Regensburger Biotechfirma sagt multiresistenten Keimen den Kampf an
Sie sind überall auf dem Vormarsch und stellen schon jetzt die medizinische Versorgung weltweit vor enorme Probleme: multiresistente Keime. In Regensburg wird an einer vielversprechenden Alternative zu Antibiotika gearbeitet.
„Die Mikrowelle verwenden wir zum Erwärmen von Proben“, erklärt Dr. Andreas Bosch. Er ist Wissenschaftler der Lysando AG und arbeitet in deren Labor am Biopark auf dem Regensburger Hochschulcampus. Besonders groß sind die Räumlichkeiten aus Laiensicht nicht – jedenfalls unter der Annahme, dass hier an einer medizinischen Revolution geforscht werden soll.
Eine kleine Firma hat Großes vor
Rund 25 Mitarbeiter sind am Regensburger Standort – dem sogenannten „Innovations Lab“ – tätig. Der Verwaltungssitz der Lysando AG ist in Liechtenstein, ein weiterer Standort in Thailand. Eine eher kleine Firma, die aber Großes vor hat und sich vergangenes Jahr bei einem der weltweit führenden Hersteller technischer Enzyme, dem koreanischen Unternehmen AMICOGEN eingekauft hat. Eine strategische Partnerschaft, die Lysandos Produkten bald zur Marktreife verhelfen soll.
Im Regensburger Labor lässt sich all das nur schwer erahnen. Neben der erwähnten Mikrowelle, dem einzig wirklich vertrauten Gegenstand in den Räumlichkeiten, stehen zahlreiche, nicht gerade günstige Geräte. Dutzende Schläuche verlaufen an einem kreuz und quer, um dann in irgendwelchen Flaschen zu enden. Unter der Arbeitsfläche stehen große Glasbehälter. Die Gebrauchsspuren sind deutlich zu sehen. Damit habe man Anfangs viel gearbeitet, erklärt Bosch bei einem Rundgang. „Heute nehmen wir sie nicht mehr so oft her.“
Multiresistente Keime: Alternativen zu Antibiotika gesucht
2009 wurde Lysando gegründet. Der Unternehmer Markus Matuschka von Greiffenclau war früher vor allem im IT-Bereich tätig, mischte unter anderem beim Aufbau des Videochat-Vorreiters Skype finanziell mit. Er habe dann nach neuen Investitionsfeldern gesucht und wurde in Regensburg fündig.
Ein kleines Unternehmen sei Konkurs gegangen. „Damit drohte eine gute Idee verloren zu gehen“, erzählt Greiffenclau. Wirklich ausgereift sei die Sache nicht gewesen. Eher ein erster Brotkrümel für das, was aus Sicht der Lysando AG bald die Kräfteverhältnisse im Kampf gegen multiresistente Keime wieder zugunsten der Medizin verschieben soll.
Multiresistente Bakterien stellen die Gesundheitsversorgung weltweit vor immer größere Herausforderungen. Der britische Wissenschaftler Prof. Mark Woolhouse von der Universität Edinburgh etwa spricht von einer „fortgeschrittenen Phase eines weltweiten Notstandes der Gesundheitssysteme“. Denn das einstige Allheilmittel Antibiotikum kann gegen viele Keime kaum noch etwas ausrichten.
RKI schätzt 20.000 Todesfälle jährlich
Gerade Krankenhäuser, dort insbesondere Beatmungsgeräte, sind wahre Keimherde. An deutschen Kliniken kommt es Schätzungen des RKI zufolge jährlich zu bis zu 600.000 Infektionen und 20.000 Todesfällen. Weltweit sollen es über eine Millionen Tote pro Jahr sein. Manche Experten warnen bereits, die Zahl der Todesfälle durch solche Keime könnte in den kommenden Jahren global gesehen stark ansteigen und Corona dabei deutlich in den Schatten stellen.
Doch die Erforschung neuer Antibiotika-Medikamente ist immer aufwendiger. Viele Pharmakonzerne haben hier bereits die Segel gestrichen und fokussieren sich auf lukrativere Sparten. Auch bei der Lysando AG hält man Antibiotika für nicht mehr zeitgemäß. Allerdings vor allem auch aus wissenschaftlichen Gründen.
Wie das „Zünden einer Atombombe“ sei die Behandlung mit Antibiotika, sagt Greiffenclau. „Wir wissen heute, dass viele Bakterien und andere Mikroben auf unserer Haut und im Körper wichtige Funktionen erfüllen.“ Oft sei es eher ein falsches Gleichgewicht, etwa ausgelöst durch Stress, Hormonschwankungen oder andere Dinge, das dann zu Problemen führe. Wissenschaftler vermuten zudem schon länger, dass gewisse Formen von Alzheimer und Schizophrenie durch Bakterien ausgelöst werden könnten.
Unternehmer mit Leidenschaft für Bakterien
Wenn Greiffenclau über Bakterien spricht, die „sehr viel komplexer als wir dachten“ seien, kommt er ein wenig ins Schwärmen. Die kleinen Tierchen würden kommunizieren und gegenseitig Erbinformationen austauschen. „Die haben richtig wilden Sex.“ Und dabei werde auch ausgetauscht, wie sich vor Antibiotika zu schützen ist. Denn die verschiedenen Bakterien haben ganz unterschiedliche Verteidigungsstrategien. Manche produzieren sogar selbst Antibiotika. Der Austausch von solchen Informationen verstärke dann das Problem der Resistenz, erklärt Greiffenclau.
Hinzu kommen sogenannte persistente Bakterien. Die stellen bei einem „Angriff“ das Wachstum ein – also genau die Phase bei der Antibiotika im Normalfall wirken. Die Therapie töte dann immer nur einen Teil der Erreger. Nämlich jene, die sich nicht schützen können. „Zurück bleiben aber alle anderen“, sagt Greiffenclau. Ärzte müssten erneut Antibiotika verabreichen. Anstatt der erfolgreichen Behandlung werde dadurch der Anteil von resistenten Keimen erhöht. Die Medikamente helfen immer weniger. Der menschliche Körper wird aber immer mehr belastet.
Neue Lösung: Artilysine
Während Antibiotika also radikal, aber nicht (mehr) besonders effizient sind, könnten Artilysine hingegen sehr gezielt eingesetzt werden. Das ist das Produkt, an dem Andreas Bosch und seine Kolleginnen in Regensburg seit mehreren Jahren intensiv forschen. Selbst gegen persistente Keime könnten diese neuartigen Stoffe helfen.
Artilysine sind Proteine, die in dieser Form nicht natürlich vorkommen. „Jedenfalls wurden bis heute keine entdeckt“, ergänzt Greiffenclau. Sie werden aus natürlichen Stoffen wie Endolysin und Peptid in Regensburg speziell designed. „450 Prototypen haben wir bereits und 300 Patente“, sagt Bosch. Neben ihm rüttelt eine Maschine kleine Tupperboxen mit einer blauen Flüssigkeit. Ein Teststreifen darin soll die Konzentration verschiedener Stoffe anzeigen.
Daneben steht ein großer Metallschrank. Minustemperaturen von 80 Grad herrschen im Inneren. Als Bosch den alles andere als haushaltsüblichen Gefrierschrank öffnet, zieht eine kalte Wolke kurz durch den Raum. „Wir testen derzeit an 1.700 Bakterienstämmen.“ Die sind hier eingelagert. Viele davon können schwere Krankheiten wie Typhus und Cholera verursachen und mit Antibiotika eben oft nicht mehr behandelt werden.
„Keine Kollateralschäden im Körper“
Der Vorteil von Artilysin-Proteinen: Sie seien „flexibel und veränderbar“ und theoretisch an jeden Bakterienstamm anpassbar, erklärt Bosch. Dadurch könnten passgenaue Lösungen für die jeweiligen Behandlungsformen entwickelt werden. Anders als bei Antibiotika würden zudem keine Kollateralschäden im Körper verursacht werden, betont man bei Lysando.
Angriffspunkt der Designer-Proteine sind die Zellwände von Bakterien. Die Eiweißmoleküle destabilisieren die Zellwand und dringen in das Bakterium ein. Aufgrund des steigenden Innendrucks platzen die Bakterien innerhalb weniger Sekunden einfach auf.
Die hohe Geschwindigkeit ist dabei ein wichtiger Vorteil. Das Risiko einer Resistenz werde stark minimiert, sagt Greiffenclau. Dafür bräuchten Bakterien Zeit. „Antibiotika wirken langsam, deshalb muss man sie lange einnehmen. Artilysine wirken schnell und hätten eine kürzere Einnahmedauer zur Folge, so der 57-Jährige. Das Darmmikrobiom bleibe verschont und damit auch das Immunsystem.
Für eine größere Produktion braucht man einen Partner
Die Methode hat Lysando von Grund auf entwickelt und ist hier Marktführer. Bisher seien die Ergebnisse vielversprechend. Nur fehlt dem Unternehmen selbst die Voraussetzung, im größeren Stil zu produzieren.
In einem kleinen Raum steht ein Gerät. Eine hellbraune Flüssigkeit – sie sieht ein wenig wie Meerwasser in einer Sandgrube am Strand aus – wird hier in einem Glasbehälter permanent in Bewegung gehalten. 25 Stunden lang. Dann erhält das Laborteam einige wenige Gramm an Artilysinen. Die werden in einer Nährflüssigkeit gezüchtet.
Das sei schon ordentlich, meint Bosch. Für eine Produktion im großen Stil aber kaum der Rede wert. Zusammen mit AMICOGEN und weiteren Partnern sollen deshalb bald die Voraussetzungen für die Anwendung am Menschen und die größere Produktion geschaffen werden.
Medizinische Versorgung neu gestalten
Neben der Behandlung von bakteriellen Erkrankungen arbeitet Lysando bereits an weiteren Anwendungsmöglichkeiten. Ein schonenderes Wundspray soll zusammen mit AMICOGEN bald auf den Markt gehen. Aber auch neue Mittel gegen Akne und Behandlungsmöglichkeiten bei Entzündungen der Haut (atopische Dermatitis) nennt Greiffenclau.
„In den nächsten Jahren wird sich unser Verständnis über den Einfluss von Bakterien weiter verändern“, ist er überzeugt. Die Regensburger Forscher könnten hier einen wichtigen Beitrag leisten und die medizinische Versorgung teilweise neu gestalten.
ZARDOZ
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Kommentar gelöscht. Sie sind gesperrt. Viel Glück mit einem neuen Pseudonym.
Hannes Eberhardt
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Ein sehr interessanter Beitrag zu einem brisanten Thema, das uns noch lange beschäftigen wird. Würde mich nicht wundern, wenn bald noch weitere Medien über Herrn Dr. Bosch und sein Team berichten.
Nesrin
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60 Prozent aller Antibiotika weltweit werden in der Tiermast eingesetzt, darunter auch zahlreiche Reserveantibiotika – Präparate also, die eigentlich für multiresistente Erreger vorbehalten werden sollen. Behandelt werden alle Tiere präventiv, damit in den Riesenställen erst gar keine Infektion auftritt. Das führt dann dazu, dass diese Präparate irgendwann nichts mehr bringen wie oben geschildert. Dieser Irrsinn wurde letztes Jahr durch das EU Parlament erneut abgenickt, die Mehrheit der Abgeordneten findet diese Praxis offenbar ok. Mahlzeit!
Gscheidhaferl
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@Nesrin
…und wenn wir uns jetzt noch vor Augen halten, wie schmählich wir in der Coronapandemie beim Thema Infektionsschutz gescheitert sind… Ja, Corona war eine Vireninfektion. Da helfen Antibiotika eh nicht. Aber kommt Zeit, kommt auch früher oder später ein entsprechend agiles Bakterium.
Hthik
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@Gscheidhaferl 21. Juli 2022 um 10:39
@Nesrin 20. Juli 2022 um 18:54
Amen.
“Ich glaube, der Kern der Sache ist die Leichtsinnigkeit […] und die Unverantwortlichkeit, und vielleicht sollte ich auch sagen, die Dummheit, mit der wir mit […] unserer Naturwissenschaft und Technik überhaupt umgehen.” – Josef Weizenbaum
Charlotte
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Chapeau! Wahre Helden!