Schmerzensgeld für jahrelange Vergewaltigungen: Nächste Klage gegen das Bistum Regensburg steht bevor
Ein anerkannter Betroffener von Gewalt und Missbrauch fordert einen sechsstelligen Betrag, doch auf einen außergerichtlichen Vergleich will sich das Bistum Regensburg bislang nicht einlassen. Der Bischof nicht auf ein Gespräch. Damit dürfte der bereits laufenden Millionenklage eines anderen Ex-Domspatzen wohl bald der nächste Prozess folgen.
Dem Bistum Regensburg steht eine weitere Schadenersatzklage eines Betroffenen von Gewalt und Missbrauch ins Haus. Es geht um eine sechsstellige Summe, die der heute 79-jährige Manfred van Hove fordert. Er war in den 1950-ern insgesamt sechs Jahre bei den Regensburger Domspatzen – von 1952 bis 54 in der Grundschule in Etterzhausen, anschließend bis 1958 im Internat der Dompräbende in Regensburg.
Van Hove war 2010 einer der ersten, der den Gang an die Öffentlichkeit wagte und in der Talkshow von Markus Lanz den systematischen sexuellen Missbrauch bei den Domspatzen anprangerte. In einem kleinen selbst verlegtem Büchlein („Ihr Kinderlein kommet. Protokoll einer zerstörten Kindheit“) hat er seiner erschütternden Erfahrungen dokumentiert.
Demütigungen und Gewalt durch die Klosterschwestern in der Grundschule in Etterzhausen, regelmäßige Vergewaltigungen durch den geistlichen Präfekten Friedrich Zeitler. Der war auch der Beichtvater der Kinder und suchte sich auf diesem Weg seine Opfer, wie man bei van Hove lesen kann. Der Missbrauch des damals zehnjährigen Manfred ging über mehrere Jahre.
Ein „regelrechter Harem“ an minderjährigen Buben
Zeitler, ein Mann, den van Hove als dicklich beschreibt, mit einem Gesicht, das „etwas Schweinchenhaftes“ gehabt habe, und der stark nach Zigarrenrauch stank, hielt sich laut seinen Schilderungen einen „regelrechten Harem“ an minderjährigen Buben.
Der Geistliche wurde 1959 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem er, so der Pressesprecher unter Berufung auf einen Zeitungsartikel der Regensburger Woche, „mit zweien seiner Schützlinge bei unsittlichen Handlungen ertappt“ worden sei. Ihm wurden die bürgerlichen Ehrenrechte für vier Jahre aberkannt. Ebenso lange war es Zeitler verboten, mit Menschen unter 21 Jahren in Kontakt zu treten (mehr zu Friedrich Zeitler hier).
Später, noch vor Ablauf der vierjährigen Frist, durfte der Kindervergewaltiger wieder in den Schoß der Kirche zurückkehren und wurde an einem Mädchengymnasium in der Schweiz eingesetzt. Von alledem erfuhr Manfred van Hove erst Jahrzehnte später. Die Kinder seien nie befragt worden, sagt er. Man habe den Täter einfach beiseite geschafft. Die Domspatzen-Studie „Der Chor zuerst“ und der Abschlussbericht vom Domspatzen-Aufklärer Ulrich Weber widmen sich Zeirtler ausführlich. Man kann ihn anhand dessen als seriellen Missbrauchstäter einstufen, der über mindestens 20 Jahre hinweg Kinder vergewaltigte. Ungeachtet dessen wurde Zeitler von Domkapellmeister Theobald Schrems sogar noch gelobt, als er gerade seine Haftstrafe absaß.
„Opfer waren Mittel zum Zweck, der über allem stand.“
„Pädophile Straftäter hat es und wird es immer wieder geben. Es sind die Taten von wenigen Einzeltätern“, schreibt van Hove in seinem Buch. „Im Falle der Regensburger Domspatzen hat jedoch ein System von Kontrollversagen, bewusstem Wegsehen und Informationsunterdrückung die Zahl der vielen Opfer erst möglich gemacht. Sie fühlten sich sicher unter dem Schirm des Chorgeistes und wurden nicht durch interne Kenntnisse, sondern erst durch die weltliche Justiz in ihrem verbrecherischen Tun aufgehalten.“
Wo gehobelt wird, fallen Späne, sage ein Sprichwort. „Die Opfer waren die Späne, die mit Rücksicht auf eine größere Sache fallen konnten. Sie waren Mittel zum Zweck, der über allem stand.“
„Freiwillige Anerkennungsleistung“ von 15.000 Euro
Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen in Bonn hat van Hoves Schilderungen vor zweieinhalb Jahren als plausibel und glaubwürdig eingestuft. „Angesichts der geschilderten Taten und ihrer Folgen sowie des Umgangs mit dem Fall durch die verantwortlichen Personen“ wurde ihm eine sogenannte Anerkennungsleistung von 15.000 Euro zugesprochen – „eine freiwillige Leistung, (…) ohne die Anerkennung einer Rechtspflicht“, wie es ausdrücklich heißt.
„Mit Erstaunen habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, wie billig mein Schicksal als Teil des Harems von Zeitler durch Sie bewertet wurde“, schrieb van Hove später an die Kommission. Der unmittelbare Anlass: Eine vielzitierte Entscheidung des Landgerichts Köln, bei dem das dortige Erzbistum zur Zahlung von 300.000 Euro an einen Missbrauchsbetroffenen verurteilt wurde. Das Erzbistum Köln hatte zuvor ausdrücklich auf die Einrede wegen Verjährung verzichtet.
Auch der ehemalige Domspatz Matthias Podszus, der aktuell eine Millionenklage gegen das Bistum Regensburg anstrengt, beruft sich auf diese Entscheidung.
Gesprächsangebot an den Bischof bliebt erfolglos
Zunächst hatte Manfred von Hove sich mit einem Brief direkt an Bischof Rudolf Voderholzer gewandt und ihn hingewiesen auf den „bizarren Unterschied“ zwischen den 15.000 Euro Anerkennungsleistung, welche ihm die Kommission zugesprochen hatte, und den 300.000 Euro Schmerzensgeld, die das Landgericht Köln in einem anderen Fall als angemessen sah.
Er wolle die Jahre, die ihm in seinem hohen Alter noch blieben, „nicht mit Streitereien und Prozessen vergeuden, wenn es sich vermeiden lässt“, schreibt van Hove an den Regensburger Bischof. „Ich würde deshalb einen außergerichtlichen Vergleich vorziehen, wenn Sie diesem zustimmen.“ Dieser sollte sich „vergleichsnah“ an der Kölner Entscheidung orientieren. Man könne sich doch mal treffen, um darüber zu reden. „Ich hoffe, mit meiner Bitte nicht auf taube Ohren zu stoßen“, heißt es in dem Brief an den Regensburger Bischof.
Von Rudolf Voderholzer selbst erhielt van Hove keine Antwort. In einem knappen Schreiben der Leiterin der Stabsstelle Kinder- und Jugendschutz wird ihm stattdessen mitgeteilt, dass man abgesehen von dem Anerkennungsverfahren der Kommission „keine weiteren außergerichtlichen Vereinbarungen“ treffe. Bemerkenswert: Ein nahezu gleichlautendes Schreiben ging im Vorfeld von dessen Klage auch an den früheren Domspatzen Matthias Podszus.
Anwälte haben Frist bis Mitte Januar gesetzt
Nun hat auch van Hove eine Anwaltskanzlei mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. In einem aktuellen Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, raten die Berliner Rechtsanwälte dem Bistum, seine Haltung nochmals zu überdenken. Dem Grunde nach sei eine Schadenersatzpflicht ja schon durch die Kölner Entscheidung gegeben.
Man gehe vor diesem Hintergrund davon aus, dass sich auch das Bistum Regensburg im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung nicht auf Verjährung berufen werde, schreiben die Anwälte, die eine Rückmeldung bis Mitte Januar erbitten. Sollte das Bistum bei seiner Haltung bleiben, werde man dem Mandanten zur Klage raten. Und eine solche wird van Hove, Stand heute, ziemlich sicher anstrengen. „Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich so einen Prozess aus eigener Kraft finanzieren kann.“
Trackback von deiner Website.
Ehemaliger
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Ein Fass ohne Boden ist das = dieses Thema geht jetzt schon 15 Jahre so weiter. Man kämpft ja gegen Windmühlen an, wenn man mit diesem Thema zutun hat.
Man müsste eine Sammelklage anstreben, für alle ehemaligen Opfer, für alle ehemaligen Domspatzen Opfer.
oder
man ist überfordert mit dieser komplexen Thematik.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/piusheim-sexueller-missbrauch-katholische-kirche-1.5681362
https://m.youtube.com/watch?v=i03raoh5iGQ
Günther Herzig
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@Stefan Aigner
Der Satz
“Der Bischof nicht auf ein Gespräch”
hat kein Verbum.
Vielleicht kann er ergänzt werden?
Meier mit „ei“
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Wer hätte gedacht, dass mal so viele Kirchenmenschen in den Schlund der Hölle hinab fahren werden!
Da gibt man sein ganzes Leben Gott hin, hofft auf einen Platz im Himmel und landet dann doch in der dem Teufel seiner Friteuse!
Widerliches Spiel des Aussitzens!
Welche Beziehung zu Gott muss man haben, solche „Spiele“ zu treiben?
Stefan Aigner
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@Günther Herzig
https://de.wikipedia.org/wiki/Ellipse_(Sprache)
xy
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Wenn die klägerische Anwaltskanzlei sagt, „dem Grunde nach sei eine Schadenersatzpflicht ja schon durch die Kölner Entscheidung gegeben“, scheint das nicht unmittelbar einleuchtend. Das Bistum Köln hatte im Prozess die Einrede der Verjährung zurückgenommen, so dass enmtscheidende Verjährungsfragen keine Rolle spielten. Soweit ist man hier in Regensburg aber nicht, jedenfalls soweit bekannt. Das Kölner Missbrauchsopfer wurde lt. Urteil des LG Köln vom 13.6.2023 (AZ: 5 O 197/22) von dem Pfarrer insgesamt „320 Mal sexuell missbraucht“. Es ist nicht bekannt, dass die Regensburger Opfer insoweit mit dem Kölner Opfer vergleichbar wären, weshalb die ausgeurteilten 300.000 EUR für die Regensburger Opfer nicht unbedingt sicher aussagekräftig sind.
Günther Herzig
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@xy
….ist es auch nicht, einleuchtend!
Ehemaliger
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Im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger legt der Kölner Jura-Professor Markus Ogorek am 16.07.2023 mit guten Argumenten dar, dass eine etwaige seitens eines beklagten Erzbistums erhobene Einrede der Verjährung in einem Amtshaftungsprozess eines Missbrauchsopfers wahrscheinlich als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre.
Einrede der Verjährung – Rechtsmissbrauch durch die Kirche?
https://weltanschauungsrecht.de/meldung/einrede-verjaehrung-rechtsmissbrauch-durch-kirche
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@ Erster Kommentar 1 mit Movie
https://m.youtube.com/watch?v=i03raoh5iGQ
(( Der Junge unterste Reihe, ganz links, ist der jetzige Domkapellmeister Christian Heiss.))
Das Movie ist von 1980 / 81, aufgenommen im Studio Hamburg
Manfred van Hove
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Die Kirche hat sich wie jeder Bürger auch einem ordentlchen Gericht zu stellen. Stattdessen versucht sie, eine Sondergerichtsbarkeit in Form der UK einzuführen, als wenn sie über dem Gesetz stehen würde. Der Täter bestimmt selbst, wie seine Taten zu werten sind ist die Praxis der Kirche. Mir geht es also um das Prinzip und nicht um die Höhe des Schmerzensgeldes.