Es ist früher Mittwochabend. Im Innenhof der „Gemeinschaftsunterkunft“ Plattlinger Straße haben sich knapp 30 Personen versammelt. Ortstermin im Flüchtlingslager Regensburg. Abgesehen von CSU und CSB haben alle Stadtratsfraktionen Vertreter vorbei geschickt. Von der SPD ist Sozialbürgermeister Joachim Wolbergs überraschend gekommen. Er sieht sich heute insbesondere als „Vertreter der Verwaltung“ und hat zur Unterstützung einige Mitarbeitern dabei. Mitarbeiter der Regierung der Oberpfalz haben sich ebenfalls eingefunden. Sie sind die eigentlich Zuständigen für die „Gemeinschaftsunterkunft“ (GU).
Anlass der Zusammenkunft: Die in Bayern geltende strikte Lagerpflicht für Flüchtlinge steht derzeit in der Diskussion. Am 23. April findet dazu eine sechsstündige Anhörung im Landtag statt. Die kleinen Fraktionen im Regensburger Stadtrat haben vor diesem Hintergrund einen Antrag gestellt. Inhalt: Die Staatsregierung soll via Resolution gebeten werden, die strikte Lagerpflicht für Flüchtlinge in Bayern zu überdenken. Die Regensburger Unterkunft soll mit dem Ziel der Schließung schrittweise verkleinert werden (Hier der komplette Antrag). Ähnliche, zum Teil wortgleiche Anträge wurden bereits in München, Augsburg und im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen verabschiedet. Einstimmig. Nun soll Regensburg nachziehen und sich für ein Ende der zwangsweisen Kasernierung von Flüchtlingen aussprechen.
Richtlinie: Unterbringung „soll die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“
Die BI Asyl und das Regensburger Flüchtlingsforum (RFF) haben für Mittwoch die Stadtratsfraktionen eingeladen, sich selbst ein Bild der Situation vor Ort zu machen. „Wir sind zuversichtlich, dass der Antrag in Regensburg verabschiedet wird“, sagt Gotthold Streitberger. Seit über 25 Jahren engagiert er sich bei der BI Asyl. Darüber, dass auch der Sozialbürgermeister – überraschend, weil unangemeldet – gekommen ist, ist Streitberger besonders erfreut. Das Thema genießt offenbar einen hohen Stellenwert. Streitbergers Hoffnung erweist sich als trügerisch.
Aktuell leben in der Regensburger GU 133 Flüchtlinge. Viele seit über zehn Jahren. Umziehen verboten. Nicht Wohnungsnot ist der Grund für diese zwangsweise Unterbringung. „Sie soll die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“, heißt es in der bayerischen Asyldurchführungsverordnung. „Die Menschen gehen hier kaputt“, erklärt Marion Puhle (RFF). Sie engagiert sich seit sechs Jahren in der Flüchtlingsarbeit.
„Das ist ein Gefängnis. Wenn Sie eine Woche hier leben müssten, würden sie durchdrehen“, schleudert ein Bewohner den Kommunalpolitikern entgegen, die mit der Situation sichtlich überfordert sind. Mehrere Flüchtlinge konfrontieren sie mit ihren Problemen: Residenzpflicht, gestrichenes Taschengeld, Abschiebung. Zu viel, um im Rahmen dieser Besichtigung erörtert zu werden. Eigentlich sind die Stadträte auch nicht direkt zuständig. Sie können lediglich eine Resolution verabschieden und damit einen Appell an die Staatsregierung richten.
Wolbergs: „Die Menschen gehen hier nicht kaputt.”
Sozialbürgermeister Wolbergs scheint mit dieser Resolution ein Problem zu haben. Er hat sich nach eigenen Worten „seit über zwei Jahren nicht mehr mit dem Thema Flüchtlinge“ beschäftigt. Vor 14 Tagen sei er aber bereits mit Verwaltungsmitarbeitern vor Ort gewesen und habe sich ein Bild gemacht, erzählt er. Der Eindruck des Sozialbürgermeisters: „Die Menschen gehen hier nicht kaputt. Eine Schließung der Unterkunft wäre fatal.“ Generell gelte es, „einige Dinge gerade zu rücken“, erklärt Wolbergs. Was die Flüchtlingsinitiativen behaupteten sei häufig übertrieben und generell: „Es gibt auch Deutsche, denen es schlecht geht. Schauen Sie sich mal die Notwohnanlage der Stadt Regensburg an.“
Die Oberhoheit über den Termin hat der Sozialbürgermeister zu diesem Zeitpunkt bereits übernommen. Zur BI Asyl und dem Flüchtlingsforum nimmt er eine konsequente Abwehrhaltung ein. Immer wieder fällt er Streitberger oder Puhle ins Wort, immer wieder rückt er „Dinge gerade“.
Wolbergs: „Sachleistungen statt Bargeld“
Vor der Rampe, an der zwei Mal die Woche Essenspakete an die Flüchtlinge ausgegeben werden – wer zu spät kommt, geht leer aus – lobt Wolbergs das Prinzip „Sachleistungen statt Bargeld“. Auch in anderen Bereichen gelte es, mehr dazu überzugehen, nicht Geld, sondern Sachleistungen zu verteilen. Dann werde das Geld nicht für falsche Dinge ausgegeben. Dann sei die Missbrauchsgefahr gebannt. Ob künftig auch Hartz IV-Empfänger alle vier Wochen bis zu acht verschiedenfarbige Zettel ausfüllen müssen, um sich dann zwei Mal die Woche Essenspakete von einer Rampe herunter zu reichen lassen, bleibt abzuwarten. Im Moment gilt das nur für Flüchtlinge und das ist auch gut so. Befindet der SPD-Sozialbürgermeister.
Die Ausführungen von Wolbergs ernten allenfalls kleinlauten Widerspruch. Er kommt von Jürgen Mistol (Grüne) und Richard Spieß (Linke). Die übrigen Stadträte schweigen weitgehend. Die meisten Flüchtlinge hören schon gar nicht mehr zu.
Schließlich geht die Gruppe in eines der Gebäude. Sieben bunt zusammengewürfelte Männer leben in der Wohnung, die als erstes besichtigt wird. Alles wirkt abgewohnt und trist, aber nicht verwahrlost. Eng ist es trotzdem. „Ich arbeite Nachtschicht, zwei Mitbewohner Tagschicht. Es ist schwierig miteinander klar zu kommen“, klagt ein Bewohner. Er lebt seit elf Jahren in Deutschland. Seitdem ist er zwangsweise in „Gemeinschaftsunterkünften“ untergebracht.
Die Stadträte gucken sich um, gehen wieder nach draußen. „Die Stange am Fenster braucht der aber nicht so aufhängen“, murmelt ein GU-Mitarbeiter „Ich würde mal was darüber schreiben, wie Asylbewerber mit unserem Geld umgehen“, erwidert sein Kollege, offenbar verärgert über die Beschwerden des Bewohners. Immerhin sind bei den 197 Euro für ein zugewiesenes Zimmer Strom und Heizung mit dabei.
Jetzt will Sozialbürgermeister Wolbergs der Gruppe eine Wohnung zeigen. Er leitet die Stadträte, Journalisten und Regierungsmitarbeiter zum Nachbargebäude. Seit sieben Jahren wohnt hier im zweiten Stock eine sechsköpfige irakische Familie. Den Boden haben sie selbst verlegt und sich um Schönheitsreparaturen gekümmert. Es wirkt wohnlich und aufgeräumt, so als ob Besuch erwartet würde. Wurde er auch. Der Sozialbürgermeister war vor 14 Tagen schon hier und hat den Besuch vereinbart. Im Gehen verspricht er dem jüngsten Sohn: „Wir zwei gehen jetzt bald mal zum Eishockey.“
Falsche Bilder und falsche Behauptungen
Abschließend nutzt Wolbergs erneut die Gelegenheit, um die Flüchtlingsinitiativen zu diskreditieren. Im Büro des GU-Leiters zeigt er Fotos auf der Internetseite des Bayerischen Flüchtlingsrats, die in seinen Augen ein falsches Bild der Situation in Regensburg zeichnen. „Hier wird mit dem Instrument von Bildern und falschen Behauptungen gearbeitet“, schwadroniert Wolbergs. Das sei unehrlich und zudem gefährlich.
Auf den inkriminierten Fotos sind unter anderem zerbrochene Eternit-Platten an den Gebäuden zu sehen. Ein Teil dieser Platten wurde zwei Tage vor dem Termin ausgewechselt. Das bestätigen übereinstimmend mehrere Bewohner. Es sollte vermutlich kein falsches Bild entstehen.
Ende der Veranstaltung. Eilig verlassen die Stadträte den Ort des Geschehens. Ob die Resolution im Stadtrat eine Mehrheit finden wird? Mitinitiator Jürgen Mistol (Grüne) erwartet eine „kontroverse Diskussion“.
Nach dem Termin sitzen Marion Puhle und Gotthold Streitberger noch lange mit einigen der Bewohner zusammen. Die Stimmung schwankt zwischen Fassungslosigkeit und Resignation. Aus welchem Grund Wolbergs den einladenden Initiativen das Heft aus der Hand genommen hat, um das eigentliche Anliegen – Abschaffung der Lagerpflicht – schlecht zu reden, können auch sie nicht beantworten.