Richtig trinken in der Krise
Auch wenn die Einschränkungen für die Gastronomie derzeit Schritt für Schritt gelockert werden – die Rückkehr zu einem Nachtleben in Clubs und Bars, wie man es in der Vergangenheit kannte, verbunden mit erlesenen Getränken, liegt noch in weiter Ferne. Deshalb ein Ratschlag vom Profi.
Zu Recht wird in diesen Tagen darauf verwiesen, dass uns diese Krise aus der Hetzerei, der Oberflächlichkeit und dem verderblichen Treiben gegen die Erde, gegen die Schöpfung herausreißt und uns auf die wesentlichen Werte des Lebens zurückwirft. Ja, das stimmt. Haltet inne. Wir merken, dass es uns an nachhaltigem Denken mangelt. Wir merken, dass es keinen Weg zurück mehr gibt zu den ungesunden alten Methoden. Und wir merken, dass in unserer Hausbar nur Scheiß steht.
Also, in meiner ja nicht, aber ich mache das Dings mit dem Alkohol ja auch beruflich, was immer eine gute Entschuldigung für einige Dutzend Flaschen Edelsprit in der Wohnung ist.
Und doch bestehen viele heimische Spirituosenbestände aus Geburtstagsgeschenken, Pizzadienstprämien, Jubiläumspräsenten (noch im Originalzellophan) und sonstigen dubiosen Flaschen, deren Einzug in den Familienbesitz schon gar nicht mehr zu eruieren ist, plus das Fläschchen Aperol oder Lillet für den dezenten Sommerschwips. Und dann kommt die Krise, man hockt zuhause und soll mit einer Auswahl auskommen, die selbst den Eindruck macht, als sei sie schon vor Jahren an Corona gestorben.
Und ebensowenig wie Sie das Virus mit Globuli und Aspirin wegbekommen, werden Sie das Kontaktverbot mit Spritz Aperol (jawohl, so heißt das) und Lillet Wild Berry überstehen. Da müssen härtere Geschütze aufgefahren werden. Ich empfehle da zum Beispiel einen sogenannten Naked & Famous. Cooler Name, cooler Drink, und Sie werden sich danach fühlen, als hätte Sie eine Wölfin gesäugt. Wird eh Zeit, Rom wieder neu zu gründen.
Also: Der Naked & Famous besteht aus vier Bestandteilen, und zwar zu gleichen Teilen, je gut 2cl. Man kann auch 3cl nehmen, weil, wenn man sich schon die Mühe macht…
Es werden benötigt Aperol, Chartreuse, Mezcal und frischer Limettensaft.
Aperol haben Sie daheim, das haben wir ja schon herausgefunden. Keine Chartreuse? Wie gibt’s das? Jeder Haushalt sollte dringend über eine Flasche Chartreuse verfügen, diesen hochprozentigen französischen Kräuterlikör, der in den Bergen nahe Grenoble von Einsiedlermönchen hergestellt wird (was ja quasi schon beweist, wie gesund und bekömmlich der ist). 55 Prozent hat die Dame, die wir bei mir in der Bar liebevoll „Jägermeister für Erwachsene“ nennen. Eigentlich gehört zum Rezept die etwas schwächere gelbe Variante, aber, ja mei, was soll schon passieren.
Jetzt zum Mezcal. Mezcal ist der ungehobelte große Bruder vom Tequila, und Tequila hat nicht viel mit dem zu tun, was sich Deutsche mit Zitrone und Salz hinter die Binde kippen. 100 Prozent Agave müssen es auf jeden Fall sein, und dann merken Sie schon, dass sich plötzlich die Klospülung andersrum verzwirbelt. Mezcal kann richtig teuer sein; das ist jetzt für Sie nicht notwendig, aber Finger weg von dem gar zu billigen Zeug. Hören Sie mir bloß auf, diesen Blempl zu saufen! Schämen Sie sich! Sie sind doch keine zwölf mehr!
Frischer Limettensaft erklärt sich von selbst, hoffe ich.
Professionell wird dieser Drink auf Eis geshakt und dann in eine gekühlte Coupette abgeseiht. Wenn Sie das Werkzeug daheim haben, umso besser, wenn nicht, auch nicht schlimm. Messen Sie die Zutaten mit einem Schnapsglas ab, geben alles in ein (leeres und sauberes) Marmeladenglas, schütteln das ein bisschen und tun es danach zusammen mit einem Weinglas ins Gefrierfach. Und so nach einer Viertelstunde können Sie das dann probieren.
Dankesschreiben bitte an die Redaktion, gerne auch mit einer Beschreibung der konkreten Einzelheiten, die sich durch diesen Cocktail in Ihrem Leben verbessert haben. Und: natürlich ist dieser Drink nicht für jeden Geschmack. Aber merken Sie sich das Rezept. Wenn der Zwang zur Isolation aufgehoben ist, wird die sexuell ausgehungerte Meute erst mal völlig wahllos übereinander herfallen, und Jackie Cola treibt es bedenkenlos mit Touchdown, und die Grundlagen für zukünftige desaströse PISA-Studien werden gelegt.
Wenn ich mir jetzt aber vorstelle, ich sitze neben jemandem, der sich für diesen Drink begeistern kann, für dieses kaum begreifliche Miteinander aus Süße, Säure, Bitterkeit, Rauch, Agave und Kräutern – holla, die Waldfee, da lohnt sich aber ein zweiter Blick. Ecken und Kanten und doch alles, wie es sein soll, eine Art brachialer Harmonie… das wird gefährlich. Aber richtig. Aber natürlich spannend… und so reizvoll wie selten irgendwas… und irgendjemand muss ja schließlich in 15 Jahren den PISA-Schnitt wieder nach oben reißen.
Mr. T.
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Ganz meine Meinung! Spätestens jetzt sollte jeder realisiert haben, dass das Leben zu kurz ist, um schlecht zu trinken ?
Interessant, wie mir der Naked & Famous zur Zeit immer mehr – zum Glück – begegnet.
Und seine Hausbar sollte man nicht nur derzeit besser pflegen, als seien Hipsterbart – was nicht nur für das männliche Geschlecht gilt!
Haluminat
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Auch auf die Gefahr hin, als Verschwörungstheoretiker*in bezeichnet zu werden möchte der Unterzeichnete zu Bedenken geben, dass es weltweit monatlich mehr Tote zu verzeichnen gibt als es je Coronatote geben wird. (Quelle: Leitmedien) Dem lieben Herrgott sei es gedankt dass die Volksfeste heuer aussetzen zum Wohl der Volksgesundheit.
Mr. T.
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Haluminat, gut erkannt! Martin Stein ist eben kein so ein Stümper wie Bill Gates und hat trotz leicht geringerer Mittel deutlich effektivere Methoden zur Dezimierung der Bevölkerung.
Untertan Giesinger
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Mal abgesehen vom Bargeflüster (ich habe zu Hause auch diverse alte Cubanische Rons), habe ich eine ganz wesentliche Frage. Wie läuft das mit den Verpächtern? Sind die eher kulant und verzichten die auf einen Teil ihrer Pacht?
Das wäre eigentlich ein Thema, das ich für einen eigenen Bericht/Thread vorschlagen würde, werter Herr Chef, Stefan Aigner.
(Es müßten sich ja nicht unbedingt Modl & David darum kümmern).