Prozess vertagt – aus Mangel an Zeugen
Widerstand gegen einen Polizeibeamten, Beleidigung sowie gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung und versuchter Nötigung. Seit Montag muss sich ein 21-jähriger Schüler vor dem Jugendschöffengericht Regensburg unter Vorsitz von Richterin Cornelia Braun für diese Taten verantworten. Da jedoch mehrere Zeugen nicht erschienen sind und Freunde des Angeklagten ihren früheren Aussagen deutlich widersprechen, vertagt sich das Gericht nach vierstündiger Sitzung.
Den Kopf in den Händen vergraben und die Ohren mit den Fingern zuhaltend sitzt der 21-jährige Zakir A. (Name geändert) neben seinem Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Jan Bockemühl. Soeben verliest Staatsanwalt Denis Biermann aus der Anklageschrift einen Chatverlauf zwischen dem syrischen Flüchtling und einer Freundin. „Halt´s Maul, Du verfluchte Scheiße, halt dein verfluchtes Maul, weißt du was, fick dich. […] Ich fick Dich, Russland und Putin. […] Wenn ich dich sehe, dann sehen wir was kommt.“ Als Spaß und ganz normal sei dies zu bewerten, erklärt am Montag der Zeuge Bassam Z. „Die beiden beleidigen sich ständig“, so der Freund des Angeklagten.
Die ausführlichen Beleidigungen, die kaum etwas auslassen, sind allerdings nur ein kleiner Teil dessen, was am Montag Gegenstand der Verhandlung ist. Am 20. Dezember 2018 wollte der damals 19-jährige Zakir A. laut Anklageschrift mit seinem Welpen am Regensburger Hauptbahnhof in einen Zug der Oberpfalzbahn einsteigen. Da er seinem Hund entgegen der geltenden Bestimmungen keinen Maulkorb angelegt hatte, sprach ihn eine Zugbegleiterin an. „Ich lasse mir von einer Frau nichts sagen“, soll der Angeklagte entgegnet haben und in den Zug eingestiegen sein.
Polizeioberkommissar Manfred K. befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einem Abteil. Da er nach Dienstschluss auf dem Nachhauseweg war trug er Uniform und Dienstwaffe, war somit als Polizeibeamter klar erkennbar. „Ich habe bereits von draußen Geschrei gehört“, so K. Im Zeugenstand. Er sei dann zum Eingang und habe den Angeklagten angesprochen – zunächst ohne Reaktion. Nach erneuter Aufforderung, den Zug zu verlassen und dem Hund einen Maulkorb anzulegen, habe der Beschuldigte dem Beamten dann gedroht: „Komm, gehen wir raus, wenn du Eier hast.“ Er habe sich laut Manfred K. dann „irgendwo an den Stangen des Zugabteils festgehalten und mit dem Fuß nach mir getreten“. Da beide Männer weit genug auseinander standen, verfehlte der Tritt sein Ziel. Die Absicht sei aber klar erkennbar gewesen, gibt Manfred K. am Montag vor Gericht an.
Angeklagter will sich vorerst nicht äußern
Schließlich sei der Mann aus dem Zug aussgestiegen und habe sich mit seinem Hund in Richtung Bahnhofsgebäude entfernt. „Ich hatte meine Tasche ja im Zugabteil. Deshalb konnte ich nicht hinterher laufen“, erklärt der Beamte. Er habe dann lediglich noch eine Streife der Bahnhofspolizei informieren können, die kurz nach dem Vorfall am Bahngleis vorbeikam. Erst am nächsten Tag konnte der Angeklagte Zakir A. festgenommen werden, als er erneut versuchte ohne Maulkorb in einen Zug zu steigen. Erneut war die Zugbegleiterin vom Vortag vor Ort und erkannte den heute Angeklagten wieder.
Wie Verteidiger Dr. Jan Bockemühl bereits nach der Verlesung der Anklageschrift im Namen seines Mandanten erklärt, werde sich dieser zu den Vorfällen im Dezember 2018 und auch zu weiteren Ereignissen, deretwegen er auf der Anklagebank sitzt, vorerst nicht äußern. Zakir A. verfolgt die Verhandlung wortlos, blickt nur gelegentlich auf und fragt manchmal bei der Dolmetscherin nach, was gerade gesagt wurde. Hin und wieder kommentiert er Aussagen mit einem Grinsen.So auch, als es um den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung am 8. Januar dieses Jahres geht.
Mehrere Auseinandersetzungen am Bahnhof
Mit einem scharfen Gegenstand – im Verlauf der Verhandlung wird mehrmals über eine Nagelschere oder einen Nagelknipser spekuliert – soll Zakir A. am Abend des 8. Januar den Geschädigten Yussuf D. (Name geändert) in die linke Schulter gestochen haben. Zuvor standen die beiden Männer zusammen mit der Freundin des Angeklagten, Sarah L. (Name geändert), und weiteren Personen am Gleis 1 des Regensburger Hauptbahnhofs.
Aus einem Rucksack wurde im weiteren Verlauf Sarah L.s Geldbörse entwendet. Darin enthalten waren 1.000 Euro in bar. Das Geld habe sie zuvor abgehoben, um damit Schulden bei ihrem Vater zu begleichen, gibt L. vor Gericht an. „Wir haben die Leute am Gleis gefragt, ob irgendwer etwas gesehen hat.“ Dann sei ihr ein Mann, Roland M., aufgefallen, der zuvor in der Nähe der Gruppe gestanden sei. Der Angeklagte habe diesen schließlich angesprochen und aufgefordert, seinen Rucksack zu öffnen. Der Mann habe dies laut L. auch ohne zu zögern gemacht. Die Geldbörse sei dabei nicht aufgetaucht. Dass der Angeklagte Roland M. ins Gesicht geschlagen haben soll, so lautet die Anklage, habe sie nicht mitbekommen.
In der Folge sei es dann zwischen dem Angeklagten und seinem Freund Yussuf D. (Name geändert) zu einer Auseinandersetzung gekommen. „Er hatte gesagt, er hat kein Geld. Aber dann hat er sich plötzlich etwas bei Burger King geholt und Zigaretten gekauft“, erzählt L. Den Anlass des Streits. Außer der lautstarken Auseinandersetzung habe sie auch hier nichts gesehen. Warum Yussuf D. plötzlich an der linken Schulter geblutet habe, das wisse sie ebenfalls nicht. „Ich bin mit meinem Freund zusammen. Da interessiert mich so etwas nicht.“
Widersprüchliche Aussagen und sprachliche Barrieren
Eine Aussage, die auch die Richterin aufhorchen lässt. „Es ist der falsche Gefallen, wenn Sie nun jetzt nicht die Wahrheit sagen“, weist sie die Zeugin mehrfach auf die Wahrheitspflicht hin. Die bekräftigt jedoch, dass sie nichts weiter zu sagen habe.
Auch die beiden anderen Zeugen, die an jenem Tag dabei waren, sorgen für reichlich Unmut – dieses Mal bei Staatsanwalt und Verteidiger. Bassam Z. und Hasim C. (Namen geändert) widersprechen während der Vernehmung ihren Aussagen, die sie damals gegenüber der Polizei getätigt hatten deutlich. Die Polizei habe ihn einfach falsch verstanden gibt Bassam Z. an. Schließlich sei während seiner Vernehmung kein Dolmetscher vor Ort gewesen. Während der Verhandlung versucht der gebürtige Syrer, sich mit Hilfe der anwesenden Dolmetscherin auf deutsch und arabisch mitzuteilen, was zum Teil für Verständnisschwierigkeiten statt für Erhellung sorgt.
Klar wird aber: Bassam Z. zeichnet ein völlig anderes Bild der Situation vom 8. Januar 2020 als das Polizeiprotokoll. Ähnlich verhält es sich mit der Aussage von Hasim C. Die Zeugen widersprechen sich zudem auch noch gegenseitig. So sei der Angeklagte laut Hasim C. von Roland M. attackiert worden. Bassam Z. bringt in seiner Erzählung irgendwann einen unbekannten Kurden ins Spiel, über dessen Rolle jedoch keine Klarheit entsteht.
Haft, Kater und weitere Gründe, nicht vor Gericht zu erscheien
Erschwert wird die Beweisaufnahme auch durch das Fehlen mehrerer eigentlich geladener Zeugen und des Geschädigten, Roland M. Dieser und eine weitere Zeugin sitzen derzeit selbst in Haft. Erst am Ende des Verhandlungstages fällt dies dem Staatsanwalt auf. Nun soll alles Notwendige in die Wege geleitet werden, um Roland M. beim nächsten Mal vernehmen zu können.
Eine Freundin des Angeklagten war laut Aussage von Bassam Z. am Abend zuvor „feiern“ und müsse sich wohl noch auskurieren. Gegen sie und eine weitere unentschuldigt fehlende Zeugin verhängt Richterin Braun am Ende der Sitzung ein Ordnungsgeld. „Vielleicht regt das ja etwas dazu an, das nächste Mal zu erscheinen“, sagt die Vorsitzende etwas zweifelnd und meint: „Zeugenmangel ist heute unser größtes Problem.“
Ursprünglich war lediglich ein Verhandlungstag angesetzt. Doch aufgrund der fehlenden Zeugen und der widersprüchlichen Aussagen unterbricht die Richterin nach rund vier Stunden den Prozess. Er wird am 25. September fortgesetzt.
hans dampf
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Wichtige Stützen unserer Gesellschaft… friara hat ma gsagt a Gschwerl (und des is wurst wo s her war). Eine Sauerei hoch 5.
highwayfloh
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@hand dampf: egal wie man über die Beteiligten des Prozeßes persönlich denken mag:
wir können froh sein, einen echten Rechtsstaat zu haben und in einem solchem leben zu können und zu dürfen, auch wenn dieser Rechtsstaat zuweilen Schwächen hat.
Die Alternative wäre nämlich: Stand- und Willkürjustitz und entsprechende (Schnell-)Gerichte. Wollen Sie das wirklich? Ich hoffe nicht!
Hthik
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@highwayfloh 15. September 2020 um 18:40
“… einen echten Rechtsstaat zu haben und in einem solchem leben zu können und zu dürfen, auch wenn dieser Rechtsstaat zuweilen Schwächen hat.”
Ein echter Rechtsstaat sollte schon auch echt funktionieren. In echt jetzt, nicht in Luft. Wenn die Kompetenz zu stark schwächelt, dann nutzt auch ein irgendwie diffus guter Wille kaum mehr was: “Erst am Ende des Verhandlungstages fällt dies dem Staatsanwalt auf.” Glücklicherweise ist es ja “nur” ein weiterer Termin, den das kostet.
Joachim Datko
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Zu hans dampf 17:15 Zitat: “Wichtige Stützen unserer Gesellschaft… friara hat ma gsagt a Gschwerl (und des is wurst wo s her war).”
Da erwartet uns in Zukunft noch einiges an Gefahren und an unnötigem Aufwand. Wann bekommen wir endlich die Festung Europa?
Obgleich ich auch wegen der Videoanlagen in Bahnhöfen und auf öffentlichen Plätzen Bedenken habe, bin ich für mehr Überwachung, um die Kriminalität einzuschränken.
Joachim Datko – Ingenieur, Physiker
Mr. T.
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Die Mauer um die “Festung Europa” sollte man erst ziehen, wenn man die 10% Faschisten und 25% Rechtsoffenen draußen hat. Vorher wird’s nicht besser.
Hthik
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@Joachim Datko 16. September 2020
Hat uns dieser Aigner wiedermal verschwiegen, dass das ein fußballspielender, minstrierender Senegalese ist?
highwayfloh
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@Hthik ,15. September 2020 um 20:02 :
Ihre Auffassung kann ich nicht teilen, da bei diesem Vorgang der Rechtsstaat nicht geschädigt und beschädigt wurde. Es ist ja noch zu keinem Urteil / Fehlurteil gekommen. So etwas wäre fatal.
Ich kann aber Ihre Aussage nachvollziehen, dass es durchaus ärgerlich ist, wenn aufgrund justitzinterner Fehler Mehrkosten entstehen. Wo Menschen arbeiten passieren auch mal Fehler und solange es in diesem Rahmen ist, noch dazu korrigierbar, ist es nach meinem dafürhalten schon hinnehmbar, wenn auch mit Zähneknirschen.
Viel schlimmer wäre es doch, wenn egal welche Beweislage vorliegt oder Zeugenaussagen zu erörtern sind, ein Standgericht rein nach Gusto ein Urteil fällen würde, was offenbar der Wunsch des Erstkommentators ist, wenn man zwischen den Zeilen liest und auch der Wunsch eines gewissen Dipl.Ing.
Hthik
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@highwayfloh 16. September 2020 um 17:02
Man nennt das https://de.wikipedia.org/wiki/Incident_Management Auch ein Fehler der nicht zu Problemen führt ist ein zu beseitigender Fehler, denn wir wissen nicht, was dem Staatsanwalt als nächstes zu spät auffällt.
“Bezüglich des Jahres 2001 ließ das Gericht die Anklage allerdings nicht zur Hauptverhandlung zu, weil die Tat verjährt war und die Verjährung nicht rechtzeitig unterbrochen wurde (ein Ermittlungsrichter hatte Beschlüsse 12 Stunden zu spät ausgefertigt).” https://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Zumwinkel
Hthik
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@highwayfloh 16. September 2020 um 17:02
“Wo Menschen arbeiten passieren auch mal Fehler …”
Ich glaube, ich schaffe es diesmal ohne Anglizismen. Die menschlichen Fehler räumt die Justiz ja ein. Immer dann, wenn es als Entschuldigung gebraucht wird. Aber das Menschen Fehler machen, wusste man schon vorher. Das konnte daher berücksichtigt werden.
“No institution can possibly survive if it needs geniuses or supermen to manage it. It must be organized in such a way as to be able to get along under a leadership composed of average human beings.” – Peter F. Drucker*
Es ist ein menschlicher Fehler, dass mit “Es ist ein menschlicher Fehler” die Diskussion für abgeschlossen erklärt wird. Warum hat das System den Fehler nicht verhindert? Wie müsste es beschaffen sein, um solche Fehler zu verhindern?
*Ich bin mir nicht absolut sicher, ob das Zitat authentisch ist, aber es geht mir um den Inhalt und der ist zumindest plausibel.