass man antatscht und mehr.
Hthik
| #
@joey 4. August 2022 um 19:45
“MeToo halte ich in einigen Punkten für vergleichbar.”
Jedem steht seine Meinung zu, aber sachliche Gründen würden eine sachliche Diskussion ermöglichen.
“Nur kurz ein paar Stichworte: “warum erst jetzt”…”
Weil es der individuellen Entscheidung obliegt, ob man Übergriffe überhaupt zur Sprache bringt und wann. Im vorhergehenden Satz wurde aber noch behauptet “nicht recht glaubwürdig”. Was hat das damit zu tun, oder spielen wir hier lustiges Aneinanderreihen unzusammenhängender Sätze? Solche Partygames und Challenges kommen auf Youtube besser.
Hthik
| #
@Daniela 5. August 2022 um 12:21 | #
“Wer aber dringend Therapie bräuchte ist die Geschädigte, wegen Drogenproblem….”
Möglich, aber vielleicht ist das Problem auch sekundär zur Arbeitslosigkeit. Die Körper der Armen dem Kapital verfügbar zu machen ist die Ansicht des Systems. Prostitution eine erwünschte Erscheinung davon. Sonst wäre man schon längst Lauterbachs Vorschlag gefolgt, das nordische Modell einzuführen. Dass er sich damit nicht einmal in seiner Hartz-IV-Partei durchsetzen kann, erstaunt da nicht.
joey
| #
@R.G. ich glaube, genau das habe ich ausgedrückt. Der Familienvater und Weinstein sind zu Recht verknackt.
@Hthik: Metoo führt wohl ins offtopic. Vielleicht prostituiert sich in Regensburg bald wieder jemand, um Wettbewerber zu einem Grundstück auszustechen und beklagt sich anschließend über die schamlose Politik.
—
Zum Schluß versuche ich noch ein Augenzwinkern: der größte Fetisch aller Zeiten ist Neuschwanstein. Der Bauherr kam dann auch in eine Therapie und selbst heute würde jeder mit einer ähnlichen Idee medizinisch untersucht. Die ganze Welt aber kommt deswegen hierher und kriegt einen höheren Puls. Nur Architekturprofessoren, Naturschützer und sonstige “Inhaber des guten Geschmacks” finden das unmöglich.
Mr. B.
| #
Zu R.G.
5. August 2022 um 12:26 | #
“Professionelle VerkäuferInnen sexueller Leistungen müssen nicht alles machen, sie dürfen auswählen, was sie mit wem in welcher Umgebung machen möchten.”
Da unterliegen Sie aber einem großen Irrglauben, wenn man Medienberichten z. B. über osteuropäische Frauen glauben darf.
Daniela
| #
@Hthik
5. August 2022 um 17:36 | #
“Möglich, aber vielleicht ist das Problem auch sekundär zur Arbeitslosigkeit. Die Körper der Armen dem Kapital verfügbar zu machen ist die Ansicht des Systems. …”
Es ist im Artikel nicht explizit erwähnt, ob primär Arbeitslosigkeit zur Sucht führte, oder primär die Sucht zur Arbeitslosigkeit. Also dürfte Ihre Theorie eine sehr gewagte sein. Das Menschen teils extrem, auch körperlich ausgebeutet werden, beschreibt sich sehr häufig, in der Gegenüberstellung des Verdienstes zur Arbeitsleistung.