20 Nov2009
Polizisten, Daten und seltene Tiere
Als Thomas Reitemeyer vor zwei Jahren in aller Herrgottsfrühe seine Wohnungstüre öffnete, staunte er nicht schlecht: Draußen standen mehrere Polizeibeamte, hielten ihm einen richterlichen Beschluss unter die Nase und machten sich daran, seine Wohnung zu durchsuchen. Als er – Monate später – zum inzwischen vierten Mal aufgefordert wurde, auf ein Stück Lackmuspapier zu urinieren, wunderte er sich schon nicht mehr. Die Polizei war nämlich der Meinung, dass Reitemeyer ein Drogenproblem hat. Die Anhaltspunkte: Die Aussage eines Gewalttäters, der neben Reitemeyer diverse Personen (erfolglos) des Drogenmissbrauchs bezichtigt hatte, um selbst einer Gefängnisstrafe zu entgehen.
Und zwei Aga-Kröten.
Diese in Südamerika beheimateten Amphibien sind in Deutschland legal, sondern aber ein LSD-ähnliches Sekret ab, das man rauchen oder ablecken könnte.
Aber wer leckt schon Kröten ab.
Vorsichtshalber wurden die beiden „Drogenlieferanten” von der Polizei vorübergehend in Gewahrsam genommen. Blutegel, Fauchschaben, Katzen und Taranteln, die sich ebenfalls in Reitemeyers Besitz befinden, blieben hingegen auf freiem Fuß.
Ein mehr als fragwürdiger Zeuge und Kröten also: Das genügte, um die Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung außer Kraft zu setzen und die weitere Maschinerie von Polizei und Staatsanwaltschaft in Gang zu setzen. Dabei kam nichts heraus. Das Verfahren wurde kurz darauf eingestellt. Das Bayerische Verwaltungsgericht stellte später fest, dass es keinen „auch nur einigermaßen realen Restverdacht” gegen Reitemeyer gibt. Bis es so weit war, musste Reitemeyer eine Polizeikontrolle nach der anderen über sich ergehen lassen. Seine Daten waren im Polizeicomputer. Ein eingestelltes Verfahren wegen Drogen machte ihn zum Dauerverdächtigen. Wo seine Daten überall gespeichert sind, wer darauf Zugriff hat und was genau mit diesen Daten passiert ist, weiß er bis heute nicht.
Dabei hat sich der 34jährige nie etwas zuschulden kommen lassen. Er geht einer geregelten Arbeit nach und zahlt brav seine Miete und Steuern. Keine Vorstrafe, kein Eintrag in irgendwelchen Registern. Ein braver Staatsbürger also. Trotzdem geriet dem Kurierfahrer Reitemeyer so manche Fahrt zum behördlichen Albtraum: Die regelmäßigen Polizeikontrollen wurden flankiert durch diverse (durchweg negative) Drogentests, bei denen Reitemeyer nachts am Straßenrand „im Beisein von Polizeibeamten in entwürdigender Weise auf einen Teststreifen urinieren” musste, konstatiert das Verwaltungsgericht Regensburg.
Dort, beim Verwaltungsgericht, hatte Reitemeyer nach eineinhalb Jahren Stress geklagt und bekam vergangenen Februar in allen Punkten recht. Das Bayerische Landeskriminalamt wurde verurteilt, sämtliche über Reitemeyer gespeicherten Daten zu löschen. Damit ließ sich die Behörde aber Zeit. Es brauchte zwei Aufforderung durch seinen Rechtsanwalt Robert Hankowetz, bis sich das LKA schließlich – vier Monate später – zu einem lapidaren Zweizeiler herabließ, wo ihm mitgeteilt wurde, dass die Daten gelöscht worden seien.
Welcher Beamte die Löschung vorgenommen hatte, welche Daten wo gespeichert wurden und nun gelöscht sein sollen, erfuhr Reitemeyer nicht. „Nach all den Erfahrungen will ich aber einen 100prozentigen Nachweis dafür, dass in keiner Datenbank der Polizei mehr Informationen über mich gespeichert sind.” Doch das LKA weigert sich, weitere Informationen herauszugeben; ein Löschprotokoll, wie es in anderen Bundesländern etwa die Teilnehmer freiwilliger Massengentests erhalten, gebe es nicht, argumentiert die Polizeibehörde. Die Daten seien „nicht mehr recherchierbar”.
Für Rechtsanwalt Robert Hankowetz ist diese Behauptung „schlicht und ergreifend unwahr”. Seine Vermutung: „Die wissen gar nicht, wohin die Daten überall verteilt und gespeichert wurden. Deshalb gibt es auch kein Löschprotokoll.” LKA, BKA, die Polizeiinspektionen und die neu geschaffene Bundespolizei – irgendwie scheint jeder Zugriff auf die Daten zu haben. Wie damit umgegangen wird und wie die Rechtsgrundlagen aussehen ist seit der Ära Wolfgang Schäuble „sehr, sehr nebulös”, konstatiert Hankowetz.
Gemeinsam mit Rechtsanwalt Hankowetz will Reitemeyer nun vom Verwaltungsgericht überprüfen lassen, wie weit es mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber der Exekutive bestellt ist, vulgo: Hat Reitemeyer Anspruch auf eine umfassende Auskunft zu den über ihn gespeicherten und nun angeblich gelöschten Daten? „Eigentlich wäre hier das Bundesverfassungsgericht gefragt”, so Hankowetz. Das Regensburger Verwaltungsgericht will sich mit der Sache offenbar nicht beschäftigen: Ein Antrag von Reitemeyer auf Prozesskostenhilfe wurde abgelehnt. „Mangels Erfolgsaussichten”. Derzeit läuft die Beschwerde. Wie lange es bis zu einer Entscheidung dauert, steht in den Sternen.
Und die Kröten quaken.
vergehensbegeher
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Wieso gibt es eigentlich diesen Pinkeltest? Relevant ist sowas doch nur im Straßenverkehr, da man ja unter Drogeneinfluß nach aktueller Gesetzeslage grundsätzlich nicht fahrtauglich ist soweit ich weiß – was aber andererseits auch Käse ist, da solche Tests ja nicht unterscheiden können zwischen z.b. irgendwann in den letzten 6 konsumiert oder gerade in diesem Augenblick unter Einfluss.
Ansonsten frage ich mich was es sonst noch für eine gesetzliche Grundlage für so einen Test geben könnte – Konsum wäre ja an sich nicht strafbar und was anderes lässt sich durch so einen Test ja wohl nicht feststellen.
Tweets die Regensburg Digital » Polizisten, Daten und seltene Tiere erwähnt -- Topsy.com
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[…] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Stefan Aigner und Moh Fleissig, CONTRACOMA erwähnt. CONTRACOMA sagte: Polizisten, Daten und seltene Tiere: Als Thomas Reitemeyer vor zwei Jahren in aller Herrgottsfrühe seine Wohnun.. http://tinyurl.com/yhvfvtg […]
Jens Müller
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Nunja. Das VG Regensburg ist ja nicht gerade für korrekte Entscheidungen bekannt, siehe Radwegfall. Insofern sind die Erfolgsaussichten in der 1. Instanz vermutlich tatsächlich nicht gegeben.
Querleser
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Heute berichtet die SZ über den Fall (leider nix online).
“Gefangen im Restverdacht” Jetzt wollen die Landtagsgrünen der Sache nachgehen.
eduard buchinger
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an @all :-(
EILT!, an @Manfred Veits!
Leute denkt an Euere “Krimminalakten” bei der
Polizei, die meisten wissen von der blosen Existenz einer solchen (Akte – Dossier) bei unseren Freunden und Helfern, nichts!! ;-)
Wenn ihr Euch schlau machen wollt, könnt Ihr
jenes, über das jeweilige zuständige Polizeipräsidium machen!
Einsicht und Löschung können beim Präsidenten,
hier: Herr Rudolf Kraus beantragt werden!
Bei Ungereimtheiten empfehle ich, den Landesbeauftragten für Datenschutz in München,
“einzuschalten!”…
Verehrter Herr Veits, welche Tips, auch gegen
etwaigem Mißbrauch hinsichtlich der wohl hunderttausenden von sogen. KRIMMINALAKTEN, im
christlichen Bayern, können Sie uns hier noch geben!
Bestte Grüße, auch an unsere Freunde und Helfer! ;-)