Regensburg erhält weitere Stolpersteine – und eine Stolperschwelle
Vor rund 13 Jahren wurde in Regensburg die Stolpersteininitiative des Evangelischen Bildungswerkes ins Leben gerufen. Diese macht es sich seitdem zur Aufgabe, das Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig Stück für Stück zu erweitern. Am Montag verlegte dieser im Gedenken an Opfer der NS-Euthanasie-Programme neun weitere Stolpersteine im Stadtgebiet sowie eine Stolperschwelle auf dem Gelände des Bezirksklinikums.
Über 200 sind es mittlerweile in Regensburg. Mehr als 75.000 sollen europaweit in den vergangenen Jahren verlegt worden sein. Mit seinem 1992 begonnenen Kunstprojekt der Stolpersteine leistet der Kölner Gunter Demnig einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur. In Handarbeit – laut Demnig als Gegensatz zur maschinellen Menschenvernichtung in den Konzentrationslagern – wird jeder einzelne Gedenkstein angefertigt und Name, Geburtsjahr, (falls bekannt) Deportationsdatum und Todesort in eine Messingplatte geschlagen.
Mit einer Stolperschwelle wurde am Montag nun auf dem Gelände der ehemaligen “Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll” und heutigem Bezirksklinikum eine weitere Gedenkstätte eingeweiht. Zuvor wurden im Stadtgebiet neun Stolpersteine für Opfer der NS-Krankenmorde (Aktion T4) verlegt.
Zu häufig habe man insbesondere in den Folgejahren des Zweiten Weltkrieges vergessen, sich der Grausamkeiten und der zahlreichen Opfer der NS-Zeit zu erinnern, sagt Bezirkstagspräsident Franz Löffler Montagmittag im Innenhof des ehemaligen Kloster Karthaus-Prüll stehend. Soeben verlegt der Künstler Gunter Demnig mit sachtem Klopfen die Stolperschwelle im Boden, positioniert Pfalstersteine um sie herum und füllt schließlich die Fugen mit Mörtel.
Mindestens 1.600 Tote in Karthaus-Prüll
Bereits 2016 wurde vor dem Eingang der Kirche St. Vitus eine Gedenkstätte installiert. Die Stolperschwelle, nur wenige Meter davon entfernt, solle nun eine symbolische Verbindung zwischen Karthaus-Prüll und den Stolpersteinen im gesamten Stadtgebiet darstellen. Viele davon erinnern an ehemalige Insassen der früheren Kreisirrenanstalt und Opfer der Euthanasie-Morde.
Während der Jahre 1933 bis 1945 fungierte das bis zur Säkularisation als Kloster genutzte Karthaus-Prüll als wichtige Einrichtung zur Verwahrung und Vernichtung von aus Sicht der Nazis „lebensunwertem“ Leben. Von 1940 bis 1945 starben unter dem Direktor Paul Reiß mindestens 1.600 Patienten der Heil- und Pflegeanstalt.
Mahnung und Auftrag zugleich
Ein Großteil wurde im Rahmen der T4-Aktion in die österreichische Tötungsanstalt Hartheim bei Linz deportiert und unmittelbar vergast. Erst in den 1980er Jahren waren es in Regensburg zunächst Hans Simon-Pelanda und schließlich der ehemalige Arzt Clemens Cording, die die Historie des heutigen Bezirksklinikums erforschten und öffentlich machten.
Neben Simon-Pelanda nehmen unter anderem auch Carsten Lenk vom Evangelischen Bildungswerk, Landrätin Tanja Schweiger und Raphael Birnstiel von der städtischen Stabsstelle für Erinnerungskultur an der Verlegung der Schwelle teil. Dabei gehe es laut Bezirkstagspräsidenten Löffler nicht nur um die Erinnerung an die Opfer der sogenannten Euthanasie. „Es hat auch Widerstand gegeben. So viel, dass es letztlich sogar den Nazi-Schergen mulmig wurde.“
Auch an diesen Widerstand müsse stets erinnert werden. „Das Nicht-Vergessen muss unseren Alltag berühren, unseren Umgang mit Mitmenschen und hier speziell unsere tägliche Arbeit mit psychisch kranken Menschen“, betont Löffler gegen Ende seiner Rede.
AblativusAbsolutus
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Grundsätzlich eine begrüßenswerte Sache, mir ist vorgestern einer der neuen Stolpersteine direkt vorm Dao Deli in der Wollwirkergasse aufgefallen. Das Problem dabei ist aber: Die meisten Menschen, die den Text auf dem Stolperstein lesen, dürften mit dem Kürzel “T4” nichts anfangen können. Man würde den meisten – vor allem jüngeren Lesern – das Verständnis erleichtern, wenn hinter T4 eine kurze Erklärung wie “Euthanasie-Morde der Nazis” o.ä. gestanden wäre. Ich habe in den wenigen Minuten, in denen ich vor dem Dao Deli auf mein Essen gewartet habe, jedenfalls viele Kinder/Jugendliche beobachtet, denen der neue Stolperstein – auch wegen der darum platzierten Blumen – aufgefallen ist und die den Text gelesen haben, die dann aber mit erkennbar ratlosem Gesichtsausdruck weitergegangen sind.
R.G.
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@AblativusAbsolutus
Euthanasie ist für Kinder, so wie Trannosaurus Rex, bloß ein spannendes Wort. Ohne Erklärung sind sie ratlos.
Welche Kind- oder Jugendgerechten und gleichzeitig verständlichen Worte kann man verwenden?
Wir kamen mit dem Bus nach Hartheim.
Mein erwachsener Begleiter zeigte auf die schöne Zufahrtsstraße zum Schloss: “Da sind sie mit Bussen voller Menschen wie die Regina es ist bis zum Schloss gefahren, nachher hat es beim Rauchfang rausgeraucht und es ist nie mehr wer von denen gesehen worden, drinnen nicht und draußen nicht”.
Danach fragte er beim Fleischer nach: “Habt ihr so getan, als wüsstet ihr nichts oder habt ihr es gewusst?
Der Mann antwortete: “Wir hatten Angst, dass wir selbst durch den Rauchfang müssen, wenn wir was wissen!”.
Welche Worte würden Sie wählen?
Jakob Friedl
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Ein anderer Kontext, meiner Meinung nach jedoch trotzdem interessant:
S T O L P E R S C H W E L L E für die Stromversorgung des Asyl Protestcamps als Extention des Dani Karavan Kunstwerks 2012: http://europabrunnendeckel.de/download/schwelle/02.jpg
Das Rohrgestänge des alten Dachauplatzbrunnens erinnerten meinem Empfinden nach auch an die Vergasungsanlage in Hartheim: http://europabrunnendeckel.de/?p=3028#dachauplatzbrunnen Am Dachauplatz fehlen leider immer noch Informationen zu seiner Rolle im Stadtgefüge während der NS Zeit. “Dachauplatz_ Erinnerung gestalten” ein im Rahmen verschiedener Kunstaktionen entstandener Kartentext liefert ein paar Anhaltspunkte: http://jakob-friedl.de/?p=5365 Die Busse mit Leuten, die von der Polizeizentrale am Minoritenweg aus in die KZs “eingewiesen” wurden, fuhren wohl auch am Dachauplatz los…
Leider habe ich es aus zeitlichen Gründen gestern nicht zu den Stolpersteinverlegungungen geschafft!
Henning Mueller
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@AblativusAbsolutus
Sie schreiben: “Die meisten Menschen, die den Text auf dem Stolperstein lesen, dürften mit dem Kürzel “T4” nichts anfangen können. Man würde den meisten – vor allem jüngeren Lesern – das Verständnis erleichtern, wenn hinter T4 eine kurze Erklärung wie “Euthanasie-Morde der Nazis” o.ä. gestanden wäre. ”
Es stimmt wohl, dass die meisten Menschen mit dem Begriff “Aktion T4” spontan nichts anfangen können. Anders als in meiner Generation muss man als Jugendlicher aber nicht extra in eine Bibliothek gehen, sondern braucht nur in die Tasche zu greifen, “Aktion T4” einzutippen und erfährt dann weit weit mehr als jemals in den Stolperstein eingraviert sein könnte. Deshalb finde ich es sogar richtig, dass nicht eine ohnehin nur sehr verkürzte Erläuterung auf dem Stein ist (auch das Wort “Euthanasie” müssten ja viele Jugendliche erst nachlesen) , sondern ein Interesse weckendes Stichwort.
osuh
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wieviele steuermillionen hat Gunter Demnig schon an den stoplersteinen verdient?
xy
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@Henning Mueller, Sie schreiben: “Es stimmt wohl, dass die meisten Menschen mit dem Begriff “Aktion T4” spontan nichts anfangen können.”
Ist es wirklich so, dass die Schulen solche Grundbegriffe unserer deutschen Geschichte und Verantwortung nicht mehr unterrichten? Wenn ja, wäre das schlimm. Und dann müssten wir uns auch nicht wundern, dass heute wieder Pressesprecher bestimmter Parteien frisch von der Leber weg von “erschiessen und vergasen” reden. “Die Schule der Nation ist die Schule” hieß ist es einmal. Davon kann wohl heutzutage nicht mehr die Rede sein. Heute ist die Schule höchstens noch der Affenstall der Nation…
joey
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auf Anhieb findet man für Regensburg eine website eines Intiativkreises.
Lobenswert.
Ansonsten gibt es ja die Wikipedia.
Schlimm ist nur, daß es immer wieder Leute gibt, die das umdeuten oder leugnen. Da kann man Steine setzen wie man will. Neulich hat das jemand (ca. 30 Jahre alt, deutscher Vertriebsleiter) mit den Bombardierungen aufgerechnet. Die völlige Leugnung durch Osteuropäer und “Moscheebesucher” bin ich ja schon fast gewohnt.
Piedro
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@osuh
Ihre hoch brisante Frage kann ich ihnen auf die zehnte Nachkommastelle beziffern: 0,nix.
Er ist bei der Stiftung zu einem Festgehalt angestellt, gefertigt werden die Steine von einem Bildhauer und seinen Mitarbeitern, und zwar von Hand, zu einem Stückpreis von 50 €uro. Tatsächlich werden diese Steine sogar versteuert, um den Steuersatz gab es einen Streit mit dem Finanzamt. Ich hoffe, nehme aber nicht an, dass Ihnen diese blöde Frage peinlich ist.
Hthik
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@Piedro 30. September 2020 um 14:34
“Er ist bei der Stiftung zu einem Festgehalt angestellt, …”
Dann ist eben das die “wahre” Motivation.
Dass jemand aus den idealistischen Motiven handelt, ist für manche Leute undenkbar https://www.bbc.com/news/world-us-canada-53979819 https://uebermedien.de/38908/faz-innenpolitikchef-zerstoert-sich-im-kampf-gegen-rezo/ Arbeitslos zu sein, wird auch nicht helfen, denn dann will man dem Staat auf der Tasche liegen und wer im Wald von Beeren und Samen lebt bestiehlt den Waldbesitzer.
Hthik
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Danke, dass das Wort “Euthanasie” immer relativiert und näher bezeichnet wird.
“Was hat das Recht auf einen selbstbestimmten Tod mit der Vernichtung von “lebensunwertem” Leben zu tun? Erst mal gar nichts. Also musste ein Zusammenhang konstruiert werden, damit die Produktionsfirma Tobis den Auftraggebern aus der Kanzlei des Führers liefern konnte, was sie bestellt hatten: einen Film, der Reklame für §1 und §2 des geplanten “Sterbehilfegesetzes” macht.”
https://www.heise.de/tp/features/Es-wird-ein-Signal-ein-Weckruf-sein-3503396.html?seite=all
Die Analyse, der Umsetzung der Theorie des körperbehinderten Propagandaminsters, effektive Propaganda müsse unterschwellig sein, ist lesenswert. Wo er Recht hat, hat er Recht. Die menschliche Natur unterstützt dass, da angestrengtes Denken, das möglicherweise sogar noch zu unerwünschten Erkenntnissen führen kann, unangenehm ist und einer emotionalen Rechtfertigung, dass alles eigentlich doch gut ist, gerne weicht.
Die NS-Verwendung des Begriffs rechtfertigt nicht die Angriffe auf die Selbstbestimmung durch klandestine Methoden zum Unterlaufen des Rechtsstaats
https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/streit-um-sterbehilfe-urteil-wie-der-staat-mit-medien-meinung-macht/21194526.html