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Schwarzfahrerjustiz - Teil II

Schwarzfahrer muss nichts mehr zahlen

Der Einspruch gegen die weit überhöhte Geldstrafe für einen Schwarzfahrer war erfolgreich. Doch dem Betroffenen nützt das nichts mehr.

Ein tragisches Ende hat das Strafverfahren gegen einen Schwarzfahrer am Regensburger Amtsgericht genommen. Wie berichtet, hatte die Staatsanwaltschaft fiktiv ein weit überhöhtes Monatseinkommen von 1.200 Euro angenommen, aus der sich die Höhe der Geldstrafe errechnen sollte. Und zwar obwohl die Polizei laut Verfahrensakte ermittelt hatte, dass der Schwarzfahrer obdachlos und erwerbslos war.

Die zuständige Staatsanwältin legte der Richterin daher einen Strafbefehlsantrag für 20 Tagessätze zu jeweils 40 Euro vor, anders ausgedrückt: sie unterstellte dem Betroffenen ein monatliches Nettoeinkommen von 1.200 Euro (übliche Berechnung: 30 Tage x 40 Euro = 1.200 Euro). Damit sollte der Betroffene insgesamt 800 Euro Strafe für eine Schaden von unter zehn Euro bezahlen, ersatzweise 20 Tage Haft. Die Richterin erließ diesen Strafbefehl dann auch.

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Gericht lehnte Pflichtverteidiger ab

Rechtsanwalt Otmar Spirk übernahm pro bono die Vertretung und legte – beschränkt auf die Höhe des Tagessatzes – Einspruch ein. Erfolgreich. Da der Schwarzfahrer tatsächlich nur ein „Einkommen“ aus Betteln von geschätzt 200 bis 250 Euro monatlich hatte, wurde der Strafbefehl nun vom Gericht von 800 Euro auf 20 x 5 Tagessatzhöhe, also nurmehr 100 Euro herabgesetzt. Der Schwarzfahrer braucht auch diese Strafe nicht mehr zahlen: Er ist kurz nach dem geänderten Strafbefehl gestorben.

Nachdem Anwalt Spirk später von den schweren körperlichen und seelischen Leiden seines Mandanten erfahren hatte, stellte er unter Verweis auf die Befunde in der Betreuungsakte des Betroffenen zunächst den Antrag, ihn gemäß § 140 StPO wegen „notwendiger Verteidigung“ als Pflichtverteidiger auf Staatskosten beizuordnen. Staatsanwältin und Richterin sahen hierfür keinen Anlass, im geänderten Strafbefehl heißt es dazu nur lapidar, es sei nicht ersichtlich, dass sich der Betroffene nicht selbst hätte verteidigen können…

Betroffener war aus dem Sozialsystem gefallen

Anwalt Spirk hatte für den Betroffenen parallel zur Vertretung im Strafverfahren auch Widerspruch gegen einem Ablehnungsbescheid des Jobcenters der Stadt Regensburg wegen Sozialleistungen eingelegt, sowie eine einstweilige Anordnung auf vorläufige Leistungen beim Sozialgericht beantragt. Der obdachlose Schwarzfahrer sollte wieder ins Sozialleistungs- und Krankenversicherungssystem gebracht werden.Vor dem Sozialgericht einigte er sich mit dem Jobcenter auf vorläufige Sozialleistungen.

Das kam zu spät: Der Betroffene starb vorletzte Woche an seinen schweren chronischen Erkrankungen im Krankenhaus.

Kommentar: Pflichtvergessen und frei von Selbstkritik

Es ist nun amtlich: Die Justiz – Gericht und Staatsanwaltschaft – haben haben absichtlich die Augen vor den Tatsachen verschlossen. Obwohl die Polizei den Einkommensstatus des Betroffenen korrekt ermittelt hatte, setzte die zuständige Staatsanwältin die Tagessatzhöhe „frei Schnauze“ weit überhöht an. Die urteilende Richterin ließ sie gewähren – vermutlich hatte sie die Akte nicht einmal gelesen. Eine Lappalie?

Der betroffene Personenkreis – arme Menschen – kann solche Strafbefehle in der Regel nicht bezahlen. Sie sind meist auch nicht in der Lage, sich einen Anwalt zu besorgen, um sich vor Gericht gegen überhöhte Strafbefehle zu wehren. Das bedeutet Ersatzfreiheitsstrafe. Knast!

Dass der Steuerzahler für dieses Justizversagen – von gleichgültigen Richtern und Staatsanwälten verantwortete, rechtswidrige Strafbefehle – auch noch 108 Euro pro Hafttag tragen muss, ist dabei noch das geringste Problem. Aber eine selbstkritische Haltung darf man – siehe Ablehnung eines Pflichtverteidigers – von solchen Repräsentanten der Justiz offenbar nicht zu erwarten.

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Kommentare (7)

  • Kaffee-Joe

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    Das ist ja ein richtiger Skandal. Bin gespannt ob landesweite Medien darrüber berichten werden. Welche Stelle wäre denn verantwortlich gegen die Staatsanwaltschaft zu ermitteln? Klingt so wie unterlassene Hilfeleistung.

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  • Julian86

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    Pflicht und Zwang

    § 160 StPO
    Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung
    (1) Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen.

    In dem Verb “hat” steckt die Pflicht zum Handeln.

    Der zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erforderliche „Anfangsverdacht” liegt gemäß § 152 Abs. 2 StPO vor, wenn „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte” für eine „verfolgbare Straftat” vorhanden sind. Die Prüfung des Anfangsverdachts hat somit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu erfolgen.

    Der zentrale Grundsatz für die staatsanwaltschaftliche Ermittlungstätigkeit ist das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO). Es besagt, dass die Staatsanwaltschaft bei Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte verpflichtet ist, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten. In § 160 Abs. 1 StPO wird der Verfolgungszwang präzisiert. Danach ist der Sachverhalt zu erforschen, sobald die Behörde vom Verdacht einer Straftat Kenntnis erlangt.

    Das Legalitätsprinzip bietet die Gewähr dafür, dass die Staatsanwaltschaft jede Straftat ohne Ansehen der Person verfolgt. Dieser Grundsatz hat demokratische, rechtsstaatliche Wurzeln und trägt dem Gleichheitssatz aus Art. 3 GG Rechnung. Im Rechtsstaat des Grundgesetzes muss der Gesetzgeber die Voraussetzungen strafrechtlicher Verfolgung selbst bestimmen. Es darf nicht den Staatsanwaltschaften überlassen werden zu entscheiden, wer im konkreten Fall bestraft werden soll.

    Wer ordnet die Einleitung an?
    Welcher Straftatbestand kommt in Betracht?
    Wer als potentieller Täter?

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  • Rudolf Maier

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    Wenn man relativ regelmäßig in Regensburg Gerichts-Verhandlungen verfolgt, fällt einem schon auf, dass es da sehr unterschiedliche Szenarien gibt. Da wird die Diebin eines Artikels im Wert von rund 5 Euro gehörig angefasst. An anderer Stelle werden Leute die mehrfach gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben wieder mit Bewährung verurteilt.
    Was die disziplinarische Seite betrifft darf sich ein Angeklagter gegenüber der Gerichts-barkeit “auskotzen” (muss man nicht sagen um wen es geht), andererseits gibt es wegen Geringfügigkeiten Hinweise auf die Würde des Gerichts.
    Als ich als Besucher bei meinem Handy während der Verhandlung eines Rauschgiftfalls die Uhrzeit korrigierte ereilte mich der Hinweis der Richterin die Beschäftigung mit dem
    Handy zu unterlassen, da dies der Würde des Gerichts widerspräche.
    Da gibt es wohl eine große Bandbreite der Einschätzung der Würde des Gerichts.

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  • Romba

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    Wenn sich jemand solche groben Fehler in der freien Wirtschaft leistet, ist er seinen Job los. So sollte man hier auch verfahren mit Richterin u. Staatsanwältin. Geradezu widerlich, mit was für einem Desinteresse hier über menschliche Schicksale entschieden wird.

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  • Piedro

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    Ich kann mich noch gut an den ersten Artikel erinnern. Der ließ ja schon tief blicken. Was nun bekannt wird ist eigentlich absolut inakzeptabel. Gerade von der Justiz verlangen, dass die grundsätzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Polizei hat das Einkommen festgestellt, die Staatsanwaltschaft hat das ignoriert, das Gericht hat es verhängt, gegen die vorhandenen Fakten.
    Der Anwalt, dem angeblich nicht zu perfide ist, um für Mandanten zu werben, hat den Mann pro bono vertreten, und weil ein Spirk ein Spirk ist, und dieses Jobcenter eben dieses, ging noch gegen weitere Ungerechtigkeit vor, viel tiefgreifender, viel grausamer, auf besondere Weise beschämend. Darüber wissen wir noch nichts, außer, dass es geschah und diesen Menschen, abgesehen von dem juristischen Unrecht, in tiefere Armut stürzt als bei uns erlaubt ist. Und dann ist er auch noch schwarz gefahren, dieser Straftäter, hat einen Schaden verursacht und sollte dafür büßen, mit Haft, weil er nicht mal das Geld hat, um mit dem Bus zu fahren.

    Ich würde gern mehr darüber erfahren. Herr Spirk hat den Bescheid ja angegriffen, er ist also mutmaßlich rechtswidrig. Und ohne den Anwalt hätte dieser “Kunde” nicht mal hoffen dürfen einen Anspruch auf das Existenzminimum zu haben. Chronisch krank und dem Tod wohl näher als dem Leben. Ist es pietätlos mehr darüber wissen zu wollen? Auch wenn das kein besonderes Interesse generiert, wenn man die Kommentare mit denen des früheren Artikels vergleicht. Nun, eine gewisse Sprachlosigkeit kann ich nachvollziehen. Ich habe beim Lesen innerlich geschluckt.

    “Vor dem Sozialgericht einigte er sich mit dem Jobcenter auf vorläufige Sozialleistungen. Das kam zu spät: Der Betroffene starb vorletzte Woche an seinen schweren chronischen Erkrankungen im Krankenhaus.”

    Einen positiven Bescheid kann sich das Jobcenter sparen. Das lässt sich berechnen: Papier, Porto, Arbeitszeit… Weitere Einsparungen erfolgen nicht mehr. Der “Kunde” hat die Anspruchsvoraussetzung verloren. Nur die Allgemeinheit hat noch einen Anspruch: die Stadt wird die Überreste dieser Person auf dem Friedhof in den Reinen jener versenken, die vor ihm namenlos wurden. Muss ja nicht auf dem eigenen Friedhof sein, mit derartigen Verstorbenen findet auch schon mal ein kommunaler Entsorgungsaustausch statt, macht ja nix, es wird ja sowieso nie jemand darüber informiert, wann und wo so einer bestattet wird. Wenn man das so nennen mag. Passt zum letzten Teil des Lebens. Keiner da der hilft, keiner da, der Anteil nimmt, keinen interessiert’s. Bis auf das Jobcenter. Das hat gewonnen, gleich worauf es sich geeinigt hat, um die Verfahrensdauer zu begrenzen. Bekanntlich geben die Juristen dieser Behörde ja ganz gern mal nach, wenn ein Kläger es ernst meint.

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  • R.G.

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    Der Fall, dieser Tod berührt mich sehr.
    Ich kann nur Herrn Spirk mein Beileid aussprechen, da er sich wahrscheinlich wie der einzige Angehörige eines Vergessenen fühlen muss.

    Als ich ein Kind war, kannte ich einige Obdachlose als Schemen ganz hinten im Bus oder der Straßenbahn, im Westen wie in einem östlichen Land. Es war da wie dort eine Form des zivilen Ungehorsams, den Unglücklichsten zu gestatten, sich während der Fahrt, oft in Endlosschleife aufzuwärmen, wenn sie schon keine Unterkunft hatten.
    Der Hund einer Flüchtlingsfamilie, die in einer Baracke untergeschlüpft war und dort kein Haustier haben durfte, wurde von den Stadtteilbewohnern die Nacht über adoptiert, er durfte ständig mit dem Bus fahren, irgendwer kaufte immer ein Ticket für ihn. Morgens spendete er der schwer traumatisierten Familie wieder Trost…
    Wir müssen jeder wieder auf allen Ebenen Menschlichkeitsgesten erfinden, neben Forderungen nach großen Änderungen die kleinen Taten des zivilen Ungehorsams leben.

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  • Rechtsanwalt Otmar Spirk

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    Danke für Ihre trefflichen Worte ,R.G..
    Es ist ja nicht so, dass Menschen,wenn sie erst einmal kaputt sind , noch sonderliche Sympathie -Träger wären. Sobald ich allerdings ihre Geschichte dahinter erfahre, ist es mir nicht mehr möglich, mich abzuwenden, wie hierzulande üblich. Hier handelte es sich um eine junge Person mit einer sehr schlimmen Lebens-Geschichte von klein auf…

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