Rohdiamant
Cavalcades kommen aus dem Nichts und haben ein Debut dabei, das noch lange nachhallen wird.
Es ist mitunter das schönste aller Gefühle, wenn ein Song anläuft und man bereits nach wenigen Akkorden ganz genau weiß, dass man alles, aber auch wirklich absolut alles an diesem Stück – jede noch so kleine Harmonie, alle Facetten des Gesangs, jede noch so versteckte Idee – einfach unfassbar gut finden wird. Dann wirft man völlig unwillkürlich die Arme in die Luft, lacht oder grinst vielleicht unkontrolliert, lässt jedenfalls aller Euphorie freien Lauf. First Ice On Pavement ist so ein Stück, dem dieses kleine Kunststück gelingt. Die Band, die dieses Kleinod zu verantworten hat, kommt aus Aberdeen, heißt Cavalcades und hat es sich auf der ersten Platte Lights Begin To Dance zur Aufgabe gemacht, erwähntes Gefühl noch ein paar mal öfter zu evozieren.
Zu diesem Schluss muss man jedenfalls kommen, geht man nach der inhärenten Dramatik dieser Platte. Schließlich hat man dieses First Ice On Pavement ganz nach vorne gestellt und fällt so auf denkbar eindrücklichste Art und Weise mit der Tür ins Haus. Wer sich so selbstbewusst vorstellt, muss noch mehr in Petto haben, meint man. Völlig zurecht, schließlich erweisen sich Cavalcades nicht als die Band, die gerne leere Versprechen abgibt. Dabei ist es bei diesem Fundament gar nicht so einfach, die Leuchttürme der Qualität zu benennen. Lights Begin To Dance agiert mit seiner an The Casket Lottery, Defeater, Shoegaze und vielleicht ein wenig 90er-Jahre Emo geschulten Version von Hardcore von einem beeindruckend hohen Grundniveau aus. Und doch gibt es sie, die unbestreitbaren Highlights. Wenn Artificial Warmth etwa zur Songmitte vollständig innehält und sich anschickt, ein funkelnder Postrocker zu werden. Oder wenn A Loss Of All Control Richtung Moose Blood grüßt und geradezu euphorisch-ungestüm nach vorne will. Oder wenn Even In Dreams aufzeigt, warum man während dieses Albums für kurze Augenblicke immer wieder auch an Genrefremde Namen wir Malory oder gar Darkside denken muss.
Oder eben, wenn Reverie mal aus dem Raster fällt und seine Sache wundervoll ruhig und behutsam angeht. Nur um schließlich Spoken-Word zu Melodien von flimmernder Schönheit zu kredenzen. Das sind alles Songs, die so manch arrivierte Band auch in zehn Jahren noch nicht schreiben wird. Cavalcades haben eine ganze Menge davon auf ihrem Debut versammelt. Das kann man den Schotten kaum höher anrechnen, ist aber aufgrund der Brillanz dieser Platte geradezu unerheblich. Zehn Stücke, die den Hardcore in hellen Farben malen und in ihrer Gesamtheit ein strahlendes Album ergeben. Das trotzdem noch genug Schmutz unter den Fingernägeln hat, um nicht langweilig zu werden. Dafür wurde dann wohl das Wort Rohdiamant erfunden.
Wertung: 8/10
Anspieltipps: First Ice On Pavement, Even In Dreams, Artificial Warmth, Reverie
Cavalcades – Lights Begin To Dance | I.Corrupt | VÖ: 30.04.2015 | LP/Digital