La Traviata, die große Oper von Guiseppe Verdi, stellt die Doppelzüngigkeit der männlich dominierten Gesellschaft im 19. Jahrhundert aus. „Die vom Wege Abgekommene“ ist nämlich eigentlich keine: Mätresse ist damals in der Tat eine der wenigen – wenn auch nur halbwegs geduldeten – Möglichkeiten für Frauen, dem Fluch einer reichen Heirat oder der sonst zwingend folgenden Armut zu entkommen. Wenn schon ökonomische Abhängigkeiten, so die Logik von La Traviata, dann doch bitte mild gedämpft durch rauschende Partys der Pariser Elite und ordentlich viel zu trinken. Der Preis, der dafür zu zahlen ist, ist selbstverständlich alles andere als gering: Gefühle haben in dem Leben einer käuflichen Dame nichts zu suchen.
Natürlich besinnen sich die Herrschaften kurz vor dem Tode Violettas noch eben rasch auf ihre gute Erziehung und eilen an das Krankenbett. Violetta kann Alfredo noch selbstlos an die nächste Braut empfehlen, bevor sie – endlich und verdient – sterben darf. Denn erst im Tod, das macht das letzte kraftvolle Bild in dieser Inszenierung klar, ist Violetta wirklich frei: Hier gibt es keine Abhängigkeiten, kein Geld und keine sozialen Doppeldeutigkeiten.
Während die Männer sich jammernd auf ihre sterblichen Überreste werfen und beteuern, wie sehr sie sie dann doch lieben und brauchen, steht sie auf und geht davon – alleine, ohne Bedauern und ohne sich noch einmal nach den Menschen umzudrehen, die ihr das Leben zur Hölle gemacht haben. Sie braucht sie jetzt nicht mehr.