Setzt ein Regensburger Start-up neue Maßstäbe bei der Energieversorgung?
Mit winzig kleinen Lebewesen arbeitet ein Regensburger Start-up daran, eine unabhängige Energieversorgung in Deutschland sicherzustellen. Eine zentrale Frage dabei: Können unterirdische Gasspeicher zu Produktionsstätten für Methan umfunktioniert werden?
Sie sind wieder in aller Munde: Die Worte Energieabhängigkeit und Energiewende. Bundesfinanzminister Christian Lindner bezeichnete angesichts des Kriegs in der Ukraine die Erneuerbaren vor wenigen Tagen gar als „Freiheitsenergien“. Dass Deutschland und Europa zu abhängig von Kohle, Gas und Öl und damit von Energieexporten ist, beklagen nicht nur Umweltverbände und Klimaaktivisten schon lange. Doch wie kann der weiter steigende Energiehunger weltweit gestillt werden?
Energieriesen auf der Kundenliste eines kleinen Start-ups
In Zimmer 2.323, im Neubau der Biologiefakultät auf dem südlichen Gelände der Universität Regensburg, will man der Lösung nähergekommen sein. Es ist kein allzu großes Büro, nur mit dem Nötigsten bestückt. Ein paar Schreibtische mit Bildschirmen und Arbeitsmaterial stehen an der Wand. Zwischen einem kleinen Tisch und der Fensterfront sorgt eine große Zimmerpflanze für etwas Grün. Gegenüber wird derzeit ein alter Gebäudeteil der Universität abgerissen. Das werde noch länger für Lärm sorgen, befürchten Linda Dengler und Georg Schmid. Vor knapp einem Jahr haben sie Microbify gestartet – als Firmenausgründung aus dem Lehrstuhl für Mikrobiologie & Archaeenzentrum heraus.
Nicht nur des Baustellenlärms wegen planen Schmid und Dengler zusammen mit ihren Kolleginnen Andrea Böllmann und Anja Kaul bis Ende dieses Jahres bereits flügge zu werden und eigene Räume außerhalb des Unikosmos zu beziehen. Denn Microbify entwickelt sich laut ihren Schilderungen bisher prächtig. „Wir haben bald gemerkt, dass wir da eine gewisse Pionierrolle einnehmen“, sagt Dengler. An einem Whiteboard gegenüber der Schreibtische zeigt die Biologin anhand einer Skizze, warum ihr Unternehmen eine wichtige Rolle bei der Realisierung der Energiewende einnehmen könnte und weshalb der Energiekonzern RWE bereits auf der Kundenliste steht.
Erdgas: 94 Prozent sind Importe
RWE und andere Energieversorger betreiben europaweit zahlreiche unterirdische Gasspeicher. Dabei handelt es sich meist um sogenannte Porenspeicher, natürliches Gestein in rund 2.500 Metern Tiefe. Eine weitere Speicherform sind Salzkavernen, zylindrische Hohlräume in etwa 1.000 bis 1.500 Metern Tiefe. Im Normalfall kaufen die Firmen im Sommer günstig Gas ein und pressen es in diese unterirdischen Speicher. Im Winter wird es dann zu einem höheren Preis zum Endverbraucher befördert.
94 Prozent des Erdgases in Deutschland stammt aus Importen. Mit 55 Prozent ist Russland hier größter Lieferant. Danach folgen Norwegen (30 Prozent) und die Niederlande (12,7 Prozent). Etwa 25 Prozent der hiesigen Gasspeicher sind zudem über Tochterfirmen in Hand des russischen Gasriesen Gazprom. Der hatte in den vergangenen Monaten seine Speicher in Deutschland allerdings nur auf Sparflamme laufen. Das sorgte bereits vor einigen Wochen für Debatten, ob Deutschland zu abhängig von diesen Importen ist. Diese Debatte hat sich mit dem russischen Angriff auf die Ukraine noch verschärft.
Der größte deutsche Gasspeicher im niedersächsischen Rehden – 2015 von BASF an Gazproms Tochter Astora Dimension verkauft – ist so groß wie 910 Fußballfelder. In einer Tiefe von 2.000 Metern kann der Porenspeicher rund 3,9 Milliarden Kubikmeter Erdgas fassen und bis zu zwei Millionen Haushalte im Jahr versorgen. Theoretisch. Denn Ende Januar war der Speicher nur zu 4,13 Prozent gefüllt. „Wir haben die Abhängigkeit und die sicherheitspolitischen Risiken, die aus dieser Beziehung entstehen, unterschätzt“, sagte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen Anfang des Jahres der Wirtschaftswoche. Eine Einschätzung, die derzeit viele wiederholen. Die Gasspeicher werden als strategische Orte verstanden.
Die Gasspeicher sind auffällig leer
Bei genauerer Betrachtung scheint die Abhängigkeit von Russland zwar durchaus erheblich, aber das ist nicht das einzige Problem für die Versorgungssicherheit. Denn leere Speicher sind kein Phänomen, das nur auf Gazprom zutrifft. Generell sind die unterirdischen Speicher seit Monaten auffällig leer. In Bayern können die vier bestehenden Speicher rund 2,8 Milliarden Kubikmeter Gas fassen und damit den Freistaat ein Jahr lang versorgen.
Auch hier bleibt es derzeit bei der Theorie. Denn auch die oberbayerischen Speicherstätten waren Anfang Februar nur zu einem Viertel gefüllt. Der Grund liegt in der marktwirtschaftlichen Ausrichtung. Aufgrund erhöhter Gasnachfrage im Zuge der wirtschaftlichen Erholung waren die Preise auch im Sommer sehr hoch. Die Firmen kauften nur zögerlich Gas ein. Staatliche Reserven, wie es beim Öl der Fall ist, gibt es bisher nicht.
Das macht sich nun im Kontext der aktuellen Lage zusätzlich bemerkbar. Und so werden Stimmen laut, die schon länger fordern, die Energiewende auch als Versorgungsgarantie zu verstehen. Anstatt den Gasverbrauch in Deutschland durch Importe zu decken, könnte mit Hilfe neuer Technologien auch hier eine Zeitenwende stattfinden. Genau daran arbeitet man bei Microbify und setzt dabei auf winzig kleine Lebewesen.
Am Anfang stand dabei, wie so oft, ein Problem. Irgendwann sei den Energiekonzernen aufgefallen, dass ihr Gas im Winter auf unerklärliche Weise weniger geworden ist, erzählt Schmid. „Gleichzeitig hatte das Gas aber an Qualität zugenommen.“ Wie sich herausstellte, hatten Mikroorganismen, sogenannte Archaeen, den im Gas enthaltenen Wasserstoff in Methan umgewandelt.
Archaeen: Die Uni Regensburg ist führend
In Regensburg sind solche Prozesse schon lange bekannt (über die Archaeen hatten wir hier bereits berichtet). Bereits in den 1980ern erforschte der Biologe Professor Karl O. Stetter Archaeen, einzellige Organismen, die selbst unter Extremsituationen überleben und Wasserstoff mit Kohlenstoffdioxid in Methan umwandeln können. Heute gilt die Regensburger Universität weltweit als führend auf dem Gebiet der Archaeenforschung und genießt einen guten Ruf.
Und so kam es in den letzten Jahren immer häufiger dazu, dass Konzerne den Lehrstuhl für Mikrobiologie von Professorin Dina Grohmann um Hilfe anfragten, erzählt Dengler. „Die Gasversorger wollten wissen, was da in ihren Speichern los ist.“ Denn die winzig kleinen Lebewesen können „ziemlich viel Blödsinn“ anstellen, Rohre angreifen und so enorme Kosten verursachen.
Doch der Lehrstuhl wimmelte die Konzerne immer wieder ab, auch aus Kapazitätsgründen. „Da aber immer wieder Anfragen kamen, haben wir uns etwas intensiver mit den Fragen der Unternehmen beschäftigt und festgestellt, dass das ein bislang eher leeres Feld ist“, erinnert sich Dengler. Im April 2021 wurde schließlich Microbify gegründet.
Erneuerbare Energie als Gas speichern
Als Dienstleister nimmt das Regensburger Start-up Proben aus den Gasspeichern. „Wir wollen wissen, was genau da unten los ist und welche Organismen dort unter welchen Bedingungen leben“, führt Schmid weiter aus. Zwei Ziele werden damit verfolgt. Grundsätzlich würden die Gasbetreiber wissen wollen: Ist mein Gas sicher in der Tiefe? Das gelte auch für die geplante künftige Lagerung von Wasserstoff. Den bestehenden Speichern soll auf dem Weg zur Energiewende eine wichtige Rolle zukommen. Denn ohne umfangreiche Speichersysteme könne dies nicht gelingen, betonte der Regensburger Hochschulprofessor Dr. Michael Sterner von der OTH bereits vor zwei Jahren gegenüber unserer Redaktion.
Sterner forscht seit Jahren an den sogenannten Power-to-X Verfahren und gilt als ausgewiesener Experte für moderne Energiespeichertechnologien. Die Idee: Der in Spitzenzeiten überschüssig produzierte Strom aus Wind, Wasser und Solar kann über Elektrolyseverfahren in „grünen“ Wasserstoff umgewandelt, die Energie so also in Gas gespeichert werden.
„Wir gehen davon aus, dass sich mit diesen Speichermöglichkeiten das 8.000-fache unseres Stromverbrauchs decken lassen würde“, so Sterner. „Das ist ein enormes Potential. Es fehlt nur eben an der Umsetzung der vorhandenen Möglichkeiten.“ Dieses Gas kann künftig zum Beispiel in den riesigen unterirdischen Porenspeichern eingelagert werden.
Gasspeicher zu Produktionsstätten?
Hier kommt der zweite Aspekt zu tragen, mit dem sich Microbify beschäftigt: Könnten die Speicher gar zu Produktionsstätten von Methan umfunktioniert werden? „Wenn wir es schaffen, da unten optimale Bedingungen für Archaeen zu schaffen, könnten wir in einem völlig neuen Maßstab Bio-Methan produzieren“, erklären Schmid und Dengler. So könnte im Frühjahr nachhaltig produzierter Wasserstoff in die Speicher gepresst werden. Die Archaeen würden diesen dann nach und nach in Methan umwandeln, das die Betreiber im Winter an die Haushalte liefern könnten. Regional und nachhaltig produziert.
Bei Microbify erforscht man für die Gasbetreiber, welche Bedingungen es dazu in den Speichern bräuchte. „Die Gasbetreiber müssen jetzt umsatteln“, verweist Dengler auf den „massiven Umbruch“, der in der Energiebranche schon länger stattfinde. „Für uns ist das perfekt gelaufen. Wir waren sozusagen zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ Es gäbe nur wenige Unternehmen, die eine ähnliche Expertise hätten. „Das fängt schon damit an, die richtigen Behälter für die Proben zu wählen.“ Kunststoff etwa sei schlicht nicht geeignet. Bei Microbify hat man deshalb bereits eigenes Equipment entwickelt, das auch auf die jeweiligen Bedürfnisse der Kunden angepasst werden kann.
Die Zukunftsprognose bei Schmid und seinen drei Kolleginnen ist daher positiv. Wäre da nicht ein Regensburger Problem. „Es fehlt an Laborkapazitäten.“ Der Biopark der Uni platze schon länger aus allen Nähten. Auch deshalb ist man auf der Suche nach eigenen Räumlichkeiten.
Georg Schmid
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Liebe LeserInnen, sollten Ihnen freistehende Laborräume für unser Start-up in Regensburg bekannt sein, melden Sie sich gerne bei uns.
georg.schmid@microbify.com
Warm wars
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Regensburg hatte schon mal eine eigenständige Gasversorgung. Stank zwar fürchterlich in unmittelbarer Umgebung, aber die Wohnungen waren warm, versorgte die Straßenlaternen und man war jedoch unabhängig von Putins Gnaden. Ab und zu kam der Gasmann zum ablesen der Zähler.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Gaswerk_Regensburg
Sample
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In der Theorie eine richtig tolle Idee. Jedoch glaube ich, dass es schwer wird, dies in der Praxis umzusetzen. Die Identifizierung der Archaeen ist das eine, das Wachstum jedoch das weitaus schwierigere Unterfangen. Die Dinger sind sicher nicht einfach zu kontrollieren. Ich denke es könnte problematisch werden, für Archaeen in diesen unterirdischen Speichern die optimalen Wachstumsbedingungen wie pH, Druck, Sauerstoffgehalt, Zufuhr Edukt, Abfuhr Produkt, etc. einzustellen, zu halten und zu kontrollieren.
Viel Glück bei diesem Projekt und auch bei der Suche nach neuen Räumlichkeiten. Zweiteres scheint ja fast noch schwieriger zu sein. Wäre schade, wenn es daran scheitert.
Linda Dengler
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Die Praxis wird uns sicherlich noch an der ein oder anderen Stelle auf die Probe stellen. Die Speicher selbst sind als unterirdische Bioreaktoren aber durchaus geeignet. Wissenschaftliche Studien und auch unsere eigene Erfahrung zeigen, dass methanogene Archaeen oft natürlichweise in Erdgasspeichern vorkommen. Diese Organismen sind also bereits jetzt optimal an die dort vorhandenen physikalisch-chemischen Parameter angepasst. Beim Thema Untergrundmethanisierung sind insbesondere die Speicheranalyse, die Prozessoptimierung und die Wahl der richtigen Stämme wichtige Faktoren.