Seit 70 Jahren sorgt ein Vogel der besonderen Art für Schlagzeilen in Regensburg: Der steinerne Adler von der Nibelungenbrücke fliegt immer wieder durch den dürftigen Blätterwald der Domstadt. Nun wurde dem ehemaligen Wahrzeichen der Nibelungenbrücke ein literarisches Denkmal gesetzt: Der Regensburger Verlag Edition bunte Hunde das Buch „Adi Adler“ heraus. Das Werk wirft die immer noch offene Frage auf, was mit dem Adler von der Nibelungenbrücke geschehen soll. Nach wie vor steht der Granitvogel im städtischen Bauhof und harrt der Dinge die da kommen sollen. Der Autor von „Adi Adler“, Helmut Hoehn, erzählt die Parabel von diesem Regensburger Brückenadler. Mit bissigen und intelligenten Texten wird dabei verdeutlicht, wie schnell ein Naziadler in ein Symbol der bundesrepublikanischen Demokratie umgedeutet werden kann. Eigentlich müsste der Leser bei der Lektüre von „Adi Adler“ laut auflachen, wenn die ganze Angelegenheit nicht so traurig wäre.
1938: Ärger mit dem Brückenadler
Der Ärger mit dem Adler der Nibelungenbrücke begann früh. 1934 taucht im Haushalt der Stadt Regensburg ein Etatposten für diese Brücke auf. Als Baukosten wurden 5,05 Millionen Reichsmark eingeplant. Es war die Zeit der gigantischen Bauten in der nationalsozialistischen Diktatur. Diese Projekte sollten Arbeitsplätze schaffen, der Aufrüstung dienen und später von der Großartigkeit dieser Epoche zeugen. Der NSDAP-Oberbürgermeister Otto Schottenheim stritt mit der Reichswehr, später Wehrmacht, und dem Land über die Verteilung der Finanzierung des Donauübergangs. Im Sommer 1935 war das Finanzielle geklärt und am 21.12.1935 erfolgte der erste symbolische Spatenstich für die Nibelungenbrücke. Anwesend war der bayerische Innenminister Adolf Wagner. Um die Brücke im Ungeist der NS-Zeit zu schmücken, wurde dem Münchner Bildhauer Albert Allmann (1890-1979) der Auftrag gegeben, einen Hoheitsadler zu schaffen. Dieser Künstler war bis dato mit öffentlichen Denkmälern weniger in Erscheinung getreten, sondern schuf hauptsächlich Akte im art deco Stil.
Albert Allmann wollte den Adler aus Porphyr, einem sehr harten und dauerhaften Gestein, schaffen. Er bekam dieses Material nicht; nach über einem Jahr machte er sich dennoch an die Arbeit. Der Münchner Künstler meißelte den Adler aus Granit. Zwölf Tonnen wog das Monstrum. Zu einem Affront kam es als die „Adolf-Hitler-Brücke“, so der damalige Name der späteren Nibelungenbrücke, am 16. Juli 1938 eingeweiht wurde: Es fehlte der Adler. Auf einem Foto von diesem Festakt wurde dieser mehr schlecht als recht hineinretuschiert. Zu diesem Zeitpunkt existierte der Brückenadler nur als Gipsmodell in einem Münchner Atelier. Da half selbst das teuere Feuerwerk nichts. Der Brückenadler war noch nicht fertig. Tausende von Regensburgern wohnten der Brückeneinweihung bei. An das Niederbrennen der Synagoge in der Schäffnerstraße 1938 dagegen wollen sich nur noch wenige erinnern.
1939 wurde der 18.000 Reichsmark teuere Vogel endlich fertig. Doch nun wollten die Oberen der Regensburger Stadtverwaltung nichts mehr von dem Granitadler wissen. Übrigens, nicht nur der Adler verursachte hohe Kosten, auch die Baukosten der Nibelungenbrücke liefen aus dem Ruder. Statt der kalkulierten 5,05 Millionen war die Schlussrechnung bei 5,7 Millionen Reichsmark. Schon damals war sparen in Regensburg weniger populär.
In den letzten Kriegstagen, am 23.April 1945, wurden Teile der Nibelungenbrücke gesprengt. Der Brückenadler lagerte sicher in einem Depot. Leider, möchte man fast sagen.
1950: Ärger mit dem Brückenadler
Zum zweiten Mal wurde 1950 die Nibelungenbrücke eingeweiht. Jetzt kam auch das Adlerdenkmal von Albert Allmann zu seinen Ehren. Ab nun stand der Granitgreif als Bundesadler auf der Brücke und hielt seinen Schnabel Richtung Osten, dort wo der „Feind“ lauerte. Man musste kein Historiker sein, um zu erkennen, welcher Gesinnung der Brückenadler Ausdruck verleihen sollte. Das Eichenlaub zwischen seinen Krallen hätte ein Hakenkreuz zieren sollen. Dieses fehlte bei der Nachkriegsvariante des Brückenadlers. In Regensburg hielt sich sehr lange die Legende, der Adler sein von Bundeskanzler Adenauer gestiftet worden.
Jahrzehntelang stand er nun dort, der Adler. Oben raste der Straßenverkehr an ihm vorbei, unten schipperten die Donauschiffe. Bis 1999 konnte er von seinem Podest aus die Eishockeyspiele des EVR anschauen, dann zogen die Kufenflitzer in die Donauarena um.
Immer wieder wurde der Brückenadler das Opfer von Sprayattacken. Neonazis hinterließen immer wieder ihre unsinnigen Schmierereien. Auch mit harmloseren Farbideen wurde der Vogel unfreiwillig verschönert.
2001: Ärger mit dem Brückenadler
Die Nibelungenbrücke war mit über 50.000 Fahrzeugen pro Tag überlastet. Im März 2003 wurde der Grundstein für die neue Nibelungenbrücke gelegt. Am 11. Juli 2001 wurde der Brückenadler abmontiert. In der Pressemitteilung der Stadt Regensburg von diesem Tag heißt es zu dem Brückenadler: „Das wird allerdings nicht seine letzte Reise sein. Die Kommission Kunst und Bauen sowie andere Gremien haben jetzt genügend Zeit, eine angemessene Lösung für eine künftige Verwendung des Adlers zu suchen“. Auch die „Brückenjungfer“, ein weiteres Wahrzeichen der Brücke wurde entfernt und eingelagert.
Brauchbare Vorschläge drangen selten an die Öffentlichkeit. Einer davon war, den ehemaligen Brückenadler in Einzelteile zu zersägen und verfremdet wieder zusammen zu setzen. Ein Regensburger Unternehmer bot an, den Granitvogel zu kaufen, um ihm in seinem Garten Asyl zu gewähren. Der Brückenadler blieb im Depot.
2003: Ärger mit dem Brückenadler
Der Kunstverein GRAZ sammelte von verschiedenen Künstlern Vorschläge, was mit dem Brückenadler sinnvolles geschehen könne. Über 30 Kunstschaffende im In- und Ausland wurden dazu angefragt. Das Echo war eher bescheiden. Eine Ausstellung zeigte im November 2003 die unterschiedlichen Konzepte, was mit dem Brückenadler angestellt werden kann. Von der Verhüllung a´la Christo, bis hin zur Renaturierung des Denkmals, in dem man den Adler mit Gras überwuchern lässt, reichten die Ideen. Auch die obligate Podiumsdiskussion über den weiteren Verbleib des Nazisymbols brachte nicht den endgültigen Durchbruch. Dabei war das prominente Podium mit Dr. Egon Johannes Greipl (Landesamt für Denkmalpflege), Günther Schießl (Journalist), Claus Caspers (Kunst- und Gewerbeverein) und anderen kompetent besetzt.
Bis heute steht der Brückenadler im Depot. Vielleicht findet der neu gewählte Stadtrat ein sinnvolles Ende dieser 70 Jahre dauernden Provinzposse, um einen Granitadler aus der NS-Zeit. Vielleicht.