Regensburger Kurzfilmwoche: Alpträume über Putin und Masturbationsfilme nach Omas Art
Es ist schon wieder März, und damit Zeit für das renommierte Regensburger Kurzfilmfestival. Das bietet ab dem 20. dieses Monats zehn Tage lang Düsteres, allzu Düsteres und zum Ausgleich gewohnt besten Trash und die beliebten Sexy Shorts.

252 Filme aus 58 Ländern warten ab 20. März auf Publikum. Foto: Johannes Liebl
Auch tierisch geht es in der 31. Auflage der Kurzfilmwoche zu. Zudem hat das Team um Gabriel Fieger und Amrei Keul ein wenig an der Gesamtkonstruktion gebastelt, lädt zur inklusiven Butterfahrt und will auch Neulingen den Zugang zu einer ganz besonderen Art des Films wieder niederschwellig ermöglichen.
Mit dem Kurzfilm ist das nämlich so eine Sache. Zwar sagt sein Name ja eigentlich schon, was er ist: kurz. 30 bis 40 Minuten, so in etwa der Richtwert, darf so ein Streifen nicht überschreiten. Gerade einmal neun Minuten benötigt Claire Lance im hypnotischen Oneshot „A Homeward Bound“, um im Inneren eines Hauses vergessenen Geschichten und unaussprechlichen Wahrheiten nachzuspüren – der Streifen läuft am 23. März im 85-minütigen Architekturfenster der Kurzfilmwoche (KuFi). Martin Schmidts aggressiver Kampf zwischen Rot und Dunkelblau dauert in „Lines“ sogar nur vier Minuten.
Die Welt da draußen in ihrer grausamen Schönheit
Mit dem Faktor „Laufzeit“ endet aber schon die einfache Definition. Das hat nicht zuletzt die aktuelle Studie „Kurzfilm in Deutschland“ festgestellt. Jedweder Definitionsversuch „steht automatisch vor dem Dilemma“, dass es keine eindeutigen Merkmale gebe, die auf alle Kurzfilme zutreffen. Letztlich handele es sich um einen Oberbegriff, unter dem alles Mögliche passieren könne.
Immaculata läuft im Deutschen Wettbewerb.
Und wer schon einmal bei der KuFi war, der weiß: Möglich ist viel. Zugegeben: Kurzfilme gelten schon eher als komplexe Form des Kinos. Hier wird experimentiert, Konventionen und Gewohnheiten werden gerne eingerissen. Gleichzeitig gelten Kurzfilme als Seismograf gesellschaftlicher Entwicklungen.
Da nimmt sich die KuFi seit über drei Jahrzehnten nicht aus. Im Gegenteil will das Festival gerade auch einen Raum für neue Perspektiven, ungewöhnliche Blickwinkel und kreative Experimente eröffnen – und gleichzeitig die Welt da draußen in ihrer grausamen Schönheit einfangen, zur Diskussion darüber anregen.
Kurzfilme: Immer länger und ernsthafter
„Mit 252 Filmen aus 58 Ländern präsentieren wir dieses Jahr ein Festival, das so vielfältig ist wie der Kurzfilm selbst“, sagen Fieger und Keul. Bis zum fertigen Programm hat das Team wieder einmal eine vierstellige Zahl an eingereichten Filmen durchforsten, bewerten und uns die Augen rechteckig“ schauen dürfen. Dabei haben Keul und Fieger etwas festgestellt: Die Kurzfilme würden immer länger werden und auch ernsthafter.
Statt der spaßigen Streifen der 2010er seien unter dem Druck der globalen Gemengelage derzeit Themen wie der Ukrainekrieg, der Nahe Osten, häusliche Gewalt, aber auch Verlust und Tod, Einsamkeit omnipräsent. Und noch etwas mache sich bemerkbar, sagt Keul: Die Entwicklungen an den Filmhochschulen – die gestiegene Fokussierung auf Streaminganbieter wie Netflix.
A Move beschäftigt sich mit der Freiheitsbewegung im Iran.
Und so findet sich im Internationalen Wettbewerb gleich zu Beginn der Kurzfilmwoche die portugiesisch-belgisch-ungarische Produktion „Dreams about Putin“. Nastia Korkia und Vlad Fishez verarbeiten in 30 Minuten die Kontraste zwischen der Propaganda, die Putin als starken Führer zeigt, und den traumatischen Träumen der Menschen, um die Diskrepanz zwischen der offiziellen Darstellung und der Realität zu verdeutlichen.
Sie kombinieren Found Footage mit surrealen 3D-Animationen, um die authentischen Träume der von diesem Konflikt Betroffenen darzustellen und das Thema des kollektiven Unterbewusstseins in der Gesellschaft zu erforschen. Elahe Esmailis „A Move“ wiederum greift die Frau-Leben-Freiheit-Bewegung im Iran auf.
Härte, Hoffnungsschimmer, Spaß und Trash
Weil die Welt einen derzeit aber schon genug frustrieren kann und der Kurzfilm noch viel mehr sein will, war das KuFi-Team bemüht, beim Kuratieren einen „gewissen Ausgleich zu schaffen“, wie Fieger sagt. Niemandem sei geholfen, wenn man nur noch „demotiviert aus dem Kino“ komme.
Die Herausforderung für das Team bestehe folglich darin, die Programme so zu gestalten, dass gesellschaftlich wichtige Themen abgedeckt sind und Zuschauer neue Impulse bekommen. „Aber dass man vielleicht dazwischen das Ganze nochmal mit einem Augenzwinkern betrachtet, irgendwo einen Hoffnungsschimmer auftauchen lässt.“
Das Regionalfenster fehlt natürlich auch dieses Jahr nicht.
Beim KuFi fehlt also auch im 31. Jahr nicht der Spaß und der Trash. Schließlich genießt das Festival weit über Regensburg hinaus den Ruf, statt Roter-Teppich-Flair und hochgestochener Intellektualität, es lieber mit einer punkigen Attitüde anzugehen. „Das schätzen unsere Gäste und das kommt auch im Ausland gut an“, versichert Keul.
Mehr Humor zu später Stunde
Eines der beliebtesten Programme der letzten Jahre – neben den Publikumslieblingen am Ende jedes Festivals – seien vielleicht auch deshalb die Late-Night-Programme. Dort geht es erfahrungsgemäß humorvoller, weniger ernst zu.
Als Eröffnungsfilm läuft unter anderem Tobi Bella.
Wie wäre es also spätabends mit Luca Toths vierminütiger „Vegan Mayo“-Hochstaplerin? In „Cold Feet“ lässt Regisseur Levin Günther Jacko eine widerliche und potenziell gefährliche Entdeckung im eben erworbenen Kühlschrank machen. Den Verkäufer treibt auch etwas um: Er hat das falsche Gerät verkauft. „Hai Latte“ zeigt den gut erholten Urlauber Torben – wenn da nur nicht der Hai wäre. Und Regisseurin Hansol Kim setzt ihre Großmutter mit „K-Bob-Star” als Popstar in Szene – und Kimchi.
Apropos Großmutter. Die spielt auch bei den Sexy-Shorts eine Hauptrolle. In „Keine Nudeln für Courbet/Patriachal Pasta“ wollen Alma Weber und Joey Arand einen 16mm-Masturbationsfilm nach einem Rezept der Großmutter drehen. Probleme bereiten dabei alte Geschlechterrollen.
Begleitausstellung Max Bresele im M26
Olivia Griselda verarbeitet in ihrem animierten Kurzfilm „She and her good Vibration“, wie sie selbst von einer Freundin einen Vibrator geschenkt bekam und es nicht wagte, darüber zu sprechen – bis sie es doch tat und von den positiven Reaktionen ermutigt wurde, die Geschichte in einen Film umzusetzen. Entstanden ist eine lebhafte, in pastellfarbener Ästhetik gehaltene, humorvolle Erzählung über eine gestresste Frau und ihren Vibrator.
Der Künstler Max Bresele war ein Multitalent.
Auch das kulturelle Jahresthema der Stadt findet sich im Programm wieder. Die „Großwetterlage“ wird dabei mitunter in metaphorischen Erzählungen über Wetter und Klima verhandelt. Zwei Kurzfilmprogramme hinterfragen dabei gesellschaftliche Ordnungen und decken Erosionen auf. Der Kunstverein Weiden kuratiert zudem eine Begleitausstellung des Oberpfälzer Künstlers Max Bresele (1944-1998) im Fesitvalzentrum M26.
Bresele ist bereits seit mehreren Jahren Namensgeber eines Preises, den die KuFi für politisch relevante Beiträge vergibt. Nun will man dessen eigenes Schaffen und Relevanz selbst in den Fokus rücken.
Kein Bayernfenster mangels Einreichungen
„Das Bayernfenster wird es in der kommenden Ausgabe nicht mehr geben“, nennt Fieger eine Veränderung, die eingefleischten Festival-Fans beim Blick ins Programm sofort auffallen dürfte. Es habe einfach nicht genügend Einreichungen dafür gegeben. Nach über zwei Jahrzehnten werden die bayerischen Produktionen stattdessen in den Deutschen Wettbewerb integriert.
Darin thematisiert Annika Mayer mit ihrem 18-Minuten-Werk „Rose“ die Unsichtbarkeit häuslicher Gewalt. Leila Fatima Keita und Felix Klee fragen sich mit „Accidental Animals“, warum bei Google-Street-View die Gesichter von Schweinen verwischt werden und was passiert, wenn die Kameras den Blick eines Tieres treffen.
Dem Bären ist ein eigener Slot gewidmet.
Der Nachhaltigkeitspreis wird erstmals von der Healthman GmbH gestiftet und bekommt zudem ab sofort ein eigenes Filmprogramm. Den Candis-Preis für den besten deutschen Kurzfilm, dotiert mit 1.500 Euro, stiftet erneut die Ferdinand Schmack GmbH. Den Max-Bresele-Gedächtnis-Preis für einen Film mit politischer Relevanz hat er Kunstverein Weiden auf 1.000 Euro erhöht. Das sei gerade in der derzeitigen ökonomischen Lage eine „wirkliche Wertschätzung für die Filmschaffenden“, freut sich das KuFi-Team.
Butterfahrt-Programm für Menschen mit Hör- und Sehbehinderung
Nicht fehlen darf bei alldem der von der Kinokneipe gestiftete 333 Euro hohe Preis für den beliebtesten Film des Festivals. Der BR (5.000 Euro) und BMW (4.000 Euro) stiften zudem wieder zwei der vier Preise in den Internationalen Wettbewerben.
Love Me, Fear Me läuft im Butterfahrt-Programm.
Fernab von Jury-Bewertungen und Branchen-Diskursen ist die KuFi aber vor allem auch ein Publikumsfestival. In den vier Spielstätten – Ostentorkino, Andreasstadl, Leerer Beutel und W1 – sollen möglichst alle auf ihre Kosten kommen und vor allem Zugang finden. Genau deshalb freuen sich Fieger und Keul besonders über die Kooperation mit dem inklusiven Filmfest „Klappe auf“ aus Hamburg. Das unterstützt heuer mit entsprechender Technik und Erfahrung, um mit dem „Butterfahrt“-Programm erstmals ein barrierearmes Programm für Menschen mit einer Hör- oder Sehbehinderung anbieten zu können. „Wir sind schon sehr gespannt, wie das angenommen wird“, sagt Keul.
Kinoprogramm für die ganz Kleinen
Laufen wird die „Butterfahrt“ – die natürlich für alle offen sei – im „relativ barrierefreien“ Kino im Leeren Beutel. Dort wird am 21. und 22. März „Kaltes Tal“ dialektisch unser Verhältnis zur Natur als Lagerstätte für Rohstoffe und als mystischen Möglichkeitsraum verarbeiten.
„Kleptomamie“ folgt Lucy durch ein Kaufhaus. Die hat es satt, die perfekte Mutter zu geben. Als ein Detektiv ihren Kinderwagen filzt, offenbart sich die ganze Absurdität dessen, was es heute heißt, Mutter zu sein.
The Perfect Day läuft im Kinderprogramm.
Eindrücklich erzählt Mark Michel während der „Butterfahrt“ zudem von „Veronika“. Mittels Sandmalereien geht es in die verborgene Welt der Protagonistin, der als Kind ein IQ von Null und Autismus attestiert wurde. Zudem ist sie mehrfach körperlich behindert. Nun, als Erwachsene, hat sie gelernt, sich über ein ausgeklügeltes Zeichensystem anderen gegenüber auszudrücken.
Barrieren wollen Keul und Fieger auch für das jüngere Publikum abbauen. Schließlich sei „Kino für alle“ da. Und genau unter dem Programmtitel sollen auch „die ganz Kleinen“ an den Kurzfilm herangeführt werden. Erstmals wird es während der KuFi ein Programm ab acht Jahre geben. Darin finden sich Filme, die live eingesprochen werden, wie Keul erklärt. So soll etwa bei internationalen Formaten die Sprachbarriere abgebaut werden.
Länderschwerpunkt Slowenien
Neulinge können sich zudem mit dem Programm „Impuls“ wie schon in den letzten Jahren dem Genre Kurzfilm nähern – abseits der gerne mal etwas schwer zugänglichen internationalen Wettbewerbe. „Das Impulsprogramm garantiert ein bisschen, Filme auf eine niederschwellige, aber tiefgründige Art anschauen zu können“, sagt Fieger.
Ein restaurierter slowenischer Klassiker: Youth Builds.
Im Länderschwerpunkt geht es 2025 erstmals wieder nach Europa – genauer gesagt, nach Slowenien. „Ein unheimlich spannendes, vibrierendes und erfrischendes Filmland“, gelte es zu entdecken. „Besonders stolz sind wir auf die Kooperation mit gleich acht Filmarchiven, Festivals und Institutionen aus Slowenien, welche fünf Filmprogramme extra für Regensburg kuratiert haben“, erzählen Fieger und Keul.
Den Besuchern bietet sich eine ausgesprochene Vielfalt, die die ganze Bandbreite des Kurzfilms auf sich vereint. Restaurierte Klassiker aus Ex-Jugoslawien werden gezeigt, feministische Videokunst und queere Filmkultur bereichern das Festival ebenso wie Highlights der slowenischen Animations-Szene.
Three – ein queerer Film aus Slowenien.
Besonderes Highlight ist für Keul die Live-Musik-Performance von „The Constants Of Vanishing“ am 24. März im Ostentorkino. Zuvor liest Milena Miklavčič im W1 aus „Feuer, Arsch und Schlangen sind keine Spielzeuge“ – eine Sammlung tausender Geschichten über Beziehungen und Intimitäten. Eine davon wird mit „Granny´s sexual Life“ auch als mehrfach ausgezeichneter Film in der Sparte „Slovenian Shorts“ zu sehen sein. Einen Tag zuvor nehmen der slowenische Liedermacher und Autor Zoran Predin und die Damirov Django Group den Jazzclub Regensburg in Beschlag.
Plattenfilme und Tanzprogramm
Wagner Moreira, Tanzchef am Regensburger Stadttheater, hat ein eigenes Tanz-Programm kuratiert. Workshops für Kinder und Erwachsene sowie Vorträge im M26 erweitern das gesamte Programm der KuFi. Der Bayerische Rundfunk lädt als Partner der Festivalwoche am 22. März wieder zur Zündfunkparty in den Leeren Beutel. Und auch die legendären Plattenfilme haben ihren Weg ins Programm gefunden. Hier wird es laut KuFi-Team „rasant, bedächtig, kreativ und aufregend, wenn im Ostentorkino live vor Augen und Ohren des Publikums Kurzfilme mit einem neuen Soundtrack vertont werden“.
Tickets und das gesamte Programm vom 20. bis 30. März sowie Infos zu den Wettbewerben finden sich unter www.kurzfilmwoche.de. Dort kann noch eine weitere Neuigkeit nachgelesen werden. Am 21. Dezember fand wieder der Internationale Tage des Kurzfilms statt. „Dabei konnte das Publikum abstimmen, welches Tier einmal mit einem eigenen Programm bedacht werden soll“, erzählt Fieger. „Es ist der Bär geworden.“
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Mr. T.
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Der Artikel macht Lust auf Kino
Georg Knott
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Max Breserle, der Anti-Held seiner Zeit. 🙈🙈😂😂😂
Ich kann mich noch gut an ihn erinnern. Er kam immer zu meiner Mutter, wenn er mal wieder völlig abgebrannt war. Aber erst wenn mein Vater weg war, das kundschaftete er immer zuerst aus. Vater hat ihm Arbeit angeboten, also Lohn und Brot. Das lehnte er ab. Geschenke, also Essen, Trinken, Medizin und Geld hingegen nahm er an. Letztendlich hinterließ er einen Schuldenhaufen – und sein Moped 😂 Hab ihn immer gemocht und nie als Belastung gesehen.