Pfingst Open Air – So war’s
Matschig ging das 34. Pfingst Open Air zu Ende. Wie es davor war, hat heartcooksbrain – wie immer höchst subjektiv – in Bild und Schrift zusammengefasst.
Bestes Wetter war dem Pfingst Open Air 2015 in Salching nicht vergönnt. Beste Musik auch nicht unbedingt. Aber, um das sogleich zu relativieren: So schlecht war beides auch wieder nicht. Der Regen im Vorfeld ließ zwar den Boden weich und matschig werden, was sich gerade in stark frequentierten Bereichen als Balancetest erweisen konnte; andererseits blieb ein Starkregen aus und lediglich Samstagnacht hat es sich etwas lästiger abgeregnet. Dass dies allerdings schon reicht, um das Festivalgelände unter dem Gestampfe von 8.000 Leuten – trotz stellenweise ausgestreuten Hackschnitzeln – in ein Schlachtfeld zu verwandeln, ist eigentlich auch keine Neuigkeit. „Pure Verwüstung“ titelt etwa idowa und klingt dabei einigermaßen überrascht. In der Tat mag man sich unmittelbar danach kaum vorstellen wie sich insbesondere die Park- und Campingplätze jemals wieder erholen werden. Aber sie werden es. Das POA 2016 ist natürlich bereits in Planung.
Doch kommen wir zurück zu diesem Jahr und lassen für ein paar Sätze die Wetterexpertise beiseite. Über 100 Acts auf 7 Bühnen hat das Pfingst Open Air in seiner vierten Auflage in Salching zu bieten. Stilistisch, wie immer, eine wilde Mixtur. Mit den Ausnahmen Skateopia, Elektrogelände und Spielwiese ist dabei nicht klar, ob die Bühnen und das Line-Up irgendeinem roten Faden folgen. Viel wahrscheinlicher ist das Gegenteil der Fall. Gerade die Mainstage hat keine musikalische Linie und scheint ihr Programm völlig willkürlich bzw. lediglich nach der ominösen „Bekanntheit“ zusammenzuwürfeln. Dazu, dass Jennifer Rostock der Gipfel einer solchen Willkür sind, kommen wir später. Auch das erstmals als Zirkuszelt aufgebaute K-Zelt, ist nur am Samstag als Hip-Hop-Bühne erkennbar. Von allem überall ein bisschen etwas ist zwar leider eine gewöhnliche, jedoch keine mutige, profilierte, stimmige oder – falls man es gehobener ausdrücken möchte – sinnvoll kuratierte Programmzusammenstellung. Und wenn man sich schon für eine immer breitere musikalische Mischung entscheidet, sollte der Hip-Hop-Anteil vielleicht nicht derart überrepräsentiert sein.
Vortrefflich organisiertes Festival
Neben kleinen Unannehmlichkeiten, wie etwa der dürftigen Ausschilderung, ist das POA allerdings vortrefflich organisiert. Zusätzliche, weit auseinander liegende Kassenhäuschen entzerren die Warteschlagen und verkürzen das Warten, die jeweiligen „Stationen“ (Bierstand, Cocktailbar, Infostand etc. und die einzelnen Bühnen) organisieren sich im einzigartigen POA-Charme selbst und das reichhaltige, wenngleich im Vergleich zum Vorjahr weniger vielfältige Verpflegungsangebot kommt meist ohne Wartezeiten und mit einigermaßen moderaten Preisen aus. Das sind hervorragende Bedingungen und dürfen reichlich Lob einheimsen.
Doch nun konkret zur Musik. Nachträglich könnte man sagen, der Freitag war so etwas wie der „Altes-Neu-Aufgewärmt-Tag”. Karate Andi etwa, der ultra-ironisch einen auf Proll macht, trällert derart langweilige Rapmusik mit möglichst häufiger Schlagzahl der Worte „Fotze“, „ficken“, „Junkie“ und „Hurensohn“ von der Bühne, dass man sich ernsthaft fragt, wen das eigentlich noch hinter’m Ofen hervorlockt. Gab es das nicht alles schon bis zum Erbrechen? Ist da nicht schon eigentlich alles gesagt? Wurde die anale Penetration mit der behaarten Mutter nicht schon häufig genug vollzogen? Offensichtlich nicht, POA und das überwiegend 15-Jährige Publikum kriegen einfach nicht genug davon.
Stilistisch ähnlich abgelutscht, aber doch um Längen interessanter: Wanda. Auch hier kreisen die feuchten Träume um tabuisierte sexuelle Verlangen, doch kann man bei all dem Wein- und Schnapskonsum sogar ein bisschen Nachsicht haben. Als frenetisch gefeierte Wiedergeburt des Austropop ziehen sie gerade ihre ranzigen Lederjacken durch alle möglichen Fernseh- und Radiostudios, sodass bloß zwei Worte genügen, um einen fiesen Ohrwurm zu setzen: „Amore“ und „Bologna“. Viel mehr muss man eigentlich gar nicht wissen, außer dass es Wanda freilich gelingt dem Pop eine Kerbe aufzureißen, die zwar nicht neu ist, die es aber schafft ein Stück Authentizität und Dreckigkeit in die Mainstream-Popmusikproduktion zu streuen. Zur Primetime auf einer Festival-Mainstage gibt man sich damit gerne zufrieden.
Irgendwie auch nicht wirklich neu
Für Genetikk, bei denen man unweigerlich an Biologie denken muss, gilt das nicht vorbehaltlos. Rapper mit Masken, deren Album auf Platz 1 der deutschen Charts einsteigt? Schon wieder. Das ist jetzt irgendwie auch nicht wirklich neu. Das Aufwärmen eines über 20 Jahre alten und deshalb nicht ganz peinlichen Songs der Toten Hosen ist allerdings gar nicht so übel. Welche besondere Strahlkraft Genetikk eigentlich auszeichnen soll, bleibt trotzdem eher ein Rätsel.
Ein Rätsel ebenfalls: GWLT auf der Skateopia-Bühne. Das Rätselhafte ist jedoch vielmehr woher die Münchner ihre ungeheure Energie nehmen. Ein rauer Hardcore mit einer sehr schmalen Grenze zum Hip-Hop, die jener regelmäßig überschreitet. Wie stilsicher und brillant sich Sänger David Mayonga in „beiden“ Genres bewegt, ist erstaunlich, zumal es ihm scheinbar mit Leichtigkeit gelingt das überwiegend hardcore-affine Publikum mitzunehmen.
Letzteres gelingt auch – und da sind wir schon am frühen Samstagnachmittag – Blackout Problems’ Mario Radetzky, der sich sogleich über den Bühnengraben ins Publikum stürzt. Bei so einem Festival wissen Blackout Problems aus ihren Songs im etwas seichten Fahrwasser von Fall Out Boy, My Chemical Romance oder (auch gerade der erstaunlichen stimmlichen Verwandtschaft wegen) 30 Seconds To Mars das beste zu machen, weil sie etwas haben, was ihnen auf Platte notorisch rausgebügelt wird: Power. Guter Auftritt.
Die Gefahr der Banalisierung
Was beim Pfingst Open Air nicht fehlen darf: Eine Audiolith-Band. Regelmäßig beschickt die Hamburger Elektropunk-Schmiede das Pfingst Open Air mit Acts, diesmal sind Neonschwarz dran. Für die Hip-Hop-Formation um Johnny Mauser, Captain Gips und Marie Curry kommt sogar vereinzelt die Sonne raus, allzu passend zu den eher lockeren Beats und der smoothen Stimme Currys. Mit den Songs meinen sie es jedoch ernst, ist schließlich ein jeder davon ein politisches Statement. Mitreißend ist das nicht immer (zu schwach sind auch einfach manche Tracks), die Botschaften bleiben aber hängen. Eine ganz besonders: Refugees Welcome. Dieser Slogan und das dazugehörige ikonische Symbol sind ohnehin omnipräsent auf dem Pfingst Open Air. Das liegt an dutzenden Shirts und Pullovern, Transparenten und Pappschildern, aber auch an der Losbude von The Prosecution, die zugunsten von PRO ASYL allerlei Sachen verlosen. Das alles ist im Grunde genommen eine hervorragende Sache, drohte die Omnipräsenz nicht zugleich die politische Brisanz des Themas zum bloßen Lifestyle-Trend zu entpolitisieren. Die Gefahr der Banalisierung ist in der bloßen Zurschaustellung und Wiederholung linker (ja ehemals subversiver) Symbolik angelegt.
Ein gutes Anschauungsbeispiel hierfür bieten Jennifer Rostock, der Samstagsheadliner. Eine Band, die sich allzu gerne mit der Coolness linker Codes und Antifa-Symbolik schmückt, sich aber dennoch ausschließlich über die Haut ihrer Sängerin definiert. Dass die Band diesen Weg wählt und ihre Relevanz nicht durch die durchweg belanglose Musik zu erreichen versucht, ist allzu verständlich. Wie sehr hier Schein und Sein auseinander klaffen, ist umso offenkundiger. Dass sich jeder zweite Youtube- und Facebook-Kommentar in Zusammenhang mit Jennifer Rostock mit dem Aussehen, der „Geilheit“ oder Sexualität der Sängerin befasst, scheint die Band eben nicht zu stören. Im Gegenteil: Sie weiß um diesen Verkaufsschlager und darum, dass jedes Instagramfoto von Jennifer Weists Bikinizone bares Geld ist. Nun geht es hier keineswegs um eine völlig unangebrachte Anmaßung Weist irgendwelche Ratschläge zu erteilen, was sie wie mit ihrem Körper anzustellen hat, sondern um die Feststellung, dass die Bedienung sexistischer Muster und Duldung ebensolcher Verhaltensweisen Jennifer Rostocks täglich Brot ist. Jennifer Rostock ist nicht die Band als die sie sich gerne selbst inszeniert. Für einzelne Bandmitglieder mag dieses Urteil möglicherweise nicht in gleicher Weise zutreffen, für die Gesamtheit ihrer Band allerdings schon. Sie sind eine Firma – eine obercoole Firma im Antifa-Look, versteht sich.
Weists Selbstdarstellungssucht? Asozial ist das
Live trotzen Jennifer Rostock ihrem dünnen Songmaterial zwar ein bisschen etwas ab, doch ist all dies eben nicht mehr als Begleitmusik für die ausladenden Tanzvorführungen der Sängerin. Ganz allgemein ist der Auftritt mehr Entertainment als Konzert, was sich beispielhaft in den Saufspielchen und Anzüglichkeiten Weists zeigt und in einer völlig absurden Situation ihren Höhepunkt findet. Weist bitte zwei junge (teils minderjährige) Frauen aus dem Publikum auf die Bühne, um gemeinsam mit ihr Der Kapitän zu singen. Als eine davon das vor Aufregung nicht besonders gut gelingen will, gipfelt Weists Selbstdarstellungssucht in der Demütigung der jungen Frau vor tausenden Augen. Alles nur Spaß? Nein, asozial ist das. Furchtbare Band. Das Gegenteil davon übrigens: KMPFSPRT. Gute Band. Die hatten zuvor auf der Skateopia-Bühne zwar sicherlich nicht das meiste Publikum, dafür aber die beste Show. Intensiv, authentisch, ein Hit gereiht an den nächsten. So läuft das. Ebenfalls sehenswert: Antilopen Gang, die sich mit den letzten Plattenerlösen im Auftrag von JKP wohl etwas auf dem Schrottplatz austoben durften, um ein „Schlagzeug“ sondergleichen zusammenzustellen (siehe Fotos).
Der Sonntag ist freilich der undankbarste Tag eines Festivals. Alles ist Matsch. Doch selbst hier gibt es Highlights. Tonbandgerät zum Beispiel, mit unprätentiös-zurückgelehntem Indierock zum Füße-in-die-Luft-Strecken oder Jesper Munk, der kontrastreich zu seinen noch jungen Jahren dem altehrwürdigen Blues einen zeitgemäßen Anstrich verpasst. Seiner herausragenden Stimme hat er das vemutlich am meisten zu verdanken. Stimmlich haben auch AnnenMayKantereit, die über den Status des Geheimtipps weit hinaus sind, zu bieten, viel mehr aber leider auch nicht. Zäh und träge ist die Show, so wirklich warm ums Herz will es nicht werden. Aber es ist ja auch alles Matsch am Sonntag, keine Sonne weit und breit.
Das Pfingst Open Air 2015 war gewiss kein großer Wurf, das Line-Up mit wenigen, dafür ziemlich guten Highlights, einigen Geheimtipps – die Bazzookas mit ihren Buskonzerten blieben noch unerwähnt, ebenso z. B. Nick & The Roundabouts, einigen Grottigkeiten, vor allem aber einer ansteckend guten Stimmung, die sich besonders auch in den „Nebenaktivitäten“ einfangen ließ. Der vortrefflich durchgeführte und moderierte Skate-Contest in der Miniramp etwa, der einen ausgesprochen unterhaltsamen Samstagnachmittag bereiten konnte. Ja, so lässt es sich aushalten. Dass die Wasserschlacht zwischen Bierstand und Cocktailbar ausblieb, ist allerdings unverzeihlich. Da besteht dringender Nachholbedarf. Nach einem insgesamt guten 2015, hoffen wir also einfach auf ein besseres 2016.
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